Zeit für eine Regelung

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Der Milliardär und Gründer von Virgin Galactics (sowie anderer Unternehmen mit „Virgin“ im Namen) und geadelte „Sir“ Richard Bransom wurde nach seinem Suborbtailhopser zum „Astronauten“ erkannt. Ich fand das etwas befremdlich. Es zeigt aber auch, dass es keine richtige Definition gibt, wer ein Astronaut, Kosmonaut, Taikonaut oder „was-auch-immer-naut“ ist. Wobei natürlich offen ist wer überhaupt so eine Ehrung oder Titel verleihen darf. Für mich sah das aus als wäre das relativ willkürlich, vielleicht vergleichbar mit den für wenigen Euro kaufbaren „Doktortiteln“ amerikanischer Kirchen.

Alle Bezeichnungen der Art „xxx-naut“ sind mehr oder weniger willkürlich. Also nehmen wir den „Kosmonauten“: im Kosmos sind wir alle, denn das ist das ganze Universum, also auch die Erde. Oder der „Astronaut“: zu den Sternen (Astra = Stern) ist noch kein Mensch geflogen und wird es auch so schnell nicht, dafür sind sie einfach zu weit weg. Selbst die Raumsonden die doppelt so schnell unterwegs sind, wie bemannte Raumfahrzeuge benötigen zehntausende von Jahren, um nur den nächsten Stern zu erreichen. Taikonaut kann soweit ich es verstehe sowohl Weltraumfahrer wie auch Kosmosfahrer bedeuten. Ich finde die deutsche Bezeichnung „Weltraumfahrer“ oder „Raumfahrer“ (oder -reisende) am passendsten. Als Analogon müssten die Personen im englischen dann „Spacenauten“ heißen, im französischen tun sie es mit der Bezeichnung „Spationaut“ ja.

Aber das ist mehr eine sprachliche Feinheit. Im Prinzip kann ja jede Nation ihre Raumfahrer nennen, wie sie will. Im Mercury-Team, wo man die US-Bezeichnung „Astronaut“ festlegte, war man sogar froh, das die Russen ihre Piloten „Kosmonauten“ nannten, so gab es keine Verwechslungsgefahr. Ich benutze meist Astronaut für die Raumfahrer jeder Nation, unabhängig von der nationalen Bezeichnung. „Raumfahrer“ habe ich früher oft benutzt, doch heute muss ich dabei immer an etwas anderes denken.

Wer ist ein „Astronaut“?

Was genauso wenig geregelt ist, ist ab wann man als „Astronaut“ gilt. Das akzeptierte Kriterium ist das Überschreiten der Karman-Linie, das sind 100 km Höhe. Doch auch diese Grenze ist willkürlich gezogen.Man sieht das schon an der runden Zahl. Als physikalisches Kriterium für den Beginn des Weltraums wird üblicherweise der Übergang der Stratosphäre in die Ionosphäre genannt. Dies ist physikalisch daran festzumachen, das in der Ionosphäre vornehmlich nun nicht mehr Moleküle vorliegen, sondern geladene Teilchen, eben Ionen. Doch diese Grenze ist sehr stark von der Sonnenaktivität abhängig und beginnt je nach dieser Aktivität mal in 70, mal in 90 km Höhe. Eine aktive Sonne wie es sie um die Zeit des Maxiumum des elfjährigen Sonnenzyklus vorliegt, emittiert einen stärkeren Sonnenwind, der aus Protonen, Alphateilchen und Ionen besteht. Sie prallen auf die Atmosphäre und ionisieren dort die Moleküle. Dadurch sinkt die Grenze. In jedem Falle liegen 100 km Höhe aber in der Ionosphäre.

Daher gibt es ja auch die zweite Definition die Virgin Galactics nutzt mit einer Grenze von 80 km Höhe. Das wäre dann die mittlere Höhe, ab der die Ionosphäre beginnt. Auf die der Ionosphäre folgende nächst äußere Schicht, die Exosphäre will man sich wohl nicht einlassen, denn die beginnt erst ab 1.000 km Höhe und ihre Grenze ist noch variabler als die der Ionosphäre und wie diese ebenfalls von der Sonnenaktivität abhängig.

