Taugt der Raspberry Pi 4B als Desktop Ersatz?
Der Raspberry Pi ist der populärste Kleincomputer. Über 30 Millionen des Rechners wurden von 2012 bis 2019 verkauft. Gedacht war er um Programmieren zu lernen, in Reminiszenz zu den Heimcomputern der Achtziger Jahre, da er aus England kommt, liegt der Vergleich mit dem Sinclair Spectrum auf der Hand. Doch schon der hinkt. Das Einzige was ihn mit dem Spectrum verbindet ist, das sein Preis sehr niedrig ist. Das teuerste Modell kostet derzeit um die 75 Euro. Dazu kommen aber noch mindestens ein Netzteil und eine Mikro-SD Karte, in den meisten Fällen auch ein Gehäuse. Doch selbst dann liegt der Komplettpreis nur bei etwa 100 Euro.
Der Raspberry Pi bootet von der SD-Karte, im Normalfall eine Linux Version „Rasbian“ die vom Debian Zweig abstammt. Man kann durch verschiedene SD-Karten aber auch andere Betriebssysteme booten, so ein Standard-Linux wie Ubuntu oder die Mediacentersoftware Kodi. Es muss auch nicht immer bis zur grafischen Oberfläche gehen, sondern nur bis zur Textkonsole, wenn er als NAS-Server dient oder man nur ein eigenes Programm fährt, um Sensoren abzufragen.
Sensoren kann man an einer Leiste mit I/O Pins anhängen. Daneben gibt es einen speziellen Anschluss für eine Kamera. Der Rest der Anschlüsse ist dagegen Industrienorm – je nach Modell einen bis vier USB-Anschlüsse, einen oder zwei HDMI-Stecker für Bildschirme, Netzanschluss. Je nach Modell verfügen die Rechner auch über Wlan und Bluetooth. Die Stromversorgung geschieht über einen Mikro-USB Anschluss, wie ihn auch Handys und MP3-Player zum Aufladen haben.
Ich habe im Laufe der Zeit alle Versionen des Raspberry Pi durch. Den Ersten, einen Raspberry Pi 1 (700 Mhz, ein Kern, 512 MB RAM) kaufte ich aus Neugier. Später entstand eine Wetterstation mit ihm, wo er Sensoren von Tinkerforge abfragte. Diese lief auch über ein Jahr. Dann blieb der Rechner immer wieder hängen – wie sich zeigte lag es aber nicht am Raspberry Pi, sondern den Sensoren von Tinkerforge.
Es folgte ein Raspberry Pi 2 (900 MHz, 1 GB). Ich hoffte mit ihm produktiv arbeiten zu können, denn die grafische Oberfläche des ersten Modells war enorm langsam. Der Raspberry Pi 2 ist deutlich schneller, hat vor allem aber mehr Speicher. Denn, wenn das System auch im Vergleich zu Windows weniger Ressourcen beansprucht sind, 512 MB eben doch wenig. Er diente dann eine Zeit lang um die Programme für den Raspi 1 zu kompilieren, weil es deutlich schneller ging. Später wurde er um ein I/O Extender Board erweitert, an das man verschiedene Sensoren anschließen konnte. Das Ansprechen von Sensoren geht komfortabel, ebenso die Kamera, die man z.B. nutzen kann, um Räume zu überwachen. Aber da man anders als bei einem nur dafür ausgelegten Rechner wie einem Arduino das Programm nicht in ein ROM ablegen kann, sondern es nach dem Start automatisch starten muss ist für der Raspberry für solche Projekte vielleicht nicht die erste Wahl. Ich habe ihn trotzdem eingesetzt, weil die Rechenleistung es ermöglichte nicht nur Sensoren abzufragen, sondern auch gleich eine Website mit der Visualisierung zu basteln und über FTP auf meinen Webserver hochzuladen. Die erstellten Seiten in dem Jahr, in dem er das tat, sind noch immer einsehrbar.
Das Nachfolgemodell Raspberry Pi 3 habe ich dann lange Zeit als Desktop-Ersatz genutzt. Es hat nun vier Kerne, die mit 1,2 GHz getaktet sind und ebenfalls 1 GB RAM. Man kann mit ihm arbeiten, aber es macht keine große Freude. Moderne Webseiten, überfrachtet mit Werbung und Videos laden zäh. Am besten geht noch die Bürosuite Libreoffice. Er begleitete mich, wenn ich in mein Ferienhaus nach Nesselwang ging. Ich schaute nach Mails, schrieb meine Blogs mit ihm. Dazwischen (mit einer anderen Micro-SD Karte) war er Mediacenter. Abgelöst wurde er durch einen Gebrauchtrechner, den ich von einem Händler von Rechnern gekauft habe, die bei dem routinemäßigen Ausmustern von Bürorechnern anfallen. Obwohl der nur eine Icore der 3xxxx Serie hat, also Hardware, die 2012/3 aktuell war, ist er um Längen schneller als der Raspberry Pi 3. Ich machte, wie man auch leicht am Ressourcenmonitor sehen kann, die Speicherausrüstung als Flaschenhals aus. Ein Browser mit mehreren offenen Tabs kommt leicht über 1 GB raus die als Arbeitsspeicher verbaut sind.
