Als Laie denkt man ja, dass bei dem Forschungsanteil der Raumfahrt die Wissenschaft im Vordergrund steht. Doch das Gegenteil ist oft der Fall. Es werden Missionen genehmigt, wie populär sind oder bestimmte „Buzzthemen“ bedienen. Ein Beispiel ist die Venus – rein technisch ist sie der am schnellsten und mit am wenigsten Aufwand erreichbare Planet. In der Realität ist es aber so, das durch die Unmöglichkeit von Leben und den Aufwand für Sonden, die landen oder nur in der Atmosphäre verbleiben sollen, es kaum Missionen zur Venus gibt. Die letzte US-Mission war Magellan, gestartet 1990. Seitdem gab es nur je eine europäische und Japanische Mission. Selbst China und Indien, Newcomer bei der Raumfahrt jenseits der Erde haben zuerst einmal den Mond und Mars ins Visier genommen.
Mars hingegen wird dauernd besucht, bei diesem Startfenster sogar von drei Sonden aus drei Nationen – hätte der Exomars Rover „Rosalindt Franklin“ seinen Zeitplan einhalten können, wären es sogar vier Sonden gewesen, was ein neuer Rekord gewesen wäre. Es ist auch kein Problem für Marsmissionen sehr hohe Mittel genehmigt zu bekommen, so kostet Perseverance über 2 Mrd. Dollar und damit in etwa dreimal so viel wie eine der Orbitersonden der USA um denselben Planeten, wie MAVEN oder MRO. Ein ähnliches Beispiel ist OSIRIS-REx. Als die Sonde vor einigen Wochen ihren Heimweg antrat, berichteten die Medien den Asteroid Bennu habe man als Ziel ausgesucht, weil er mit der Erde kollidieren könnte. Diese Information stammt sicher von der Presseabteilung der NASA. Nun kreuzt Bennu die Erdbahn, aber der nächste nahe Vorbeiflug ist 2060 in fast doppelter Mondentfernung und erst in über 100 Jahren gibt es nahe Vorbeiflüge mit einem Kollisionsrisiko von etwa 1 zu 3.000. Es gäbe sicher andere Kandidaten mit höherem Risiko und das war auch nicht das primäre Kriterium für die Auswahl, sondern die leichte Erreichbarkeit.
Wenn es zwei Himmelskörper gibt, die exemplarisch zeigen, dass die Auswahl von Zielen sich nicht daran richtet, wie man möglichst viel Wissenschaft für eine bestimmte Summe bekommt, dann sind es die Marsmonde Phobos und Deimos.
Die Monde umkreisen den Mars in etwa 6.000 und 20.000 km Distanz zur Oberfläche auf äquatorialen Bahnen. Damit sind sie extrem leicht erreichbar. Sie gelten als eingefangene Asteroiden, das heißt, wenn man sie untersucht so sollte, man auch mehr über die Asteroiden in dieser Region erfahren. Vor allem aber liegen sie am „Wegrand“. Jede Marssonde könnte sie mit nur geringem Zusatzaufwand erforschen. Trotzdem ist die Zahl der Vorbeiflüge an diesen Monden klein. Die Viking Orbiter führten einige nahe Vorbeiflüge an Phobos und Deimos durch, dafür wurde ihre Bahn gezielt abgeändert. Für Deimos sind die dabei gewonnenen Bilder bis heute die einzigen Nahaufnahmen, die es gibt. Phobos wurde einmal von Mars Global Surveyor bei seiner Aerobraking Bahn passiert. Mars Express, der einzige künstliche Marssatellit, dessen Bahn Phobos kreuzt, hatte einige nahe Vorbeiflüge ohne gezielte Bahnänderungen und führte auch einige Vorbeiflüge mit Bahnanpassungen durch, um der Phobos Grunt Mission zu assestieren. Das war es in 50 Jahren Marsforschung mit Raumsonden! Selbst die Hope Mission der arabischen Emirate, die sich zumindest in der Distanz Deimos mehr nähert, wird aufgrund des Bahndesigns ihm nicht wirklich nahe kommen.
Zu erwähnen wären natürlich die beiden Phobos Missionen Russlands und Phobos Grunt. Sie scheiterten aber alle, bevor sie wirklich Daten lieferten, die man nicht vorher schon von anderen Missionen hatte.
Nun plant Japans Raumfahrtagentur JAXA die Mission MMX (Martian Moons Exploration), die im wesentlichen eine Wiederholung von Phobos Grunt ist. Von Phobos werden Bodenproben genommen und zur Erde zurückgebracht. Deimos wird nur durch nahe Flüge passiert. Der Treibstoffvorrat lässt eine Bodenprobenentnahme dort nicht zu.
Ich möchte heute mal versuchen zu evaluieren, ob mit Ionentriebwerken nicht auch ein Besuch von Deimos möglich wäre.
