Abwehrmöglichkeiten für NEO – Teil 1: Impulsmanöver
Nachdem ich schon einen Artikel über NEOCam und ihre Suche nach NEOs geschrieben habe, will ich mich heute mal mit den Abwehrmöglichkeiten beschäftigen und zwar mit konkreten Zahlen. Die muss man erst berechnen und daher erst mal eine Einleitung zur Methodik.
Es gibt sicher bei Raumfahrtagenturen Tools um das komfortabel zu berechnen, doch über solche verfüge ich nicht. Also baue ich mir als Softwaretechniker die Simulation selbst. Sie basiert wie meine Modelle für Orbitalmechanik im Prinzip auf dem Newtonschen Gravitationsgesetz:
Wenn die momentanen Positionen und Geschwindelten von Erde und NEO in allen drei Raumachsen bekannt sind, errechne einfach die Anziehung zwischen den Körpern und die Beeinflussung der Bahn, (inklusive der Sonne). Man erhält neue Koordinaten und das wiederholt man mit kleiner Zeitauflösung, bis sie sich begegnen.
Doch auch das musste ich noch etwas abspecken, denn für eine konkrete Berechnung müsste ja die Daten von einem Umlauf haben, bei der es garantiert zur Kollision kommt und die gibt es eben nicht. So bin ich für die Abschätzung ob der Körper mit der Erde kollidiert wie folgt vorgegangen:
- Ich habe den Orbit des NEO vom Perigäumsdurchgang simuliert, bis er die Erdbahn kreuzt, ohne Einfluss der Erde
- Nun berechne ich, welche Position die Erde haben müsste, wenn sie den Kreuzungspunkt gerade zum Kollisionszeitpunkt erreicht.
- Wird die Erde erneut getroffen (zu 99 % sicher) so verschiebe ich den Startpunkt iterativ nach links, bis die Erde nicht mehr getroffen wird.
- Das gleiche wiederhole ich rechts des Kreuzungspunktes. Man erhält so eine „Todeszone“, die sich beim beschriebenen Beispiel von -133.484 bis +70.007 km erstreckt. Das ist größer als der Erddurchmesser. Die Ursache ist relativ einfach: Die Erde zieht den Asteroiden ja an, sodass er sich ihr nähert. Die Todeszone ist daher größer als der Raddurchmesser von 6378 km.
- Der letzte Schritt ist dann wieder einfach: Ich berechne die Bahn neu, nun wird aber ein Antrieb an einer bestimmten Distanz in einem Winkel zur Bewegungsrichtung und mit einem vordefinierten Impuls gezündet. Da die Todeszone bekannt ist, mache ich eine Abschätzung: Die Erde wird verfehlt, wenn sie einen Erddurchmesser weiter links oder rechts steht, also die Zone um 12.756 km kleiner ist – ein Erddurchmesser, da am Anfang der Zone der Einschlag streifend am Rand erfolgte – etwas weiter weg und er hätte die Erde passiert. Also wird die Ausgangsposition der Simulation so gesetzt, dass die Todeszone gerade um einen Erddurchmesser unterboten wird. Reicht der Impuls aus, so fliegt der NEO vorbei.
Das sind viele Annahmen, aber es ist für mich die einzig mögliche Methodik. Man kann zwar leicht über NASA New Horizons Web Interface zu Koordinaten kommen, die man für eine Simulation nutzen kann, doch mit klassischer Bahnmechanik kommt man da nicht weiter. Das Vertrackte ist ja, das die NEOs durch die anderen Planeten beeinflusst werden. Das gewählte Beispiel Apophysis hat z.B. eine Bahn, die bis auf 2 Millionen km an die Venus heranführt. Man muss also komplexe Simulationen des Sonnensystems machen und ich habe keinen Server, den ich nur dazu einspannen könnte.
