Bernd Leitenbergers Blog

Ich glaub, mein Schwein pfeift

In letzter Zeit habe ich das Gefühl, nicht nur irgendetwas, sondern ziemlich viel läuft schief. Nein ich rede nicht von der WM, das Herumschieben eines Balles durch Millionäre interessiert mich nicht. Es geht um zwei Schlagzeilen aus der letzten Woche.

Da ist zuerst die von der Verhaftung eines potenziellen Attentäters. Er hatte sich 3.000 Samen des Rizinusstrauchs aus dem Internet beschafft und wollte oder hat daraus das Gift Rizin gewonnen. Da warnte dann ein Sprecher davor das man nun auch auf den Einsatz von chemischen Nervengiften vorbereitet sein müsste, weil die Attentäter aus dem Dunstkreis des ISS ja so erfinderisch sein und auch die Medien sprachen vom „Nervengift Ricin“.

Nun ich bin kein Toxikologie, doch das der Rizinusbaum zu den Giftpflanzen gehört weiß ich trotzdem. Was mich stutzig machte war die Bezeichnung „Nervengift“ und „chemische Kampfstoffe“. Von denen habe ich zumindest eine Grundkenntnis. Also Zeit für eine kleine Lektion in Chemie und Toxikologie.

Nun bedeutet Nervengift ja nicht unbedingt das es ein chemischer Kampfstoff ist. Alle Nervengifte greifen in irgendeiner Weise in die Übertragung der Signale zwischen Nervenzellen ein. Die verläuft chemisch, indem ein Botenstoff z. B. Acetylcholin als einer der bekanntesten an einer Nervenzelle ausgeschüttet wird, im Spalt zu einer Endplatte einer anderen diffundiert und dort in Rezeptoren andockt. Die Rezeptoren öffnen Schleusen, durch die Ionen in die Zelle eindringen können die dann ein elektrisches Potential ausbilden, das sich über die Zelle fortpflanzt. Danach müssen die chemischen Stoffe wieder von den Rezeptoren befreit werden, sonst feuern die Zellen dauernd Reize. Das geht durch ein Enzym, das den Botenstoff in seine Bestandteile spaltet, bei Acetylcholin die Cholinesterase.

Das System kann man an mehreren Stellen stören, z. B. indem man die Ausschüttung des Botenstoffs verhindert oder die Rezeptoren blockiert oder das Enzym blockiert, oder dessen Ausschüttung verhindert.

Nervengifte sind sehr giftig, weil die Menge an Botenstoffen sehr gering ist sie also nur in einer kleinen Konzentration im Körper vorhanden sein müssen. Sie sind auch nicht neu. Cuare, das Pfeilgift, das Indianer im Amazonasgebiet einsetzten ist ein Nervengift, ebenso das Tetredotoxin das in Kugelfischen vorkommt und in geringer Menge ja ein gewisses Prickeln durch teilweise Lähmung der Zunge und der Atemhöhle verursachen soll, was bei Konsumenten des Fisches offenbar ein Genuss sein soll.

Die modernen chemischen Kampfstoffe die von dem im Dritten Reich erstmals synthetisierten Kampfstoffen Sarin und Tabun abstammen sind ebenfalls Nervengifte. Mit einer modernen Version wurde vor einigen Monaten der russische Doppelagent Sergej Skripal vergiftet.

Tabun und Sarin wie auch moderne Nachfolger wie VX sind chemische Kampfstoffe. Der unterschied zum Nervengift liegt in der Aufnahme. Ein chemischer Kampfstoff kann ein Nervengift sein, muss aber nicht. Er soll ja vom Militär eingesetzt werden und man kann ja nicht Soldaten mit Spritzen ausrüsten. Chemische Kampfstoffe müssen daher leicht in den gasförmigen Zustand übergehen, denn man kann sich sicher vor vergiftetem Wasser oder Essen schützen (bzw. als Militär leicht Wasser- und Lebensmittelvorräte nutzen) aber nicht das Atmen einstellen.

Die ersten und meisten chemischen Kampfstoffe waren auch keine Nervengifte. Im Ersten Weltkrieg fing das mit Chlor an. Chlor wurde schon damals in großen Mengen als Nebenprodukt der Chloralkalielektrolyse erzeugt. Bei dieser stellte man durch Elektrolyse die beiden wichtigen Rohstoffe Natronlauge und Wasserstoff her, das Chlor entstand als Abfallprodukt (die chlorierten Kohlenwasserstoffe und Kunststoffe wie PVC, für die heute der Großteil des Chlors verwendet wird, hatte man noch nicht entdeckt). Später wurden Chlorgasflaschen durch Granaten ersetzt in denen bei einer Verbrennung von zwei Substanzen Chlor freigesetzt wurde. Das war höchst ineffektiv. Chlor wirkt primär dadurch das es ätzend wirkt. Es ist ein Oxidationsmittel und wie bei einer Säure braucht man relativ große Mengen um jemanden zu töten. Unter optimalen Umständen brauchte man 125 kg Chlor um jemanden zu töten. Das war ziemlich ineffizient.

