Auch einfach ist nicht immer besser

Nachdem ich mich im letzten Aufsatz mit den Raumsonden Russlands beschäftigt habe, heute nun der Schwenk auf die Raketentechnik.

Wie sicherlich bekannt, basierten die ersten Raketen sowohl der USA wie auch Russlands auf der deutschen A-4. Russland baute sie sogar unter der Bezeichnung R-1 nach, analog, wie man die B-29 als Tupolew 4 nachbaute.

Während die rund 100 Raketenspezialisten um Wernher von braun dann in die amerikanische Industrie wanderten (wer nicht bei der NASA arbeitete, kam bei North American, Douglas und anderen Firmen unter), verbreitete Russland lange Zeit die Mär, man habe danach alles selbst weiter entwickelt. Das stimmt so nicht, man band die deutschen Spezialisten nur nicht so ein und verstand es trotzdem ihr wissen abzuschöpfen. Später kam raus, das so ziemlich alles was Russland in den Fünfzigern entwickelte auf deutschen Entwürfen basierte, sogar die R-7, auf die sie ja so stolz sind.

Die Entwicklung verlief dann in den USA und der UdSSR zuerst parallel. Man baute Mittelstreckenraketen, wobei man die A-4 Technologie nur verbessern musste – leistungsfähiger Treibstoff, bessere Kühlung, mehr Schub. Dann ab Mitte der Fünfziger Jahre ICBM. Auch hier löste man beiderseits des Atlantiks das Problem, das nun auftrat gleich: Eine ICBM erreicht mit einer Stufe nicht die nötige Endgeschwindigkeit, zumindest nicht, wenn die Nutzlast nicht zu klein werden soll. Man braucht zwei Stufen. Doch die Zuverlässigkeit war damals gering. Vor allem erreichten bei der Zündung nur 50 % der US-Träger den Nennschub. Kein Problem bei einer Stufe. Man schaltet dann ab, doch bei zwei Stufen ist das ein Totalverlust. Also muss man die zweite Stufe schon beim Start zünden. Irgendwann muss man dann aber die Masse reduzieren, also erste Stufe abwerfen. Die Lösungen waren ähnlich, aber nicht gleich.

Die Atlas warf die zwei größeren, äußeren Triebwerke ab. Damit die Reststufe die zu diesem Zeitpunkt zu 80 % leer war nicht zu viel wog, hat man die Tanks aus hauchdünnen, innendruckstabilisierten Stahlblechen gefertigt. So erreichte man ein hervorragendes Masseverhältnis. Die R-7 bestand dagegen aus einer zentralen zweiten Stufe und vier daran angebrachten Boostern, die man nach Verbrauch des Treibstoffs abtrennte.

Ein weiterer Unterschied war, dass die R-7 und Atlas beide zwar nur fünf Triebwerke hatten. Doch unterschiedlich wurde es, wenn man Brennkammern zählt: drei bei den Haupttriebwerken und zwei bei den Verniertriebwerken bei der Atlas gegenüber 20 bei den Haupttriebwerken und 12 Verniertriebwerken bei der R-7. Der Grund war, dass man die Turbopumpe zwar skalieren konnte, die Brennkammer jedoch nicht. Jede Brennkammer einer R-7 hat nicht mal den Schub der A-4 Brennkammer. Der Grund dürfte sein, dass damals jedes neue Triebwerk unter dem Problem der Verbrennungsinstabilität litt. Das konnte bis zur Selbstzerstörung des Triebwerks gehen. Dem Problem konnte man nur durch intensive Tests begegneten bei dem man immer wieder etwas änderte, bis das Triebwerk stabil lief. Das scheint Russland zu umständlich gewesen zu sein. Dem Konzept, das eine Turbopumpe mehrere Brennkammern steuert, blieb man treu. Auch die folgenden Interkontinentalraketen, wie die Zyklon setzen es ein. Noch in einem zweiten Punkt war die R-7 rückschrittlich: ihr Gasgenerator verwandte wie die A-4 Wasserstoffperoxid, das man extra mitführen musste, während man in den USA bald dazu überging, einen Teil des Treibstoffs dafür zu verwenden. Das spart Gewicht ein und ist effizienter. Das letzte Relikt der A-4 wurde erst um die Jahrtausendwende beseitigt: die Steuerung. Die A-4 hatte dazu eine vorgeladene Batterie, die durch einen Strom, abgeleitet von der Beschleunigung entladen wurde. War ihr Strom Null, so löste das den Brennschluss aus. Die Proton hatte noch 1996 diese Steuerungsmethode. Erst als sie kommerzialisiert wurde, bekam sie eine digitale Steuerung,

Zurück zur Raketenentwicklung. Die nächsten Schritte beiderseits des Atlantiks verliefen die nächsten Schritte dann auch identisch. Den Parallellstufen folgten zuerst zwei echte Stufen, aber noch mit LOX/Kerosin, dann mit lagerfähigen Treibstoffen. Auch hier drückte man sich bei beiden Nationen um das Problem: Zünden der zweiten Stufe in der Schwerelosigkeit und zündete einfach, bevor die Erste überhaupt ausgebrannt war. Entsprechend haben beide Raketen diesseits und jenseits des Atlantis dann durchbrochene Stufenadapter damit die Abgase entweichen können.