Ich habe mir zum Ziel gesetzt, das diese Mission mit Ionentriebwerken durchgeführt werden soll. Meiner Ansicht nach spricht viel dafür. Die mission ist ja auch so schon lange beim Mars. Würde man diese Phase um ein Startfenster verlängern so hätte man 26 monate Zeit um die Bahnänderungen durchzuführen. Dafür sollte dann auch der Besuch Deimos möglich sein.
Leider ist über die MMX Mission wenig bekannt, sowohl was Bahndesign wie genaue Massebilanz angeht. So gibt es zwar ein Propulsion Module dessen Treibstoffmenge bekannt ist. Aber auch die beiden anderen Module haben jeweils einen Antrieb, sodass ich davon ausgehe, das dieses Propulsion Modul nur genutzt wird, um zu Phobos zu kommen, also für das einbremsen in den ersten Marsorbit und Anpassung der Bahn an die von Phobos. Ähnlich war der Plan ja auch bei Phobos Grunt. Was ich aber machen kann: ich habe die Startmasse und kann die Geschwindigkeitsänderungen berechnen und damit den Treibstoffanteil, wenn ich nichts abtrenne – das Abtrennen von Teilen als Option habe ich ja auch bei Ionentriebwerken.
Um beim derzeitigen Stand des Einsatzes zu bleiben und die Mission nicht übermäßig zu verändern, beschränke ich den Betrieb von Ionentriebwerken auf den Marsorbit, nutze sie also nicht, um in diesen einzubremsen oder ihn zu verlassen. Das hat den Vorteil, dass man sich mit der Kalkulation der Bahnen zwischen den Planeten einfacher tut, denn die bewegen sich ja dauernd relativ zueinander. Ein kurzer Impuls wie beim Chemischen Antrieb erzeugt eine neue Bahn, während ein längerer Betrieb wie bei Ionentriebwerken eine Bahn laufend verändert.
Basis ist die Startmasse von MMX von 3030 kg. Ich gehe davon aus, das MMH/NTO Triebwerke mit einem spezifischen Impuls von 3.000 m/s eingesetzt werden. Gravitationsverluste soll es keine geben. Als dV für das Verlassen der Planeten habe ich die Optima des NASA Trajektory Browsers genommen. Schon hier gibt es eine Diskrepanz der bestimmten Startfenster zur realen MMX Mission wegen des seit Jahrzehnten Bestenden Startverbots aufgrund der Fischereiindustrie startet MMX im August 2023, etwa zwei Monate vor dem optimalen Startfenster, das im Oktober liegt. Zudem liefert der NASA Trajektory Browser als Rückflugroute die erste verfügbare, also nach zwei Jahren, während MMX erst nach vier Jahren zurückkehrt.
Die optimale Route hat nach dem NASA Trajektory Browser ein dV von 1,25 km/s über Fluchtgeschwindigkeit für Einbremsen in den Marsorbit und verlassen dessen.
Ich gehe für den chemischen Weg den gleichen wie MMX, nur das ich deren genaue Orbitdaten nicht kenne:
- Einbremsen in einen elliptischen 24-Stunden-Orbit, marsnächster Punkt 500 km
- Anheben des marsnächsten Punktes auf Phobos Umlaufbahnhöhe
- Absenken des marsfernsten Punktes auf Phobos Umlaufbahnhöhe
- Phoboserkundung (100 m/s dV fix)
- Anheben des marsfernsten Punktes auf 24 Stunden Orbit
- Absenken des marsnächsten Punktes auf 500 km
- Rückkehr zur Erde aus Phobos Umlaufbahn
Hier die minimalen dV für diese Manöver
Bahn | dV |
---|---|
Sonnenumlaufbahn → 24 h Bahn | 806 m/s |
24 h Bahn → Phobos Transferbahn | 218 m/s |
Phobos Transferbahn → coplanare Bahn | 556 m/s |
Phobos Erkundung | 100 m/s |
Coplanare Bahn → 24 h Bahn | 622 m/s |
24 h Bahn → Sonnenumlaufbahn | 911 m/s |
Summe | 3113 m/s |
Bei 3030 kg Startmasse, dem spezifischen Impuls von 3.000 m/s errechnet sich so eine Endmasse von 1062 kg.
Zur Erklärung: es ist vom Energieaufwand günstig aus einer Bahn mit einem marsnächsten Punkt zur erde zurückzukehren, anstatt dies direkt aus dem Orbit von Phobos zu tun, auch wenn ein Zusatzaufwand nötig ist. Daher habe ich dieselbe 24 Stunden bahn wieder angestrebt. In ihr könnte man dann Deimos durch nahe Vorbeiflüge passieren. Bei dieser Mission ist der Gewinn mit 33 m/s aber gering, Alternativ könnte man auch eine Transferbahn einschlagen, die nur bis zu Deimos führt, das ändert an dem Treibstoffverbrauch nichts. Aus Erkundungssicht wäre eine Bahn, die mit der Umlaufdauer von Deimos (1,26 Tage) synchronisiert ist am besten, also eine 1,26 oder 0,615 Tage Umlaufbahn.
