Parallelstufung, Serienstufung oder Abwurf?

Mit nur einer Stufe kommt man zwar in den Orbit, die Nutzlast ist aber dann sehr klein. Also braucht man mehrere Stufen. Neben der Serienstufung – eine Stufe zündet nach der anderen – gibt es noch verschiedene Konzepte der Parallelstufung. Bei einer Parallelstufung zünden mehrere Stufen gleichzeitig, eine hat aber früher Brennschluss und wird abgeworfen. Da gibt es etliche Subkonzepte:

  • Heterogene Parallelstufung: am meisten umgesetzt. Eine zentrale Stufe wird von mehreren Stufen in einer anderen Technologie umgeben, das sind meistens Feststoffbooster. Dafür gibt es etliche Beispiele wie Delta, Atlas II-V, Ariane 5, H2A, Space Shuttle
  • Homogene Parallelstufung: Zusatzstoffen und Zentralstufe haben die gleiche Technologie, wie denselben Treibstoff oft auch ähnliche Triebwerke. Das findet man in der R-7, Delta Heavy, Falcon Heavy oder Ariane 42L / 44L.
  • Abwurf der Triebwerke der süßeren Stufe, aber nicht deren Tanks: Atlas
  • Abwurf der Tanks der äußeren Stufe aber nicht der Triebwerke: bisher nicht umgesetzt

Man kann das noch feiner unterteilen, nur als Beispiel möchte ich die homogene Parallelstufung nennen. Da kann man Folgendes machen:

  • Zentrale Stufe hat mehr Treibstoff als die äußeren Stufen: Ariane 4, R-7
  • Zentrale Stufe und äußeren sind identisch: Schub der Zentralstufe wird gesenkt, sie brennt so länger: Delta Heavy, Falcon Heavy
  • Der Treibstoff der äußeren Stufen wird zuerst verbraucht, der zentralen Stufe danach: für die Falcon Heavy vorgesehen, aber nie umgesetzt.

Grundlagen

Der Nutzen ergibt sich einfach aus der Raketengrundgleichung: je früher man tote Masse abwirft, desto höher ist die Endgeschwindigkeit oder bei gleicher Endgeschwindigkeit die Nutzlast. Während das bei leeren Tanks offensichtlich nützt, ist es bei den Triebwerken nicht ganz so einfach. Der Abwurf von Triebwerken bedeutet auch weniger Schub, damit weniger Beschleunigung und braucht die Rakete länger um die Orbithöhe zu erreichen, was höhere Gravitationsverluste bedeutet. Ignoriert man die Gravitationsverluste, so ist eine Parallelstufenrakete immer schlechter als eine Serienstufenrakete, denn beim Abwerfen der Booster ist die Stufe ja zum Teil entleert, weist also ein höheres Voll- / Leermasseverhältnis auf. Durch die Gravitationsverluste wird es schwieriger, denn eine zweite Stufe hat meistens viel weniger Schub als die Zentralstufe und damit eine längere Brennzeit.

Daneben ist der Effekt je nach Treibstoffkombination unterschiedlich. Man muss zwischen Wasserstoff und anderen Treibstoffen unterscheiden. Wasserstoff hat eine Dichte von 0,0682 g/cm³, die meisten anderen Treibstoffe haben eine Dichte von 0,8 bis 1 g/cm³. Methan als Ausnahme liegt mit 0,45 g/cm³ dazwischen. Daneben benötigt Wasserstoff wegen des kleinen Intervalls, in dem er flüssig ist und der geringen Dichte eine Isolation, die bei allen anderen Treibstoffen und dem Oxidator LOX entfallen kann. Tanks für Wasserstoff/Sauerstoff wiegen so dreimal so viel wie die für andere Kombinationen. Bei einer LOX/LH2 Stufe wiegt so der Antriebsblock etwa ein Drittel der Gesamtmasse, die Tanks zwei Drittel oder sogar noch mehr (z.B. bei Oberstufen mit schubschwachen Triebwerken). Bei anderen Treibstoffen machen die Triebwerke den Großteil der Masse aus, meistens die Hälfte, es können aber auch mehr sein.

