Artemis und der Halo Orbit
Das aktuelle Mondprogramm, das nun Artemis heißt – zumindest eine Reminiszenz an Apollo wird in vielem anders sein als Apollo. Heute geht es nur mal um den Orbit.
Zuerst mal zum Namen. Die Amerikaner haben ja ein gewisses Faible für römische und griechische Bezeichnungen bei ihren Weltraumunternehmungen – bei den Trägerraketen findet man Atlas, Pegasus und Titan, bei Raumfahrtprogrammen Juno und Apollo. Für mich ist das immer verwunderlich, da ich von US-Dokus die eingedeutscht ja inzwischen bei uns zuhauf laufen weiß das in den USA selbst Menschen mit einem Professorgrad die griechischen Eigennamen falsch aussprechen. Aus Titan wird dann „Titen“, was so ziemlich ähnlich wie „Titten“ klingt. Das scheint aber eine US-Spezialität zu sein, so war in den US-Medien auch immer von „Gorbatchief“ die rede, während selbst Reagan als nicht Intellektueller in seiner Berlinrede korrekt von Gorbatschow sprach. Artemis wurde wohl gewählt, weil sie die Zwillingsschwester von Apollon war. Unter Bush gab es mit „Constellation“ ja noch einen englischsprachigen Begriff.
Das Artemisprogramm hat ein großes Problem, das ist das die SLS auch nach Einführung einer neuen Oberstufe etwa 10 t weniger Nutzlast zum Mond transportiert als eine Saturn V und selbst mit neuen Boostern wird man deren Nutzlast gerade mal erreichen. Dabei ist offen ob diese neuen Booster jemals kommen und für die Oberstufe EUS gibt es auch noch kein Datum wann sie einmal einsatzfähig ist.
Gleichzeitig ist die Hardware schwerer als Apollo. Bei Apollo wogen Kommando Kapsel (CM) und Servicemodul (SM) ohne Flüssigkeiten und Gase 11,4 t, diesleben Elemente der Orion derzeit zwischen 13,9 und 15,5 t – da ist sich nicht mal die englischsprachige Wikipedia einig, so gibt es für das Servicemodul im Hauptartikel zu Orion und dem zum Servicemodul unterschiedliche Werte.
Noch bedeutender dürfte der Gewichtsanstieg beim Mondlander sein. Die NASA hat sich zwar noch nicht festgelegt welchen Entwurf sie nehmen möchte, aber man will ja mehr Personen auf dem Mond landen und mit dem geringen Platz und dem Sicherheitsstandard bei Apollo wird es sicher nicht heute gehen. Immerhin könnte zumindest beim Blue Moon Konzept von Blue Origin die Mehrmasse durch den effizienteren Treibstoff (LOX/LH2) ausglichen werden, doch dafür handelt man sich neue Probleme ein, wie z.B. der Treibstoff am Verdampfen gehindert wird.
Bei Apollo lief die Mission so ab:
- Eine Saturn startete Mondlander und Kombination aus Crewmodul und Servicemodul (CSM) zusammen in einen Erdorbit. Nach zwei Umläufen und Checks des Raumschiffs bzw. Bahnvermessung durch die Traktionskontrolle bekam der Bordcomputer die Daten für die zweite Zündung und die letzte Stufe wurde erneut gezündet und brachte die Kombination auf einen Kurs zum Mond.
- Nun erst koppelte das CSM ab, vier Adapterbleche, die vorher den Mondlander umgaben und an dem CSM endeten wurden abgesprengt und das CSM drehte sich um 180 Grad, koppelte an den Mondlander an und zog ihn von der letzten Stufe weg.
- Die letzte Stufe wurde dann nochmals gezündet um sie vom LM-CSM zu entfernen oder gezielt auf dem Mond aufschlagen zu lassen.
- Etwas mehr als drei Tage später zündete das CSM sein Triebwerk und schwenkte in einen etwa 100 km hohen Mondorbit ein. Nach Inbetriebnahme des Mondlanders koppelte der ab, senkte zuerst seine Umlaufbahn so ab, dass der niedrigste Punkt in nur noch 15 km Höhe ab und leitete dann die Landung ein.
