Seiner Zeit eine Dekade voraus
Ich habe vor einigen Tagen eine kurze Biografie über Gary Kildall gelesen, wahrscheinlich werde ich dazu noch einen größeren Artikel verfassen. Schon vor Jahrzehnten interessierte mich die PC-Geschichte, auch weil es da schillernde Persönlichkeiten und verrückte Ereignisse gab. Ich habe dann mal eine Artikelserie „Väter des PC“ veröffentlicht und später auch ein Buch daraus gemacht. Von allen „Vätern des PC“ ist Gary Kildall mir am sympathischen, vielleicht weil seine Persönlichkeit der Meinigen am nächsten kommt.
Gary Kildall hatte als einziger der PC-Pioniere eine akademische Ausbildung in dieser Technologie, einen Doktor in Computerwissenschaft und er war auch einige Jahre als Lehrer / Ausbilder an einer Uni tätig. Das lag ihm. Er forschte gerne und war neugierig. Vieles, was er entwickelte, kam aus diesem Antrieb heraus. Er schaute nicht, ob es einen Markt dafür gab oder ob es kommerziell erfolgreich war. Er lief nicht zum Patentamt und lies sich das Prinzip des BIOS patentieren, sonst wäre die PC-Geschichte anders verlaufen. Zudem war ein konfliktscheu, scheute davor zurück zu prozessieren, glaube dagegen an Gentleman-Agreements, wie die unausgesprochene Abmachung, dass seine Firma Betriebssysteme produziert und Microsoft Programmiersprachen und sich jeder aus dem Geschäftszweig des anderen heraushält. Es gibt auch Unterschiede zwischen ihm und mir. So soll er sehr planmäßig an das Programmieren herausgegangen sein, hat Datenstrukturen zuerst vollständig auf dem Papier entworfen, bevor er sie am Computer umsetzte. Ich bin dagegen eher der Typ „Was programmieren wie heute“. Wobei man sagen muss, dass ich in den Achtzigern auch mit mehr Überlegung herangegangen bin, denn ein Compilerlauf dauerte damals schon mal einige Minuten und man bekam nicht schon bei der Eingabe Programmierfehler oder Hinweise präsentiert, von Syntaxhighlighting und Codevervollständigung mal ganz zu schweigen.
Kildalls Beschäftigung mit Mikrocomputern begann mit Intels erstem Mikroprozessor dem 4004. Er schrieb einen Emulator für diesen für die Entwicklung von Code und tauschte ihn gegen ein Enz-Wicklungssystem für den 4004 von Intel ein. Damit begann eine Zusammenarbeit mit Intel, auch wenn Kildall die meiste Zeit nur freier Mitarbeiter war. Er brachte es als Nächstes fertig für den ersten 8 Bit Prozessor 8008, dem Vorgänger des 8008 der wegen seines gewöhnungsbedürftigen Befehlsatzes und kleinen Adressraums schwer programmierbar war, einen Compiler für eine höhere Programmiersprache zu schreiben, die er „PL/M“ nannte – Programming Language for Mikrocomputers. Intel selbst sah den Chip aber als Controller – er entstand als Auftragsarbeit für CDC und sollte Terminals steuern. Das entlohnte Intel mit einem weiteren Entwicklungssystem, nun für den 8080 Prozessor. Kildall borgte sich 1.700 Dollar für einen Drucker und wollte eines der neuen 5,25 Zoll Diskettenlaufwerke, die Shugart auf den Markt brachte anschließen und entwickelte die nötige Software dazu. Leider scheiterte er an der elektromechanischen Umsetzung denn dazu musste er einen Floppy-Disk-Kontroller entwickeln. So lagen die Bauteile einige Zeit rum, bis er jemanden fand, der sich damit auskannte und die Hardware zusammenlötete. Wieder eine Parallele zu mir. In Sachen Montage habe ich nämlich zwei linke Hände. Erstaunlicherweise funktionierte das System auf Anhieb, obwohl er nichts testen konnte. 1975 verkaufte er die Entwicklung, die später CP/M heißen sollte, erstmals an IMSAI, eine Firma die einen Altair 8800 Klone baute und ebenfalls ein Betriebssystem für Disketten benötigte. Kildall erkannte das Grundproblem. Er musste die Grundroutinen für die Absteuerung des Diskettenlaufwerks an die Hardware von IMSAI anpassen. Die Verwaltung von Dateien, des Verzeichnisses etc. blieben dagegen gleich. Er trennte also das Programm in zwei Schichten auf. Eine Low-Level Schicht für das Ansprechen der Hardware und eine höhere Schicht mit den Routinen für Anwendungsprogramme plus einer Eingabeshell mit einigen elementaren Routinen. Das klingt heute trivial, auch weil seit Jahrzehnten Betriebssysteme so funktionieren. Aber es war damals eine Revolution. Es war damals nicht möglich ein Programm, das für einen Prozessor auf Computer A geschrieben war, auf einen anderen Computer B mit demselben Prozessor einzusetzen. Nicht mal UNIX, dass die Portabilität als Ziel hatte, konnte das (übrigens auch noch lange später, in den Neunzigern als ich zum ersten Mal mit Linux zu tun hatte musste man um Treiber für die Hardware einzubinden den Kernel neu compileren). Ohne CP/M wäre die Mikrocomputerrevolution wohl ausgeblieben, weil jeder Computerhersteller sein eigenes Betriebssystem entwickeln müsste und dieses zu nichts anderem kompatibel gewesen wäre. Vielleicht erinnert sich noch jemand an die Zeiten, wo man BASIC-Listings in Zeitschriften fand. Die BASIC Interpreter waren auch nicht zueinander kompatibel, ein Programm für den Apple II lief nicht auf dem C64, obwohl beide ein Microsoft BASIC einsetzten.
