So, nun habe ich wieder etwas Zeit für euch. Allerdings sehe ich doch relativ wenige Themen am Horizont, so dass ich mal heute einen kleinen Blog einschiebe. Ich habe in Nesselwang mein Manuskript über Teil 1 des Raumsondenbuchs fertiggestellt und werde es nun Korrekturlesen, was ich hoffentlich bis Mitte/Ende November schaffe, dann geht es an die Korrekturleser elendsoft und Gairon und ich denke ich mache mich gleich an Teil 2. 384 Seiten sind es geworden. Darauf tummeln sich 165 Sonden, im zweiten Teil bin ich beim Abzählen nach meiner Webseite nur auf rund 60 gekommen. Also doch etwas ungleichmäßig verteilt, trotzdem denke ich wird der zweite Band nicht viel dünner werden?
Warum das Missverhältnis – nun die meisten erreichten gar keinen Erdorbit oder strandeten in diesem, vor allem bei Russland – übrigens zwei der drei Raumsonden die seitdem nicht die Erde verließen waren von Russland und das waren 100 % aller russischen Sonden seitdem. Aber auch viele andere fielen vorher aus.
Vor einigen Jahren habe ich mal eine Anzeige gesehen in der links der Spacepen abgebildet wurde, mit einer kurzen Erläuterung, wie viel er kostete und wie die NASA das Problem löste, das man in der Schwerelosigkeit schreiben kann. Auf der rechten Seite war nur ein Bleistift abgebildet mit dem Satz „so löste Russland das Problem“.
Das Ganze ist natürlich eine Anzeige und wie viele irreführend. Zum einen sind alle Abbildungen eines „Spacepens“ die eines kommerziellen Produkts, das niemals von der NASA in Auftrag gegeben wurde (der Hersteller hat sich auf eine Ausschreibung beworben, doch zur Umsetzung kam es nie). Vor allem funktioniert ein Kugelschreiber ohne Problem auch in der Schwerelosigkeit. Die Tinte haftet durch die Adhäsionskraft des Papiers. Kleiner Test für Laien – jedes Schreibgerät, das sie auch um 180 Grad gedreht (schreiben mit der Spitze nach oben) benutzen können basiert nicht auf der Schwerkraft und funktioniert auch in der Schwerelosigkeit. Trotzdem gab die NASA im Geminiprogramm 4.382,50 $ für Kugelschreiber aus, inflationskorrigiert heute rund 40.000 $. So teuer waren aber nicht die Kugelschreiber, die kosteten nur 1,75 $/Stück. Teuer war die Entwicklung und Anfertigung eines Gehäuses mit Druckknopf, das man auch in klobigen Handschuhen bedienen konnte.
Doch darum geht es nicht. Es geht um die Botschaft: Russland löste die Aufgabe pragmatisch und viel billiger. Nach dem Schreiben meines Buchs glaube ich das eher nicht. Russlands Ansatz war von Anfang an ein anderer als in den USA. Anstatt dass man eine Raumsonde entwirft, die den Weltraumbedingungen gerecht wird und dies intensiv auf der Erde testet z.B. in eigenen Kammern, die evakuiert sind und in denen Lampen auf der einen Seite die Sonne simulieren und flüssiger Stickstoff die andere Seite abkühlt, hat man einfach die Bedingungen auf der Erde nachgestellt.
Alle russischen Raumsonden bestanden aus einem Bus, in dem der Mittenteil die Elektronik und einen Teil der Experimente aufnahm. Der stand unter Druck und war mit Stickstoff gefüllt. Ventilatoren wälzten den Stickstoff um – man hat das Vakuum also praktisch ausgetrickst. Leider klappte das nicht richtig. Bei mindestens zwei Sonden wurde der Behälter undicht und Sender überhitzten. Bei einigen anderen kam es zu anderen Ausfällen, weil z.B. die Kühlung nicht ausreichend dimensioniert war. Auch das hätte man in einer Vakuumkammer vorher testen können. Diese Entscheidung hatte auch Folgen, so hing Russland enorm lange dem Konzept, Film an Bord zu entwickeln. Die USA haben das nur bei den Lunar Orbitern eingesetzt, weil es keine Alternative gab. Mit Fernsehkameras hätten sie niemals ein so großes Gebiet abtasten können (mit vielen Aufnahmen schon, allerdings gestaltete sich das Zusammensetzen dieser damals schwierig, Computer hatten nicht die Kapazität dazu, sodass man bei Mariner 9 z.B. die Bilder ausdruckte und die Fotos auf einen 1,2 m großen Marsglobus klebte. Aber Lunar Orbiters Bilder können heute noch glänzen: bis zu rund 260 MPixel pro Bild. Da kann man auch mit nur 200 Bildern pro Mission einiges bewegen. Russlands Fotos soweit veröffentlicht waren qualitativ nicht schärfer als die amerikanischer Sonden und hatten auch nur 1-2 Mpixel pro Aufnahme. Dafür war der Vorrat begrenzt. 40 bis 440 Aufnahmen waren es je nach Mission bei den Marsorbitern. Vergleicht man dies mit über 7000 Aufnahmen von Mariner 9, so ist das dürftig. Das Konzept findet man auch in anderer Form. Luna 10-12,14 und Luna 19-22 waren Variationen der Lander. Anstatt der Landeapparate führte man bei Luna 10-14 einfach einen kleinen batterienbetriebenen Subsatelliten mit (der eigentliche große Bus wurde also gar nicht genutzt), der noch dazu batteriebetrieben war, was ich noch weniger verstehe, denn damit ist die Betriebszeit doch minimal. Bei Luna 19 und 22 war man etwas schlauer: Es handelt sich bei den Mondsatelliten um die Lunochods mit der längsten Betriebsdauer. Wie bei der letzten Generation hat man einfach umgebaut. Diesmal die Lunochods. Sie wurden mit der Bremsstufe KT gelandet. Nun hat man einfach das Gehäuse ohne Fahrwerk fest auf die KT montiert, noch einige Solarzellen auf die freien Flächen und Experimente angebracht und fertig war der Mondlander. Eigentlich gefällt mit das Konzept, etwas Vorhandenes nochmals zu benutzen, aber man kann es wirklich übertreiben. Die NASA hatte mit Surveyor B auch mal so was vor: Surveyors, die in einen Mondorbit einschwenken sollten. Wie das aber mit dem Feststoffantrieb mit vorgegebenem Gesamtimpuls gehen sollte, blieb offen. Da fand ich die Lunar Orbiter eine bessere Lösung.