Beispiel 99942 Apophysis
Als Beispiel habe ich einen prominenten NEO genommen: Apophysis. Er wurde 2004 entdeckt, hat eine Bahn zwilchen 110 und 163 Millionen km und wird am 13.4.2029 die Erde in minimal 31.000 km Distanz passieren. Seine Größe wird auf etwa 300 bis 350 m geschätzt. Das entspricht etwa 40 Mrd. Kilogramm Gewicht. Allerdings ist bei einem so kleinen Körper die Große nur ungenau bekannt und ist aus seiner Helligkeit abgeleitet, die aber auch von den Reflexionseigenschaften abhängt und ob er ein Felsen oder ein Schutthaufen ist weiß keiner.
Zuerst habe ich mal festgestellt wo die Zündung am günstigsten ist. Wer sich mit Orbitalmechanik auskennt, kann das auch so beantworten: dann, wenn der Körper die höchste Geschwindigkeit hat, also im Perigäum. Die erste Grafik zeigt den Effekt, wenn die Zündung immer später im Orbit kommt. Der Effekt sinkt auf ein Minimum ab. Erst wenn man dann das Aphel erreicht, steigt er wieder an, denn nun hebt man das Perihel an, was die Umlaufszeit deutlich anhebt.
Das zweite ist der Winkel zur Bewegungsrichtung. Der ist wirklich von der Position abhängig. Beim Perihel und Aphel ist er nahe Null, hier für 140 Millionen km Distanz liegt der optimale Winkel bei rund 18 Grad.
Simulationsergebnis
Ich habe dann etwas gespielt. Mit einer Zündung in 111 Mill. Km Distanz und 0 Grad benötigt man 6,5 m/s, wenn die Erde nahe der Todeszone links steht. Dann passiert der Körper die Erde in 451 km Distanz. Er hat danach eine 148 x 331 Mill. km Bahn, wird also von einem Asteroiden, der sich vor allem zwischen Erde und Venus aufhält zu einem, der sich zwischen Erde und außerhalb Mars aufhält. Steht die Erde rechts, so reicht eine viel kleinere Veränderung: 0,5 m/s. Dann zieht er in 245 km Distanz vorbei und erreicht eine 148 x 318 Mill. Km Bahn. „Rechts“ bedeutet dabei: Der Asteroid zieht, wenn man die Bewegungsrichtung der Erde nimmt hinter ihr vorbei, also einem Punkt, den die Erde schon passiert hat „Links“ der Asteroid zieht vor der Erde vorbei an einem Punkt, den die Erde noch nicht erreicht hat.
Das sind Grenzwerte. Je nach Position der Erde wird der Impuls in diesem Intervall liegen. (Bild rechts: Korrektur mit 6,5 m/s in 111 Millionen km Distanz.
Berechnung
Zuerst mal eine Berechnung für Apophysis. Nach Wikipedia soll er rund 5 x 1010 kg wiegen. Um ihn nur um 0,5 m/s zu beschleunigen, muss man daher 2,5 x 1010 J aufwenden. Das entspricht beim leistungsfähigsten chemischen Treibstoff (Wasserstoff/Sauerstoff) mit 4600 m/s spezifischen Impuls rund 10,9 Millionen Kilogramm. Eine SLS kann rund 25 t auf eine Bahn zu diesem Asteroiden befördern. Das wären dann also etwa 430 Flüge.
Selbst wenn man einen kleineren Körper nimmt – NEOCam soll ja alle Körper über 140 m Durchmesser aufspüren sind es bei gleicher Dichte noch 35 Flüge die nötig sind und für die größere Geschwindigkeitsänderung um 6,5 m/s entsprechend mehr.