Noch im Ersten Weltkrieg wurde Chlor durch Phosgen ersetzt. Phosgen ist ein Additionsprodukt von Chlor und Kohlenmonoxid, kann anders als Chlor durch die Lungenbläschen aufgenommen werden und zersetzt sich dann zu Chlor und Kohlenmonoxid, wobei das nun in der Lunge fixierte Chlor viel wirksamer ist, als nur aufgenommenes Chlor, das nur zu einem kleinen Bruchteil wirksam war. Phosgen war verantwortlich für die meisten der 90.000 Gifttoten des Ersten Weltkriegs. Zuletzt kamen noch im Ersten Weltkrieg als Kampfstoffe Schwefellost, gebräuchlicher Ausdruck Senfgas zum Einsatz. Sie wirken dadurch das die Verbindungen im Körper durch Enzyme gespalten werden und das hochreaktive Radikal dann Stickstoffverbindungen alkyliert wie Proteine aber auch die DNA. Die Zellen sterben ab, es gibt vor allem an der Haut Blasen, aber auch hier sterben die Opfer durch das Absterben des Lungengewebes. Es klingt etwas makaber, aber Schwefelloste waren die ersten „modernen“ Kampfstoffe in der Hinsicht, das sie nicht physikalisch, sondern chemisch wirkten. Chlor und Phosgen wirken durch die entstehende Säure. Moderne Nervengifte sind jedoch um ein vielfaches giftiger wie auch die folgenden LD-Werte zeigen:

Substanz

LD50 (mg/m³)

Chlor

2.900 mg/m³

Phosgen

2.265 mg/m³/Min

Senfgas

900 mg/m³/2 Min

Sarin

90 mg/m³

Tabun

67 mg/m³

VX

30-50 mg/m³

Die aufgenommenen Mengen liegen weitaus geringer, schlussendlich atmet kein Mensch den ganzen Kubikmeter Luft auf einmal ein, sondern typisch mit einem Atemzug einen Liter. Bei VX beträgt die letale Dosis etwa 10 mg/kg bei oraler Aufnahme oder über die Haut.

So, nach diesem kleinen Schwenker über Nervengifte und Kampfstoffe zum Rizin. Rizin ist ein Eiweiß das in den Rizinussamen enthalten ist. Als Eiweiß, bestehend aus 576 Aminosäuren, ist es nickt flüchtig, kann also als Kampfstoff oder Nervengas nicht eingesetzt werden. Es ist auch kein Nervengift, sondern es wirkt in allen Zellen indem es die Proteinbiosynthese lahmlegt. Über die genaue Toxizität beim Menschen weiß man wenig. Das liegt daran das die Empfindlichkeit unterschiedlich ist, aber auch Rizin unterschiedlich stark in den Samen enthalten ist. In meinem Toxikologiebuch werden 20 Samen als LD50 für einen Erwachsenen genannt, die Wikipedia spricht von 8 Samen, es können aber auch 40 bis 60 Samen sein.

Rizin wurde zwar als Biowaffe mehrfach untersucht jedoch nicht als Kampfstoff. Vielmehr sollte die Munition damit versetzt werden, damit selbst harmlose Streifschüsse tödlich sind. Die USA und Kanada untersuchten das. Das leitet mich zu der Hysterie über. Denkt man an einen „biologischen Kampfstoff“ wie der Generalbundesanwalt, dann fallen einem die Terroranschläge mit Blausäure und Sarin wie vor einigen Jahrzehnten in der Tokioter U-Bahn oder die jüngeren Schlagzeilen über den Einsatz von Giftgas in Syrien ein. Nur das hat mit Ricin nichts zu tun. Als hochmolekularer Stoff muss es entweder oral aufgenommen werden oder über die Blutbahn, z. B. indem man eine Waffe damit bestreicht. Wie bitte will dann ein Attentäter damit eine größere Menschenmenge vergiften? Mir fällt nur eine Kantine ein, wo er das Gift unter die Speisen mischen könnte. Doch ich glaube kaum das so was nicht auffällt. Denn ein Laie kann sicher nicht Rizin isolieren ohne die Proteinstruktur z.b. durch Erhitzen zu schädigen. Als einziges Werkzeug scheint der Verhaftete ja auch nur eine elektrische Kaffeemühle gehabt zu haben. Ich denke er hat nur die Samen vermahlen. Vielleicht noch das Fett abgetrennt. Dann braucht man aber eine Menge Samen Die wiegen zwischen 0,2 und 0,5 g pro Stück. Bei 20 Samen als Durchschnitt pro Erwachsener reden wir also von 4 bis 10 g die man pro Person unter die Speisen mischen muss.