- Bei der Rückkehr ging es umgekehrt – der Mondlander, nun ohne Abstiegsstufe zündete sein Triebwerk, erreichte eine niedrige Mondumlaufbahn und koppelte an das CSM an. Die Astronauten wechselten in das CSM und der Mondlander wurde abgekoppelt und gezielt zum Absturz gebracht. Zurück flog nur das CSM, das nun erneut sein Triebwerk zündete um die Mondumlaufbahn zu verlassen. Kurz vor Erreichen der Erde wird das Servicemodul abgetrennt und nur das Crewmodul landete.
Auf dieses Szenario waren die Treibstoffvorräte ausgelegt. Das Geschwindigkeitsvermögen ist relativ gut für das Servocemodul berechenbar. Das benötigte rund 900 bis 1000 m/s um in eine Umlaufbahn einzuschwenken und sie zu verlassen. Das Servicemodul hatte Treibstoff für ein Gesamt ΔV von 2.800 m/s, das war jedoch ohne Mondlander gerechnet, dieser wurde aber auch in den Mondorbit mitgeschleppt, mit ihn kam man auf etwa ein ΔV-Budget 2100 m/s.
Bei Artemis gibt es einige Unterschiede. Derzeit reicht die SLS nicht aus um beide Teile, die man für eine Landung benötigt simultan zu starten. Man benötigt also zwei Starts, indem man z.B. zuerst den Mondlander startet und dann die Crew wieder in einem kombinierten Crew/Servicemodul. Doch dann muss man den Mondlander irgendwo parken. Die NASA will dafür ein Lunar Gateway aufbauen, im Prinzip eine Miniraumstation die zuerst angesteuert wird. Astronauten könnten dort warten bzw. man könnte unbemannt den Mondlander dorthin steuern. Erst danach würde man in den Mondlander umsteigen und landen.
Neu ist auch der Orbit, der eingeschlagen wird, es ist ein Halo-Orbit. Schon bei den Lunar Orbitern Mitte der Sechziger Jahre stellte die NASA fest, das deren Umlaufbahnen sich rasch veränderten. Der Mond ist so massearm und so nahe an der Erde, das Erde und Sonne die Umlaufbahnen innerhalb von Tagen bis Wochen verändern. Typisch ist das das Perilunäum absinkt und dafür das Apolunäum steigt. Erreicht das Apolunäum die Oberfläche so schlägt der Satellit auf. So ging es zahlreichen Raumsonden die zum Mond gestartet wurden, nachdem sie keinen Treibstoff mehr hatten um dies zu verhindern indem sie das Perilunäum laufend anhoben. Selbst bei den nur wenigen Tagen dauernden Apollomissionen sank das Perilunäum so stark ab, das mehrere Kurskorrekturen nötig waren.
Es gibt auch stabile Mondumlaufbahnen in denen sich die Kräfte ausgleichen. Auf einer solchen befindet sich z.B. der LRO und Chandrayaan-1. Eine solche mondnahe Umlaufbahn wird Artemis aber nicht anstreben, stattdessen einen Halo Orbit. Dieser Orbit führt um einen der stabilen Lagrange-Punkte im Erde-Mond System herum. Geplant ist ein Orbit dessen Entfernung von der Mondoberfläche 3.000 bis 70.000 km beträgt. Ein Raumschiff umkreist ihn alle 7 Tage, entsprechend gibt es alle 7 Tage die Möglichkeit zu landen oder von einer Landung zurückzukehren, das heißt die minimale Dauer abgekoppelt (nicht unbedingt gleich bedeutend mit der Aufenthaltszeit auf dem Mond) beträgt 7 Tage, was bei einem Tag für Landung und Rückkehr etwa 6 Tagen auf dem Mond entspricht, immerhin doppelt so lange wie bei den letzten drei Apollomissionen. Mehr als 14 Tage werden es kaum sein, denn sonst würde die Landung oder der Rückstart in der Mondnacht erfolgen.
Warum nun dieser Orbit?
Er ist eine Konsequenz der beschränkten Nutzlast der SLS. Die könnte heute nicht mal eine Orion CSM-Kombination auf eine Bahn wie bei Apollo schicken, dafür hätte das Servicemodul nicht genügend Treibstoff an Bord und wenn man diesen mitführen würde, wäre es zu schwer für einen Start mit der SLS.
