Den Aufhänger für mein heutiges Thema liefert mir folgende Meldung: Germany trades P120 booster production for Ariane 6 turbo pumps, upper stage carbon fiber research. Als die Ariane 6 beschlossen wurde, ging es wie immer um die Verteilung der Mittel. Wir haben in Europa das Prinzip des geografischen Rückflusses, wonach wenn ein Land eine bestimmte Summe für ein Projekt aufwendet, es in etwa die gleiche Summe an Aufträgen erhält, man also nicht nur Nettoeinzahler ist. Das ging bisher ganz gut, man musste eben für jedes Land etwas finden, was es machen kann. Deutschland hat zum Beispiel bei Ariane 1-4 nicht viel entwickelt, bekam aber Aufträge für die Triebwerktests – auch das Vulcain und Vinci werden im deutschen Testzentrum n Lampoldshausen getestet und vor allem für die Integration der Stufen, man hat also zusammengebaut was andere entwickelt und produziert haben, so die zweite Stufe und die PAL-Booster bei Ariane 4. Bei Ariane 5 waren es die Boostergehäuse, die aus Edelstahl waren und daher sehr gut in die Fähigkeiten von MAN als Maschinenhersteller passten und die zweite Stufe, diesmal sogar mit selbst entwickeltem Triebwerk, dazu verschiedene Strukturen wie die von der VEB.
Bei Ariane 6 werden es wieder Strukturen sein, diesmal für die Oberstufe, zudem deren Integration. Das alleine reichte aber noch nicht, vor allem wollte die Politik nicht hinnehmen, dass die Fertigung der Booster in Augsburg mit dem Auslaufen der Produktion der Ariane 5 wegfällt. Also setzte Merkel durch, das 30 Prozent der P120C Boostergehäuse in Augsburg gefertigt werden, die anderen 70 Prozent in Italien. Um das den Partnern schmackhaft zu machen, will man in Augsburg eine neue Technologie entwickeln, in der die Fertigungskosten der Gehäuse noch niedriger sind, die man dann auch in Italien übernehmen kann.
Das ist nun vom, Tisch, Italien baut alle Boostergehäuse für die Ariane 6 und die Vega C und Deutschland wird dafür CFK-Strukturen für eine Oberstufe entwickeln, welche die Nutzlast um 1 t erhöht. Wahrscheinlich wird der Wasserstofftank in dieser Technologie gebaut werden.
An und für sich eine gute Sache, denn technisch unterscheidet sich Ariane 6 nicht so arg von Ariane 5. Von Anfang hat die Industrie gesagt, dass der Schlüssel zu niedrigen Startpreisen (derzeit 120 Millionen Euro für 12 t Nutzlast, Ariane 5 kostet 170 Millionen Eure für 11 t Nutzlast in den GTO) vor allem darin liegt, mehr Träger zu produzieren und die Produktion rationeller zu machen. Neben technischen Verbesserungen, wie 3D-Druck bei Komponenten soll dies eben durch die Zusammenfassung von Produktionsstätten auf zwei bis drei in Europa geschehen und da ist eben ein zweiter Produktionsstandort für die Booster kontraproduktiv.
