Weltraum Transferfähren
Ich antworte mit diesem Blog auf die Frage von „Immanuel-Kantholz“:
„Herr Leitenberger,
was ist von wiederverwendbaren „Space-Tugs“ zu halten? Deren Versprechen ist schließlich riesig: Man bringe günstig viel Masse per Rakete in den LEO. Von dort schleppt sie ein wiederverwendbares Taxi per Plasma- oder Ionenantrieb an den Bestimmungsorbit. Im LEO könnte sogar Reparatur oder Integration durch Astronauten stattfinden.
Wenn dies funktioniert, dann stellt es die Ökonomie im Erdorbit völlig auf den Kopf: Weg von vielen spezialisierten Trägerraketen hin zum puren Massengeschäft; inklusive einem neuen Zweck für die bemannte Raumfahrt, nämlich Wartung und Montage.
Funktionierts?“
Ich fange mal mit der kurzen Geschichte von „Space Tugs“ oder, wie immer man es nennen will, an. Die Idee kam mit der Entwicklung des Space Shuttles auf. Das grundlegende Problem jeder Weltraumfähre ist, das sie viel mehr Masse als eine einfache Oberstufe hat. Da die Nutzlast einer Rakete für eine bestimmte Bahn sich aus der Masse der letzten Stufe (oder eben Fähre) und dem Satelliten zusammensetzt, nimmt bei steigender Geschwindigkeit für eine Bahn die Nutzlast stark ab. Beim Space Shuttle halbierte sie sich schon beim Übergang von einem LEO in einen SSO, also nur bei Inklinationsänderung. Selbst leer hätte es maximal 1.000 km erreicht – und das nach den Planungen, wo man die Nutzlast noch höher ansetzte, als sie später war. Analog wird das Starship nach den (optimistischen Planungen) über 100 t in den LEO aber maximal 20 t in den GTO erreichen.
Die Lösung für das Space Shuttle war das Space Tug. Es sollte zwischen einem LEO und höheren Orbit pendeln und Satelliten dorthin verschieben oder bergen. Es wäre mit der Fähre gestartet und wieder zurückgebracht worden. Das Space Tug war eine Lösung für erdnahe Orbits. Es wurde nur mit Hydrazin angetrieben, die Menge war durch die Zahl der Tanks regelbar. Es wäre ferngesteuert worden durch die Shuttle Besatzung. Dafür gab es Videokameras an Bord.
Erster Einsatz wäre die Rettung von Skylab gewesen. Jedoch verzögerte sich der Einsatz der Space Shuttles sodass früh sicher war, das es nicht zum Einsatz kommen würde. Daraufhin wurde es, auch weil die Finanzierung offen war, eingestellt.
Schauen wir uns nur dieses Vehikel an, dann stellt sich selbst in dem optimistischen Klima der damaligen Zeit in der man von billigen Fährenflügen und häufigem Einsatz der Shuttles ausging die Frage wofür man es braucht. Der Tug muss ja an einen Satelliten andocken können. Er muss also für ein Andocken ausgelegt sein. Je nachdem, wie eine Kopplung aussieht, benötigt man Haltepunkte, Dockingadapter oder Ähnliches. Für eine Kopplung ausgelegt waren die vorhandenen Satelliten nicht. Die NASA hatte, nachdem die Space Shuttles sehr teuer waren, nur wenig Geld für wissenschaftliche Missionen und viele hatten höhere Orbits (GEO, exzentrische Bahnen) die, der Space Tug nicht erreichen konnte. Also auch hier nur ein kleiner Bedarf. Auch beim Militär sank die Missionszahl ab. Es gab auch hier viele Missionen im GEO oder höheren Orbit, so wurde das GPS-System damals gerade aufgebaut, aber doch mehr Satelliten in erdnahen Umlaufbahnen.
Beim Militär gab es auch konkrete Pläne. Die größten Satelliten des US-Militärs, fr das auch das Space Shuttle ausgelegt war, waren die KH-9 Hexagon. Busgroße Satelliten, die Aufnahmen von Krisengebieten und des Ostblocks machten und auf Film ablichteten. Der wurde in sechs Kapseln dann abgestoßen und geborgen. Nach Ende des Films war der Satellit nutzlos. Die Idee: ein solcher KH-9 könnte dann geborgen und zur Erde zurückgebracht werden. Neu befüllt und mit neuen Kapseln versehen, erneut gestartet werden. Ja es gab auch die Idee von reinen Fotomissionen, bei denen auf einer Palette die nötigen Instrumente installiert wurden. Nur dauert eine Space Shuttle Mission maximal 30 Tage. Prinzipiell könnte eine Palette baer auch frei fliegen und so unabhängig operieren können, dann würde sie eine der folgenden Missionen wieder einfangen und bergen. Auch das wurde mal demonstriert vom deutschen SPARTAN-Satelliten.