Mit CP/M kam der geschäftliche Erfolg und die Firma wuchs. Als IBM auftauchte, arbeitete Digital Research gerade an MP/M-86. Das Acronym stand für Multiprozessing-Monitor. Es war eine Version von CP/M für den 8086 Prozessor. Sie konnte mehrere Programme von mehreren Nutzern gleichzeitig ausführen. In Kildalls Augen das sinnvollste Betriebssystem für den 8086 Prozessor. Seine Rechenleistung reicht dafür aus. So hätte man an einen PC mit seriellen Karten einfach mehrere Terminals angeschlossen und die Rechenleistung aufgeteilt. Es unterstützte zudem Festplatten ohne die die Multiuser-Fähigkeiten relativ nutzlos waren. Als Zwischenschritt würde man eine Einbenutzerversion namens CP/M-86 entwickeln. Ich will nicht die Einzelheiten des DOS Deals hier aufrollen aber zwei Dinge hervorheben, die gerne on der Diskussion über den Besuch von IBM untergingen und die meiner Ansicht nach entscheidend waren:
- IBM wollte das Betriebssystem nicht lizenzieren, sondern eine Fixsumme zahlen
- IBM wollte es in „PC-DOS“ umbenennen.
Beides ging nicht, wollte Digital Research nicht seine bestehenden Kunden nicht verprellen. Bei den ersten Verträgen zogen Hersteller noch Kildall über den Tisch, doch inzwischen hatte er dazu gelernt und lizenzierte das System nur noch, für 10 Dollar pro Kopie. IBM wollte 250.000 Dollar zahlen, was 25.000 verkauften Kopien entsprach. Zum einen rechnete Kildall mit mehr verkauften Rechnern (IBM selbst mit 250.000) und zum anderen wäre es anderen Kunden schwer vermittelbar, warum sie Lizenzgebühren zahlen und IBM nicht. Die Umbenennung war nicht möglich, weil CP/M der Produktname ist. Eigentlich selbstverständlich: Android heißt Android, egal ob es auf einem Samsung oder Motorola Handy läuft. Würde IBM das Recht haben das Betriebssystem umzubenennen, so müsste er dieses Recht jedem Kunden einräumen.
Kildall hätte gegen IBM und Microsoft wegen der Copyrightverletzung und Plagiaten klagen können, tat dies jedoch nicht. IBM selbst zahlte 170.000 Dollar freiwillig und versprach beide Betriebssysteme anzubieten – nur PC-DOS für 40 und CP/M-86 für 240 Dollar…
MPM-86 mutierte zu Concurrent DOS. Das grundlegende Problem war, das die meisten Benutzer immer nur mit einem Programm arbeiteten und wenn sie ein Zweites benötigten dann waren das meist wenige Funktionen wie ein Rechner oder das Nachschlagen von Telefonnummern. Die Programme teilten sich aber den wenigen Platz unter DOS. Es gab zwar Versionen von Concurrent DOS, die den Protected Mode ausnutzten, doch schreckten die meisten Anwender vor einem Wechsel zurück aus Furcht ihre Anwendung würde nicht mehr laufen. Für die am häufigsten benötigte Zusammenarbeit von Tabellenkalkulation, Textverarbeitung und Datenbank entstanden dann integrierte Pakete wie Symphony oder Frameworks.