Auf der anderen Seite gibt man rund 3 Milliarden Euro für eine Rakete aus, bei der nur die Booster und Oberstufe wirklich neu sind, wäre da nicht gleich eine Fertigung der Oberstufe mit CFK-Werkstoffen drin gewesen? Wenn man sich Schnittbilder der Ariane 6 ansieht, dann weiß man, dass das Strukturverhältnis ungünstig ist. Ariane 5 ECA hat zwei Stufen mit jeweils einem gemeinsamen Zwischenboden. Ariane 6 hat zwei Stufen mit jeweils getrennten Tanks. Bei der unteren Stufe technisch durch die Anbringung der Booster bedingt, bei der oberen Stufe aber nicht. Ich vermute wirtschaftliche Erwägungen: Tankdome, die zudem so achtmal pro Rakete benötigt werden, zu fertigen ist viel preiswerter als den Zwischenboden, der zudem gut isoliert werden muss. Dagegen sage ich nichts, wohl aber dafür, dass man erst in einem zweiten Schritt CFK-Werkstoffe einsetzt. Die neue Oberstufe soll 2025 bis 2030 kommen. Schon vor 5 Jahren hat die NASA zusammen mit Boeing ein Testprogramm das Composite Cryotank Technologies and Demonstration (CCTD) abgeschlossen. Man hat einen 2,4-m-Tank gebaut und getestet und ein Musterexemplar eines 5,5-m-Tanks gebaut, aber dieses nur bis zum Critical Design Review gebracht. Ein Tank aus Kohlefaserverbundwerkstoff offeriert nach dem Projekt eine Gewichtsersparnis von 30 und eine Kostenersparnis von 25 Prozent gegenüber Aluminium. Da wundert es nicht, dass man dies nicht für die Ariane 6 in Betracht zieht, und zwar gleich von Anfang an (nebenbei kann man an 1 t Gewichtsersparnis auf Basis dieser Daten berechnen, das allelen die Tanks der Oberstufe alleine 3,3 t wiegen).
Was mich noch mehr stört, ist das dies so eine allgemeine Vorgehensweise der Trägerentwicklung in Europa ist und ich es ziemlich überflüssig finde.
Das beginnt schon mit der Ariane 1. Als man sie entwickelte war der Anspruch niedrig. Die Europa war gerade gescheitert. Man setzte fast überall auf bewährte Technologien mit konservativer Auslegung. Bei den Triebwerken z. B. auf einen niedrigen Brennkammerdruck. Schon während der Entwicklung konnte man bei den Viking-Triebwerken den Brennkammerdruck und Schub steigern, was die Nutzlast erhöhte. Ariane 2 entstand durch Nutzung der Reserven, indem alle Triebwerke etwas höheren Brennkammerdruck hatten und das leis noch eine leichte Verlängerung der dritten Stufe zu. Die Belohnung: rund 20 % mehr Nutzlast.
Ariane 3 und 4 waren dann die folgerichtige Nutzlaststeigerung durch Bündelung.
Bei Ariane 5 wiederholt sich das. Die Rakete entsteht zuerst mit einer viel zu kleinen Oberstufe, die noch dazu nur mittelenergetische Treibstoffe nutzt. Das hat als Ursache, das Ariane 5 Bestandteil eines Dreierpakets war. 1985 als die Vorstudien liefen, war die ESA unter dem Eindruck des damaligen Erfolgs des Space Shuttles und Reagan hatte Freedom ausgerufen. Die ESA wollte das Columbuslabor bauen (damals noch mit der Option es auch ohne US-Station zu betreiben) und einen eigenen Shuttle Hermes. Dafür brauchte sie eine Rakete mit großer LEO-Nutzlast und das war Ariane. Aus Sicherheitsgründen sollten alle Stufen am Boden gestartet werden und Hermes ohne Oberstufe gestartet werden. Um nun aber keine zwei Konfigurationen für Hermes-Einsätze und GTO-Einsätze zu haben, baute man eine Stufe die, in die VEB eingehängt werden konnte. Sie musste daher kompakt sein, was mit einer LOC/LH2-Stufe nicht ging. Eine alternative Oberstufe mit dem Triebwerk der Ariane 4 mit der Bezeichnung H10 wurde zwar projektiert, aber nicht genehmigt.
Wie bei Ariane 1 wurde dann, kaum das die Rakete flog, ein Upgradeprogramm beschlossen. Neben einigen kleineren Maßnahmen wie einer leichteren Verkleidung für die untere Nutzlast, mehr CFK-Werkstoffe in der VEB und etwas mehr Treibstoff in den Feststoffboostern und geschweißte anstatt gestreckte Gehäuse, waren es vor allem zwei Maßnahmen.