Doch die Erfindung des CCD führte zud en KH-11 Kennen Satelliten. Der erste startete 1986. Sie waren lange Zeit eine Ergänzung zu Hexagon und lösten die Detailaufklärer der KH-8 Gambit Serie ab, da anfangs die CCD noch nicht fähig waren so breite Streifen wie ein Hexagon aufzunehmen. Doch sie wurden immer besser und schließlich lösten die Kennan die Hexagon ab und 1986 startete der letzte der Serie.
Mit dem Verlust der Challenger wurde beschlossen das die Shuttles keine Satelliten mehr starten und damit waren die Pläne für Space Tugs erst mal gestorben.
Inzwischen gibt es eine Neuauflage des Konzepts, wenngleich mit anderem Ansatz. Boeing hat zwei MEV entwickelt und gestartet. Dies sind keine Weltraumfähren, sondern sie haben den Zweck die Lebensdauer von Kommunikationssatelliten zu verlängern. Die etwas über 2 t schweren Gefährte gelangen als Sekundärnutzlast in einen GTO, manövrieren mit Ionentriebwerken zum Zielsatelliten. Dort nutzen sie die große Düse des Apogäumsmotors, um einen Dorn in diese hineinzuführen und sich so zu verankern. Ein drittes soll gebaut werden. Kunde beider gestarteter MEV ist Intelsat, so werden zwei Satelliten noch länger betrieben werden.
Mit Ionentriebwerken wäre auch ein Transfer vom LEO in den GEO möglich. Es gibt erste Satelliten mit Ionentriebwerken als alleinigem Antrieb. Aber der große Durchbruch bleib aus. Vor allem nutzen sie nach wie vor eine konventionelle Trägerrakete, um in den GTO zu kommen. Betrachtet man es rein nutzlasttechnisch, so kann eine Rakete die 5 t in den LEO befördert etwa 2 t in einen GTO transportieren. Davon sind (wenn man die Trockenmasse des Antriebs wegrechnet) etwa 1 t Nutzlast im GEO. Das heißt, selbst wenn ein Space-Tug mehr wiegt als die Nutzlast, selbst könnte er die Nutzlast steigern, wenn er nicht viermal mehr wiegt.
Auf der anderen Seite werden Raketenstarts immer billiger eine Ariane 6 wird pro Kilogramm Nutzlast weniger als die Hälfte einer Ariane 1 kosten. Nimmt man die Inflation in den letzten 40 Jahren hinzu so ist es sogar nur ein Fünftel bis Sechstel. Ein Space Tug (ich nenne es Ionentransferstufe) lohnt sich also nur, wenn es bedeutend billiger als der Start ist. Derzeit werden die „All Electric“ Satelliten als Komplettpaket konzipiert. Mit dem Bau wird gleich der Start gebucht, damit man auch günstige Konditionen bekommt, denn sie sind erheblich leichter als normale Satelliten. Zwei All Electric wurden so mit einer Falcon 8 gestartet und das ging mangels Doppelstartmöglichkeit nur, weil sie schon beim Hersteller miteinander verbunden wurden. Auch das hat wohl den Einsatz bisher verhindert.
Es läuft eigentlich immer auf eine Kosten-Nutzenabschätzung heraus. Ionentriebwerk haben einen niedrigen Schub, der Satellit bleibt Monate in einem Übergangsorbit. In der Zeit bringt er kein Geld ein. Er wird zudem höherer Strahlenbelastung ausgesetzt. Dagegen könnte man ihn aber schützen mit einer Art Kokon, wie sie heute bei Doppelstarts eingesetzt wird. Bisher scheint die Kosten-Nutzenabschätzung gegen einen solchen Transfer zu sprechen. Dabei reden wir hier immer noch von im Satelliten integrierten Triebwerken, die später auch im Orbit die Lageregelung und Bahnänderung übernehmen-
Richtig lohnen würde sich eine Transferstufe nur, wenn man sie wieder auftanken kann. Die Kosten verteilen sich dann über mehrere Transfers. Da sie als Treibstoff das Edelgas Xenon verwenden, wäre das relativ einfach. Man müsste mit dem Koppeladapter, den man ja von bemannten Raumfahrzeugen übernehmen kann, nur eine Durchleitung zum Tank des Satelliten führen. Dessen Volumen muss so dimensioniert sein, dass wenn es einen Druckausgleich gibt, er genau so viel Xenon in die Transferstufe transferiert, wie diese für die Rückreise benötigt, der Rest steht dann für die Lageregelung zur Verfügung.