Letztendlich geht es bei solchen Definitionen, aber darum eine gerade Zahl als Grenze zu haben, keine physikalisch korrekte Definition. Daher auch gerade 80 km oder 100 km. Sobald man das System für die Maßeinheit Länge wechselt, sieht der so gerade Wert ganz anders aus. Die USA arbeiteten bei den Orbits sehr lange mit nautischen Meilen (abgekürzt nm), 1 nm sind 1,852 km, so findet man oft einen 185 km hohen Orbit als Referenz, dass sind genau 100 nm. Zumindest das US-Militär arbeitet auch noch mit nautischen Meilen. Genauso gut könnten die Amerikaner auch normale Meilen (1,602 km) oder Yards (0,9144 m) oder Fuß (0,3048 m) nehmen. Sie lieben doch so arg unsystematische Einheitensysteme. Zumindest in der Luftfahrt aus der vieles in der Raumfahrt entstammt, ist die Höhenangabe in Fuss noch gängig. Die Gipfelhöhen von Starship-Versuchen wurden in US-Nachrichtenportalen auch immer in 50.000 Fuss oder ähnlichem angegeben. So könnte im US-System man auch von 50 Meilen (80,45 km) oder 50 nautischen Meilen (92,8 km) ziehen oder auch 300.000 Fuß oder 100.000 Yards (91,44 km).

Kurz: diese Angabe ist absolut willkürlich und meiner Ansicht nach sinnlos.

Ich würde es anders angehen. Ein xxx-naut ist jemand der die Erdschwerkraft nicht überwunden, aber zumindest kompensiert hat. Er hätte sie überwunden, wenn er die Erde dauerhaft verlassen hätte, also Fluchtgeschwindigkeit erreicht. Das hat bisher niemand erreicht, auch die Apolloastronauten nicht. Es fehlte ihnen aber nicht viel dazu, weniger als 100 m/s.

Kompensiert hat er die Schwerkraft, wenn er die Erde umkreist, dann gleichen sich Zentrifugalkraft und Schwerkraft aus. Dann hat er zumindest die Erdschwerkraft so überwunden, dass er dauerhaft schwerelos ist.

Die Suborbitalhopser sind nicht dauerhaft schwerelos und sie unterscheiden sich von anderen Phasen der kurzzeitigen Schwerelosigkeit nur durch die Dauer. Wer irgendwo fällt und sei es nur vom Stuhl, ist immer kurzzeitig schwerelos, wenn man den Luftwiderstand mal ausblendet. Wernher von Braun soll Experimente beim Springen von einem Sprungturm ins Wasser gemacht haben. In Bremen gibt es als preiswerte Alternative zu Höhenforschungsraketen einen Fallturm der evakuiert wird. Dort ist ein Objekt einige Sekunden (bis zu 9,3) schwerelos, bevor es in einen Behälter mit Styrophorflocken zur sanften Abbremsung fällt. Und nicht zuletzt gibt es Parabelflüge, bei denen man etwa 30 Sekunden schwerelos ist – zwar weniger als bei SpaceshipTwo oder der New Shepard, aber ein Flugzeug kann in einer Kampagne Dutzende dieser Parabeln durchfliegen und so erhält man als Gesamtdauer aller Parabeln hoch addiert deutlich mehr Zwit in der Schwerelosigkeit, als bei den beiden Suborbitalfirmen.

Niemand hat die Teilnehmer dieser Parabelflüge Astronauten genannt, nur weil sie nicht die erforderliche Höhe erreicht haben. Auf der anderen Seite werden die X-15 Piloten die auch 80 oder gar 100 km Höhe überschritten haben auch nicht als Astronauten bezeichnet.