Simulation

Der Nutzen ist nur praktisch berechenbar. Ich habe wegen des größeren Effekts des Einflusses der Tanks eine Wasserstoff-Sauerstoff Rakete genommen mit folgenden Eckdaten:

Masse voll Masse leer Schub Brennzeit Spezu Impuls [Vakuum]
Zentralstufe 120 t 12 t 1.000 kN 461 s 4.000 m/s
Booster 4 x 60 t 4 x 6,5 t 4 x 1.000 kN 211 s 4.000 m/s
Oberstufe 30 t 3 t 200 kN 587 s 4350 m/s
Stufe beim Abwurf von Tanks oder Triebwerken 360 t, davon 240 t Abwurfanteil 38 t (17,3 t Tanks, 8,7 t Antrieb, 12 t zentrale Stufe 5.000 kN variabel 4.000 m/s

Worauf ich achtete, war das in allen Varianten die Parameter Schub und Massen in der Summe identisch sind. Damit sind die Ergebnisse vergleichbar. Der Zielorbit ist ein 200-km-Kreisorbit mit einem Flugazimut von 90 Grad von Cape Kennedy aus (200 x 200 x ~ 27 Grad)

Hier nun die Ergebnisse:

Typ Nutzlast
Parallelstufe (4 x 65 t + 120 t) 21,2 t
Serienstufung 22,0 t
Eine Stufe mit 360 t Masse 21,3 t
Abwurf Tanks 25,9 t
Abwurf Triebwerke 19,3 t
Crossfeeding 16,6 t

Das Ergebnis zeigt es deutlich: Die klassische Parallelstufung, die Serienstufung aber auch eine Stufe mit 360 t Masse (anstatt einer Zentralstufe mit 120 t und vier Boostern mit 60 t, die auch zusammen 360 t wiegen) liegen in der Nutzlast ziemlich gleichauf. Bei der Einstufenlösung heben sich die Effekte geringere Brennzeit und dadurch flachere Aufstiegskurve und dafür hohe Brennschlussmasse nahezu auf. In der Praxis hätte natürlich eine größere Stufe ein etwas günstigeres Masseverhältnis als die Kombination aus vier 60 t Boostern und 120 t Zentralstufe, das würde die Nutzlast wahrscheinlich noch um eine weitere Tonne anheben. Für einen erdnahen 200 km Orbit reichen auch zwei Stufen vollkommen aus. Größere Unterschiede würde es erst bei größeren Zielgeschwindigkeiten wie Fluchtbahnen geben.

Es ist ungünstiger gegenüber obigen drei Optionen, die Triebwerke abzuwerfen. Denn dadurch verliert man Schub. Man kann hier sicher noch etwas optimieren, der Abwurfzeitpunkt wurde ja, um vergleichbar zu sein nach demselben Treibstoffverbrauch wie bei der Parallelstufung festgelegt. Etwas später, wie es bei der Atlas der Fall war, wäre sicher besser.

Allerdings sind die Tanks immer tote Masse und sie wiegen doppelt so viel wie die Triebwerke und erzeugen keinen Schub. In diesem Beispiel bringt es deutlich mehr Nutzlast, wenn man die Tanks vorher abwirft. Konstruktionsmäßig könnte man dies so realisieren, dass alle Triebwerke sich in der Zentralstufe befinden – sie würde an der Basis dann deutlich breiter sein und die Tanks außen sitzen und bei Leerung dann abgetrennt werden. Sie würden zuerst verbraucht werden, dann erst die Tanks der Zentralstufe.

Das „Crossfeeding“, also der Verbrauch des Treibstoffs zuerst der Außenblocks auch durch die Zentralstufe dann erst Verabuch der Zentralstufe ist bei dieser Rakete ungünstiger. Das hat mich zuerst auch etwas verwirrt, behauptete SpaceX doch das Gegenteil (hat es aber auch nie umgesetzt). Es ist, wenn man sich die Daten ansieht aber schlüssig. Bei der Falcon 9 war es immer so, das eine Core alleine abheben kann, das kann diese Rakete nicht. Sie wiegt bei Stufentrennung 170 t und hat dann etwa 110 t Schub, das bedeutet, die Booster müssen die Aufstiegsbahn so steil anlegen, dass sie davon zehren kann. Damit bauen sie aber kaum horizontale Geschwindigkeit auf. Die Rakete erreicht auch die höchste Gipfelhöhe von 261 km von allen simulierten Fällen.