Angenommen die Transferstufe wöge genauso viel wie ein Satellit dann kann man überschlägig, je nach spezifischen Impuls den Treibstoffverbrauch auf 1 bis 1,5 t bei einem 3 t schweren Satelliten berechnen, dieser entspricht einem 6 t schweren Satelliten im GTO und der wiederum 15 t in den LEO. Man würde also mit 5 t in den LEO anstatt 15 t auskommen, wenn man die Transferstufe mehrmals verwenden könnte. Nur damit macht sie aber Sinn. Das ist aber ein radikaler Schritt viel größer als der der „Alle Electric“ Satelliten, die nur den chemischen Apogäumantrieb durch Ionentriebwerke ersetzt haben. Kompatibel wären wohl nur Satelliten einer Baureihe, also würde wohl als Erstes einer der großen Satellitenbetreiber wie SES so was umsetzen. Allerdings gelten gerade diese Betreiber von Kommunikationssatelliten als sehr konservativ und skeptisch gegenüber schon kleineren Neuerungen. Dagegen wäre eine Ionentransferstufe eher etwas was man von einem innovativen Startup erwarten würde. Das passt nicht zusammen. So denke ich wird m,an auf diese Art von Space Tugs noch warten müssen.
Zuletzt noch zur Ökonomie. Mit bemannter Raumfahrt wird man sicher nicht ökonomisch Satelliten warten können. Dafür ist sie einfach zu teuer. Alleine die USA geben mehr als 3 Mrd. Dollar jedes Jahr für die ISS aus. Für das Geld könnte man auch bei den heutigen Preisen problemlos 60 Satelliten mit einer Falcon 9 starten. Mit eigennen Missionen zur Wartung wird es noch teurer. Für jeden bemannten Dragon Start zahlt die NASA 300 Millionen Dollar, das fünf bis sechsfache dessen, das die Trägerrakete alleine kostet. Bemannte Raumfahrt ist aller Erfahrung nach der sicherste Weg etwas zu verteuern. Das musste auch die NASA bemerken, die mal davon träumte, mit dem Space Shuttle im Weltraum zahlreiche Dinge aufzubauen. Von neuen Kommunikationssatelliten über Atommüllentsorgung bis hin zu Energiefarmen.
Als Schlüssel sehe ich die Massenfertigung. Das sieht man schon bei Oneweb. Normalerweise sind Kommunikationssatelliten dreimal teuer als ein Start. Bei Oneweb sollten 32 Satelliten pro Start weniger als die Hälfte des Starts kosten, auch wenn diese optimistischen Werte nicht erreicht werden, so wird trotzdem die Nutzlast billiger als der Starts selbst, aber dafür werden auch über 700 Satelliten gebaut.
Bei allen möglichen Projekten wird ein Nachtanken im Orbit diskutiert. Wäre es nicht einfacher, den leeren Tank gegen einen vollen auszutauschen? So spart man sich die ganze Apparatur zum Umtanken.
Naja, der Tank ist ja oft genug entweder Teil der tragenden Struktur (Launcher), oder zentral im Inneren eines Satelliten eingebaut. Bei einem typischen Geo Comsat hast Du das Zentralrohr, darum sind die Tanks angeordnet, daran schließen sich die Avionik, Nutzlasten, Seitenpanels, Antennen / Reflektoren und die Solar Arrays an. Um an die Tanks ranzukommen muß man den halben Sat auseinandernehmen. Das macht am Boden schon keinen Spaß wenn man bei der Integration ein Problem an den Tanks bzw. Ventilen oder Klempnerei feststellt.
Bei schon existierenden Satelliten stimmt das, aber die haben keinen Tankanschluss. Nur bei der ISS wird zur Zeit das Nachtanken praktiziert.
