Die Rekonstruktion der New Shepard

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Eine der tollen Neuerungen der „privaten“ Raumfahrt ist ja, dass die Unternehmen mit technischen Angaben geizen. Früher war dem nicht so. Im Gegenteil. Über die Trägerraketen, welche die NASA verwandte, konnte man jedes Detail erfahren, anders hätte ich meine Bücher über Trägerraketen gar nicht schreiben können. Zu dieser Zeit war man noch stolz auf seine Raketen. Heute gilt alles, aber auch wirklich alles als Firmengeheimnis. Das betrifft selbst so fundamentale Dinge, aus denen niemand, auch kein Konkurrent, etwas über die Funktionsweise herauslesen kann wie Massen und Abmessungen. Man stelle sich das vor das würden Hersteller anderer Fahrzeuge wie Autos oder Flugzeugen mal versuchen. Das schlimme ist, das dies auch auf die Raumfahrtbehörden übergegriffen hat. Über die SLS und die Ariane 6 bekommt man nur noch rudimentäre Informationen.

Nach der Frage von „BB“ im letzten Blog über eine Oberstufe auf Basis des BE-3 habe ich mir gedacht, ob man die Masse der New Shepard nicht berechnen kann. Hier die wenigen Daten der Rakete von Blue Origin, die ich gefunden habe:

  • Durchmesser: 3,66 m
  • Verwendet ein Triebwerk BE-3 mit 490 kN Schub
  • Brennzeit 110 s (ohne Landung)
  • Das BE-3 nutzt LOX/LH2 im Nebenstromverfahren
  • Bodenschub 490 kN, Vakuumschub 710 kN

Der spezifische Impuls des BE-3 ist unbekannt, so habe ich konservative 4200 m/s für das Vakuum angenommen. Bei einem höheren spezifischen Impuls wäre die Performance eher besser. Den spezifischen Impuls am Boden habe ich durch proportionaler Reduktion anhand der Schubangaben errechnet, das ist nicht korrekt, aber ohne weitere Angaben des Triebwerks, wie Brennkammerdruck und Expansionsverhältnis die beste Annäherung die es gibt.

Die Technik der Rekonstruktion ist recht einfach. Ich habe die Treibstoffmenge auf Basis von Schub und spezifischem Impuls und Brennzeit ausgerechnet (18,6 t) und dann die Rakete in der Simulation mit 90 Grad (senkrecht zum Boden) gestartet und so lange die Trockenmasse erhöht, bis ich auf die erreichte Maximalhöhe knapp über 100 km kam. Heraus kam dies:

Parameter Wert Einheit
Startbeschleunigung: 12,564 m/s²
Maximalbeschleunigung 33,711 m/s²
Antriebsphase: 110,08 Sekunden
Startwinkel: 90,000 Grad
Startmasse: 39.000,0 kg
Leermasse: 20.400,0 kg
Startsschub: 490,00 kN
Spez. Impuls Meereshöhe: 2.900,0 m/s
Spez. Impuls Vakuum: 4.200,0 m/s
Durchmesser: 3,660 Meter
Brennschlusshöhe: 39,929 km
Maximalhöhe: 100,15 km
Vmax: 1.098,2 m/s
Vmax (theoretisch): 2.356,8 m/s
Luftwiderstand: 183,55 m/s
Gravitationsverluste: 1.075,0 m/s
V zuletzt: 201,14 m/s
Dauer: 395,43 Sekunden
Dauer mit <0,01 g: 171,55 Sekunden

Ich komme auf eine Trockenmasse von 20,4 t, in etwa die Hälfte der Startmasse. Von dieser ginge dann noch der Treibstoff für die Landung ab und diese Trockenmasse enthält auch die Kapsel, die nach dem Ausbrennen abgetrennt wird und dann per Fallschirm landet. Schaut man sich die Daten genauer an, so ist deutlich, dass von der Endgeschwindigkeit weniger als die Hälfte in effektive Beschleunigung umgesetzt wird, der Rest geht als Aufstiegsverluste drauf.

Offen ist, ob die 110 s auch die Abbremsphase mit einschließen, für die natürlich auch Treibstoff benötigt wird. Das reduziert entsprechend die Trockenmasse, da die Endgeschwindigkeit aber auch schneller erreicht wird, sinken die Gravitationsverluste, weshalb man weniger Treibstoff benötigt, um die Zielhöhe zu erreichen. Da die Masse sich ändert, ist aber auch die abbremsende Geschwindigkeit vor der Landung variabel, denn der Luftwiderstand hängt nur von der Fläche ab.

