Die Helden mit Einfluss und ohne Aufgabe
Derzeit bin ich bei der dritten Korrektur des Manuskripts des „Mercury Programms“. Das ist die letzte nachdem ich bei den ersten noch laufend was ergänzt oder gelöscht habe. Ich habe sie heute beendet und dann ging sie an Mario als ersten Korrekturleser raus. Ich kam wegen der Hitze aber nur schwer vorwärts, weil nach Mittags ich ziemlich müde bin und jetzt abends keine Lust noch weiter korrekturzulesen, so mache ich mich mal an einen Blog. Eigentlich wollte ich mich danach ja gleich an das nächste Buch über die Apolloraumfahrzeuge und Saturn V machen, aber bei der Hitze kann mich nicht dazu aufraffen.
Wie meistens wenn ich ein Buch schreibe kommen mir Gedanken, vor allem wenn ich mich mit dem Thema vorher nicht so intensiv beschäftigt habe, wie es auch beim Mercuryprojekt der Fall war. Dazu sicher noch etwas mehr, heute geht es um die Mercury-Astronauten.
Die waren von Beginn an Helden, lange bevor sie flogen. Sie erhielten einen Vertrag über 500.000 Dollar, damit sie nur exklusiv mit dem Magazin „life“ zusammenarbeiteten. Das wären heute rund 4,3 Millionen Dollar.
Als ich das Buch schreib wurde mir eines klar: bei keinem anderen Programm hatten die Astronauten so viel Einfluss und so wenig Einfluss. Bei keinem anderen Programm waren sie so unentbehrlich und trotzdem überflüssig und bei keinem anderen Programm mussten sie so wenig können.
Widersprüchlich? Arbeiten wir es auf!
Nun zum ersten Punkt dem Einfluss. Der Vertrag für die Kapsel wurde im Januar 1959 abgeschlossen, die erste wurde im April 1960 ausgeliefert. Das ist nicht nur damals Rekord gewesen. Die Astronauten wurden im April 1959 rekrutiert und kamen im Juli bis September 1959 erstmals zu McDonnell wo die Kapsel gebaut wurde. Man merkt: das Design stand bevor die Astronauten dazukamen. In der Tat war die gesamte Kapselauslegung schon gemacht, als die Astronauten dazukamen. Die Kapsel hatte ein festes Programm das nach dem Start ablief und notfalls noch vom Boden durch 6 Kommandos beeinflusst werden konnte. Das ging auch ohne Astronauten, wie die Flüge MA 1 bis MA-5 bewiesen.
Warum schreibe ich dann, hatten sie so viel Einfluss? Weil die Astronauten sofort Stars des Programms waren. Wenn im von ihnen schon selbst wohlwollend geschriebenen „Astronautenbuch“ steht, das die Arbeiter das Zittern anfingen, wenn sie als Gemeinschaft auftauchten, dann wird klar wie sie ihre Position ausnutzen. Sie setzten bei der Kapsel mehr Änderungen durch als bei jedem anderen Raumschiff. Die Apolloastronauten setzten vielleicht durch das es kein FAX-Gerät gab und die Shuttle Piloten, dass man das Fahrwerk nur manuell ausfahren konnte, doch bei Mercury hatte die zweite Serie an Kapseln erheblich mehr Neuerungen:
– Manuelle Übernahme des automatischen Systems
– explosiv von innen öffenbare Luke
– großes Fenster
– Umdesigntes Instrumentenpaneel mit vielen zusätzlichen Kontrollen und auswechselbaren Sicherungen
Das war zu dem Zeitpunkt noch ein Zugeständnis an die Astronauten die sich als Testpiloten und nicht als Passagiere sahen. Wie sich später zeigte war das eine kluge Entscheidung, denn die Kapsel entpuppte sich als Murphy-Spacecraft. Es gab dauernd Probleme. Ein Dauerproblem waren zu hohe Kabinentemperaturen von 35 bis 40 °C, sich überhitzende Inverter. Das automatische System zur Lagekorrektur war ein Spritfresser oftmals mit ausgefallenen Triebwerken die dauernd feuerten und zweimal verlor die Kapsel die Atmosphäre. Unbemannt flog Mercury gerade einmal zwei Orbits, den dritten geplanten schaffte die MA-5 Mission schon nicht. Eine Mission mit 22 Orbits wie bei Coopers letzter Mission hätte das Raumschiff ohne manuellen Eingriff nicht geschafft. So waren die Astronauten unentbehrlich. Netterweise flogen die Mercury Seven auch mit Ausnahme von Shepard alle mit dem umdesignten Raumschiff. Trotzdem: Herr der Kapsel (ab 1962: Spacecraft) waren sie immer noch nicht. Die Bodenkontrolle konnte zwar das Raumschiff nicht steuern, sondern nur sechs feste Kommandos senden die im Prinzip Ein/Aus-Aktionen waren. Aber darunter war auch das Auslösen der Rettungsraketen und Glenn und Carpenter mussten Chris Kraft in Simulationen davon überzeugen, das sie auch ohne Sprechverbindung die Daten morsen konnten. Der hätte nämlich sonst die Retroraketen gezündet. Russland machte das bei Wostok 3 auch so, da allerdings weil man das dämliche Codewort „Beobachte Gewitter“ als Signal für eine Notlandung ausmachte und dann sah Popowitsch Stürme über dem Golf von Mexiko und meldete das …