Ansonsten ist ein Nachtanken nur bei Geräten vorgesehen, die es noch nicht gibt. Bei einer Neuentwicklung lassen sich solche Techniken durchaus realisieren.
Zum Auftanken von unbemannten Satelliten wäre allerdings ein neuer Standard für das Kopplungssystem sinnvoll. Schließlich wird da kein druckdichter Umstieg für Astronauten gebraucht, das macht den Spaß leichter und billiger. Das wird beim Umtanken aber auch gebraucht.
Aber das Prinzip eines Sprons der in einen Konus gelangt und dann nach dessen Passieren wird man beibehalten und da wir nicht von Flüssigkeiten reden reicht eine einfache Leitung mit einigen Druckventilen zwischen beiden Tanks aus. Das System wird man modifizieren aber sicher nicht grundlegend verändern. Einen kompletten Tank auswechseln ist viel aufwendiger und nicht zielführend, denn auch nach dem transfer benötigt der Satellit ja Xenon um seine Lage und Bahn zu verändern. Viel einfacher ist es einfach den Tank so zu dimensionieren das bei druckausgleich genauso so viel Xenon verbleibt wie man braucht,
Vielen Dank für den Artikel als Antwort auf meine Frage, auch wegen der Historie.
Ich nehme mit, dass es chemisch angetrieben überhaupt keinen Sinn macht.
Mit Ionenantrieb ist es wie vermutet denkbar, aber der Markteintritt extremst schwer, insbesondere wegen der Docking Adapter. Gegen die Strahlungsbelastung würde ein Plasmaantrieb enorm helfen, da er seinen spezifischen Impuls vs. Energieverbrauch einstellen kann. Sprich schnell und ineffizient auf dem Hinweg, effizient und langsam der Rückweg. Aber das Vasimir Triebwerk befindet sich selbst erst in der Erprobung was die Sache nicht gerade einfacher macht.
Trotzdem würde ich von Momentus – einem Hersteller dieser Tugs – selbst wohl Aktien kaufen. Ihre überschlägige Rechnung sagt nämlich aus, dass dann GEO Satelliten zwei bis dreimal schwerer werden dürfen, bei ungefähr gleichem Startpreis + etwas Miete fürs Taxi. Und viele SSO, LEO, MEO Orbits von Kleinsatelliten lassen sich in einem einzigen Start bündeln. Der Antrieb und die Tanks von Satelliten können außerdem deutlich kleiner dimensioniert werden, was wiederum Kosten spart.
Und Ruag dürfte ebenso profitieren, denn dann wird die Größe der Nutzlastverkleidung plötzlich wichtiger als die Masse, die die Rakete in den Orbit fliegt (schlecht für die Falcon 9 …). Die Ariane62 und Vulcan 501 sind dann außerdem auch wirtschaftlicher, da sie viele teure Feststoffbooster einsparen.
Starship – wenn es denn mal fliegt – würde Volumenmäßig aber alles in den Schatten stellen, und könnte seine anvisierten 100t in den LEO voll ausspielen. Mal sehen ob SpaceX Momentus aufkauft …
Plasmatriebwerke haben andere Nachteile wie geringen Wirkungsgrad und vor allem für diese Anwendung eine zu geringe Lebensdauer, das Plasma erodiert die Elektroden mit der Zeit. Kein Problem wenn man nur Lageregelung betreibt, für Antriebszwecke und mehrfachen Transfers aber ungeeignet.
Etwas abgewandelt, erinnert mich das Ganze ein bisschen an die Idee eines Skyhooks.
https://www.youtube.com/watch?v=aoMOSa9kXPw&ab_channel=DingeErkl%C3%A4rt%E2%80%93Kurzgesagt
Ein Blog, den ich vor ein paar Jahren gelesen habe, hat einen nicht-rotierenden Skyhook als eine “ Art Weltraumlift, der mit heutiger Technologie gehen würde“ propagiert.
http://www.high-frontier.org/skyhooks-and-space-elevators/
Obs wirklich so einfach ist.. da bin ich eher skeptisch. Man bräuchte (glaube ich) auch da schon deutlich bessere Ionentriebwerke als es sie heute gibt.
Aber das Video im Blog ist wirklich hübsch. Da sieht der Skyhook wie eine Art Mini-ISS mit Ionenantrieben aus.