Bernd Leitenbergers Blog

Die Venus als Sprungbrett zu den Planeten

In meiner losen Reihe der Untersuchungen der Möglichkeiten eines Swing-By komme ich heute zur Venus. Die Venus war der erste Planet, den man für ein Swing-By nutzte. Mariner 10 flog vor 43 Jahren über die Venus zu Merkur. Seitdem gab es einige Vorbeiflüge an der Venus: von Galileo, Cassini, Messenger und bald von Bepi Colombo. Natürlich braucht man die Venus, um zu Merkur zu gelangen. Sie wird aber auch genutzt, um ins äußere Sonnensystem zu gelangen, wobei ein Vorbeiflug meistens nicht reicht. Mindestens zwei müssen es sein, oft drei. Ich will auch in dem Artikel untersuchen, ob meine Faustregel – bei einem Swing-By liegt die maximale Geschwindigkeitsänderung in der gewünschten Richtung in der Größenordnung der Differenz der Fluchtgeschwindigkeit zur Kreisbahngeschwindigkeit in der Bahn – stimmt. Das wären bei der Venus rund 3 km/s.

Ansatz 1: Minimalbahn

Man kann bei einem Vorbeiflug viel variieren, minimaler Abstand am Planeten, Anfluggeschwindigkeit, Winkel. In meinem Programm kann ich immer nur eine Größe variieren, daher nehme ich als ersten Ansatz eine Minimalbahn zur Venus (Perihel in 108 Millionen km Entfernung, Venusentfernung 108,4 Millionen km) und suche nach der neuen Bahn mit dem kleinsten Perihel bzw. höchsten Aphel. Minimale erlaubte Vorbeiflugdistanz ist 200 km. Bei dem Δv ist bei der Ausgangsbahn die Geschwindigkeit relativ zum Erdboden (aus einer 186-km-Kreisbahn aus berechnet).

Ich erhalte folgende Tabelle:

 

Bahn Vorbeiflugabstand Perihel Aphel Δv
Ausgangsbahn 108,0 Mill. km. 150,0 Mill. km. 11.300 m/s
Perihelabsenkung 200 km 82,1 Mill. km. 109,2 Mill. km. 2.198 + 2.751 m/s
Aphelanhebung ~117.000 km 108,25 Mill. km. 152,46 Mill. km. 128,3 + 18,3 m/s

Bei der Geschwindigkeitsbegrenzung habe ich die Änderung des Perihels und Aphels getrennt angegeben. Das liegt daran, dass ich immer nur an einer Komponente interessiert bin, also entweder der Absenkung der Bahn nach innen oder Anhebung des Aphels. Darauf beziehe ich auch meinen Schätzwert von „etwa 3 km/s“.

Jeder Swing-By verändert die Geometrie der Bahn. Das bedeutet, man kann nicht selektiv einen Bahnpunkt anpassen und die anderen fünf Parameter einer Bahn unverändert lassen. Hier, nahe des Perihels kann man kaum nur das Aphel anheben, dazu muss man die Venus in verhältnismäßig hohem Abstand passieren. Dafür kann man durch Drehen des Geschwindigkeitsvektors nach innen praktisch die Bahn so umgestalten, dass das neue Aphel in der Höhe das alten Perihels liegt und man so ins innere Sonnensystem kommt. Daher als weitere Ansätze Bahnen mit einem niedrigeren Perihel, stufenweise um je 4 Millionen km gesenkt berechnet.

 

Bahn Vorbeiflugabstand Perihel Aphel Δv
Ausgangsbahn 104,0 Mill. km. 150 Mill. km. 11.370 m/s
Perihelabsenkung 203 km 68,9 Mill. km. 109,4 Mill. km. 3.312 + 2.772 m/s
Aphelanhebung ~8.000 km 108,39 Mill. km. 193,10 Mill. km. 327,8 + 1.900 m/s

 

Bahn Vorbeiflugabstand Perihel Aphel Δv
Ausgangsbahn 100,0 Mill. km. 150 Mill. km. 11.452 m/s
Perihelabsenkung 230 km 63,04 Mill. km. 110,3 Mill. km. 3.772 + 3.068 m/s
Aphelanhebung 416 km 108,40 Mill. km. 233,6 Mill. km. 522 + 3.204 m/s

 

Bahn Vorbeiflugabstand Perihel Aphel Δv
Ausgangsbahn 96,0 Mill. km. 150 Mill. km. 11.545 m/s
Perihelabsenkung 203 km 59,2 Mill. km. 111,3 Mill. km. 4.473 + 2.314 m/s
Aphelanhebung 200 km 108,0 Mill. km. 268 Mill. km. 967 + 4.030 m/s

 

Bahn Vorbeiflugabstand Perihel Aphel Δv
Ausgangsbahn 92,0 Mill. km. 150 Mill. km. 11.652 m/s
Perihelabsenkung 200 km 56,4 Mill. km. 112,8 Mill. km. 3.943 + 2.469 m/s
Aphelanhebung 200 km 106,7 Mill. km. 285,4 Mill. km. 1.186 + 4.426 m/s

Da nun man der Gewinn in beiden Richtungen kleiner wird, aber die Startgeschwindigkeit höher, habe ich nun die Simulation beendet.