Die erste größere Maßnahme war das Vulcain 2. Vulcain 1 war schon vor Ariane 5 projektiert mit rund 1.000 kN Schub. Während von 1985 bis 1988 Vorentwicklungen liefen, wurde Hermes immer schwerer und Ariane 5 musste leistungsfähiger werden. Die Treibstoffzuladung stieg von 120 auf 155 t in der EPC und von 5,4 auf 9,7 t in der EPS. Als Folge hat die Rakete große Gravitationsverluste und die steigen bei einer schweren Oberstufe noch an und fressen wieder einen Großteil der Mehrnutzlast auf, wenn sie nun eine schwere Stufe transportieren soll. Also brauchte man ein schubstärkeres Haupttriebwerk. Vulcain 2 war gedacht als einfaches Upgrade wie bei den Viking der Ariane 1. Doch es kam schließlich zu einer fast kompletten Neukonstruktion. Das Vulcain 2 liefert rund 20 % mehr Schub und damit war eine größere Stufe möglich.
Diesmal waren sogar zwei geplant. Die ESC-A als Übergangslösung und die ESC-B als Endlösung. Die ESC-A ist im Prinzip eine Adaption der H10 der Ariane 4 (also das, was man schon 1985 geplante hatte). Man hat den unteren Teil fast unverändert genommen. Sauerstofftank und Schubgerüst sind identisch, der Sauerstofftank wurde nur leicht gestreckt, damit er mehr Treibstoff aufnimmt. Der obere Teil ist neu, der Wasserstofftank ist linsenförmig, weil bei einem Durchmesser von 5,4 m er sehr kurz ist und Rippen verbinden ihn mit dem Sauerstofftank, der einen viel geringeren Durchmesser hat. Die ESC-A-Stufe ist dadurch relativ schwer, weil die Tankgeometrie ungünstig ist (wenn man das Optimum von Volumen-/Fläche zugrunde liegt, müsste der Wasserstofftank als größerer der beiden bei 5,35 m Innendurchmesser 16,3 t Wasserstoff aufnehmen, was bei der Mischung einer Treibstoffmenge von 98 t entspricht, bei 14,9 t Treibstoffzuladung erwartet man eher eine Stufe mit 3 m Durchmesser).
Doch da dies nur eine Übergangslösung sein sollte und dann die ESC-B folgen sollte, war das nicht so schlimm. Der fehlgeschlagene Jungfernflug der Ariane 5 ECA führte dann aber dazu, dass man Geld brauchte für die Nachqualifikation des Vulcain 2 und für einen weiteren Testflug. Man nutzte die Mittel, die für die Ariane 5 ECB vorgesehen waren, die eigentlich 2006 zum ersten Mal fliegen sollte. Seitdem wurde die Entwicklung der Stufe immer wieder verschoben, erst 2011 wurde sie genehmigt, aber auch nicht ohne Widerstand. Frankreich wollte schon damals die Ariane 6. Man einigte sich auf den Kompromiss, dass die ESC-B so ausgelegt werden soll, dass sie möglichst viele Systeme hat, die man auch bei einer neuen Oberstufe für die Ariane 6 einsetzen kann.
2014 hatte sich Frankreich durchgesetzt und auch Deutschland schwenkte auf die Ariane 6, wobei seitdem das Konzept sich deutlich gewandelt hat und inzwischen eine Ariane 5 ECB reloaded rausgekommen ist.
Nun also der Beschluss neue Tanks aus CFK-Werkstoffen zu entwickeln. Warum erst jetzt? Warum nicht gleich von Anfang an? Wie schon im Link referiert haben andere das schon mal erprobt. SpaceX hat sogar einen viel größeren Tank präsentiert. Allerdings nur als Modell, also nicht qualifiziert, was ein deutlicher Unterschied ist vor allem, wenn er mit kryogenen Flüssigkeiten gefüllt wird, wie SpaceX selbst schon festgestellt hat.
Was bei dieser Kleckerles-Politik rauskommt, sind zusätzliche Kosten und wenige Einsätze des Basismodells. Ariane 1 flog 11-mal, Ariane 5G 16-mal. Man sollte annehmen, dass man 40 Jahre nach dem Entwicklungsbeginn der Ariane 1 schlauer ist.