Die 900 bis 1.000 m/s die Apollo für das Einschenken brauchte setzen sich aus zwei Komponenten zusammen:
- Der Differenz zwischen Fluchtgeschwindigkeit und Kreisbahngeschwindigkeit der Mondbahn (etwa 700 m/s)
- Der Eigengeschwindigkeit von Apollo bei Erreichen des Mondes
Der Halo Orbit liegt höher. So ist die Differenz zur Fluchtgeschwindigkeit kleiner. Die Eigengeschwindigkeit die abzubauen ist bleibt, aber das ist der kleinere Teil. Um in den elliptischen Halo Orbit einzuschwenken und ihn zu verlassen benötigt man nach NASA-Angaben 840 m/s, das ist weniger als Apollo nur zum Einschwenken in den Orbit brauchte.
Kurz der Halo Orbit spart Treibstoff, etwa die Hälfte ein. Das nicht nur beim CSM, sondern auch beim Mondlander, der ja separat gestartet wird. Bei dem allerdings nur auf den ersten Blick. Denn vom Halo Orbit aus muss er ja landen und dann muss er:
- zuerst das Perilunärum ansenken
- dann die Geschwindigkeit abbauen
In der Summe benötigt er gleich viel wie bei einem normalen Orbit, nur das er diesmal den ganzen Treibstoff selbst mitführen muss, auch den zum Einschwenken in den Halo Orbit.
Ei Apollo hatte der Mondlander ein ΔV-Budget von 2.500 m/s für das landen und 2.200 m/s für die Rückkehr – die Differenz ergibt sich daraus das man bei der Landung Vorräte hatte, damit die Astronauten in der Endphase schwebend den besten Landeplatz ansteuern konnten, für die Rückkehr benötigt man diesen Vorrat nicht. Das ΔV für die Landung/Rückkehr nur aufgrund der Bahn betrug etwa 1,650 m/s. Der Rest waren Sicherheitsreserve für Manövern und natürlich Verluste wie durch die Gravitation des Mondes.
Bei der Halobahn kommen 680 m/s dazu. Das ist die Differenz der Bahngeschwindigkeiten einer 100 km Mondbahn und dem Haloorbit. Dies bei der Landung und dem Start. Das bedeutet das der Mondlander schwerer sein würde. In der Summe würde bei sonst gleichen Reserven so der Apollo Mondlander von 15 t Startmasse auf rund 28 t Startmasse steigen. Er wäre also 12 bis 13 t schwerer. Die Einsparung an Treibstoff beim Servicemodul beträgt dagegen nur etwa 7 t. Allerdings benötigt dies auch für sich selbst weniger Treibstoff – 840 m/s anstatt rund 2.000 m/s benötigt es im Haloorbit um in diesen einzuschwenken und ihn zu verlassen. Bei Apollo würde das eine Reduktion des Servicemoduls von 30 auf 16 t Startmasse bedeuten. Beim gleichen Szenario benötigt der Mondlander aber auch noch Treibstoff um den Haloorbit zu erreichen – das sind weitere 4 t,1 t dazu kämen noch Tanks und Strukturen. Bei Apollo wäre der Haloorbit also ein Nullsummenspiel.
Allerdings dürfte auch der Mondlander heute schwerer sein, eine dünne Metallhaut als einziger Schutz wäre heute sicher undenkbar. Masse auf den Mond zu befördern und wieder zurück ist teuer – schon bei Apollo kamen von 15,5 t noch 2,3 t im Orbit an. Bei einem noch höheren ΔV für Landung und Rückkehr wird die Forderung nach Gewichtseinsparungen daher noch größer. Denn der Mondlander muss dieses zusätzliche Δv zweimal aufbringen – einmal beim Abstieg und einmal beim Aufstieg. Bei der Apollo Mondlandung fiel das Budget für das Einbremsen in den 100 km Orbit dagegen nur einmal an.
In der Summe ist der Halo Orbit bei einem Mondlander mit wahrscheinlich höhere Trockenmasse – für den Mondlander von Blue Origin werden 3,3 anstatt 2,3 t Trockengewicht gegenüber Apollo genannt, eher ungünstiger als ein mondnaher Orbit der ja auch langzeitstabil sein kann.
Warum strebt man ihn denn dann an?
