Bernd Leitenbergers Blog

Da kommt was auf und zu

Das Thema, das ich heute mal anreisen will, kann man in zwei Grafiken sehr gut veranschaulichen. Sie basieren auf den Trägerstatistiken, die ich anfertige. Für 2020 kann man folgende Bilanz aufstellen:

Trägerfamilie Nutzlasten Nur Starts Erfolgreich [%]
Angara

1

1

100,00

Antares

13

2

100,00

Ariane

7

3

100,00

Atlas

8

5

100,00

Chang Zheng

89

34

94,12

Delta

1

1

100,00

Electron

65

7

85,71

Falcon

859

25

100,00

H-II

4

4

100,00

Kuaizhou

6

4

50,00

Minotaur

4

1

100,00

Private

1

1

100,00

Proton

2

1

100,00

R-7

140

15

100,00

PSLV / GSLV

11

2

100,00

Shavit

1

1

100,00

Small

4

3

0,00

Taepodong

2

2

50,00

Vega

68

2

50,00

Und folgende Grafik erstellen:

Sehr deutlich wird das die Falcon die meisten Nutzlasten letztes Jahr startete, das verwundert nicht, wurden doch bei (fast) jedem Starlink Start 60 Satelliten gestartet und darauf entfielen die meisten der 25 Starts. Häufiger startete die Chang Zheng Familie, die aber nur ein Zehntel der Nutzlasten beförderte.

Schauen wir uns den Trend über die Zeit an, dann fällt der rapide Anstieg in den letzten Jahren auf. Letztes Jahr war es Starlink, doch schon in den Jahren zuvor stieg die Zahl der Nutzlasten rapide an.

Es gibt aber nicht nur in der Menge – letztes Jahr waren es 525 Starts, dieses Jahr 1.285 – sondern auch in der Art der Satelliten. Der Anstieg in den letzten Jahren beruht vor allem auf Cubesats. Ein Cubesat ist standardisiert. Der kleinste ist ein Würfel von 10 cm Kantenlänge. Größere haben dann 3 Einheiten (3U) oder 6U Größe – 30 x 10 cm oder 30 x 20 cm. Die Gefahr die von Cubesats ausgeht ist klein. Wenn ich von Gefahr spreche, dann ist die Gefahr gemeint, das es zu einer Kollision kommt. Bei Geschwindigkeiten von 7 km/s im Orbit können sich Satelliten mit bis zu 14 km/s begegnen, wenn der Winkel der Bahnvektoren zueinander 180 Grad beträgt. Relevant, ob es zu einer Kollision kommt, ist die Fläche eines Satelliten. Selbst ein 6U Cubesat hat nur eine Fläche von maximal 0,06 m². Selbst ein kleiner Forschungssatellit dagegen eine von mehreren Quadratmetern, wozu dann noch die Solarzellenausleger kommen. Berechnet man die „Dichte“ eines Satelliten, sprich das Verhältnis Gewicht / Volumen, dann sind Cubesats sogar relativ dichte Objekte. Ich nehme mal als Vergleich den Sentinel 3, einen Erdbeobachtungssatelliten von 1.245 kg Startmasse. Er hat ein Volumen von 3,7 x 2,2 x 2.2 m, mithin eine Fläche von 8,14 m² an vier von 6 Seiten. Je nach Kolissionsrichtung käme dann noch der Solarzellenausleger hinzu, der weitere 10,5 m² aufweist. Ich lasse ihn in den Betrachtungen mal weg, denn auch Cubsats haben Ausleger und neben der unbekannten Größe hängt dann viel von der Orientierung ab. Sentinel hat bei 8,14 m² Fläche die 814-fache Fläche eines 1U Cubesats und die 135-fache eines 6U Cubesats. Entsprechend größer ist das Risiko, das er getroffen wird – nicht nur von einem anderen Satelliten, sondern auch kleinen Teilchen. Bei den Geschwindigkeiten können schon Schrottteilchen von 1 cm Größe zur vollständigen Zerstörung des Satelliten führen, kleine immerhin dazu, dass einige weitere Bruchstücke freigesetzt werden. Im Umkehrschluss heißt das auch: wenn man 100-mal mehr 1U Cubesats startet so hat man das Kolisionrisiko nicht mehr erhöht, als wenn man einen Sentinel 3 startet.

