Die kommerzielle Nutzung der ISS

Die NASA hat in den letzten Wochen zwei Ankündigungen gemacht, welche die kommerzielle Nutzung der ISS betreffen. Zuerst das man die ISS durch kommerzielle Astronauten nutzen dürfe. Maximal 30 Tage dürfen sie an Bord bleiben, 35.000 Dollar pro Tag kostet die Nutzung der Stationsressourcen. Den Flug zur ISS müssen sie dann selbst zahlen. Dem folgte am 23.6.2019 die Ankündigung, dass man am Harmony Knoten einen Dockingport für kommerzielle Module freimachen würde. Inzwischen gibt es sogar eine Preisliste. Es gibt auch schon Statements. So von Bigelow, die für 52 Millionen Dollar vier Astronauten auf einmal transportieren wollen. Nanorack will eine Centaur Oberstufe einer Atlas in ein Modul konvertieren. Das Konzept ist nicht neu, wurde mal für Skylab vorgeschlagen. Anscheinend soll es heute funktionieren. Bigelow hat ja schon ein Modul als Technologiedemonstrator an der ISS. Sie setzen auf aufblasbare Module. Sie dürften deutlich größer als die Centaur Stufe mit ihren 3 m Durchmesser und einem Volumen von rund 45 m³ im Wasserstofftank sein.

Kommt nun die große kommerzielle Nutzung der ISS? Wohl eher nicht. Schon der begrenzte Zeitraum spricht dafür, dass es eine Ergänzung ist. Die Grafik auf der Preisliste der NASA lässt auf eine Nutzung im niedrigen einstelligen Prozentbereich schließen. Auch die Zeitdauer und die Gewichtsbeschränkungen sprechen für eine marginale kommerzielle Nutzung.

Es gibt nach der FAQ zwei mögliche Missionstypen. Das eine ist ein rein privat finanzierter Start. Der kann dann jedes Raumfahrzeug nutzen, das mit der ISS koppeln kann. Das Zweite ist ein NASA-Start mit einem „privaten“ (im Sinne von kommerziellen) Astronauten. Er wird wohl einen Sitzplatz einnehmen. Da die NASA mit Dragon und Starliner jeweils vier Astronauten starten will, gibt es da Startgelegenheiten, denn derzeit sind es im Mittel 1,5 NASA-Astronauten pro Sojus Start. Die krumme Zahl kommt zustande weil auch japanische und ESA-Astronauten transportiert werden und Russland mal einen und mal zwei Kosmonauten pro Flug stellt.

Die Dauer von 30 Tagen lässt auf eine Überlappung der NASA-Flüge in diesem Zeitraum schließen, das heißt der Astronaut fliegt mit einer Besatzung hoch und kehrt mit einer anderen, maximal 30 Tage später, zurück. Die kurze Dauer erlaubte es dem Astronauten, sich voll auf die Arbeit zu konzentrieren. Die Stammbesatzung, die um die 180 Tage an Bord ist muss jeden Tag mehrere Stunden Sport betreiben, um den Muskelabbau zu begrenzen.

Nun es ist nicht der erste Versuch die ISS kommerziell zu nutzen. 2001 veröffentlichte die NASA schon mal eine Preisliste. Die aber darauf basierte, dass von der Firma nur die Experimente stammten, sie aber von der NASA-Besatzung betrieben würden. Für den Betrieb eines Standardracks über ein Jahr, mit ein­geschlossen 86 Crewstunden Arbeitszeit, verlangte 2001 die NASA 20,8 Millionen Dollar. Dazu kam noch der Transport und Rücktransport der Anlagen mit dem Shuttle zu Preisen von jeweils 10.000 $ pro Kilogramm.

Die gute Nachricht: das ist heute billiger geworden. Ein Rack kann bis zu 750 kg Fracht aufnehmen. Der Hochtransport kostet per Preisliste 3.000 Dollar/kg, der Runtertransport 6.000 Dollar. Eine Crewstunde kostet 17.500 Dollar. Beschränkt ist das heute aber auf maximal 175 kg und maximal 90 Stunden Crewarbeitszeit, nicht mehrere volle Racks. Immerhin, rechnet man die 750 kg auf 175 kg herunter, so kostete das 2001 noch 6,6 Millionen Dollar, heute nur noch 3 Millionen Dollar.

Das Dumme ist nur, das ist nicht kostendeckend. Bei CRS-1 kosteten 40 t Fracht 3,5 Milliarden Dollar, also 87.500 Dollar pro kg und nicht 3.000. Bei CRS-2 sind die Preise nicht bekannt, aber nach der GAO deutlich angestiegen. Der Betrieb der ISS, der natürlich auch neue Experimente beinhaltet, kostet alleine die NASA 2018 1493 Millionen Dollar. Was bei drei NASA-Astronauten und 24 Stundentagen (in der Realität arbeiten die drei Astronauten im Schnitt 3 Stunden am Tag) schon 57.000 Dollar pro Stunde sind. Auch das ist viel teurer als die 17.500 Dollar, die die NASA berechnet. Nimmt man die reale Arbeitszeit, so wird es sogar noch um den Faktor 7 teurer.

So verwundert es nicht, das dieses NEXTSTEP-2 Programm kein Geld einbringt, sondern die NASA dafür noch 561 Millionen dafür beantragt hat. Kommerzielle Nutzung bringt also kein Geld, sondern kostet noch Geld! Geld, mit dem man eine Mittelklassenmission in der Forschung finanzieren könnte.

