Bernd Leitenbergers Blog

Mit der Vega zur Kommunikationssatellitenwartung

Letzten Monat dockte das MEV-1 an Intelsat 902 an. Der Satellit ist seit dem 17.4. wieder in Betrieb. Das MEV-1 ist ein Modul, das an einen Satelliten andockt, indem es sich in den Apogäumsantrieb einklinkt und danach die Lageregelung übernimmt. Dies erfolgt mit einem Ionenantrieb. Ich habe ein ambivalentes Gefühl bei diesem Ansatz. Auf der einen Seite ist es sinnvoll. Begrenzend für die Lebensdauer eines Kommunikationssatelliten ist der Treibstoffvorrat. Auch wenn heute Satelliten 10 bis 15 Jahre lang betrieben werden, ist er irgendwann erschöpft. So ist ein Vehikel das genau diese Ressource ersetzt, sinnvoll. Auf der anderen Seite altert die Hardware auch so. Satelliten können ausfallen, so passierte es einem Satelliten Venezualas letzte Woche. Selbst wenn das nicht vorkommt, so verlieren die Solarzellen doch ständig an elektrischer Leistung – im All erhalten sie viel mehr Sonnenstrahlung als auf der Erde und sie sind immer optimal zur Sonne ausgerichtet, nicht nur wie festinstallierte mittags und das Tag und Nacht. Eine Atmosphäre zur Kühlung gibt es auch nicht. Mit sinkender Leistung muss man aber Sender abschalten und damit verliert man Einnahmen. Mit diesen Einnahmen muss man den Service der MEV aber finanzieren.

Das zweite, warum ich zumindest von den beiden MEV nicht überzeugt bin, ist das, diese zwar Ionentriebwerke einsetzen, aber konventionell in einen GTO gestartet werden. Zwar werden sie danach Ionentriebwerk einsetzen, aber das ist eigentlich nicht dass, was ich mir vorstelle. Man wird für die 2,2 t schweren Vehikel zwar Sonderkonditionen bekommen haben, weil man sie leicht mit einem anderen Satelliten koppeln kann, aber besser wäre doch der Start in den LEO und dann das hochspiralen. Sie tragen ja keine Nutzlast und das sollte schneller gehen als mit einem Satelliten. Selbst wenn es lange dauert, dann gibt es doch keinen Termindruck, ja man könnte sie „auf Abruf“ starten und im GEO parken und dann zu dem Kunden manövrieren, wenn man sie benötigt.

Als Abschluss meiner kleinen „Vega-Reihe“ will ich daher den Einsatz für ein solches Vehikel skizzieren. Mehr noch, ich will anleiten wie man das mit dem Taschenrechner (oder Excel für Leute die keinen mehr haben), das selbst ausrechnen kann, denn ich halte gar nichts von Kommentaren „Bernd könntest Du mal … durchrechnen“. Ich mache Blogs, damit die Leute das selbst können, und wenn sie zu faul dafür sind, dann ist das nicht mein Problem.

Mein Ansatz ist anspruchsvoll: ich meine tatsächlich, das eine Vega E mit 3.600 kg Nutzlast gleich vier dieser Vehikel transportieren kann – nur zum Hinweis, das MEV-1 wiegt 2,2 t. Aber ich denke es ist machbar.

Fangen wir zuerst mal mit der Masse an. Vier Vehikel übereinandergestapelt benötigen jeweils einen Adapter. Ein solcher wiegt auch bei leichten Satelliten 70 kg. So bleiben pro Vehikel nur 830 kg übrig.

Das Nächste was man benötigt, ist eine Abschätzung für den Ionenantrieb. Dafür benötigt man das dV. Der Geschwindigkeitsunterschied zwischen einer 500-km-Kreisbahn und der GEO-Bahn (ohne Inklinationsänderung) beträgt etwa 4500 m/s. Ich rechne mit 5.000 m/s für die Inklinationsanpassung.

Wenn das Modul im Gewicht konstant bleibt, (also keinen Treibstoff verbraucht) so braucht es einen Gesamtimpuls von 830 kg * 5.000 m/s = 4,15 MNs.

