Bernd Leitenbergers Blog

Die Lösung für ein überflüssiges Problem – warum eine Falcon 9 IXPE startet

 

Vor zwei Tagen wurde bekannt dass SpaceX wieder mal einen Satelliten der Explorerklasse starten darf. Das ist nichts neues. In der Klasse gab es schon einige gebnuchte Starts durch die NASA. Noch stehen welche für Mittelklassemissionen aus. Die Nutzlast ist der IXPE (Imaging X-ray Polarimetry Explorer)

Zuerst sieht es auch aus als wäre es wie bei den anderen NASA-Missionen wie TESS. Die Nutzlast ist mit 325 kg viel zu leicht für die Falcon. Sie sollte ursprünglich auch auf einer Pegasus starten. Soweit so gut, wenn da nicht der Orbit wäre: Es ist ein äquatorialer Orbit in 540 km Höhe. Und das macht die Mission zu einer Steilvorlage für den heutigen Blog.

Die Mathematik hinter dem Start

Ein Satellit umkreist die Erde mit hoher Geschwindigkeit in 540 km Höhe mit 7593 m/s. Will man nun die Richtung ändern und nichts anderes ist die Veränderung der Bahnneigung so braucht man viel Energie. Belässt man die Bahn wie sie ist und ändert nur die Inklination, so gilt:

Das Verändern der Inklination ist berechenbar nach:

vi = 2× sin(Winkel ÷ 2) × v

v: Geschwindigkeit, deren Richtung geändert wird,
Winkel: Winkelunterschied zwischen neuer und alter Inklination

Genauere findet ihr in meinem Aufsatz über Umlaufbahnen.

Oftmals wird aber auch die Bahn geändert, aufgeweitet oder verengt, dann ergibt sich aus Vektor für die Bahnänderung mit der Inklinationsänderung ein neuer Bahnvektor, dessen Geschwindigkeit berechenbar ist nach:

vi = √(vs² + ve² – 2vevs*cos(Winkel))

vi = Geschwindigkeitsänderung

vs: Startgeschwindigkeit

ve: Zielgeschwindigkeit

Je höher die Geschwindigkeitsänderung ist, desto kleiner fällt der Anteil der Winkeländerung aus und je kleiner die Startgeschwindigkeit ist desto kleiner ist der Anteil. Das ist aber auch einsichtig.

Die Geschwindigkeit an jedem Punkt einer Bahn kann man errechnen nach der Vis-Viva Gleichung:

v=Sqrt(GM × ((2 ÷ x)-(1 ÷ Halbachse))

x: Punkt an der Bahn dessen Geschwindigkeit man wissen will.

Halbachse: mittlerer Bahndurchmesser = (Apogäum + Perigäum)/2

Man kann als Mathematiker sofort sehen, oder als Normalsterblicher durch Ausprobieren leicht herausfinden, das die Geschwindigkeit um so größer ist, je kleiner x ist also je näher man sich an der Erde befindet. Bei einer elliptischen Bahn gilt: Ist x<Halbachse so ist die Geschwindigkeit v größer als die Kreisbahngeschwindigkeit im Abstand x und ist x>Halbachse so ist sie kleiner.

Das ist die Grundlage für die supersynchronen Orbits. Es ist für einen Satelliten energiesparender wenn er einen GEO erreicht, wenn er eine hohe Anfangsinklination hat, indem er einen ersten Orbit anstrebt, der höher als der GTO liegt. Typisch in 66.000 bis 80.000 km. Dort hat er im Apogäum eine niedrige Geschwindigkeit und kann die Inklination leicht abbauen indem er gleichzeitig das Perigäum in den GEO (35.800 km) legt. Danach muss er noch das Apogäum absenken. Trotzdem ist das in der Summe für den Satelliten günstiger. Allerdings nur für den Satelliten, denn die Rakete muss mehr Energie aufbringen als für den Standard-GTO, sodass die Gesamtrechnung doch schlechter ist. Doch bei konstanten Treibstoffvorräten im Satelliten aber Reserven bei der Rakete ist das die normale Vorgehensweise.

Wenden wir das mal auf IXPE an. Wenn ihn eine Falcon 9 in einen 540 km hohen Orbit befördern würde, müsste er seine Bahnneigung abbauen. Die Falcon startet von Cape Canaveral aus, das bei 28,8 Grad Nord liegt. Während des Aufstiegs fliegt sie nach Süden, sodass ein Teil der Geschwindigkeit schon bei niedrigen Breitengraden erbracht wird. Die Startinklination ist daher kleiner als die des Startortes und liegt typisch bei 27,2 Grad. Nehmen wir das als Berechnungsgrundlage so ergibt sich Folgendes:

Bahn Parameter v-Kreisbahn Peri v-Kreisbahn Apo v-real Peri v-real Apo ?V
Ausgangsbahn [km] 540,00 × 540,00 × 27,20 ° 7.593,0 7.593,0 7.593,0 7.593,0
Anpassung Inklination 540,00 × 540,00 × 0,00 ° 7.593,0 7.593,0 7.593,0 7.593,0 3.570,8

Man braucht also 3571 m/s für die Inklinationsänderung. Das ist eine Ansage. Das ist mehr als man von derselben Bahn aus in eine Fluchtbahn braucht.