Beim neuesten Modell Raspberry Pi 4 hat man den Takt leicht auf 1,5 GHz gesteigert, zudem soll die neue CPU die Befehle schneller abarbeiten, als die im 3-er Modell verbaute. Vor allem gibt es ihn aber in mehreren Ausbauvarianten mit 2, 4 oder 8 GB Speicher. Da ich nun einen Desktopersatz für meinen regelmäßigen Aufenthalt in Nesselwang hatte, habe ich ihn lange ignoriert, bis im August 2020 auch ein 8 GB Modell erschien. Natürlich ist der Vergleich mit einem PC schwer, aber Windows 10 würde ich nicht auf nur 4 GB Speicher laufen lassen. Seitdem ist er an einen alten 32 Zoll HD-Ready Fernseher angeschlossen, der neben dem Couchtisch steht und für die Benutzung kurz auf den Tisch gehoben wird und der Raspberry Pi angeschlossen wird. So kann ich surfen oder Mails nachschlagen, wenn im Fernsehen nichts oder Werbung läuft oder Filme anschauen wenn Bruce Springsteen recht hat „57 channels and nothing on“
Zuerst sah es nicht so aus, als wäre er wesentlich schneller als das Vorgängermodell. Doch ich setzte auch die SD-Karte des alten Raspsis ein. Der neue Raspberry Pi 4B braucht eine schnelle Mikro-SD Karte. Ich habe eine Kingston SDCE/64GB High Endurance microSD Karte 64 GB gewählt, die nicht nur schnell ist, sondern auch für viele Schreibzugriffe ausgelegt ist „ High Endurance“. Damit halbierte sich schon die Bootzeit und der Rechner wurde deutlich schneller. 64 GB müssen es nicht sein, eine 32 GB reicht auch. Ich habe derzeit noch 42 GB frei. Der Raspi hat in Geschwindigkeit aufgeholt, ist aber noch langsamer als ein PC. Ich habe mal eine komplexe Homepage, die von SWR1 Baden Württemberg, wo durch viele verlinkte Videos das letzte Element auch auf meinem PC erst nach einigen Sekunden erscheint, geladen und über die Entwicklertools die Ladezeit unter Chrome bestimmt (F12 drücken, Reiter „Network“ anwählen). Es sind 10,5 s. Bei meinem PC sind es 2.48 s. Er ist also noch um den Faktor 4 bis 5 langsamer. Man merkt das. Vor allem Thunderbird als Mailclient braucht sehr lange, bis es meine inzwischen 6 Mailkonten nach dem Start abgeklappert hat (drei eigene für die Websites, drei fremde für Bestellungen / SPAM). Als anspruchsvollster Kandidat entpuppte sich Mediathekview. Das Programm ist schon auf dem PC langsam. Auf dem Raspberry Pi ist nach dem Start die Prozessorlastanzige einige Minuten auf 100 %, bis die gesamte Filmliste geladen und verarbeitet ist. Das liegt primär daran, dass das ganze Programm in Java geschrieben ist. Java ist meinen Erfahrungen nach die ineffizienteste Programmiersprache, die es gibt und sie benötigt eine enorm große Laufzeitbibliothek – auf dem PC 1,5 GB groß, auf dem Raspberry Pi 1,4 GB (das Programm selbst ist nur 64 MB groß). Immerhin, mit geöffnetem Mediathekview, Libreoffice, Chromium Webrowser und Thunderbird sind nur 2,6 GB von 7,8 GB verfügbarem Speicher belegt. Es würde also auch die 4 GB Version ausreichen. Mit etwas Geduld, vor allem beim Start von Programmen kann man aber mit dem Raspberry Pi 4B gut surfen und arbeiten.