Noch dämlicher als der Terrorist, der einen Sprengsatz bauen wollte – fein verteilt in der Luft erreicht man mit Sicherheit nicht die für einen Menschen giftige Dosis – ist der Bundesanwalt der es deswegen als biologischen Kampfstoff beschreibt. Was mich bei der Recherche aber am meisten erstaunte ist, das man tatsächlich 1.000 Samen problemlos kaufen kann. Ich würde bei einer an und für sich giftigen Pflanze die auch viel Platz braucht – innerhalb eines Jahres wird der Rizinusbaum 3 bis 5 m hoch, annehmen das niemand so viele Samen braucht. Man kann zwar die Rizinuspflanze anbauen und dann aus den Samen Rizinusöl gewinnen. Das ist zwar nicht giftig, da das Eiweiß nicht fettlöslich ist, aber es enthält die Fettsäure Rizinolsäure, die der Körper nicht aufnehmen kann und wirkt daher abführend. Als Speiseöl also ungeeignet. Kurzum für die Bewirtschaftung taugt die Pflanze nickt und wer braucht dann 1000 Samen einer Zierpflanze die meterhoch wird?

Vor allem wundere ich mich über die Terroristen, die anscheinend noch dämlicher sind als ich dachte. Warum sich Rizinussamen im Internet bestellen, wenn Deutschland voller Giftpflanzen ist? Ich habe mal gehört das Australien der Kontinent mit den meisten giftigen Tieren ist. Deutsche Gärten sind dafür voller Giftpflanzen. Hier mal eine kleine Auswahl:

Pflanze

Gift

Vorkommen

LD50 mg/kg

Christrose

Helleborin (Herzgylkosid)

Zierpflanze

0,9 – 19,9 mg/kg

Buschwindröschen

Protoanemonin (Lacton)

Wächst in Wäldern wild und bildet im Frühjahr ganze Teppiche

190 mg/kg

Blauer Eisenhut

Aconitin (alkaloid)

Zierpflanze

5 mg/kg

Maiglöckchen

Convallotoxin + andere Herzyglykoside

Wächst wild in der Natur

3,4 mg/kg

Herbstzeitlose

Cholchizin (Glykosid)

Wächst wild in der Natur, Zierpflanze

43 µg/kg, 2-5 g Samen

Robinie

Phytotoxine

Zierbaum

Besenginster

Sparein (Alkaloid)

Wächst Wild auf trockenen Standorten

120 mg/kg

Stechpalme

Alkaloide und Saponine

Wächst Wild und als Zierstrauch

20 – 30 Beeren

Goldregen

Cytisin (Alkaloide)

Zierbaum

5 – 10 Samen

Seidelbast

Daphentoxin und Glykoside

Zierstrauch

10 Samen

Kartoffel

Solanin (Alkaloid)

Nutzpflanze

32 mg/kg

Rizinusbaum

Ricin (Eiweiß)

Zierbaum

10 mg/kg 20 Samen

Also wenn ich mal dran denke, wie viele Goldregen in den Gärten stehen, dann wäre es für die Terroristen einfacher da die Samen zu besorgen, zumal diese kleiner sind und man weniger braucht. Ebenso weit verbreitet ist die Stechpalme, allerdings ist sie minder giftig und den Eisenhut findet man häufig als Gartenpflanze, da man hier das Gift aus den Wurzeln und nicht Samen gewinnt, kann man mit einer Pflanze etliche Menschen vergiften, zumal sie eine der giftigsten Pflanzen überhaupt ist. Und es wird noch besser: Bei Kartoffeln sind nur die Knollen ungiftig. Wer also bei Kartoffelfeldern das Kraut erntet, kommt ganz schnell zu enormen Giftmengen.

Es wird noch besser: Wozu Samen im Internet bestellen, wenn es Gifte auch im Supermarkt kaufen kann? Zigaretten sind hochgiftig wie manch einer vielleicht sogar weiß – trotzdem noch legal erhältlich. 40 bis 50 mg Nikotin sind tödlich, die sind in 40 bis 50 Zigaretten enthalten. Einfach den Tabak mit leicht saurem Wasser auslaugen, durch verdünnte Lauge das Nikotin ausfällen und man enthält im Gegensatz zum Ricin eine weitestgehend reine Substanz. Das schaffen selbst Gelegenheitsterroristen. Nicotin ist anders als Ricin thermostabil und kann so auch heißen Speisen zugemischt werden.