Für mich wäre das Erreichen der Orbitalgeschwindigkeit daher das Kriterium, ob sich jemand „Astronaut“ oder „xxx-naut“ nennen kann. Hinsichtlich der bisher geflogenen Astronauten die nur suborbital begannen, ändert das nichts – Gus Grissom und Alan Shepard erreichten den Astronautenstatus zwar bei ihren Suborbitalmissionen Mercury-Redstone 3 und 4 nicht, aber später in den Missionen Gemini 3 und Apollo 14. Korrekt sollte man dann auch bei Personen, die ins All fliegen wollen, aber noch nicht geflogen sind, von „Astronautenanwärtern“ sprechen. In den USA tut man dies, in Deutschland nicht wie ich bei den Meldungen über den nächsten deutschen „Astronauten“ Matthias Maurer sehe. Denn da wird unisono schon vom „Astronauten Maurer“ geschrieben.

Übernimmt man nicht diese Regelung, so sehen wir einer Astronautenschwemme entgegen. Alleine Virgin Galactics spricht von 600 Reservierungen für Flüge des SpaceShips Two.Alle Kunden haben mindestens 250.000 Dollar für einen Hopser bezahlt. Wie viele sich bei Blue Origin für die Flüge der New Shepard angemeldet haben und was es dort kostet, weiß man nicht. Die Firma hüllt sich diesbezüglich in Schweigen. Wenn das Starship von SpaceX mal tatsächlich fliegen sollte, dann soll es nach Musks Vorstellungen auch suborbitale schnelle Flüge zwischen zwei Punkten auf der Erde anbieten. Das US-Militär liebäugelt auch mit der Möglichkeit mit diesem Vehikel schwere Ausrüstung sehr schnell zu verlegen und fördert daher die Entwickelung finanziell. Dann kämen alle diese Personen, die mit dem Starship von Kontinent zu Kontinent reisen zu der Liste der Astronauten hinzu. Denn dabei werden mit Sicherheit mehr als 100 km Höhe erreicht und die Geschwindigkeit ist bei großen Distanzen sogar relativ nahe an der Orbitalgeschwindigkeit.

Wollen wir das?

Ich möchte die Inflation an „xxxx-nauten“ zumindest nicht. Ich würde auch keine besondere Bezeichnung für Suborbitalhüpfer einführen, denn diese würde dann ja auch für Parabelflieger gelten, wenn das Kriterium nicht die erreichte Höhe, sondern die Orbitalgeschwindigkeit ist (sie ist natürlich mit einer Mindesthöhe verbunden, da man auf der Erde auch in noch so evakuierten Röhren nie die orbitale Geschwindigkeit erreichen wird, dazu gibt es noch zu viel Restatmosphäre).

Ich habe die Orbitalgeschwindigkeit als Kriterium genommen, nicht das Durchlaufen eines Orbits, weil sonst Gagarin aus dem Kriterium herausfiel: Er erreichte einen Orbit, damit er aber noch auf dem Gebiet der Sowjetunion landen konnte, musste er wegen der Erdrotation entweder nach einem Umlauf oder 24 Stunden später wieder landen, da sich die Erde ja in 24 Stunden einmal unter ihm wegdreht. Um kein Risiko einzugehen entschied man sich für einen Orbit. Also bremste er vor Vollendung des ersten Orbits wieder ab und landete westlich des Startplatzes. Die folgenden Wostok-Missionen dauerten denn auch immer Vielfaches von 24 Stunden.

Aber vielleicht gibt es ja bald noch zusätzliche neue Bezeichnungen für Mondfahrer und Marsfahrer. Klingt zumindest im Deutschen nicht schlecht. Ich glaube aber das die Amerikaner wegen der Aussprache mit „Moonnaut“ oder „Moononaut“ nicht glücklich werden, eher mit „Marsnaut“ oder „Marsonaut“, wobei ich aber skeptisch bin, dass ich noch jemals einen Marsfahrer in meinem Leben sehen werde – das ist ja auch schon zu zwei Dritteln um und die Mondlandung lag weit vorne im ersten Drittel, als ich gerade mal vier Jahre alt war. Entsprechend sind die meisten Apolloastronauten auch inzwischen verstorben, obwohl sie zur Zeit der Apollo-Missionen zwischen 35 und 40 Jahre alt waren.

