Mit meiner Aufstiegssimulation will ich heute ein Thema angehen, das ich bisher nur abschätzen konnte. Nämlich, wie viel es bringt, wenn man eine Rakete von einem Flugzeug aus abwirft. Nun da das Trägerflugzeug von Stratolaunch erste Testflüge unternimmt, ist die Thematik ja wieder aktuell.
Ich will mich dem Thema aber logisch nähern. Wenn eine Rakete von einem Flugzeug in typisch 12 km Höhe abgeworfen wird, hat sie folgende veränderte Starteigenschaften:
- Starthöhe etwa 11 km (die Rakete fällt zuerst, bevor sie gezündet wird)
- Startgeschwindigkeit etwa 250 m/s (entspricht 900 km/h, der Reisegeschwindigkeit eines Verkehrsflugzeugs).
Für kleine Raketen, die man von militärischen Maschinen aus abwerfen kann, kann man auch die Abwurfhöhe erhöhen und die Startgeschwindigkeit ebenfalls steigern.
Einflussfaktoren
Als Einzelfaktoren bezifferbar sind folgende:
- Die Differenz zur Orbitalgeschwindigkeit sinkt um die 250 m/s. Das ist sehr sicher bezifferbar.
- Eine Rakete muss vom Erdboden aus die Atmosphäre durchqueren und hat dadurch Verluste. In 11 km Höhe ist die Luftdichte auf ein Viertel des Wertes am Erdboden abgesunken. Von diesen Aufstiegsverlusten – je nach Typ etwa 100 bis 200 m/s, entfallen also ein Teil. Wie viel ist schwer genau berechenbar, da die Rakete laufend schneller wird, was in großer Höhe zum Teil die geringe Dichte ausgleicht, denn der Luftwiderstand steigt zum Quadrat der Geschwindigkeit aber nur linear zur Luftdichte. Ich würde aber mindestens 50 % abschätzen, das sind weitere 50 bis 100 m/s.
- Die Höhe entspricht einer geringeren „Hubhöhe“ auf die die Nutzlast gehoben werden muss. Auch diese ist nach der potenziellen Energie im Gravitationsfeld genau berechenbar. Für einen 185-km-Orbit sind es 108 KJ/kg Masse. Leider ist das wegen der vektoriellen Addition der Geschwindigkeitsvektoren nicht direkt in eine Differenzgeschwindigkeit umrechenbar.
- Nicht offensichtlich ist die größere Effizienz des Antriebs. Für alle Raketentriebwerke ist der spezifische Impuls in Meereshöhe kleiner als der Vakuumimpuls. Um wie viel hängt sehr stark vom Antrieb und dem Düsenmündungsdruck ab. Bei hohem Düsenmündungsdruck können es 7-10 % sein, bei Niedrigem aber auch 30 %, wie bei der Ariane 5. Würde man die Rakete für das Abwerfen konstruieren, könnte man auch die Düsen vergrößern und an den kleineren Düsenmündungsdruck anpassen, was eine weitere Steigerung bringt vor allem bei den meist kleinen Expansionsverhältnissen von 7 – 16 beim Start vom Erdboden aus, steigert das die Effizienz deutlich. Dies gilt dann für die ganze erste Stufe und kann deren Endgeschwindigkeit um 10 Prozent steigern. Das sind bei Trenngeschwindigkeiten von 2- 3 km/s weitere 200 – 300 m/s.
Selbst wenn man die Düsen nicht anpasst, würde ich bei reiner Addition aller Faktoren eine Geschwindigkeitsdifferenz von > 350 m/s ansetzen. Ich würde um die 550 m/s schätzen.
Ein zweiter Ansatz
Versucht man sich von der Thematik von einer anderen Seite zu nähern, so kann man mit dem Start vergleichen, wie er heute der Fall ist. Bei den meisten Trägern liegt der Punkt Max-Q, also maximale aerodynamische Belastung bei 70 – 80 s nach dem Start ungefähr in der Höhe, wo die Rakete abgeworfen wird (11 bis 13 km) und bei etwas höherer Geschwindigkeit. Er tritt meist rund um die Schallgeschwindigkeit auf, die 330 m/s entspricht. Bei Brennzeiten von ersten Stufen (ohne Boosterunterstützung) von 100 bis 220 s bei Feststoffantrieben und mittelenergetischen Treibstoffen entspricht das einem Drittel bis der Hälfte der Brennzeit und damit auch einem entsprechenden Treibstoffverbrauch. Da die erste Stufe einem Großteil der Masse entspricht, übersetzt sich das fast 1:1 in einem entsprechenden Nutzlastgewinn, also von einem Viertel bis einem Drittel. Das ist deutlich mehr als nur die obigen 550 m/s.