Nun laufen die Entwicklungen aber auseinander. Vor allem in der Raumfahrt. In den USA konzentriert man sich auf die Nutzung von Wasserstoff, der macht bei einer ICBM keinen Sinn, er erhöht nur die Explosionsgefahr enorm. Aber er steigert die Nutzlast bei Trägerraketen. Russland wird ihn erst viel später nutzen und nach der Episode Energija alle Entwicklungen wieder einstampfen. Bei militärischen Raketen gehen die USA bald zu Feststoffraketen, über die noch schneller startbar als Raketen mit lagerfähigen Treibstoffen sind, zudem weitaus ungefährlicher. Russland greift auch diese Technologie erst ein Jahrzehnt später auf. Bei zivilen Raketen hat man Feststoffbooster bis heute nicht eingesetzt.

Stattdessen entwickelt man das Hauptstromtriebwerk – es treibt die Proton und Zenit an. Aber so richtig beherrschen tut man es nicht, wenn man an die vielen Fehlstarts dieser Raketen denkt. In der Raumfahrt fallen vor allem aber die zahlreichen Fehlstarts bei Planetensonden auf. Anders als bei vielen Satelliten muss man für viele Planetenmissionen erst eine Parkbahn erreichen um dann wenn man den optimalen Punkt erreicht hat erneut das Triebwerk zünden. Russland hatte für die R-7 wieder eine Lösung parat mit der man sich um das Problem herummogelte.

Bei der Molnija wurde die letzte Stufe, Block L, zusammen mit der Nutzlast in einen Erdorbit befördert. Dann würde sie zünden. Wiederzündbar musste sie damit nicht sein, ebenfalls etwas, was Russland lange Zeit nicht beherrschte. Für die Freiflugphase gab es ein eigenes System BOZ, das kurz nach der Zündung abgeworfen wurde. Es stabilisierte die Stufe solange und sammelte den Treibstoff vor der Zündung. Das dumme nur. Es hatte einen Designfehler. Vor der Zündung der eigentlichen Stufe sollte die Stromversorgung von diesem System auf die Stromversorgung der Stufe umschalten. Sie schaltete aber nur die Stromversorgung des Systems BOZ ab und etwa 20 -30 s war es ohne Strom. In der Zeit konnte eine Fehlausrichtung geschehen, und wenn das der Fall war, schaltete die Stufe gleich wieder ab. Das war die Regel. Von den ersten 24 Starts der Molnija scheiterten 18. Mein Buch ist voll mit Sonden, die im Erdorbit strandeten: von Sputnik 5 bis Kosmos 60. Gemäß Russlands Philosophie, dass alles vorausgeplant war, gab es dann auch keine Chance mehr die Stufe durch Funkkommando zu zünden. In den USA entwickelte man wiederzündbare Stufen wie die Agena oder Centaur. Aus heutiger Sicht verrückt wirkt, warum man nach den ersten Fehlstarts nicht das Problem analysierte, sondern munter weiter startete. Erst nach 16 Starts kam man auf die Idee doch eine Einheit zu installieren die Telemetrie, über die stufe sandte und konnte als Kosmos 27, eigentlich eine Venussonde, im Erdorbit verblieb, beim ersten Umlauf dann die Telemetrie auslesen. Vorher hatte man keine Telemetrie, da die Stufe über dem Südpazifik zündete und dort gab es keine Bodenstationen.

Bei der Proton hatte man das Problem gelöst. Block D der von der N-1 stammte, war wiederzündbar. Dafür hatte Block D oft das Problem, das er falsch orientiert war und so scheiterten auch viele frühe Proton Flüge. Immerhin nahm man sich eine Pause und ging das Design erneut durch. Einen Fehler hat man aber übersehen und der kam erst vor einigen Jahren raus. Elektronisch war man nicht viel weiter. Ein Start einer Raumsonde scheiterte, weil jemand vor dem Start ein 8-stelliges Wort falsch eingetragen hatte – er hatte die Ziffern in verkehrter Reihenfolge eingegeben. So sollte Block D erst nach 1,5 Jahren anstatt 1,5 Stunden zünden. Korrigieren konnte man es nicht mehr. Wie schon gesagt, alles verlief vom Abheben an vollautomatisch.

Machen wir einen Sprung zu heute. Moderne Raketen, wie die Angara sind symptomatisch für Russlands Können und Defizite. Auf der einen Seite gibt es die leistungsfähigsten Triebwerke die mit LOX/Kerosin arbeiten mit den höchsten spezifischen Impulsen. Auf der anderen Seite wird das egalisiert durch höheres Gewicht. Während SpaceX von Strukturfaktoren von 30 spricht, erreicht die Angara nur 16. Selbst die Titan II, 50 Jahre älter kommt auf 24. Große Feststoffbooster werden bei zivilen Raketen nicht eingesetzt, Wasserstoff auch nicht und Kohlefaserverbundwerkstoffe nur selten.