Nun zu den Ionentriebwerken. Hier ist es schwieriger, weil es mehr Parameter zu verändern gibt. Der Missionsverlauf ist weitestgehend gleich. Das Einbremsen und Verlassen des Orbits soll rein chemisch erfolgen, sodass hier das chemische dV 1.707 m/s beträgt, entsprechend 1.314 kg Treibstoff. Das lässt nur noch 654 kg für den Ionenantrieb übrig.
Die Ionentriebwerke von Hayabusa sind die einzigen von Japan bekannten. Diese haben folgende Eckdaten:
Parameter | Wert |
---|---|
Schub: | 8 mN |
Treibstoffverbrauch | 0,3 mg/s |
Strombedarf | 350 Watt |
Spezifischer Impuls | 30.000 m/s |
Für die Ionenantriebsmission habe ich eine komplexere Route selektiert, die auch zu Deimos führt. Sie hat folgende Eckpunkte:
Bahn | dV |
---|---|
Sonnenumlaufbahn → 24 h Bahn | 806 m/s (chemisch) |
24 h Bahn → Phobos Transferbahn | < 1.805 m/s |
Phobos Transferbahn → coloplanare Bahn Phobos | |
coloplanare Bahn Phobos → Deimostransferbahn | < 786 m/s |
Deimostransferbahn → coloplanare Bahn Deimos | |
coloplanare Bahn Deimos → 24 Stunden Bahn | ~ 700 m/s |
24 Stunden Bahn → Sonnneumlaufbahn | 901 m/s (chemisch) |
Summe | 1792 m/s chemisch, ~ 3500 m/s Ionenantrieb |
Bei Ionentriebwerken verändert sich die Bahn komplex, deshalb habe ich bei den beiden Transferbahnen den Worst Case aufgeführt. Das ist die Energiedifferenz zwischen den Bahnen. Mehr kann man nicht an Energie verbrauchen. Typisch wird man etwa 10 % davon einsparen können. Lediglich beim Übergang der Deimosbahn in eine 24 Stunden Bahn finden alle Manöver in so großer Entfernung statt, dass man die Abhebung der Periapsis vernachlässigen kann.
So erhält man in etwa 3300 m/s Zusatzaufwand für den Ionenantrieb. Berücksichtigt man das die Sonde schon leichter ist, wenn sie in der 24 Stunden Bahn angekommen ist, (2319 kg) so kann man die Treibstoffmenge bei dem genannten spezifischen Impuls errechnen und kommt auf 251 kg. Ein einzelnes Triebwerk benötigt um diese Menge zu verbrauchen 270.843 Stunden – weit oberhalb der spezifizierten Lebensdauer von 10.000 Stunden. Das verwundert nicht, denn schon Hayabusa setzte fünf der Triebwerke ein, war aber sechsmal leichter, hatte aber ein kleineres dV zu erbringen und einen um den Faktor 7 kleineren Gesamtimpuls – so viele kleine Triebwerke will man aber nicht einsetzen.
Ich gehe im folgenden davon aus, das Japan ein zehnmal schubstärkeres Triebwerk entwickelt, mit einem Schub von 80 mN, einem Stromverbrauch von 3500 Watt und einem Treibstoffverbrauch von 3 mg/s. Davon werden vier eingesetzt und maximal drei gemeinsam betrieben.
Daraus ergibt sich das die Sonde eine Stromversorgung von zusätzlichen 10,5 kW benötigt. Da sich der Mars bis auf 249 Millionen km von der Sonne entfernt, entspricht dies 29 kW installierte Leistung auf der Erde.
Bei starren Arrays mit einer für große Arrays typischen Leistungsdichte von 80 W/kg entspricht dies 363 kg Masse. Der Tank wiegt bei konservativem Voll/Leermasseverhältnis von 6 weitere 51 kg. Dazu kämen vier Ionentriebwerke, deren Masse ich anhand vorhandener Triebwerke auf 11 kg pro Stück inklusive Hochspannungskonverter abschätze, bei vier Triebwerken also 44 kg. Damit sähe die Massebilanz so aus:
Parameter | Wert |
---|---|
Chemischer Treibstoff | 1.237 kg (rein chemisch als Vergleich: 1.968 kg) |
Ionentreibstoff: | 251 kg |
Tank | 51 kg |
Solarzellen | 363 kg |
Triebwerke | 44 kg |
Summe: | 709 kg |
Optimierungen
Das Gewicht ist größer als die 651 kg die wir durch Einsparen von chemischem Treibstoff gewonnen haben. Allerdings geht diese Rechnung von einem konstanten Gewicht aus. In Wirklichkeit ist es durch Verbrauch des Ionentreibstoffs zu Missionsende um 251 kg kleiner. Das spart 89 kg Treibstoff ein. Weiterhin habe ich nicht berücksichtigt, das natürlich auch beim chemischen Treibstoff Trockenmasse, nämlich die Tanks, eingespart werden. Bei einem Strukturfaktor von 11 spart dies weitere 74 kg ein. So hat man in der Summe noch eine kleine positive Marge von 105 kg.