Nach dieser Abschätzung komme ich mal zu Stratolaunch. Die Firma ist mir aus dem Blickfeld gerutscht. Das liegt daran, dass ich mich nicht für gigantische Flugzeuge interessiere, sondern für Raketen und da gab, es eigentlich nicht neues. Während das Trägerflugzeug im Prinzip das ist, was man vor einigen Jahren vorstellte, scheint die Firma bis heute keine Rakete zu haben. Zuerst gab es eine Zusammenarbeit mit SpaceX. Nach den Bläsern (Details gab es nicht) wäre die Rakete eine Falcon 9 der ersten Generation gewesen, bei der man vier Triebwerke entfernt hat und die Rakete gekürzt. Das macht auch technisch Sinn und ist einfacher als eine komplette Neuentwicklung. SpaceX löste die Zusammenarbeit, als sie genug Aufträge für ihre Falcon 9 hatten, um keine zwei Baulinien parallel zu betreiben. Stratolaunch kündigte dann eine Zusammenarbeit mit Orbital an, was noch mehr verwundert, da Orbital keine Rakete im Portfolio hat, die zu der maximalen Startmasse (nur Rakete) von etwa 200 t passt. Die Antares ist zu groß, die nächst Kleinere, die Taurus (inzwischen im Minotaur C umbenannt) dagegen viel zu klein. Zuletzt wurde bekannt das Stratolaunch sechs RL-10 Triebwerke gekauft hat, die wohl zur Oberstufe gehören. Was das Trägerflugzeug mal starten soll, ist meiner Ansicht nach immer noch offen. Es wird schon spekuliert, dass es gar kein eigenes Trägersystem sein soll, sondern die Firma Serviceleister für Launch Services Providers sein soll, deren Raketen sie dann startet. Das kann die Nutzlast steigern, bei Firmen die gerade erst in den Markt drängen auch die Kosten für eine Startplattform sparen. Gewissen Sinn macht das bei den vielen kleinen Trägern, die derzeit entwickelt werden wie Elektron oder Launcher One. Doch dafür ist der Träger eigentlich überdimensioniert. Die könnte man auch mit einem ausgemusterten Verkehrsflugzeug abwerfen so wie die Pegasus mit einem Mittelstrecken-Verkehrsflugzeug. Die Fixkosten des Trägerflugzeugs sind ja immer gleich hoch, egal ob man eine 30 oder 200 t schwere Rakete startet. Bisher wurde das Konzept ja nur bei Feststoffraketen untersucht bzw. betrieben. Mit flüssigen Treibstoffen wäre es die erste Umsetzung. Hier kann die Größe des Trägerflugzeugs von Vorteil sein, denn anders als bei einem normalen Flugzeug, wo sich der Treibstoff für die Düsentriebwerke über die Flügel verteilt ist, er bei der Rakete an einem Punkt konzentriert, und wenn er beim Start kräftig schwappt, induziert er auch Belastungen an einem Punkt, die ein großes Flugzeug leichter ausgleichen kann als ein kleines.
Die Simulation
Da die Rakete unbekannt ist, habe ich es mit der Minotaur C modelliert. Zum einen ist die Rakete bestimmt klein genug, um gestartet zu werden, zum anderen passt es zur Cooperation mit Orbital. Bei einer reinen Feststoffrakete wie der Minotaur C kommt noch ein Vorteil hinzu, der bei flüssigen Raketen nicht auftritt: Durch die typischen kurzen Brennzeiten der Stufen haben diese Freiflugphasen. Diese verkürzen sich, wenn die Rakete eine kürzere Zeit in den Orbit braucht, weil sie mit höherer Geschwindigkeit und Höhe startet.
Die theoretische Nutzlast für einen 128 x 400 km Orbit (nicht kreisförmig, ich beschränke mich auf einen geschwindigkeitsmäßig ähnlichen, stabilen Orbit) beträgt meiner Rechnung nach für die Minotaur 1328 kg. Orbital gibt 1275 kg für einen 200 km hohen kreisförmigen Orbit an, das passt also. Zum Vergleich ist das ohne Freiflugphase, der elliptische Orbit ist so unvermeidlich.
Die „Flugzeug-Variante“ starte ich mit 45 Grad Winkel. Das erspart eine schnelle Drehung nach dem Abwerfen, bei der meine Simulation meckern würde. Das ist bei einem schubstarken Flugzeug auch möglich, wenn es steil anzieht, wie man es heute z. B. bei Parabelflugzeugen bei Zero-G Tests macht. Auch die von Militärflugzeugen gestarteten Raketen (Projekt Pilot, ASAT) wurden bei steilen Parabelflügen abgeworfen. Die Pegasus startete horizontal, hatte aber Flügel, die ihr Auftrieb lieferten, die haben unveränderte Raketen nicht.
Startgeschwindigkeit sind 250 m/s, Starthöhe 11 km. Ich errechne, wiederum ohne Freiflugphase einen 100 x 400 km Orbit, also nahezu den gleich mit einer Nutzlast von 1.894 kg. Das sind nun deutlich mehr, nämlich 48,5 %. Erstaunlicherweise steigt sogar die der Luftwiderstand von 122 auf 210 m/s an.
Ob es sich wirtschaftlich lohnt, ist eine andere Frage, die nur die beteiligten Firmen beantworten können. Einen Punkt, den ich nicht untersucht habe, ist die Möglichkeit, bei jedem möglichen Breitengrad die Rakete abzuwerfen. Das hat zwei Gründe. Das eine ist, das die Masse auf rund 200 t beschränkt ist. Damit scheiden Starts in den GTO, die von einer niedrigen Startinklination profitieren aus. Beim Start in stärker geneigte Bahnen oder polare Bahnen, wie sie aber Satelliten für die Erdbeobachtung aber auch Kommunikationsnetze in erdnahen Bahnen haben, ergibt sich kein Vorteil solange, wie die Inklination nicht kleiner ist als der Breitengrad des Startorts. Die meisten Firmen mit neuen Trägern sind US-Firmen die können vom CCAF oder Wallops Island aus starten mit minimalen Bahnneigungen von 28 bis 38 Grad. Das ist für diese Bahnen mehr als ausreichend.
Das war der vorerst letzte Beitrag zu meiner Aufstiegssimulation. Wenn er erscheint, bin ich schon einige Tage weg und kann dann zwar Mails mit einem Raspberry Pi abrufen, aber mein Programm läuft nur unter Windows. Nicht wegen meiner eigenen Routinen, aber weil ich Zusatzkomponenten einsetze, die im Lazarusprojekt fehlen, wie Editfelder die Zahlenwerte prüfen und als Fließkommazahlen wiedergebe. Auf Lazarus und damit Cross-Plattform-Möglichkeit habe ich es daher nicht umgesetzt.