Etwas schwieriger ist es, das System auszuwechseln. Es gibt zum einen für Raspbian andere Oberflächen wie Mate oder XFCE4 die auch wenig Ressourcen brauchen aber schicker als der Standard-Desktop aussehen. Ich habe sie ausprobiert, bin aber zum Standard zurückgekehrt. Warum? Es fehlen nun einige Menüeinträge, an die ich mich beim Standard-Desktop gewöhnt habe, vor allem der für das Entfernen und Hinzufügen von Programmen, der einfachsten Art Software zu installieren. Klar es geht auch von der Konsole aus mit apt-get. Das hat aber den Nachteil, dass man die Namen der Pakete kennen muss. So wollte ich Firefox als Browser nachinstallieren. Der hieß bei früheren Raspberry Pis aber „Iceweasel“ – das Paket gibt es nicht, aber auch keines das „Firefox“ heißt. Schließlich fand ich heraus das er nun „Firefox-ESR“ heißt. Aber das muss man erst mal rausfinden. Bei Add/ Remove Software tippt man dagegen Firefox ins Suchfeld ein und schaut sich die Liste durch – immer noch viel, weil die auch alle Einträge enthält die Firefox nur in der Beschreibung aber nicht Paketnamen oder Titel enthalten- das hätte man besser machen können.
Die Leistung müsste auch ausreichen, ein anderes Linux mit einem schickeren Desktop auszuprobieren. Also habe ich mir ein Image für Ubuntu heruntergeladen, auch weil der Standard von Raspbian sehr alte Programmversionen im Repository hat. Ich erhoffte mir eine aktuellere Version meiner Entwicklungsumgebung dort zu finden (war aber nicht der Fall). Leider hat Ubuntu ein Problem mit meinem Fernseher. Er ist nur „HD-Ready“, hat also die im PC-Bereich unübliche Auflösung von 1.366 x 768 Pixeln. Ein Feature der GPU des Raspbis in allen Versionen ist der „Overscan“. Je nach Monitor oder Fernsehen sollte man ihn aktivieren oder nicht. Bei Formaten die der Raspi voll unterstützt, kann man so das Bild randlos aufziehen. Das geht bei dem Fernseher nicht. Der Overscan muss aktiv bleiben. Man hat dann einen schwarzen Rand ums Bild. Deaktiviert man ihn, so verliert man aber Teile der oberen Menüleiste und unteren Statusleiste. Damit wird der PC praktisch unbedienbar, da man so nicht sieht, in welches Menü man klickt. Und das ist auch die Standard-Ausgabe von Ubuntu mit demselben Problem. Man kann nun die Auflösung anpassen (die gewählte ist 1280 x 720) und muss dann entweder mit noch weniger Bildfläche leben oder wenn man ein größeres 16:9 Format nimmt, mit schwer lesbaren Schriften weil die Auflösung höher als die des Fernsehers ist. Es gibt in Ubuntu keine Möglichkeit den Overscan einzustellen, da das dafür notwendige Konfigurationsprogramm, das Raspbian mitbringt fehlt. Also bin ich zum Standard-Desktop zurückgekehrt. Ich vermute aber bei einem normalen Monitor oder HD-Fernseher gibt es das Problem nicht. Hätte ich nicht starke Einschränkungen in der Sehkraft, ich, würde den Raspi auch direkt an den „normalen“ Fernseher anschließe, aber bei einem Betrachtungssabstand von 2-3 m ist auch bei dem 49 Zöller für mich die Schrift und der Mauszeiger zu klein. KODI als Mediencenteroberfläche ist dagegen gut bedienbar, da sie von vorneherein schon mit großen Schriften und Symbolen kommt und auch mit einer Bildschirmtastatur, damit man sie notfalls mit einer Fernbedienung bedienen kann.
Man kann an den Raspi jede beliebige USB Tastatur anschließen, ebenso jede Maus. Ich habe aus Bequemlichkeit eine Funkkombination von Logitech, das minimiert den Kabelsalat. Kontakt kann man aber auch über SSH herstellen (unter Windows sollte man Putty installieren und beim Raspi SSH-Zugriffe im Konfigurationsprogramm erlauben) oder noch bequemer über Remote Desktop (dafür muss man beim Raspi xrdp nachinstallieren). Nur ist eine Tastatur um ein Vielfaches größer als der Raspi selbst. Das ist, wenn man ihn als mobilen Rechner einsetzen, will natürlich ein Nachteil. Die Lösung – entweder man leiht sich lokal eine Tastatur und Maus aus, oder kauft am Ferienort eine die man dann nicht mit nach Hause mitnimmt (gibt es ja schon für unter 10 Euro) oder man greift zum neuen Raspberry Pi 400 (noch nicht getestet). Das ist ein Raspberry Pi 4B mit 4 GB RAM in einem Tastaturgehäuse. Allerdings einer kleinen Tastatur. Diese hat keinen Zehnerblock und ist so nur 285 mm lang, eine normale USB-Tastatur mit Zehnerblock ist dagegen 445 mm breit. Zusätzlich dient die Tastatur als Kühlblock ´, so taptet die Core um 300 oder 20 % MHz höher. Beim Benutzen meines Raspis fiel mir auf, dass beim schauen von Filmen über die Mediathek sehr schnell das Überhitzungssymbol in der rechten oberen Ecke auftaucht, egal ob als Vollbild oder im Browserfenster. Bei einem mit Mediathekview heruntergeladenen und dann abgespeilten Film blieb die Prozessorlastanzeige dagegen weit unterhalb von 30 %. Die Warnung ist nur eine Warnung – der Raspi nimmt keinen Schaden. Sie signalisiert nur das die CPU den Takt reduziert um nicht zu überhitzen. Sie ist aber nervig durch das Blinken im Vollbildvideo.