Was funktioniert, ist das Starten von seit Jahrzehnten unveränderten Raketen. Das kann positiv sein, aber auch negativ. Positiv, wenn die Rakete funktioniert, weil sie A-4 Know-How einsetzt wie die R-7. Negativ wenn Russland, was Eigenes entwickelt hat, man aber seit Jahrzehnten sich nicht die Mühe gemacht hat auch alle Fehler zu eliminieren wie bei der Proton. Raus kommt das eigentlich nur, wenn andere betroffen sind. So gelangten die ersten Galileosatelliten auf eine falsche Umlaufbahn. Die ESA leis untersuchen und es kam raus, das bei einem Viertel aller Fregatstufen das Hydrazin durch superkaltes Helium in den Leitungen einfrieren konnte. De Fehler kam vorher nur nie raus, weil die Missionen zu kurz waren. Nur beim Galileo-Orbit gab es die nötige lange Freiflugphase. Das es ein Viertel ist, lässt drauf schließen, dass man es wohl mit einer Schicht verknüpfen kann, denn wäre es ein Designfehler so wären ja alle Stufen betroffen. So was sollte eigentlich nicht vorkommen und kommt woanders auch nicht vor. Aber es kommt vor, wenn man es sich einfach macht – es fliegt, wozu also noch weiter testen?

Russland kann es besser – wenn es bezahlt wird. Es fällt auf das das RD-180, das exportiert wird und ein halbes RD-170 ist bisher keinen Ausfall hatte. Das RD-170, das aber die Zenit antreibt etliche ausfälle hatte. Auch bei der Proton fällt auf, das die Fehlstarts in den letzten Jahren vor allem Träger betreffen, die nicht von ILS bestellt worden sind. Offenbar hat man wohl in Russland die Rechnung gemacht, was kostet uns ein Start mehr, wenn wir penibel prüfen und testen und was kostet uns die Versicherung mehr, wenn es weiterhin so viele Fehlstarts gibt. Das Letztere muss wohl billiger sein. Wie wir bei den Verlusten der letzten Jahre wissen wir ja, das russische Regierungsnutzlasten, wie Progress oder Phobos Grunt versichert sind.

4 thoughts on “Auch einfach ist nicht immer besser

  1. Hallo Bernd:
    Wie heißt es bei „Jagd auf Roter Oktober“: Dir Russen gehen noch nicht mal aufs Klo ohne Plan!

    Na ja, die R-7 funktionierte, startete eindrucksvoll und setzte tolle Sonden ab, die dann leider nach XX Mio. km nicht mehr
    funktionierten…
    Dafür hatten die Russen ja zwei Knöpfe: Einer sprengt die Rakete und der andere…

    Bei den Amis hingegen: „pfft, pfft… Miami Beach“, oder auch Kaputtnik, Flopnik, etc…
    Und nur einen Knopf zum Sprengen der Rakete!

    Bis die Amis den Dreh raushatten und den „Russischen-Traktor“ überholen konnten….

    Wenn die Russen bei Ihren Sonden und zweit Stufen das System wie bei ihren Raketen benutzt hätten!
    Eine bauen, die funktioniert und darauf basierend neues bauen.

  2. Russische Ausfälle.

    Ich würde ja unfreundliche Einwirkungen der netten Leute mit den vielen Sternen auf der Fahne nicht ausschließen wollen.
    Zu der Art wie man dort mit Konkurrenz umgeht würde das passen.

  3. Also ich halte das für gewagt!
    Die Amis hatten in der Sowjetunion in der Zeit bis 1990 sicher nicht soo viel zu sagen,
    erst recht nicht in der Raumfahrt. Da war wahrscheinlich der Wodka gefährlicher als
    der Amerikanischer Saboteur!
    Oder die klassische sozialistische Schlamperei.
    Oder das Militär wollte etwas anderes…
    Oder nach dem Klassischen Witz: Wir können bauen was wir wollen, es kommt immer eine AK-47 heraus…

  4. Das ist Blödsinn. Es gelang den USA ja nicht einmal richtig Spionage im Osten zu betreiben. Selbst wenn jemand Gesinnungstäter war so wurde er durch die Überwachung schnell enttarnt.

    Man wusste im Westen von den meisten Projekten nichts bis auf die Fehlstarts die man nicht verbergen konnte. Wenn man davon mehr gewusst hätte (und das ist ja Voraussetzung bevor man etwas sabotieren will) dann hätte man das genutzt um mehr Gelder für das eigene Programm loszueisen. Siehe Apollo 8 nach der Bergung von Zond 5, die von einem US-Zerstörer beobachtet wurde oder als man die N-1 auf Satellitenbildern entdeckte.

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