Der ganze Zusammenhang ist also sehr komplex. Es müssen nach meiner Simulation noch 200 m/s vor der Landung abgebaut werden. Dafür benötigt man angesichts der reduzierten Masse nur rund 14 s zusätzliche Brenndauer bei vollem Schub, das bedeutet diese Phase ändert das Trockengewicht gerade mal um etwas mehr als 2 t, oder 10 % des berechneten Wertes,

Die Designauslegung dürfte die sein, dass man gerade 100 km Höhe erreicht, das heißt die „offizielle“ Grenze“ zum Weltall (es gibt mehrere Definitionen, daher die Anführungszeichen. Für die Benutzer von Vorteil bei dem Flug ist, die Startbeschleunigung gering ist, wegen des im Vakuum stark ansteigenden Schubs erreicht man aber trotzdem eine Spitze von 3,4 g. Ich habe mir trotzdem überlegt, wie die Rakete optimiert werden kann, also sie bei einem gleichen treibstoffverbauch eine größere Höhe erreicht. Das bedeutet für die Passagiere einen noch spektakulären Blick und eine längere Dauer in der Schwerelosigkeit.

Der Einbau eines zweiten BE-3 Triebwerks würde die Beschleunigungsspritze auf 6,3 g erhöhen, aber man würde 142 km Höhe erreichen und hätte 263 s Schwerelosigkeit also 90 s länger. Da das Triebwerk im Schub reduzierbar ist, wäre die Schubreduktion auf 4 g eine Option. Das würde die Brennzeit um 9 s verlängern aber an Gipfelhöhe und Dauer der Schwerelosigkeit kaum etwas ändern (3 km weniger Spitzenhöhe, 20 Sekunden kürzere Phase der Schwerelosigkeit). Hier die entsprechende Tabelle für zwei BE-7 (ich habe für das zweite Triebwerk 500 kg mehr Trockenmasse angesetzt) und Beschleunigungslimit auf 4 g.

Parameter Wert Einheit
Startbeschleunigung: 24,810 m/s²
Maximalbeschleunigung 38,545 m/s²
Antriebsphase: 64,311 Sekunden
Schub Reduktion nach: 27,369 Sekunden
Ohne Schubreduktion: 55,041 Sekunden
Startwinkel: 90,000 Grad
Startmasse: 39.500,0 kg
Leermasse: 20.900,0 kg
Startsschub: 980,00 kN
Spez. Impuls Meereshöhe: 2.900,0 m/s
Spez. Impuls Vakuum: 4.200,0 m/s
Durchmesser: 3,660 Meter
Brennschlusshöhe: 40,516 km
Maximalhöhe: 139,32 km
Vmax: 1.401,4 m/s
Vmax (theoretisch): 2.320,4 m/s
Luftwiderstand: 291,44 m/s
Gravitationsverluste: 627,63 m/s
V zuletzt: 211,42 m/s
Dauer: 406,11 Sekunden
Dauer mit <0,01 g: 241,69 Sekunden

Im Allgemeinen zeigt das New Shepard die Crux jeder suborbital senkrecht startenden Rakete auf. Es entstehen Gravitationsverluste, die man abschätzen, kann nach Brenndauer * g also hier 110 s * 9,81 m/s = 1079 m/s. Da man für das Erreichen von 100 km Höhe nur rund 1.400 m/s benötigt ist dieser Anteil sehr groß.

Die Geschwindigkeit, die man benötigt, um eine bestimmte Höhe zu erreichen, kann man berechnen

nach:

E = GM * (1/ r11/r2) * m

GM ist das Produkt aus allgemeiner Gravitationskonstante und Erdmasse, etwa 3,98×1014.

r1 und r2 sind Starthöhe und Endhöhe bezogen auf den Erdmittelpunkt, das heißt beim Start vom Meeresspiegel aus sind es 6.378.000 m. Für 100 km Höhe dann 6.478.000 m.

