Die Lösung für ein (fast) überflüssiges Problem: Wie weit fliegt Nordkoreas ICBM
Gestern gab es eine neue Runde im Säbelrasseln zwischen den USA und Nordkorea. Nordkorea hat erneut eine Rakete getestet, diesmal anders als bei den letzten Malen eine ICBM und kündigte an, dass man damit jeden Punkt der USA treffen könnte, und erklärte sich zur Atommacht. Na ja das Letztere hat mit einer Rakete nichts zu tun, sonst wären etliche Länder Atommacht, sogar das Dritte Reich.
Nach nordkoreanischen Angaben flog die Rakete 53 Minuten lang, 4.475 km hoch und 950 km weit. Nach Ansicht von Fachleuten würde sie in einem normalen Winkel 10.000 km weit fliegen. Zeit das nachzuprüfen.
Der erste Schritt ist es, die Endgeschwindigkeit ohne Verluste zu berechnen. Nordkorea hat sie fast senkrecht abgeschossen. Ungewöhnlich, aber bei der Situation des Landes verständlich. Man muss die Flugbahn der Rakete ja verfolgen können und man benötigt da, wo sie auftrifft, Beobachter, die bestätigen, dass alles korrekt verlief und die Rakete nicht vorher desintegrierte (RUD im SpaceX Jargon) bzw. überhaupt das Zielgebiet mit der erwarteten Treffergenauigkeit erreicht. Das ist für das isolierte Nordkorea ein Problem. Das Problem hatte Russland nicht: Die ICBM wurden im Westen gestartet und gingen in Sibirien nieder, Russland ist groß genug. Bei den USA war das Zielgebiet nahe einer ihrer Militärstützpunkte im Pazifik, meist bei den Marschall Inseln. So steigt eben die Rakete senkrecht auf und bewegt sich kaum horizontal. Die Zielgenauigkeit kann Nordkorea aber so kaum testen.
Die Endgeschwindigkeit einer Rakete besteht aus einer vertikalen und horizontalen Komponente. Beide berechne ich ohne Verluste. Die würde es ja auch bei einer anderen Bahn geben und die Annahme das Sie gleich groß sind ist nicht so falsch. Für die vertikal Geschwindigkeit können wir die potenzielle Energie im Gravitationsfeld berechnen. Es gilt.
Epot = (1/(r1)-(1/r2)*GM
r1 und r2 sind Start- und Höhenabstand vom Erdmittelpunkt und GM das Produkt aus Gravitationskonstante und Erdmasse, etwa 3,98×1014.
Um einen Körper von r1 = 6378.000 m (mittlerer Erdradius) auf r2 = 6378.000 m + 4475.000 m zu befördern braucht man also eine Energie von ~ 25,6 MJ/kg.
Hätte man in 4475 kg Höhe eine Plattform, so könnte der Sprengkopf dann dort abgesetzt werden. Da dem nicht so ist, fällt er wieder zur Erde zurück.
Die Energie kann man in die vertikale Geschwindigkeit umrechnen, die z.B. für einen senkrechten Kanonenschuss nötig ist, um die Höhe zu erreichen nach:
Ekin = ½ * v²
Umgeformt auf v und Ekin = Epot gesetzt:
v = √(2*Epot)
v = 7156 m/s
Das ist viel, fast Orbitalgeschwindigkeit. Allerdings wird die Rakete einen Teil angetrieben durchlaufen und gewinnt so Höhe. R1 muss durch diese Starthöhe ersetzt werden. Bei einer mittleren Beschleunigung von 40 m/s wären das bei 7156 m/s rund 640 km Höhe, sodass die reale Geschwindigkeit etwas geringer ist. Das gilt aber auch für die Flugbahn einer ICBM, nur ist da wegen der längeren Strecke der Einfluss auf die maximale Reichweite kleiner. In der Praxis werden also nicht 7156 m/s erreicht werden müssen, sondern etwas weniger, etwa 6.484 m/s, wenn man die Brennschlusshöhe als Basishöhe in eine Iterationsschleife steckt.
Dazu kommt noch die Horizontalgeschwindigkeit. Auch hier vereinfache ich. Ich gehe davon aus, das die angetriebene Phase kurz im Vergleich zur Flugphase ist. Bei 40 m/s mittlerer Beschleunigung (ICBM beschleunigen schnell um die Gravitationsverluste zu senken) beträgt diese weniger als 3 Minuten bei 53 Minuten Flugzeit. Dann kann ich nach den Formeln:
S = v * t
v = S / t
Die mittlere Geschwindigkeit horizontal zu 299 m/s errechnen. Da beide Geschwindigkeitsvektoren senkrecht aufeinander stehen, ist die Endgeschwindigkeit dann:
v = √(vhoriz² + vvert²)
v = 6491 m/s.
Nun die Gegenrechnung, reicht das für eine Bahn von Nordkorea zu den USA? Ich leite hier nicht mehr alles ab, das wäre etwas zu langwierig, ich nehme nur fertige Formeln. Wer es genau wissen will ab S.113 bei Messerschmidt, „Raumfahrtsysteme“ 3.te Auflage von 2009 nachzulesen.
Wir definieren zuerst den Parameter λ:
λ = R0 * v0² / GM
R0 ist die Entfernung vom Erdmittelpunkt, in dem die Rakete Brennschluss hat, bzw. Erdmittelpunkt das ist aus dem Text nicht ganz deutlich. v0 die Geschwindigkeit, die sie hier hat. Bei unserer Rakete wäre R0 = 598 + 6378 km = 6976 km bzw. eben 6378 km. λ wäre dann 0,8362 bzw. 0,7464
Die maximale Reichweite Smax wäre nach dem Buch folgende:
Smax= 2 * R0 * arccos((2*√(1-λ))/(2-λ))
kommt man auf Smax = 11.187 km mit R0= 6976 bzw. 8.512 km mit R0=6378
In der Tat würde diese Rakete bei 11.187 km Reichweite also, wenn man ein Tool bemüht, den Großteil der USA erreichen. Zu Donald Trumps Beruhigung – New York und Florida sind außer Reichweite … Bei 8512 km Reichweite ist dagegen nur Kalifornien betroffen.
[Edit] ich habe es mal für eine einstufige Rakete modelliert:
M = 60.000 kg
Schub= 1.000.000 N
t = 159 s
spez Impuls 2.650 (Nordkorea soll nicht sehr weit in der Raketentechnologie sein)
und komme (ohne Luftwiderstand) auf folgende Werte:
Brennschluss 221,5 km
Gipfelhöhe 4669 km
Geschwindigkeit 6982 m/s
Dauer: 53,9 Minuten
passt ganz gut zu den Angaben
Die Genauigkeit spielt keine Rolle. Schiesst der Kim eine Rakete in die USA, wird die Antwort die selbe sein, ob er eine Stadt trifft oder das Teil in der Wüste niedergeht.
Hallo Bernd,
ich denke, eine Unbekannte bleibt in der Berechnung: die Nutzlast. Mit einem Sprengkopf aus Luft hätte sie recht wenig Masse gehabt und die Reichweite wäre entsprechend größer, als mit einem echten, vielleicht mehrere Tonnen schweren Sprengkopf.
Wissen tun wir es nicht …
@Thierry Gschwind: Sehe ich etwas anders: Die USA wollen verhindern, dass sich diese Technologie ausbreitet, im schlimmsten Fall in den Iran. Wenn Nordkoreas Raketen im Ernstfall danebengehen, könnte zumindest Trump in Versuchung kommen.