Die Berechnung gilt aber nur für die Vermeidung der Kollision im selben. In der Praxis wird man es aber nicht so weit kommen lassen. Es gibt durch die Orbitänderung noch einen anderen Effekt: Die Umlaufsdauer ändert sich. Die Folgen erläutere ich an einem Gedankenexperiment. Nehmen wir an, eine Änderung erhöht die Umlaufdauer nur um 10 Minuten. Dann kommt der NEO zehn Minuten früher oder später am Kreuzungspunkt an. Die Erde ist dann noch nicht da und bei knapp 30 km/s legt sie in 10 Minuten 18.000 km zurück, also mehr als der Erddurchmesser. Beim nächsten Umlauf (319 Tage) sind es dann schon 20 Minuten und die Differenz 36.000 km. Die folgende Grafik zeigt die Positionsdifferenz, die sich im Laufe der Zeit ausbildet. Es sind nach zehn Jahren schon mindestens 100.000 km, also größer als die maximale Ausdehnung der Todeszone. Dafür ist nur eine Geschwindigkeitsänderung von 0,1 m/s notwendig. (Entsprechend 1100 t Treibstoff). Je früher man das macht desto kleiner ist der Aufwand, doch angesichts der Klimaproblematik und des Schielens von Politikern auf Wahlergebnisse halte ich 10 Jahre für die maximale Zeitdauer, die man ansetzen kann.
Trotzdem ist das energetisch mit chemischen Treibstoffen kaum zu schaffen. Das sind rund 30 Flüge mit der SLS, die maximal einmal alle zwei Jahre starten soll. Als Lösung wird dann immer eine Atombombe ins Spiel gebracht. Hier enthalte ich mich allerdings weitestgehend der Diskussion. Man gibt bei einer Atombombe die Sprengkraft in Kilo- oder Megatonnen TNT ab, das ist noch gut in Energieäquivalente umrechenbar. Allerdings ist für die Bewegungsänderung nur wesentlich, welchen Impuls eine Atombombe auf den Asteroiden überträgt. Das kann von der Gesamtenergie, die bei einer Wasserstoffbombe nur 30 bis 50 % als thermische Energie freigesetzt wird, nur ein Bruchteil sein, nämlich der den Asteroiden trifft und nicht ins Weltall geht.
Immerhin die Gesamtenergie kann man in TNT-Äquavialente umrechnen. 1 kt entsprechen 4,184 x 1012 J. Das heißt schon ein kleiner Sprengsatz von 1 kt Sprengkraft würde, wenn nur 10 % der Energie als Impuls (in die richtige Richtung) wirkt den Asteroiden Apophysis um 10 m/s beschleunigen also mehr als nötig um ihn selbst in einem Umlauf abzulenken. Die Gefahr ist allerdings groß, dass dieser Sprengsatz den Körper zerstört. Die meisten Asteroiden sind keine massiven Felsbrocken, sondern enthalten Hohlräume oder sind aus mehreren Teilbrocken zusammengeschweißt, die sich wieder durch eine Explosion trennen können. Die Folgen können dann unter Umständen schlimmer sein – kleine Körper verglühen oder explodieren in der Atmosphäre wie der Tscheljabinsk -Körper. Größere kommen aber durch und richten dann zwar kleineren Schaden an, doch es ist eben nicht ein Körper, sondern viele und deren Bahnen sind dann weitestgehend unbekannt. Man könnte selbst mit dem Einschlag eines 350 m großen Körpers leben, wenn man bei genügend Vorwarnzeit die betroffenen Gebiete evakuiert. Mit dem Earth Impact Programm errechne ich für Apophysis eine Zone von 60 km Radius, in der es Schäden an Gebäuden gibt. Eine Region dieser Grüßte zu evakuieren ist beherrschbar. Das entspricht der Zone um Tschernobyl, die man auch evakuieren musste und man hätte bei ausreichender Vorwarnung Wochen oder Monate dafür Zeit. Allerdings nur, wenn er nicht im Ozean einschlägt. Dann würde der erzeugte Tsunami wohl dazu führen, dass alle Küstenregionen um diesen Ozean evakuiert werden müssen. Demgegenüber ist der Effekt von vielen kleinen körpern viel kleiner, aber sie decken zusammen eine größere Fläche ab und ihr Auftreffpunkt ist kaum vorhersagbar, auch weil sie viel schwerer aufzuspüren sind. Um einen vielleicht nicht ganz passenden aber von der Physik ähnlichen Vergleich zu ziehen: Der Schuss mit Schrotkugeln mag vielleicht nicht so tödlich wie der mit einer einzelnen größeren Patrone sein, aber er richtet viel mehr Zerstörung an.