Nun die Idee wie man es reduzieren könnte: man schlägt eine anfangs niedrige Bahn (sagen wir 200 km Kreisbahn) ein und weiten diese auf, sodass das Apogäum über 540 km Höhe liegt. Dort ändern wir die Inklination und dann senken wir die Bahn wieder auf 540 km Höhe ab. Das ist dieselbe Vorgehensweise wie beim supersynchronen GEO. Allerdings gibt es einen Unterschied: die Startbahn und Zielbahn liegen nur 300 km auseinander. So ist der Geschwindigkeitsunterschied zum Aufweiten und Verengen auch hoch. Subjektiv dachte ich mir man kann so nicht viel sparen, doch ich lies eine Lösung durch mein Programm finden und es gibt eine leicht bessere:

Bahn Parameter v-Kreisbahn Peri v-Kreisbahn Apo v-real Peri v-real Apo ?V
Ausgangsbahn [km] 200,00 × 200,00 × 27,20 ° 7.786,7 7.786,7 7.786,7 7.786,7
Zwischenbahn 1 [km] 200,00 × 3.310,20 × 27,20 ° 7.786,7 6.416,2 8.498,6 5.770,3 711,89
Anpassung Apo 200,00 × 540,00 × 27,20 ° 7.786,7 7.593,0 7.884,2 7.496,7 614,42
Anpassung Peri 540,00 × 540,00 × 27,20 ° 7.786,7 7.593,0 7.884,2 7.496,7 96,253
Anpassung Inklination 540,00 × 540,00 × 0 ° 7.593,0 7.593,0 7.593,0 7.593,0 1.815,9
Zielbahn: 540,00 × 540,00 × 0,00 ° Summe: 3.238,4 3.238,4 3.238,4 3.238,4

Der Gewinn ist klein, es sind 3570-3238 m/s = 332 m/s.

Doch die Rechnung ignoriert, das man die Zirkularisierung am Äquator durchführen muss. Es ist dann so das sich ein Geschwindigkeitsvektor mit einer Neigung von 27,2 Grad mit einem von 0 Grad mischt und der resultierende Geschwindigkeitsvektor wird dann kleiner als 27,2 Grad sein. Atlas-Centaur erreichen bei Zündungen der Centaur aus einer niedrigen Parkbahn aus GTO-Neigungen von 21 bis 22 Grad also deutlich niedriger als die 27 bis 28 Grad in der Parkbahn.

Hier haben wir drei Manöver:

Macht man alle drei Manöver am Äquator so ist die Bilanz besser:

Bahn Parameter v-Kreisbahn Peri v-Kreisbahn Apo v-real Peri v-real Apo ?V
Ausgangsbahn [km] 200,00 × 200,00 × 27,20 ° 7.786,7 7.786,7 7.786,7 7.786,7
Zwischenbahn 1 [km] 200,00 × 3.709,80 × 24,72 ° 7.786,7 6.287,9 8.567,5 5.586,7 780,79
Anpassung Apo 200,00 × 540,00 × 22,90 ° 7.786,7 7.593,0 7.884,2 7.496,7 683,32
Anpassung Peri 540,00 × 540,00 × 22,90 ° 7.786,7 7.593,0 7.884,2 7.496,7 96,253
Anpassung Inklination 540,00 × 540,00 × 0,00 ° 7.593,0 7.593,0 7.593,0 7.593,0 1.291,1
Zielbahn: 540,00 × 540,00 × 0,00 ° Summe: 2.851,4 2.851,4 2.851,4 2.851,4

Das ist dann schon deutlich besser 2851 m/s sind über 719 m/s weniger. Allerdings muss die zweite Stufe dafür viermal zünden – einmal für das Erreichen der Parkbahn und dreimal für die Bahnänderungen.

Andere Möglichkeiten für den Start von IXPE

Daher denke ich wird SpaceX es anders machen. Ich vermute dass sie neben IXPE noch andere Satelliten mitführen. Die könnten sie in einer 540 x 540 x 27,2 Grad aussetzen und dann die Inklination anpassen. Dafür würde auch der niedrige Startpreis sprechen der deutlich unter dem letzten Abschluss mit der NASA liegt.

Die Vorgehensweise ist übrigens nicht neu. Schon 2017 wurde der Sensorsat in einen äquatorialen Orbit gestartet. Auch er wog nur 110 kg benötigte aber eine Minotaur IV die 1,7 t Maximalnutzlast hat – immerhin macht hier die Nutzlast noch 6,4 % der Maximalnutzlast aus, bei der Falcon 9/ IXPE  sinkt das auf 1,4 %. Wenn ich also SimonVR Vorliebe für Vergleiche nehme ist eine Falcon 9 in dieser Hinsicht mehr als 4 x schlechter als eine Minotaur IV …

Für mich ist das aber wieder ein Beispiel wie unterschiedlich man die Trägerpolitik handelt. Während bei uns das DLR offiziell die Ariane 6 hochhält und dann doch Starts bei SpaceX bucht, ordert man in den USA eine US-Trägerrakete für IXPE, auch wenn der Start vom CSG aus leicht die Zielbahnneigung erreichen würde und der Träger preiswerter wäre. Besonders pikant: IXPE ist ein Gemeinschaftsprojekt mit der italienischen Raumfahrtagentur, die federführend hinter der Vega steht. Eine Vega erreicht ohne Inklinationsanpassungen bei einer LEO-Aufstiegsbahn eine Bahnneigung von 5,3 Grad. Aus einer 200 km Übergangsbahn braucht sie nur noch 667 m/s um einen äquatoriale Bahn zu erreichen. Das schafft das AVUM leicht mit den internen Treibstoffvorräten. Dafür wären etwa 240 kg nötig, wobei de Vega C bis zu 660 kg zuladen kann. Bei einer maximalen Nutzlastkapazität in diesen Orbit von > 3000 kg könnte man also ohne Problem noch einen mindestens 2000 kg schweren Satelliten mitführen. Schon ohne diesen Passagier wäre der Start mit 32 Millionen Euro billiger. Unverständlich warum die ASI nicht darauf bestanden hat, den Start von IXPE mit einer Vega durchzuführen.

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