Man kann nur spekulieren. Aber ich vermute das der geringe Schub der Orion ein Grund ist. Zwar kann man in einem Mondorbit auch mit geringem Schub einschwenken, aber muss dann aufwendig nachkorrigieren. Die Orion hat nur ein Viertel des Schubs des Apolloservicemoduls. Es geht mit geringem Schub, das zeigen unbemannte Sonden. Allerdings meist nicht aus klassischen Transferbahnen sondern Bahnen bei denen man schon vorher durch einige Zwischenbahnen das benötigte ΔV verringert hat. Das Lunar Gateway als Miniraumstation ist meiner Ansicht nach zumindest nicht zwingend möglich. Man könnte den Mondlander auch alleine im Haloorbit parken und dann mit dem CSM ankoppeln Bemannte Mondforschung aus der Umlaufbahn wird nicht mehr leisten als unbemannte Satelliten. Langfristig dürfte das sicher die bessere Lösung sein. Doch die ersten Missionen werden im Abstand mehrerer Jahre stattfinden und das Lunar Gateway muss ja auch erst mal aufgebaut werden. Dafür braucht man auch etliche Starts. Immerhin hat die NASA erreicht das andere viel leisten: Von den neun Elementen des Lunar Gateways kommen vier von der ESA und JAXA.
Guten Abend,
ich bin ein großer Raumfahrt Fan und ein großer Fan ihrer Bücher. Ich hätte da ein paar Fragen bezüglich des Artemis Programm.
Denken Sie, dass die Missionen Artemis 1 und 2 hundertprozentig durchgeführt werden? Was würde passieren falls der Start von Artemis 1 fehlschlägt?
Wird das Artemis Programm so enden wie das Constellation Programm, indem es später durch Kostenexplosionen für nicht durchführbar erklärt wird?
Erstmal vielen Dank Herrn Leitenberger für Ihre Antwort.
Ich grüße Sie aus Ostfildern,
D. Nguyen
Constellation wurde ja nicht komplett eingestellt. Die Orion hat überlebt und die SLS als kleinere Version der Ares V auch. Zudem hat man in den letzten 10 Jahren viel Geld in das Projekt gesteckt und nun steht es ja vor dem ersten Start während 2011 nichts von Constellation fertig war.
Die Biden Administration wird nach ersten Angaben Artemis weiter finanzieren, zudem wurden erst vor wenigen Wochen weitere Service Module bestellt welche die ESA fertigt. Gerade diese internationale Beteiligung wird es schwer machen das Projekt einzustellen auch wenn die Kosten steigen.
Ich sehe ehrlich gesagt auch nicht was an Artemis I so riskant sein soll, das es scheitern soll. Das unbemannte Einschwenken in einen Mondorbit und die Rückkehr ist etwas was Satelliten seit 1966 routinemäßig machen. Gut es gibt das Risiko eines Fehlstarts der SLS, doch die ist fertig entwickelt. Deswegen wird man sie nicht einstellen.
Ich glaube eher das man bei Geldmangel an dem Lunar Gateway spart, das aus nicht weniger als 9 Elementen besteht.
Sie können ja mal vorbeikommen, von Kemnat nach Ruit sind es keine 3 km. Ich hatte zwar schon Journalisten aus ganz Deutschland und den Niederlanden zu Besuch, aber noch nie einen meiner Leser persönlich kennengelernt.
Erstmal Vielen Dank für Ihre Antwort. Ich war damals, als ich noch klein war (sehr klein) ein großer Befürworter des Constellation Programms und war sehr enttäuscht, dass es eingestellt wurde. Denn ich habe damals wie noch heute, die Hoffnung irgendwann Menschen auf dem Mond laufen zu sehen. Sowas erlebt man nicht oft. Vielleicht Sie, mit dem Apollo Programm?! Mal sehen ob es dieses Mal mit dem Artemis Programm klappt.
Vielleicht können Sie mal in Zukunft, falls alles klappt ein Buch über das Artemis Programm bzw. Orion MPCV, SLS und das Lunar Gateway schreiben. 😉 . Wäre ziemlich „cool“ zum lesen. Ich würde es als erster kaufen.
Ich wohne nicht wirklich weit weg von Ruit. Sie kennen bestimmt das L-Quadrat beim Scharnhäuser Park, da in der Nähe wohne ich. Deshalb ist Ruit wie meine eigene Westentasche. Manchmal fahre ich auch mit dem 131 zur HS Esslingen, der kommt ja von Ruit. Aber es ist ja zurzeit Online Semester…….
Es grüßt Sie aus Ostfildern,
Duc Lo Nguyen