Dabei ist dabei vieles noch nicht optimiert. Der Wirkungsgrad der japanischen Triebwerke liegt z.B. deutlich unter dem von anderen Typen, die ich kenne. Würde Japan Triebwerke von Boeing oder Airbus einsetzen, dann könnte man an der installierten elektrischen Leistung einiges einsparen die am meisten Masse ausmacht. Auch diese Stromversorgung müsste man nicht so hoch dimensionieren, denn sie ist ja für die maximale Distanz ausgelegt. Arbeitet man dort nicht mit voller Leistung, so kann man sie kleiner dimensionieren. Auslegt auf mittlere Marsentfernung spart man 18 % des Gewichts ein, da der Mars eine sehr elliptische Bahn hat.
Bei drei Triebwerken errechnet sich eine Betriebsdauer von 7.746 Stunden. Das ist deutlich unterhalb der Designlebensdauer von 10.000 Stunden als Minimalanforderung für Ionentriebwerke (es gibt auch Typen die für 15.000 oder 20.000 Stunden Betrieb qualifiziert sind). Da sich die Mission verlängern wird und dies nur um ein Startfenster (26 Monate) geht, stehen 18.720 Stunden zur Verfügung. Die Ionentriebwerke würden also weniger als der Hälfte der Zeit arbeiten. Man könnte so den gleichzeitigen Betrieb auf zwei Triebwerke reduzieren, hätte immer noch rund 3000 Stunden übrig und könnte das Stromversorgungssystem um ein Drittel verkleinern, was weitere 121 kg einspart.
Ideal wäre ein neuer Triebwerkstyp ausgelegt auf die Mission. Für eine Betriebsdauer von 500 Tagen errechnet sich als optimaler spezifischer Impuls etwa 44.500, den weist z.B. das RIT-XT auf. Dann würde (ohne redundante Triebwerke) das Ionenantriebssystem 425 kg anstatt jetzt 709 wiegen. Das erhöht die Marge auf 226 kg.
Weiterhin braucht man auch chemischen Treibstoff für die Probennahme – so klein die Körper auch sind, sie sind noch zu groß, um nur mit Ionentriebwerken zu landen und wieder abzuheben. Bei 100 m/s sind dies aber maximal 106 kg, wenn ich davon ausgehe, das dies rein mit Hydrazin-Kaltgastriebwerken (spezifischer Impuls 2200 m/s) erfolgt. Sofern die Kapsel also nicht mehr als etwa 120 kg wiegt, sollte so eine zweite Bodenprobenentnahme möglich sein.
Fazit
In der Summe wäre es möglich und es brächte mit Proben von Deimos und dessen besserer Erkundung einen Mehrwert. Deimos, der auch bei der MMX Mission ein „Verlierer“ ist, denn er wird nur durch Vorbeiflüge aber nicht wie Phobos aus der Nähe erkundet, von einer Bodenprobenentnahme ganz zu schweigen würde sehr davon profitieren.
Als Nachteil verlängert sich die Mission um zwei Jahre, ein Startfenster zum Mars. Angesichts dessen das Raumsonden heute sehr viel länger leben als ihre Mindestlebensdauer sehe ich dies nicht als Nachteil an. Akatsuki, die japanische Venusmission verpasste z.B. das Einschwenken in den Venusorbit und holte dies fünd Jahre später nach. Die Mission sollte ursprünglich 4,5 Jahre dauern und ist nun seit 11 Jahren in Betrieb, selbst mit der Verzögerung wurden inzwischen die vier Jahre im Venusorbit übertroffen.
Eventuell kann man die Zeit in der die Ionentriebwerke arbeiten auch nutzen um einen Teil der Experimente zu betreiben und den Mars zu beobachten. Das hängt natürlich von deren Auslegung ab. Drei Experimente sind nicht auf die direkte nähere Umgebung von Phobos ausgelegt, sondern Fernerkundungsexperimente zwei Kameras und ein IR-Spektrometer. Sie könnten auch auf den Mars gerichtet werden, wenngleich wegen der Auslegung der Mission auf die Erkundung Phobos aus nächster Nähe die Auflösung bei Mars dann recht grob ist.