Was mich erstaunte, war die enorme Unflexibilität Russlands bei vielen Missionen. Man hat ja wenige Hintergrundinfos, aber die Bezeichnung „Automatische Interplanetare Station“ für die meisten Missionen kann man wörtlich nehmen. Viele Missionen spulten ein fest vorgegebenes Programm ab. Okay, das war anfangs auch bei den USA so. Bei den Mariners war es, so das das Programm schon vor dem Start feststand. Damit auch der Passagezeitpunkt und die Distanz. Kurskorrekturen dienten nur dazu, den vorgegebenen Punkt genauer zu treffen. Aber bei Russland gibt es viele mysteriöse Dinge. Mars 2-7 hatten einen Bordcomputer, der von der N-1 stammte. Das Ding war einerseits den Sequencern von Marinern überlegen (konnte bei Mars 4-7 nach Ausfall der Kommunikation z.B. noch automatisch die Lander absetzen und führte bei Mars 2+3 Bestimmungen der Position von Mars durch und berechnete anhand der Daten die Daten für das Einschwenken in den Orbit). Auf der anderen Seite kam Mars 3 in einen unplanmäßigen Orbit, den man niemals korrigierte, obwohl es Treibstoff gab, viel hatte man ja nicht verbraucht und das Triebwerk mehrmals zündbar war. Bei Luna 19 schaffte man es nicht, den Orbit für das Fotografieren abzusenken. Das war die erste Phase der Mission bestand in einer Fotografiemission. Anstatt, dass man es nochmals probiert, hat man den Orbit genommen, der dann nur grob aufgelöste Bilder hatte. Bei Luna 22 beendete man das, als das Perilunäum abgesunken war – anstatt es einfach anzuheben. Dabei führte Luna 22 in der späteren Mission (in der keine Fotos gemacht wurden) sieben Kurskorrekturen durch.
Bei den Veneras gibt es Hinweise dafür, dass die Landesonden mit den verlängerten Missionen (Design-Lebensdauer 32 bzw. 59 Minuten) wenig mehr an Daten lieferten. Auch hier gab es ein festes Programm. Bei Venera 11+14 fingen die Kameras erst nach 3,5 Minuten an, damit die Experimente vorher die Daten gewinnen und senden konnten. Danach schwiegen diese Experimente. Obwohl Venera 13 mehr als doppelt so lange überlebte wie Venera 13 (genauer gesagt: Der Bus von Venera 13 konnte nur halb so lange Daten empfangen) sind die Bilder nicht farbiger – es gab ein festes Programm, das dann einfach wiederholt wurde, dieses Programm war aber nicht ausgelegt, die ganze Umgebung farbig zu fotografieren.
Trotzdem gelten die Veneras als größter Triumph des russischen Planetenprogramms – klar, wenn ein Körper nur wenige Stunden überlebt, dann ist ein automatisches Programm die beste Lösung.
Diesselbe Taktik findet man auch bei anderen Körpern. Bei den Zenitfotoaufklären handelte es sich einfach um umgebaute Wostoks. In das Bullaugenfenster wurde einfach eine Kamera montiert. Einfach, aber wenn man an die enormen Startzahlen denkt, auf Dauer nicht billig. Die USA haben ja auch ähnlich begonnen, haben dann aber immer mehr Film mitgeführt und den stückweise mit Kapseln zurückgeführt und so die Lebensdauer eines Aufklärers von einer Woche auf mehrere Monate gestreckt. Russland hat bis in die Achtziger Jahre sie im wöchentlichen Abstand gestartet. Schlussendlich ist die Taktik nicht besser. Man weiß wenig über die Kosten von russischen Raumsonden. Die Venera 9-14 wurden auf 100 Millionen Rubel geschätzt, in etwa so teuer wie die gleichzeitig ablaufende Pioneer Venus Mission. Phobos 1+2 kosteten 272 Millionen Rubel, das entsprach in etwa der gleichen Summe in Dollar, billiger als eine US-Raumsonde zu der Zeit, aber dafür das keine Sonde ihre Mission erfüllt auch ziemlich teuer. Das Schlimme ist: es wurde ja nicht besser. Auch Mars 96 und Phobos Grunt gingen verloren. Das Argument, das man am Anfang Lehrgeld zahlt, zieht also nicht zumal Europa und Japan mit ihren ersten Raumsonden Erfolge verzeichnen konnte. Vor allem Giotto halte ich für eine erste Raumsonde bis heute für bemerkenswert.