Nun offensichtlich ist, dass man so Merkur erreichen kann. Kein Wunder das wurde schon mit Mariner 10 beweisen. Wichtiger ist die Reise nach außen. Es bietet sich an, diese mit einem direkten Start nach „außen“ zu vergleichen, also einer Hohmannbahn, die ihren entferntesten Punkt am Aphel der Bahnen hat:

 

Aphel Bahn über Venus Bahn direkt
152,49 Mill km. 11.300 m/s 11.018,8 m/s
193,10 Mill. km 11.370 m/s 11.169,7 m/s
233,60 Mill km. 11.452 m/s 11.442,4 m/s
268,0 Mill km. 11.545 m/s 11.708,1 m/s
285,4 Mill. Km 11.652 m/s 11.840,1 m/s

Man sieht: Ist das Perihel der Ausgangsbahn niedrig genug, so hat man einen realen Gewinn, wenn auch nur im Bereich von 150 m/s. Das Perihel wird, da die Venus die Bahn umlenkt, nie durchlaufen, die Thermalabschirmung ist also nur bis Venusentfernung auszulegen.

Alleine deswegen lohnt es sich nicht, denn es dauert 160 Tage, bis man wieder die Erdbahn erreicht hat, 360 Tage, bis man das Aphel erreicht – beim Start von der Erdbahn aus sind es 319 Tage. Für den Mars lohnt es sich nicht, weil man durch die elliptischere Bahn die Geschwindigkeitsdifferenz bei der Ankunft, die abgebaut werden muss höher ist. Es wurde bei dem Rückweg bei klassischen Oppositionsflügen diskutiert.- Bei diesen gibt es himmelsmechanisch nur eine kurze Aufenthaltsdauer auf dem Mars, typisch 3-4 Wochen. Mit einem Umweg über die Venus ist dies auf etwa 100 Tage steigerbar. Der Preis ist aber das man mit sehr hoher Geschwindigkeit bei der Erde ankommt, was die Hitzeschutzschilde stärker beansprucht. Auch das gesamte Design muss auf eine Annäherung auf 0,7 AE ausgelegt werden. Zudem ist die Fluggelegenheit viel seltener.

In der Realität wird die Venus heute bei Raumsonden so genutzt, um die Bahn so zu drehen, dass man danach wieder die Erde passiert. So hat man in weniger als einem Jahr zwei Vorbeiflüge an einem ungefähr erdgroßen Planeten. Dies war bei Galileo so, wie auch bei Cassini. Die Alternative ist der „normale“ Erdvorbeiflug, den es wesentlich häufiger gibt. Man startet dazu die Sonde in eine Umlaufbahn mit einem Jahr Dauer, die nur leicht zur Erdbahn geneigt ist. Ziemlich genau ein Jahr nach dem Start passiert die Sonde, die Erde erneut. Weniger als ein Jahr geht aus himmelsmechanischen Gründen nicht. Das wurde sehr häufig eingesetzt so bei Near, Stardust, Contour (geplant), Messenger, Juno, OSIRIS-REX, Rosetta, Bepicolombo. Bei einem Großteil dieser Missionen diente dieser Erdvorbeiflug, bei dem man nicht mehr Geschwindigkeit aufnimmt, als wenn man gleich mit einigen 100 m/s Überschuss startet, aber vor allem der Angleichung der Inklination: Bei Osiris Rex ist das Ziel der Asteroid Bennu was das Aphel und Perihel angeht, relativ leicht erreichbar – das Aphel liegt bei 1,356 AE, das Perihel bei 0,897 AE – das ist weniger als die Entfernung des Mars beim Aphel bei einer nur leichten Absenkung des Perihels. Aber die Bahn ist um 6 Grad zur Ekliptik geneigt, was bei rund 30 km/s Bahngeschwindigkeit der Erde ein Δv von 3,1 km/s bedeutet.

So wird der Vorbeiflug an der Venus selten lohnen, außer sie liegt gerade günstig.

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