Heute ein Gastbeitrag von dem neuen Blogleser Peter Stock, er hat ihn schon in der Seite über Gastautoren veröffentlicht. Dort habe ich den Kommentar gelöscht und den Folgekommentar hierher verschoben.
Etwas geht mir als Naturwissenschaftler im Kopf herum und lässt mich auch im Ruhestand nicht los.
Warum haben die Naturwissenschaften und die Mathematik einen so schlechten Ruf nicht nur bei Schülern, sondern auch in der Erwachsenenwelt.
„Ist nicht so schlimm, ich war als Schüler auch nicht gut in Mathematik“ – „Mach dir nichts aus der schlechten Note, Physik ist halt nur was für Eierköpfe!“ usw.
Dazu kommt der alljährliche Protest von Abiturienten über die „viel zu schweren Prüfungsaufgaben“ in Mathematik.
Und was das Schlimmste ist, es scheint, als ob die meisten Politiker kein naturwissenschaftliches Fundament bei ihren Entscheidungen besitzen. (Beispiel: Frau Bundeskanzlerin ist ausgebildete Physikerin; davon ist aber nicht viel zu spüren)
Es liegt sicher nicht daran, dass die Schüler das alles selbst verschuldet haben. „Sie spielen immer nur auf ihren Smartphones herum und schauen nur You tubes an. (Nebenbei: Mathematik-you-tubes sind mit wenigen Ausnahmen unter dem Strich!) Sie tun einfach zu wenig.“ So oder so ähnlich hört man es allenthalben von Verantwortlichen, auch von unserer Kultusministerin.
Aber hat irgendjemand schon einmal danach gefragt, ob vielleicht auch die Schule dahinter stecken kann.
Wie fühlt sich ein Schüler?
Unbestritten: der Schüler ist ständig der Getriebene. „Bis Montag hast du deine Vokabeln gelernt!“ – „Morgen schreiben wir eine Arbeit!“ (warum sagt man „wir“, der Lehrer schreibt die Arbeit ja nicht, allein der Schüler) – „Wenn du so weiter machst, ist dir die 5 sicher!“- „Darauf antworte ich nicht, du kannst ja besser aufpassen!“ usw.
In dieser Atmosphäre freiwillig lernen, Interesse entwickeln, Freude am Neuen bekommen ist unmöglich. Übrig bleiben dunkle Erinnerungen an Differenzialgleichungen oder das Periodensystem der Elemente. Der Schüler gehorcht , aber er entwickelt keine Verantwortung, nicht für sich selbst, aber auch nicht für die Gesellschaft, in der er lebt. Aber wehe, wenn er doch einmal Verantwortung zeigt, dann folgt: „Du kannst doch freitags nicht einfach vom Unterricht fernbleiben, das ist Schwänzen, das wird ins Klassenbuch eingetragen und deine Eltern werden benachrichtigt.“
Dann möge es die Schule doch einmal anders versuchen. Ich möchte hier das Modell einer Schulverfassung vorstellen, das ich als Lehrer und meine Kinder als Schüler erlebt haben mit restlos positiven Erfahrungen.
Die meisten Schulen haben eine Gesamtkonferenz, deren Beschlüsse der Schulleiter auszuführen hat. Diese Gesamtkonferenz besteht aus allen Lehrern mit vollem Stimmrecht, wenigen Schülervertretern (meistens 3 bis 5) und zwei Elternvertretern. Die Schülervertreter und die Eltern sind hier lediglich das Feigenblatt der Dominanz der Lehrer.
Die erwähnte Schule, die es anders macht, hat keine Gesamtkonferenz mehr, sondern einen „Gemeinsamen Ausschuss“, dessen Beschlüsse der Schulleiter auszuführen hat.
Dieser Ausschuss besteht aus 6 von allen Schülern gewählten Schülervertretern,
6 gewählten Elternvertretern
6 gewählten Lehrervertretern
Alle haben volles Stimmrecht.
Den Vorsitz hat der Schulleiter ohne eigenes Stimmrecht.
Dieses Modell funktioniert. Plötzlich haben die Schüler Verantwortung für das System in Händen, in dem sie leben, genau so viel Verantwortung wie auch die Lehrer. Hier ist Augenhöhe hergestellt. Hier wird Demokratie praktiziert, nicht nur eingeübt. Wenn ein Schüler unzufrieden ist, kann er zu seinem Vertreter im Ausschuss gehen, der dann echten Einfluss hat, das ist kein Feigenblatt mehr.
Bleibt die Rolle der Eltern. Die Eltern sind nicht automatisch auf der einen oder der anderen Seite. Die Lehrer, aber auch die Schüler sind bemüht, Elternstimmen auf ihre Seite zu ziehen, um einen Abstimmungserfolg zu erzielen. Hier ist politisches Handeln erforderlich, es müssen Kompromisse gefunden werden; das ist echte Politik. Nicht so in der Gesamtkonferenz herkömmlicher Art, hier wird dominiert, sonst nichts.
Um es noch einmal zu betonen, dieses System lief und läuft immer noch an einigen Niedersächsischen Schulen. Der Niedersächsische Landtag hat für ein solches Modell extra das Schulgesetz geändert, damit es genehmigungsfähig war.
Ich bin nicht nur überzeugt, ich weiß, dass hier besser, zufriedener und freiwilliger gelernt wird als in anderen Schulen, die ich kenne (nicht nur für Mathematik).