Warum hatten sie dann nichts zu tun? Weil die bemannte Mission anfangs nicht anders als die unbemannte war. Die Astronauten dürften Biowerte und Werte des Umweltkontrollsystems durchgeben das war‘s dann auch. Sie konnten nachkorrigieren wenn das automatische System versagte und machten das auch – sowohl Glenn wie Carpenter kamen mit nahezu leeren Tanks zurück. Jemand der eigenständig sich als Pilot sieht hätte das automatische System wahrscheinlich abgeschaltet und erst vor dem Wiedereintritt selbst das Raumschiff ausgerichtet. Dafür wurden sie ja trainiert. Bei den beiden letzten Flügen machte man das dann auch. Später hat man dann Experimente mit hinzugenommen, doch ehrlich gesagt ich konnte nicht raus finden das da viel rauskam. Das meiste was zusätzliche Hardware benötigte funktionierte nicht, was mich bei dem Raumschiff, das ja auch zehnmal vor dem ersten bemannten Start unbemannt getestet wurde und dauernd nachgebessert werden musste nicht so wundert. Selbst Fotoaufnahmen der Missionen findet man heute nur wenige. Selbst in offiziellen Missionsreporten findet man den Passus das sie mangels Qualität nicht ausgewertet wurden.
Vielleicht überforderte das auch die Astronauten. Denn die körperlichen Anforderungen waren zwar ziemlich hoch, aber ansonsten wurde nicht so viel verlangt. Das zeigte sich bei einem Theorieblock von gerade mal 50 Stunden. Dank des einfachen Aufbaus der Kapsel und der einfachen Mission – in den Orbit gelangen, dort die Ausrichtung halten und dann wieder landen mussten sie auch beim Flug nicht können. Glenns Handbuch für alle Notsituationen in einem Format zwischen DIN-A5 und A-6 hat 61 Seiten für alle Systeme inklusive Notfälle. Die Normalmission umfasst gerade mal 18 Seiten und das sind locker beschriebene Seiten mit Schritt für Schritt Anleitungen. Neun Sätze erklären den Abort, die belegen schon zwei Seiten. Wenn ich mal denke was ich für mein Hauptstudium lernen musste, die Studiendauer im Hauptstudium die Ausbildungsdauer bei Mercury ist ja vergleichbar werde ich ganz neidisch. Kein Wunder das die das auswendig konnten und das auch Zeil des Trainings war.
Heute ist die Zeit vorbei. In vielem kann man Mercury mit CCDev nicht vergleichen. CCDev braucht 10 Jahre vom Auflegen bis zum ersten Flug. Mercury war nach 4,5 Jahren und 22 Starts abgewickelt. Dafür sind hoffentlich die Raumschilfe zuverlässiger als das von Mercury. Eine Parallele gibt es: Die Astronauten haben heute genauso wenig zu tun wie damals, auch Dragon 2 und Starliner sind komplett autonom.
An den Hype wurde ich auch erinnert als mich jemand fragte ob er meine Ausführungen über bemannte und unbemannte Raumfahrt bei einer Aktion gegen Mittelkürzungen an der uni Greifswald verwenden kann, mit Hinweis auf die Mittel die Deutschland in die bemannte Raumfahrt investiert. Da musste an den Rummel um „Astroalex“ denken, wo dann selbst etwas bessere Medien jegliche Selbstkritik fallen lassen. Da machte Quarks & Co eine Sondersendung mit Astroalex die vor allem aus einem Interview von Yogeshwar bestand. Also einen ausgewogenen Beitrag stelle ich mir anders vor, da hatte doch viele von Hofberichtserstattung etwas gemischt mit der Berichterstattung von Gala über den Adel. Immerhin kommt der hoffentlich nicht auf so dumme Ideen wie Rollen von Geldstücken in den Orbit und zurück zu bringen. Die sind sehr hinderlich, wenn man notwassert und Wasser in den Anzug eindringt …
Schöner Artikel. Die Sache mit Wostok 3 wusste ich noch nicht, wo kann man mehr darüber nachlesen?
(In einem der ersten Absätze steht übrigens „1969“, aber gemeint ist 1959.)
Im Buch wenn es erscheint, aber auch im Roten Orbit
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Ich bin sehr auf das Buch gespannt, heute habe ich damit begonnen das Buch über das Gemini Programm zu lesen.
Derweil bin ich zudem am Konzeptionieren von Lego Modellen zur Thematik Raumfahrt. Von den Anfängen der A4/V2 über das Gemini Programm bis zur ISS und darüber hinaus. Unter anderem die Mercury Kapsel mitsamt Raketen habe ich bereits zusammengestellt.