Mit Starlink ändert sich das. Jeder Satellit ist in etwa so groß wie ein kleiner Forschungssatellit. Wie genau weiß keiner, ich fand zwei Schätzungen. Hier nimmt einer die Größe der gefalteten Satelliten in der Nutzlasthülle auseinander und kommt auf 3,2 x 1,6 x 0,2 m, die 0,2 m Höhe sind aber die gefaltete Höhe, wahrscheinlich entfalten sie sich im Orbit noch. Woanders schätzt man 2,8 x 1,4 m ohne Ausleger und Höhenangabe. Wahrscheinlich ist aber die Höhe deutlich geringer als die Löänge und Breite. Anders als beim Sentinel gibt es so einen ziemlichen Unterschied in den Seitenflächen, Doch nimmt man als Fläche 2,8 x 0,4 m (doppelte Höhe nach Entfalten) an, so hat ein Starlink-Satellit die 18-fache Fläche eine 6U Cubesats. Realistischerweise wird man die Ausleger hinzuaddieren müssen. Denn als Kommunikationssatellit braucht ein Starlink Satellit eine große Antenne und Solarzellenausleger damit diese genügend Strom für leistungsstarke Sender liefern. Für große Ausleger spricht auch, das die Satelliten problemlos mit dem bloßen Auge beobachtbar sind, was man nicht von den meisten Satelliten sagen kann. Das Kolissionsrisiko ist damit erheblich höher als bei den Cubesats.

Und es sind noch mehr Satelliten als bei den Cubesats, somit gibt es ein rapides Ansteigen des Kolissionsrisikos durch die Anzahl kombiniert mit der Fläche. Dabei sind die rund 1.000 Satelliten im Orbit erst der Anfang. 42.000 hat SpaceX geplant. Vergessen wird das Oneweb ja auch etwas Ähnliches vorhatte. In der ersten Ausbaustufe deutlich kleiner als Starlink, sollte die zweite noch größer werden: 47.484 Satelliten. Nun hat die Firma das verkleinert auf 6.372 Satelliten. Das sind immer noch mehr als es derzeit überhaupt Satelliten/Sonden gibt die nicht wieder eingetreten sind (6.367) und von diesen sind ein Fünftel – 1.261 noch nicht mal ein Jahr im Orbit. Das zeigt das rapide Ansteigen der Bedrohung. Dagegen sind Amazons Pläne mit „nur“ 3.200 Satelliten klein. Andere Anbieter mit kleineren Flotten sind auch in der Vorbereitung.

Es ist abzusehen, das dies Folgen hat. Zum einen natürlich die Zunahme der Manöver um Kollisionen zu vermeiden. Bisher gab es weltweit drei Ausweichmanöver pro Tag. Alleine Amazons Satelliten werden dazu führen, dass diese Manöver auf acht pro Stunde steigen. Dann wird man das nicht mehr manuell durchführen können. Ein System, das diese automatisch verhindert, gibt es aber noch nicht, nicht mal Regeln, wer wem ausweicht. Das zeigte sich ja schon, als die ESA am 3.9.2019 mit ihren Satelliten ADM-Aeolus dem SpaceX-Satelliten Starlink-44 – nicht mal fünf Monate früher gestartet von dem ersten Batch – ausweichen musste. Man schickte eine Notifikation an die für diese Zwecke hinterlegte Email-Adresse. Reaktion: Null. Wie immer bei SpaceX arbeitet man „inkrementell“. Sprich man kümmert sich erst um Dinge, wenn etwas passiert. Dies ist schlimm. Noch schlimmer: da bei immer mehr Satelliten solche Manöver häufiger werden und selbst wenn sie alle klappen und es einen automatischen Mechanismus gibt, der den richtigen Satelliten benachrichtigt und dieser alles korrekt ausführt, dann ist doch klar: Jedes dieser Manöver kostet Treibstoff. Satelliten haben zwar eine höhere Lebensdauer als ihre Soll-Betriebszeit, aber sie brauchen Treibstoff um ihre Bahn zu erhalten und vor allem um periodisch die Drallräder zu entsättigen, die man für Drehungen verwendet. Irgendwann ist der zu Ende und wenn schon wie berechnet, es zu 24-mal öfteren Ausweichmanövern kommt, dann geht der Treibstoff rasch zu Ende. Der Forschungs- oder Anwendungssatellit, die meisten ja ziemlich teuer ist, ist dann wertlos.

Man wird wahrscheinlich nicht verhindern können, dass diese Konstellationen kommen. Ich persönlich hoffe, dass die beiden Netze die noch im Aufbau sind, nicht so viele Kunden haben wie gewünscht und man sie nach der ersten Ausbaustufe nicht weiter ausbaut und das vielleicht die anderen Firmen abschreckt, auch solche massiven Konstellationen zu bauen.

Aber wenn dem nicht so ist, dann müssen Regularien her. Ich denke auch das die Regularien nicht alle Satelliten gleichbehandeln. Es kann nicht sein, das der 481 Millionen Euro teure ADM-Aeolus einem Starlink-Satelliten ausweichen muss, der zusammen mit 59 anderen gestartet wurde und wahrscheinlich um 1 bis 2 Millionen Euro kostet. Noch klarer wird dies, wenn wir von der ISS reden. Die kann ja nicht dauernd irgendwelchen Satelliten ausweichen und sie ist ziemlich groß. Wer Tausende von neuen Satelliten in dne Orbit bringt, sollte dazu verpflichtet werden, dass er immer ausweicht.