Meine Meinung: so funktioniert Kommerzialisierung nicht. Wenn man etwas künstlich subventioniert unterhalb der Eigenkosten, dann wird man so nie eine funktionierende Lösung erschaffen. Denn die muss ja irgendwann auf eigenen beinen stehen, und wenn dann alles um den Faktor 4 bis 20 teurer wird, wird man wohl darauf verzichten.

Wie ich es angehen würde

Wenn ich die ISS als einen Zwischenschritt für eine kommerzielle Station ansehe, dann wäre dies mein Plan:

Schritt 1: wie schon 2001 von der NASA angedacht: der Transport von kommerziellen Experimenten, aber Betrieb durch die Stammbesatzung: erspart dem Kunden eine eigene Raumstation und den Start der Astronauten der bei 50+ Millionen Dollar pro Person liegt.

Schritt 2: Transport von kommerziellen Astronauten, als zusätzliche Passagiere bei NASA-Flügen: Da diese von der NASA finanziert werden, sind die Zusatzkosten überschaubar. Ein Astronaut müsste natürlich die Ausbildung durchlaufen. Sowohl Starliner wie auch Crewed Dragon bieten sieben Sitze. So könnte man mehr Personen pro Flug mitführen. Die NASA würde die Zusatzkosten eintreiben. Die bestehen auch in einem erhöhten Frachtaufkommen, das man für mehr Personen braucht.

Schritt 3: Das gleiche wie bei Schritt 2, diesmal aber prozentuale Beteiligung an den Startkosten. Das würde dann erstmals der NASA Geld einbringen. Transportiert man immer einen Astronauten mehr, so gewinnt man pro Start rund 42 Millionen Dollar.

Schritt 4: Der Anbieter baut ein eigenes Modul, das er auf eigene Kosten startet. Er partizipiert aber immer noch von den Stationsressourcen: Lebenserhaltung, Verpflegung, Strom und Kommunikation. Er muss sich anteilsmäßig an den Kosten beteiligen oder selbst Fracht zur ISS transportieren lassen.

Schritt 5: Der Anbieter hat eine Station, die auch alleine betrieben werden kann. Zur Sicherheit wird sie zuerst an der ISS betrieben.

Schritt 6: Das Modul wird von der Station abgekoppelt, nun ist der Anbieter selbst für alles verantwortlich.

Das ist meiner Ansicht nach ein stufenweiser Plan, der funktionieren kann, wenn, ja wenn, es tatsächlich genügend Nachfrage gibt. Und das ist der Kernus Knacksus: Es gab beim 2001-er Plan (ähnliche Pläne gab es auch von der ESA) Null Interesse seitens der Industrie. Der war das schlichtweg zu teuer, obwohl kein Astronaut zur ISS fliegen musste. Bigelow will vier Astronauten zeitgleich starten. Jeder Sitz für 52 Millionen Dollar. So viel sollte auch die letzte Touristenmission mit den Russen kosten. Aber die kam nie zusandte. Die Flüge vorher waren viel billiger 10 bis 25 Millionen Dollar pro Einsatz, aber auch da gab es nie mehr als einen pro Jahr. Nun muss die Firma gleich vier Personen zu einem Zeitpunkt startbereit haben. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies klappt, schätze ich klein ein.

Überraschend ist das nicht. Bigelow werkelt seit über einem Jahrzehnt an ihrer Raumstation. Hat zwei Startoptionen gebucht aber das war es denn auch. Gestartet hat man nichts. Obwohl nun Starliner und Crewed Dragon sich der Einsatzreife nähern, ist auch der Start der eigenen Station noch in ungewisser Zukunft. Schon das die „kommerziellen“ Nutzer auf die von der NASA finanzierten Raumschiffe angewiesen sind zeigt doch das Dilemma. Wenn schon der Transport in den Weltraum auf andere angewiesen wird, wie soll das Gesamtkonzept dann aufgehen?

Aber man kann es ja auch noch anders sehen. Denn schon 2021 wird ja das Starship starten. 100 t Nutzlast und pro Kilogramm nach Musks Aussage 10x billiger als eine Falcon 9. Das ist ja schon ein Raumschiff, benötigt also keines. Wer braucht da noch die ISS? Da fliegen dann einfach Hunderte von Arbeitern mit dem Starship ins All, forschen und arbeiten wieder und kehren zurück und das ganze kostet – leicht mit Dreisatz zu berechnen nur halb so viel wie ein Falcon 9 Start. Ein Gläubiger hat schon den Preis pro Sitzplatz auf unter 73.000 Dollar berechnet. Man muss nur dran glauben.

One thought on “Die kommerzielle Nutzung der ISS

  1. Der private/kommerzielle Sektor wird schon mehr als einem Jahrzehnt hochgehypt und geschehen ist im Prinzip Null.

    Um die Bigelow Module ist es mir imo. schade, denn die Technik funktioniert scheinbar. Nur will keiner die ISS aufgeben und ebenso keiner eine private Station parallel betreiben.

    Womit auch für die kommende Dekade das Thema wohl leider schon wieder erledigt ist.

    @Starship Nutzlast:

    Wobei die Frage ist hoch diese zu Beginn wirklich sei nwird. Soviel ich gelesen habe, sollen die ersten Modelle der Riesenrakete ja weniger Triebwerke haben = weniger Nutzlast. Und dabei sind nicht mal die Umarbeiten an der Raptor eingerechnet, die aktuell gesehen.

    Ach ja, noch etwas anderes zum Thema Fakenews:

    https://twitter.com/TeslaCharts/status/1146357954586775553

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