Kildall arbeitete danach an einer grafischen Oberfläche, genannt GEM (Graphical Enviromement Manager). Vergleiche mit Windows 1 bieten sich geradezu an. Bill Gates kündigte Windows auf der COMDEX 1982 an, es sollte im Frühjahr 1983 erscheinen. Digital Research begann erst 1984 mit der Programmierung, kündigte es auf der COMDEX 1984 an und lieferte am 28.2.1985 aus. Microsoft Windows 1.0 erschien am 20.11.1985 …
Nun sollte man meinen, Windows wäre mit fast drei Jahren mehr Entwicklungszeit besser gewesen. Doch dem war nicht so. Fenster konnten sich nicht überlappen. Es gab keine Fenster mit Icons von Programmen, dieser „Programmmanager“ wurde erst 1990 mit Windows 3 eingeführt. Stattdessen war eine Schmalspurversion dessen was man heute „Explorer“ nennt die Shell. Nützliche Hilfsprogramme gab es nicht. GENM kam dagegen mit zwei Anwendungen, die wirklich brauchbar waren GEM Draw und GEM Write. Wäre Kildall so geschäftstüchtig gewesen wie Gates, so würden wir sicher heute alle unter GEM arbeiten. Aber er wandte sich anderen Dingen zu, nur etwas Bestehendes verbessern, das war nicht herausfordernd genug. Immerhin war GEM so gut das Apple klagte, weil es Mac OS zu ähnlich war. Das taten sie auch bei Microsoft, aber erst Jahre später, als Windows auch ähnliches wie Mac OS konnte und das war bei Version 3 der Fall. Es wurden einige Details und Icons geändert und die Sache war vom Tisch. GEM wurde zusammen mit dem Unterbau CP/M-68K übrigens dann doch noch ein populäres Betriebssystem, und zwar auf dem Atari ST, dort umbenannt in TOS (The Operating System oder Tramiel Operating System, je nach Gusto).
Gar Kildall entwickelte ein Dateisystem für Videodiscs um auf ihnen Daten zu speichern, brachte eine Enzyklopädie heraus, die Hypertext als Navigation nutzte. Er passte das später für CD-ROMs an. Das war 1984-85. Bis CD-ROMS populär bei PC’s sein sollten, verging eine Dekade, das heutige Dateisystem für CD-ROMs basiert auf dem von Kildall, erneut war er seiner Zeit voraus. Daneben comoderierte er jahrelang eine Fernsehsendung: „The computer chronicles“ und bracht darin auch seine Technikexpertise ein.
Kildall verkaufte seine Firma 1991 an Novell für 120 Millionen Dollar. Einige Jahre vorher wollte er sie sogar an Bill Gates verkaufen, doch der wollte seinen Verkaufspreis von 26 Millionen nicht zahlen und bot nur 10. Er wird sich geärgert haben, denn nun brachte Digital Research ein eigenes DOS heraus. Das besser und billiger als MS-DOS war. Schnell gewann es Marktanteile und Microsoft musste den Preis senken, was Gates nach eigener Aussage 30 bis 40 Prozent des Umsatzes kostete. Ich dachte früher immer die Utilityschwemme von MS-DOS 6 war gegen die vielen Hersteller von Utilities wie Symantec oder PC-Tools gerichtet. In Wirklichkeit zog man nur mit DR-DOS gleich, das diese Hilfsprogramme schon zwei Versionen früher bot. Novell klagte übrigens später gegen Microsoft, weil diese Druck auf IBM und andere PC-Hersteller ausübten nicht DR-DOS einzusetzen und es im Windows 3 Code eine Abfrage der DOS-Version gab, die ein Starten von Windows verhinderte (war im ausgelieferten Produkt aber nicht enthalten). Man einigte sich in Form von Anteilen an Microsoft, deren Wert das Wall Street Journal auf 275 Millionen Dollar schätzte.
Gars Kildall litt die letzten Jahrzehnte darunter, dass er permanent darauf angesprochen wurde, ob er denn tatsächlich fliegen war, als IBM im August 1980 erschien. Er überlegte schon Kassetten mitzuführen, um die Story nicht jedes Mal neu erzählen zu müssen, fand aber das er sich das sowieso schenken konnte, weil die Leute nicht seine Version in Erinnerung behielten. Er schrieb vor seinem Tod noch eine Autobiografie, genannt „Computer Connections“, die lange Zeit nicht veröffentlicht wurde. Erst 2016 hat seine Familie die ersten 78 Seiten online gestellt. Sie enden 1978, wahrscheinlich aus dem gleichen Grund, warum in den zwanzig Jahren seit seinem Tod das Manuskript nicht erschien, man befürchtete wohl Klagen von Microsoft und IBM. So beschränkt man sich auf die Zeit davor. Einige Passagen findet man im Kapitel über Gary Kildall im Buch „They Made America“ und da gibt es Sätze wie „He is divisive. He is manipulative. He is a user. He has taken much from me and the industry.“ über Bill Gates.
Gary Kildall starb am 11.7.1994 an einem Aneurysma, dass er sich zugezogen hatte, als er drei Tage vorher stürzte und mit dem Kopf aufschlug und das bei einem Klinikaufenthalt nicht bemerkt wurde. Bill Gates kam nicht zur Beerdigung, noch hat er jemals seitdem in einem seiner zahllosen Interviews Kildalls Arbeit gewürdigt, ohne die er sicher heute nicht so reich wäre, wie er ist.