Geht es nach SpaceX, wird es ja bald nicht nur Menschen geben die auf dem Mars landen und wieder zur Erde zurückkehren, sondern auch Personen die dort bleiben. Wie nennen wir denn diese dann? „Marsianer“ oder „Mars-Kolonisten“ oder „Mars-Emigranten“? Immerhin, ich glaube nicht das sich Europa jemals durch eine Mauer vor „Mars Emigranten“ schützen muss.

Der passende Song zum Thema: Astronaut von Christina Stürmer

10 thoughts on “Zeit für eine Regelung

  1. Es gibt Skitaufe für erstmals Skifahrende, teilweise Äquatortaufe für Seeleute die erstmals den Äquator überqueren aber auch für Schnaps: Line Aquavit, die Urkunde für die Besteigung des Mt. Everest und den digitalen Impfausweis für Covidgeimpfte. Es zählt der Nachweis mehr als die Tat. Ein Astronaut ist ein Kosmonaut light, da ja die Anforderungen geringer sind. Für mich ist das Thema geklärt. Die X-15 Piloten wurden im Nachhinein, soweit über 80km geflogen, auch zu Astronauten erklärt

    1. Die US Air Force hat meines Wissens analog zur willkürlich definierten „Karman Linie“ ebenfalls willkürlich die Höhe von 50 Meilen (s.m. nicht n.m; 1 davon entspricht 5’280 ft oder 1,609 km, 50 Meilen also etwa 81 km) als Definition für die Grenze zum Weltraum genommen. Und laut deren Kriterium wurden Herrn Branson die Astronautenschwingen verliehen. Für all die unter uns, welche nicht dem Kommando der USAF unterstehen, ist dies natürlich bedeutungslos

      1. Ich halte wie im Artikel geschrieben jede Höhengrenze für belanglos, egal ob 80, 100 oder 200 km. Es ist einfach eine willkürlich gezogene Grenze. Die Orbitgeschwindigkeit ist dagegen ein physikalisches Kriterium.

  2. Die Silbe „naut“ wäre ja immer noch griechisch und nicht englisch.
    Ich glaube eine gute Alternative wäre Spaceman.
    Ansonsten ginge auch etwas poetischer Spacefarer.

    1. Im Nachhinein kann ich mir vorstellen, dass Frauen mit der Bezeichnung Spaceman wahrscheinlich nicht ganz einverstanden sind. 🙂
      Obwohl „man“ im englischen ja auch „Mensch“ bedeutet.

      Bei der Bundeswehr gibt es ja auch noch den Dienstgrad Hauptmann, obwohl ich mir vorstellen kann, dass der auch bald ausgedient hat. (Im wahrsten Sinne 🙂 )
      Im Moment schießt „man“ bei der Political Correctness ja gerne mal über das Ziel hinaus.

  3. Die Sache wäre sicher zur Sprache gekommen, wäre der Mercury-BD Flug mit Allan Shearer als Passagier erfolgt. Bis heute würde wohl der Flame-War über den ersten „echten“ Raumflug andauern, und die USA sich zum Sieger erklären, und die Sowjetunion herausstreichen, dass erst einige Tage später Jurji Gagarin die Erdschwerkraft überwunden hatte, und den ersten Raumflug abslvierte. Auf der anderen Seite würde wohl wiederum argumentiert werde, dass Gagarin keinen vollen Orbit absolvierte, sondern dass 1’500 km fehlten, und dass er eh hätte disqualifiziert werden müssen, weil er nicht in seinem Flugzeug landete, sondern vor der Landung mit dem Fallschirm ausstieg.
    So wie das Weltraumrennen tatsächlich ablief, gab es einen klaren Sieger, und einen klaren 2. so dass den USA nichts übrig blieb, als die Ziellinie zu verschieben, und die Mondlandung dazu erklärte

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