Das Zweite ist die Lebensdauer der Satelliten. Nach Wikipedia von heute sind von den 1.015 gestarteten Starlinks nur noch 951 im Orbit. Wie viele davon arbeiten, ist offen. Viasat, die eine Beschwerde an die FCC richtete sprach von 7 % defekten Satelliten, das ist bedenkt man, dass die Satelliten im Mittel gerade mal ein Jahr alt sind, viel. Schön, wenn die Betreiber der Konstellation wie Amazon und Starlink zusichern, ihre Satelliten aktiv zu deorbitieren und sich nicht auf der 25-Jahrefrist ausruhen. Doch das geht nur, wenn der Satellit noch reagiert. Satelliten können auch einfach so ausfallen. Prominentestes Beispiel ist der busgroße Umweltsatellit Envisat, der am 8.4.2012 einfach verstummte. Niemand weiss warum. Ich meine: jeder Satellit sollte eine Möglichkeit haben, das er auch deorbitiert werden kann, wenn seine Hauptelektronik ausfällt. Ich hatte mir mal schon Gedanken gemacht und halte eine Art Ballon – angelehnt an die Ballonsatelliten der frühen 60-er Jahre wie Echo 1 für eine gute Idee. Das funktioniert rein passiv durch die Abbremsung der Atmosphäre. Der Ballon wiegt nicht viel und ist zusammengefaltet klein. Nötig ist nur ein Auslösemechanismus, der erheblich zuverlässiger als die Elektronik des Satelliten ist. Als Lösungen könnte man ihn vom Boden aus über Funksignal auslösen, einfacher wäre aber wohl ein einfacher Zeitgeber, der vom Satelliten laufend zurückgesetzt wird. Fällt der Satellit aus und läuft eine sinnvolle Frist für Rettungsmaßnahmen – einige Wochen bis Monate ab, so löst er die Gaskartusche aus, die den Ballon aufbläst. So kann man selbst Satelliten aus großer Höhe schnell deorbitieren. Echo 2 war in etwa 1150 km Höhe, also der von Oneweb-Satelliten und trat nach weniger als 5,5 Jahren wieder in die Atmosphäre ein. Normal hat ein Satellit in dieser Höhe eine Lebensdauer, die im Bereich von Jahrhunderten bis Jahrtausenden liegt. Eine ähnliche Technologie hat die DLR entwickelt, ein 25 m² großes entfaltbares Sonnensegel. 2015 wurde es getestet. Allerdings ist es Stand heute immer noch in einem 627 x 649 km Orbit (Startorbit war 635 x 657 km), also nach fünf Jahren kaum abgesunken.

Meiner Ansicht nach sollte man sowohl Ausweichregeln wie auch die verbindliche Integration von Deorbitmaßnahmen festlegen, und zwar jetzt, bevor man diese Konstellationen weiter ausbaut und damit Fakten schafft. SpaceX hat übrigens das Starship schon zum Einsammeln von „Orbital debris“ angeprisen. Hmmm, jetzt wird mir so langsam klar, wofür es überhaupt entwickelt wird: 7 % Ausfallrate pro Jahr, da müssen sie in einigen Jahren jede Menge der eigenen Satelliten einsammeln.

Immerhin es gibt Hindernisse für die Konstellationen. Die Starlinks wurde bisher in 53 Grad geneigte Umlaufbahnen gestartet. Die Satelliten können damit in etwa Regionen bis zu diesem Breitengrad versorgen. Das wären z.B. die USA aber auch Deutschland. Für Schweden, Norwegen, Russland wäre die Bahnneigung zu gering. Daher sollen Satelliten in polaren Bahnen sie ergänzen. Weil in diesen Bahnen aber viele Erdbeobachtungssatelliten die Erde umkreisen, hat die FCC erst mal nur 10 Satelliten von SpaceX für diese Bahn genehmigt. SpaceX wollte 58 Satelliten starten. Das SpaceX sich an die FCC wendet (Federal Communications Commission, eine US-Behörde), zeigt aber schon das Kernproblem. Die Satelliten sind in einem Orbit. Sie bieten nicht nur ihre Dienste weltweit an, sondern sie bereiten auch allen anderen Betreibern von Satelliten weltweit Probleme. Wir brauchen für diese Megakonstellationen eine international zuständige, von einem einzelnen Staat unabhängige Behörde, deren Beschlüsse dann auch international verbindlich sind. Da wir so was aber noch nicht mal im UN-Sicherheitsrat (Stichwort: Veto) hinbekommen, glaube ich kaum das es jemals dazu kommen wird. Richtig lustig wird es dann, wenn ein Unternehmen, das kann, auch halbstaatlich oder staatlich sein aus einem anderen Staat, z.B. China auf die Idee kommt eine solche Konstellation aufzubauen und dieses Unternehmen muss sich dann auch nicht mehr nach der FCC richten. Angesichts der vielen Träger, die China baut, der rapiden Zunahme an Starts und Pläne, die bis hin zu Mondmissionen gehen, ist das nicht unwahrscheinlich das China auf den Zug aufspringt.

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