Wozu ein Raspberry Pi, wenn man auch ein Smartphone hat?
Klar. Heute wird viel mit dem Smartphone gemacht. Ich selbst habe keins, eben weil ich schlecht sehe, damit ich etwas erkenne muss ich so stark vergrößern, dass dies bei den kleinen Bildschirmen das Surfen zum Qual macht und ich kann auch auf der Bildschirmtatstur nicht wirklich schnell tippen. Zudem habe ich mich an den PC, große Monitore und echte Tastaturen gewöhnt. Der Raspi erlaubt es mir wie mit einem PC zu arbeiten, nicht nur zu surfen oder Dinge zu machen die kaum Tastatureingaben erfordern, ich brauche nur eine Tastatur und Maus und ein HDMI-Kabel, ich kann ihn an jeden Fernseher anschließen. Ich sehe durchaus Vorteile – es ist einfach bequemer, man kann nicht nur surfen, sondern auch arbeiten, es gibt auf dem Raspi eben alle Programme, die man auch vom PC kennt, z.B. eben Libreoffice als Office Suite. Gegenüber einem fremden PC wie in einem Internet Cafe, punktet der Raspi indem er natürlich auch so konfiguriert werden kann, das er alle Passwörter und Mailkonten kennt. Wer ein Google Konto hat und Chrome / Chromium benutzt, braucht sogar nur einmal ein Passwort – das des Google Kontos. Hat man sich einmalig auf dem Raspi mit Chromium bei Google eingelockt, dann synchronisiert er sich, lädt alle Lesezeichen, Erweiterungen und eben auch alle Passwörter herunter. Es ist schlicht und einfach bequemer, auch bequemer, wenn man nur Filme ansehen will. Das geht zwar auch über die Mediatheken mit einem Fernseher (über die rote Taste). Doch wer die kennt weiß, wie zäh sie laden, wie lange es dauert, bis man sich zu etwas vorgearbeitet hat. Beim Raspi öffnet man den Browser, tippt den Sendungsnamen und „Mediathek“ ein und unter den ersten Treffer ist meist auch das Video in der Mediathek, das man dann im Vollbild anspielen kann. Daneben kann man natürlich andere Videos vom USB-Stick abspielen.
Fazit
Ein Raspi 4B kann einen PC nicht ersetzen, aber ergänzen, als „Zweit-PC“ für die Mitnahme auf Reisen oder angeschlossen an den heimischen Fernseher, mit einem Kartenwechsel auch als Mediencenter. Das kostet nicht viel, die Tastaturversion benötigt noch eine Maus, Netzteil, HDMI-Kabel und man hat für unter 100 Euro alles, was man braucht und bei weniger als 30 cm Länge ist er auch noch leicht im Koffer unterzubringen.
Hallo Herr Leitenberger,
da die Raspberry Pi 4B USB 3.0 Schnittstellen mitbringt, kann ich nach meiner Erfahrung den Einsatz einer kleinen externen SSD empfehlen (128 GB z.B. gibt es schon unter 20 Euro). Der Geschwindigkeitszuwachs gegenüber einer MicroSD-Karte ist hier enorm und deutlich spürbar (Transferraten sowie IO). Sie können entweder direkt von USB booten oder alternativ die kleine Boot-Partition auf der MicroSD-Karte belassen und via Modifikation der cmdline.txt direkt auf diese referenzieren (https://www.raspberrypi.org/documentation/hardware/raspberrypi/bootmodes/msd.md).
Viele Grüße
Arndt
Für eine Textkonsole braucht man noch eine serielle Schnittstelle.
Die hat jeder Raspberry von Haus aus, aber man braucht einen Adapter von den Pins auf einen 9pol Stecker oder eine RJ45 Buchse in Cisco Pinout.
Habe die Raspberries allerdings bisher nur für Kodi/OSMC benutzt, und mich für den professionellen Einsatz nicht so recht drann getraut (Einsatz auf Hutschiene im Schaltschrank.)
Wozu so umständlich?
Das klappt ohne Extra-Kabel und ohne direkten Kontakt mit SSH übers Netzwerk. Die Treiber sind auch schon beim Booten bis zur Console geladen. Mein Raspberry Zero der nur einen USB-Port hat hat z.B. dort einen Wlan Stick dran und wird nur aus der Ferne gewartet.