Die Gravitationsenergie E kann dann in eine Geschwindigkeit umrechnet werden nach:

E = ½ m v²

Die Masse des Gefährtes m steckt in beiden Thermen drin, kann also heraus gekürzt werden. Umgeformt nach v erhält man:

v = Wurzel(2*E)

Mit kleinem Fehler kann man aber auch über die klassische Berechnung des Weges gehen:

S = ½ a * t²

a ist die Schwerebeschleunigung g0 mit 9,81 m/s². So kann man t errechnen:

t = Wurzel(2 * s / a)

Und die Geschwindigkeit errechnet sich nach der klassischen Physik nach:

v = a * t

erneut mit a = g0. Diese Berechnung geht von einer konstanten Beschleunigung aus, in der Realität nimmt g0 aber mit der Höhe ab. Doch der Fehler ist relativ klein.

Der Anteil der Gravitationsverluste ist nur reduzierbar, wenn man die Brenndauer reduziert, dann hat man aber eine hohe Spitzenbeschleunigung. Der proportionale Anteil der Gravitationsverluste sinkt zudem mit steigender Gipfelhöhe, da zum einen g0 mit der Höhe abnimmt zum zweiten man eine immer höhere Geschwindigkeit für eine größere Höhe benötigt.

Die Reduktion der Brennzeit und damit dieser Verluste ist auch der Grund, warum Höhenforschungsraketen so hohe Startbeschleunigungen haben. Das von der ESA aktuell für die Höhenforschung verwendete Modell VSB-30 wiegt 2.657 kg ohne Nutzlast, die beträgt typisch 407 kg. Der Startschub beträgt 102 kN, das ergibt dann eine Startbeschleunigung von 33,3 m/s. Sie ist so, anders als die New Shepard, nach 45 s ausgebrannt und erreicht mit dieser Nutzlast 260 km Höhe. Für eine Besatzung ginge das wegen der Spitzenbeschleunigung nicht, denkbar wäre aber, dass man mehr Triebwerke einbaut als nötig und so konstant mit der maximal möglichen Beschleunigung startet und die Triebwerke laufend im Schub reduziert.

Finanziell sind mehr Triebwerke natürlich Mehrkosten verbunden, und da diese kaum von den Kunden hereinzuholen sind, fahren Blue Origin und Virgin Galactics die gleiche Strategie. Sie legen ihre Vehikel gerade so aus, dass sie die „magischen“ 100 km (bzw bei Virgin Galactics sind es sogar nur 80 km) erreichen, aber auch nicht viel mehr. Nun hat ja, nachdem Jeff Bezos angekündigt hat, beim ersten bemannten Flug der New Shepard dabei zu sein, sein Kontrahent Richard Branson angekündigt, noch vor ihm zu fliegen. Das ist etwas albern, bedenkt man das beide Firmen seit vielen Jahren an ihren Vehikeln arbeiten, aber nicht ungewöhnlich. Virgin Galactics hat bemannt sogar schon 80 km Höhe erreicht, aber mit Spaceship One, einem Experimentalgefährt und nicht mit SpaceShip Two, bei dessen Absturz der Pilot schon schwer verletzt wurde. Vor einem Jahrzehnt überboten sich auch Nordkorea und Südkorea darin, wer den ersten koranischen Satelliten startet. Auch hier arbeiteten beide Länder seit Jahren an den Raketen und hatten vorher Fehlstarts, welche beide Programme um Jahre zurückwarfen. Das Rennen gewann übrigens Nordkorea und zwar nur um wenige Wochen. Immerhin demonstrieren so beide Firmen das sie Vertrauen in ihre Fahrzeuge haben, wenn die Firmenchefs mitfliegen, anders als Elon Musk, der sogar von Marsflügen spricht, aber bisher noch nie in der Liste der Passagiere aufgetaucht ist, obwohl SpaceX inzwischen eine Reihe von kommerziellen Missionen gebucht hat und der erste Flug zur ISS nur mit Puppen stattfand. Wie der „Spaceman“ beim Falcon Heavy Jungfernflug zeigte, steht wohl Musk auf Puppen in Astronautenzügen. Weder auf den Flügen zur ISS, noch bei einer der Missionen ohne ISS Ankopplung wagt sich Musk ins All. Nun ja, das bestätigt eigentlich nur das, was ich von ihm halte. Er ist halt jemand der viel ankündigt, noch mehr verspricht und wenig selbst hält. Mal sehen ob er jemals eines seiner Raumfahrzeuge besteigt, denn angeblich will er ja mal auf den Mars auswandern, da wird sich dies nicht vermeiden lassen. Aber ich denke er wartet solange, bis es auf dem Mars denselben Komfort wie heute auf der Erde gibt, inklusive Privatjet.

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