Die Betriebszeit eines Antriebs errechnet sich dann dadurch, das man diesem Gesamtimpuls durch den Schub dividiert. Ein Triebwerk mit 3 bis 5 kW Stromverbrauch liegt etwa bei 0,1 bis 0,15 N Schub. Nehmen wir 0,1 N so erhält man 4.150.000 Ns / 0,1 N = 41.500.000 s. 41,5 Millionen Sekunden sind rund 500 Tage. Das ist etwas lang. Die Hälfte bis ein Drittel wäre erträglicher. Dann benötigt man zwei bis drei Triebwerke, also einen Gesamtschub von 0,2 bis 0,3 N. (In der Praxis wird es Freiflugphasen geben und im Erdschatten kann man bei solarer Stromversorgung das Triebwerk auch nicht betreiben, auf der anderen Seite ist das dV eine Abschätzung nach oben und das Vehikel wird durch Treibstoffverbrauch leichter, was den Gesamtimpuls absenkt).

Nun schaut man sich, an was es an Triebwerken gibt. Ich verwende dazu meine eigene Liste. Mit zwei bis drei Triebwerke der Typen XIPS 25 cm, NSTAR, T6 oder RIT-2X kommt man auf den benötigten Schub. Ich habe, damit es nicht immer dieselben Triebwerke sind das XIPS 25 cm genommen. Das wiegt 13,7 kg, hat einen Stromverbrauch von maximal 4,3 kW und hat 0,165 N Schub. Man benötigt davon zwei. Die Masse habe ich für die benötigten Spannungswandler (Solarzellen liefern nicht Spannung von über 1 kV) verdoppelt.

Die benötigen 8,6 kW Leistung. Das legt die Leistung des Solargenerators fest. Es gibt auch einen Eigenstromverbrauch und es gibt eine Abnahme. Ich bin von 11 kW Anfangsleistung ausgegangen. So große Paneele haben eine typische Leistungsdichte von 80 W/kg. Damit wiegt der Solargenerator 138 kg.

Zuletzt wäre noch der Treibstoff. Das XIPS 25 hat einen spezifischen Impuls von 3550 s (34.800 m/s). Nach der Raketengrundgleichung v = Ispez * ln ( Vollmasse/Leermasse) kann man bei 830 kg Startmasse und Ispez = 34.800 leicht durch Umformen errechnen, das bei v = 5.000 m/s eine Leermasse von 718,9 kg resultiert. Ich gehe von 718 kg aus. Dazu käme noch der Tank, der typisch 15 % des Treibstoffs wiegt, also weitere 17 kg.

Damit hat man die erste Massenbilanz:

System Gewicht
Solargenerator 138 kg
Triebwerke mit Spannungswandlern 55 kg
Treibstoff 112 kg
Tank 17 kg
Restmasse 508 kg

Nehmen wir Dawn als Vergleich: da entfielen auf den Ionenantrieb 768 von 1.107 kg Masse, also knapp die 70%. Dabei ist das eine komplette Raumsonde, mit Instrumenten und Kommunikationsausrüstung und das wiegt trotzdem nur 339 kg. Hier haben wir 508 kg für den Rest des Vehikels, also ein viel größeres Budget. Es sollte also umsetzbar sein, wenn auch davon noch Treibstoff, für die spätere Lageregelung abgehen und wenn man es genau nimmt, noch weitere Triebwerke für die Lageregelung, auch wenn diese kleiner sein können und weniger Schub benötigen.

Damit wäre eine bessere Schätzung der Betriebsdauer möglich. Im Mittel wird der halbe Treibstoff verbraucht worden sein, dann wiegt das Vehikel noch 764 kg. Bei einem dV von 5000 m/s * 764 kg erhält man einen Gesamtimpuls von 3,82 MNs. Bei 3 x 0,165 N Schub entspricht dies 7,72 Millionen Sekunden Betriebszeit oder knapp 90 Tage. Die Reisedauer ist höher, da es Phasen ohne Betrieb gibt.