Noch ein kleines Nachwort: das war ein durchgerechnetes Beispiel und andere mögen in den Details anders liegen zudem gäbe es auch noch Optimierungen, die man dann für jeden Fall einzeln anstellen könnte wie die Stufenmassen und Schub zueinander anzupassen die Zweitstufe kann man auch noch modifizieren und mit LOX/Kerosin ergeben sich wieder andere Massenverhältnisse und Stufenverhältnisse. Besonders bei Crossfeeding müsste die zentrale Stufe genügend Schub haben, um nach Stufentrennung über 1 g zu beschleunigen. Aber ich denke der Trend ist relativ klar.

Die Lösung für ein überflüssiges Problem – wann lohnt sich ein Raspberri Pi im Weltraum?

Heute wieder mal Blog zu einem speziellen Thema. Es geht um die für die Raumfahrt geeigneten Computer. Betrachtet man sich die letzten 40 Jahre, so sieht man eine Tendenz: sie haben gegenüber der „irdischen“ Hardware deutlich an Leistung verloren. Als 1981 das Space Shuttle abhob, waren ihre Bordcomputer, die auf der System 360 Architektur basierten, noch deutlich schneller als Computer, die man als Privatperson kaufen konnte (mit einem Großrechner kann man die Rechner natürlich nicht vergleichen, schon allein wegen des Gewichts, Volumens oder Stromverbrauchs, aber Rechner in Raumfahrzeugen haben in etwa das Volumen eines PC. Die Shuttles hatten 32 Bit Prozessoren mit 416 KByte Speicher pro Rechner, ein Heimcomputer wie der ZX80, Ti 99/4a oder VC20 einen 8 Bit Prozessor mit 1 bis 16 KByte Speicher. Continue reading „Die Lösung für ein überflüssiges Problem – wann lohnt sich ein Raspberri Pi im Weltraum?“

Die Aprilnachlese von SpaceX

Die Nachlese zu April ist recht kurz, nicht nur wegen Corona. Fangen wir mit den Starts an. Es gab nur einen, und der für Starlink, logischerweise, denn zum einen gibt es nicht mehr viele Kunden und zum anderen sind dann nicht Dritte durch die Coronaeinschränkungen betroffen. Ausländer dürfen ja gar nicht erst einreisen.

Spektakulärer war da die Explosion eines Prototypen bei einem Test. Es ist schon die dritte innerhalb eines halben Jahres. Ich erwarte ja nicht viel von SpaceX, aber ich dachte nach fast 20 Jahren haben sie etwas Erfahrung im Bau von Raketen. Die ersten Falcon 1 Starts scheiterten daran, dass man bei SpaceX dachte, man könne auf Dinge verzichten die nicht umsonst sich in 60 Jahren Raumfahrt etabliert haben wie Prallblechen um das Treibstoffschwappen zu reduzieren oder Retroraketen um die Kollision, der Ersten mit der zweiten Stufe zu verhindern. Bei dem Jungfernflug der Falcon 9 gelangte immerhin die Nutzlast in einen Orbit, auch wenn es noch Vorfälle gab, wie ausbleibende Wiederzündungen, die Fastkollision mit dem Startturm beim Jungfernflug und die taumelnde Nutzlast im Orbit oder Triebwerksausfälle. Das SpaceX noch immer anders tickte merkte man, als bei einem Start sich ein Riss in der Düse der Oberstufe zeigte und man diese Düse nicht austauschte, sondern einfach kürzte. Continue reading „Die Aprilnachlese von SpaceX“

Triergole Treibstoffe

Heute mal wieder ein Grundlagenartikel. Es geht um eine Treibstoffkombination, die bisher nur theoretisch untersucht ist. Treibstoffe kann man vielfältig unterteilen, eine Unterteilung ist nach der Anzahl der Komponenten. Man spricht von:

  • monergolen Treibstoffen: eine Komponente
  • diergole Treibstoffe: zwei Komponenten
  • trierfole Treibstoffe: drei Komponenten.


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