Soviel zu der Terrorismusgefahr. Das ist das eine was mich derzeit aufregt. Anscheinend will man seit ein paar Jahren uns weismachen das es immer unsicherer wird und es immer mehr Terroristen gibt. Trump benutzt das ja sogar als Rechtfertigung für seine Politik gegenüber Mexiko. Angeblich wäre die Kriminalität bei uns um 10 % durch die Flüchtlinge angestiegen. Standessen weist die neueste Kriminalstatistik aus, das die Verbrechensrate zurückging, auf den niedrigsten Wert seit 25 Jahren.

Trotzdem eine Partei die sich „christlich“ nennt muss uns vor mehr Kriminellen – und das sind für diese Partei vor allem Menschen ohne deutschen Pass – schützen. Da gibt es in Bayern schon ein „Präventivgesetz“. Demnach kann man aufgrund des juristisch schwammigen Begriffes der „drohenden Gefährdung“ in Bayern ohne das man eine Straftat begangen hat inhaftiert werden – ohne Zeitliche Begrenzung. Dann kommen von Seehofer solche abstruse Ideen wie Ankerzentren in denen Flüchtlinge festgehalten werden. Hatten wir das nicht schon mal? Aber ja nur hießen sie damals Konzentrationszentren. Würde auch besser zum Tatbestand passen. Gegen den Plan sind nicht nur die üblichen terroristennahen Organisationen wie Caritas, Diakonie und Proasyl, sondern sogar die Polizeigewerkschaft, und außer Bayern und dem Saarland will kein Bundesland diese Ankerzentren einführen. Ich wette das erste entsteht nahe Dachau …

Und nun der Alleingang Seehofers mit der Abweisung von Flüchtlingen an der Grenze. Zuerst sagt er, er macht das auch wenn Merkel nicht dafür ist, was an und für sich schon ein Grund wäre ihn als Minister zu entlassen, denn wer will schon einen Untergebenen haben, der sich nicht an den Koalitionsvertrag oder Weisungen hält? Inzwischen erpresst er offen Merkel. Was macht die? Anstatt ihn herauszuschmeißen macht Merkel nun extra einen EU-Gipfel obwohl eigentlich klar ist das viele Partner bei dem Vorschlag nicht mitziehen, am wenigsten Italien mit ihrer neuen Regierung.

Das ist eine Demontage der Kanzlerin. Sie zeigt damit offen, dass sie die CSU nicht unter Kontrolle hat und das die machen kann was sie will. Ich weiß nicht ob sie meint das damit Schluss ist nach der Bayernwahl (meiner Ansicht nach nicht) oder ob sie so an dem Amt hängt das sie alles mitmacht, vielleicht auch als Folge der langen Koalitionsverhandlungen zuerst mit FDP/Grünen dann mit der SPD. Aber das schafft doch einen Präzedenzfall. Wenn Seehofer ihr auf der Nase herumtanzen kann und sie erpressen kann, was passiert dann als nächstes? Nun ich kann mir nicht vorstellen das jemand von der SPD die Kanzlerin in der Weise erpresst, aber das man auch dort dann meint, das man sich nicht mehr an den Koalitionsvertrag halten kann, das könnte durchaus passieren.

Ich glaube auch nicht, dass die CSU dann aus der Koalition ausscheidet. Dagegen sprechen zwei Dinge. Das eine ist das die Partei, obwohl nur in Bayern beheimatet immer große Politik machen will. Was Seehofer jetzt macht ist auch weniger Innenpolitik als Außenpolitik, Merkel muss sich ja nun mit den EU-Partnern absprechen.

Zum anderen hängt die Partei an den Ämtern. Sie sind Selbstbedienungsladen für die CSU. Sie sucht sich immer Ämter aus wo sie Bayern ermöglicht viel zuschanzen kann wie Landwirtschaft – in Bayern ein größerer Wählerstamm, Verkehr – 80 % der Mittel des Verkehrsministeriums gingen unter Ramsauer nach Bayern, aber keine Ministerien die ganz Deutschland oder nur die Regierung betreffen wie Justiz, Soziales oder Außenministerium. Würde die CSU aus der Regierung ausscheiden so wäre es zu Ende mit den Milliarden die sie für Bayern aus dem Bundeshaushalt abgezweigt hat und den Schritt würde auch in Bayern die wenigsten verstehen. Landtagswahlen gewinnt man so nicht und um nichts anderes geht es ja.

So das war heute ein langer Blog als Ausgleich für die Woche ohne Blog. Leider wird es auch nächste Woche nicht besser – ich arbeite noch immer am Kunden und wenn ich daheim was mache dann hat das Mercuryprogramm Priorität.

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