Ich habe dann doch eine Simulation laufen lassen die Erde und Venus miteinschließt, die kommt mit den NASA Horizons Daten innerhalb der nächsten 10 Jahre (genauer gesagt bis zum 10.11.2020) nur zu einer minimalen Begegnung auf knapp 7,6 Millionen km. So sind diese wohl ungenau. In 1000 Jahren sind es dann 1,1 Millionen km. Allerdings zeigt die Simulation auch das eine Bahnänderung nicht alles verbessert. Denn wenn man den Kurs um 1,2 m/s ändert sinkt die minimale Passagedistanz in den 1000 Jahren auf 41000 km. Daran ändert sich auch nichts wenn man von der NASA die Daten vom 10.11.2028 abholt und nur noch das letzte Jahr simuliert. Dann sinkt zwar der Minimalabstand (nach Berechnung erreicht er in Übereinstimmung mit den Angaben auf Websites diesen am 13.4.2029) ab, aber auch nur auf 1,074 Millionen km. Das zeigt, dass die Position noch viel zu unbekannt ist (im Sinne über Abweichungen der Bahndaten zu den bekannten Bahndaten) um überhaupt über Abwehrmöglichkeiten nachzudenken.
Mal eine Frage, da ich das auch vor Kurzem in der Uni hatte: Inwiefern hat das Programm ein Problem mit Rundungsfehlern, bzw. wie vermeidest du sie (Stichwort Kondition, Stabilität etc.).
Wir hatten als Übungsaufgabe zum Matlabprogrammieren auch mal das Zweikörperproblem. Nun hat man uns die Parameter so vorgegeben, dass sich die Fehler schnell hochschaukeln. Aber schon nach ein paar Umkreisungen kam in dem System magische Rundungsenergie hinzu 🙂
Hallo Niels,
Schön dich wieder öfters hier zu sehen. Es gibt zwei Arten von Fehlern bei der Simulation. Der eine liegt in der begrenzten Rechengenauigkeit der Operationen ich nehme double, Standard bei naturwissenschaftlichen Rechnungen. Das sind mindestens 15 Stellen Genauigkeit single würde keinen Vorteil bei der Geschwindigkeit bringen, hätte aber nur 7 Stellen. Extended wäre auch möglich (19 Stellen), doch da das Programm portabel sein soll habe ich darauf verzichtet.
Die zweite Einschränkung ist gravierender und betrifft die Zeitauflösung, man will ja nicht Tage auf das Ergebnis warten. Gravitationsberechnungen sind nicht parallelisierbar. Delphi, das ich nutze nutzt kein AVX, dann schafft ein Kern eben auch nur 800 MFlops/s und ich passe die Zeitauflösung der Simulationsdauer an. Bei unter 10 Jahren sind es 1 s, ansonsten 1/10 der Zeitdauer in Jahren in Sekunden.Ich lasse mir zur Gegenprobe aber auch die mit berechneten Bahnen von Venus und Erde ausgeben und vergleiche die mit den Startbahnen. Der Fehler ist in jedem Falle kleiner als die Abweichung.
Hallo Bernd,
1s Zeitschritte klingt schrecklich klein und langsam.
Was benutzt du für ein Verfahren? Euler?
https://de.wikipedia.org/wiki/Explizites_Euler-Verfahren
Das ist ungeeignet.
Falls ja, versuche zunächst mal statt dessen das klassische Runge-Kutta-Verfahren:
https://de.wikipedia.org/wiki/Klassisches_Runge-Kutta-Verfahren
Ansonsten gibt es noch viel bessere Verfahren.