Im Orbit

Ein geostationärer Satellit braucht chemisch rund 40 m/s Geschwindigkeitsänderung pro Jahr, Ionentriebwerke bauchen wegen des geringen Schubs mehr. Rechnen wir mit dem doppelten, 80 m/s. Wenn man nun den Satelliten 10 Jahre betreiben will, sind das 800 m/s. Allerdings bezogen auf die Gesamtmasse. Typisch hat ein solcher Satellit dann noch die halbe Startmasse. Wenn man für den Worst-Case einen beim Start 7 t schweren Satelliten nimmt, dann sind das noch 3,5 t am Lebensende. Das Vehikel wiegt dann noch weitre 718 kg. Zusammen sind das 4,22 t x 800 m/s = 3,37 MNs. Bei dem Impuls des Antriebs sind das weitere 97 kg Treibstoff. Das führt dann zur endgültigen Massebilanz:

System Gewicht
Solargenerator 138 kg
Triebwerke mit Spannungswandlern Antrieb 55 kg
Triebwerke mit Spannungswandlern Lageregelung 20 kg
Treibstoff 209 kg
Tank 32 kg
Restmasse 376 kg

376 kg dürfen also auf Struktur, Kommunikation, elektrisches System, Avionik entfallen. Nicht viel, aber Mars Odyssey wiegt genauso viel und arbeitet seit Jahren im Orbit. Satelliten der Delta 3000 Klasse hatten in den Achtzigern auch typisch ein solches Gewicht. Eventuell reicht es nicht, dann müsste man auf drei Vehikel pro Start gehen. Skaliert man nur den Treibstoff, nicht aber den Solargenerator und die Triebwerke (nimmt also eine längere Transferzeit in Kauf), so erhöht sich die Restmasse auf deutlich komfortablere 800 kg.

Genaue Simulation

Es gibt praktisch uneneldich viele Möglichkeiten die Bahn zu erreichen. Wenn ich maximal 9 Monate als zeitliche Vorgabe nehme, so ist das am meisten Treibstoff verbrauchende aber dafür schnellste, das langsame hochspiralen. Das dauert 160 Tage. Dabei werden 92 kg Treibstoff verbraucht, also etwas weniger als angenommen. Begrenzt man den Antrieb auf Perioden um das Apogäum und Perigäum, so benötigt man, wenn man die 270 Tage als Basis nimmt, weniger Treibstoff, aber nicht viel weniger 83 anstatt 92 kg. Weniger als 78,5 kg werden es nicht werden, das ist das Minimum das man für einen Hohmanntransfer benötigt. Man liegt also schon nahe des Optimums. Hinsichtlich der Treibstoffbilanz benötigt man keine genaue Simulation, aber für die Reisedauer schon, denn die liegt dann doch 70 Tage höher.

Möglicher Einsatz

Der sinnvolle Einsatz eines solchen Vehikels wäre es, das es einen, vielleicht auch zwei Kunden gibt und man dann mit einem Vega Start alle vier Vehikel startet. Die nicht benötigten parken dann leicht außerhalb des GEO und warten auf Kunden. Die dürften zum Einsatzkommen vor allem, wenn es schon eine Lösung gibt, die kurzfristig verfügbar ist. Die Entwicklungskosten legen sich so auch gleich auf vier Vehikel um anstatt zwei wie bei den MEV. Weiterhin dürfte selbst bei den eingeräumten Rabatten ein Vega Start billiger sein als die zwei Starts für die beiden MEV. Für den Kunden bedeutet das aber auch das er eine schnell verfügbare Lösung hat. Es vergehen nicht Jahre, bis ein Vertrag abgeschlossen ist, das MEV gebaut, gestartet und im Orbit ist.

Was etwas schade ist, ist das das Vehikel viel überflüssigen Strom hat, den der Satellit brauchen könnte, aber es keine Transfermöglichkeit gibt. Von den 11 kW Leistung werden sicher noch 9 bis 10 kW im Orbit übrig sein. Für die Lageregelung benötigt das Vehikel deutlich weniger Strom als wie für den Antrieb. Selbst wenn einmal eines der großen Ionentriebwerke in Betrieb geht, so verbraucht das eben 3,3 kW von 9 kW verfügbarer Leistung. Es gibt aber keine Möglichkeit den Strom zu transferieren, denn dazu müsste der Satellit ausgelegt sein. Das ist er nicht mal für den Einsatz des Vehikels – in der Praxis verankert sich dieses mit einem Haken, der durch die zylindrisch zulaufenden Düse geschoben wird und sich im Düsenenghals dann verhakt. Umgekehrt: neue Satelliten wird man sicher nicht Steckern für Stromanschlüssen versehen und chemischen Antrieb, sondern gleich mit einem Ionenantrieb und bei diesem für einige zusätzliche Betriebsjahre Treibstoff zuzuladen kostet praktisch kein Gewicht, typisch bei 80 m/s etwa 3 kg pro Jahr und 1.000 kg Masse.

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