„Commercial“ – automatisch besser?
Lange Zeit gab es bei der NASA nur einen Ansatz für die Vergabe von Aufträgen, und bei den anderen Raumfahrtagenturen ist dieser Ansatz bis heute der Einzige. Man startet einen Aufruf in dem man die Anforderungen grob umreist und Firmen können sich mit ihren Vorschlägen bewerben. Diese werden dann gesichtet und es gibt meist noch eine zweite Runde, nun mit deutlich konkreten Anforderungen und Grenzen und einige Firmen erhalten Geld um ihre Vorschläge zu überarbeiten, vor allem zu verfeinern indem sie nun detailliert darlegen wie sie das Projekt umsetzen wollen.
Die Rückläufer werden dann nach einem Kriterienkatalog beurteilt. Meistens teilt sich dieser in zwei Teile auf: Technische Kompetenz und Management, also wie gut kann die Firma den Zeitplan und die Kosten einhalten. Es können aber auch mehr Bereiche sind. In allen erhalten sie Punkte und die werden addiert. Idealerweise erhält die Firma mit den meisten Punkten den Zuschlag. Jedoch nur idealerweise. Was macht man z.B., wenn sie in einem Bereich sehr gut ist, im anderen nur mittelmäßig? Ein Konkurrent mit etwas kleinerem Gesamt-„score“ dagegen in beiden Bereichen gut? Es gab bei vielen Projekten hier Abweichungen von der Vergabe nach dem besten Score. Am bekanntesten war die Vergabe des Shuttle Orbiters an Rockwell, ehemals North American (ja genau die Firma die das Apollo-CSM baute und dessen Fertigungsmängel für den Brandt bei Apollo 1 verantwortlich war) obwohl die Firma etwas schlechter geratet, war als Grumman. Beim Space Shuttle war viel Industriepolitik im Spiel so bekam Thiokol den Zuschlag für die Feststoffbooster, obwohl die Firma keine Erfahrung in der Fertigung großer Booster hatte, die Firma Alliant, welche die Booster der Titan – die bis dahin größten Booster weltweit fertigte, ging leer aus. Thiokol ist in Nevada beheimatet, ein Bundesstaat mit eher wenig Industrie.
Aber auch nach Auftragsvergabe endet die Zusammenarbeit nicht. Die NASA überwacht den Auftragnehmer engmaschig. Er muss jede Menge Dokumentieren und erzeugt einen Papierberg, der geprüft wird. Die NASA kann aber durchaus auch eigene Inspektoren entsenden. Berüchtigt war dafür das Marshall Space Flight Center (MSFC) unter der Leitung von Wernher von Braun. Die Firmen sprachen von „Contractorinfiltration“. Wurde etwas gefunden, so zögerte von Braun nicht, den NASA-Administrator direkt anzuschreiben. Dabei legte der seine Kompetenz durchaus großzügig aus. War er im Mercuryprogramm z.B. nur für die Redstone zuständig. Die Inspektoren des MSFC tauchten aber auch bei den Herstellern der Atlas und der Mercurykapsel auf.
Seit COTS gibt es ein neues Modell, die Abkürzung COTS drückt es gut aus „Commercial Off the Shelf“, also Kommerzielle eingeführte Technologie. Die NASA überwacht nach wie vor die Firmen. Auch diese haben nach wie vor Berichte zu schreiben. Aber sie ist letztendlich ein Kunde und die Möglichkeiten nach Vertragsabschluss noch was zu ändern sind begrenzt, vor allem vorhanden, wenn etwas nicht so funktioniert, wie gedacht.
Raumfahrtagenturen haben, wie andere öffentliche Institutionen, den Hang zu Sonderwünschen. Diese verteuern Projekte. In der Wirtschaft wird abgewogen welche Änderung, was kostet und wie viel sie bringt und kostet sie viel und bringt wenig so wird sie nicht umgesetzt, ein ähnliches Regularium gibt es bei der öffentlichen Hand in der strikten Form nicht, wie ich selbst bei meiner Zeit an der Hochschule Esslingen erlebte. Da war ich unter anderem für die Bestellungen der Professoren zuständig und da wurde sich das neueste und teuerste Spielzeug genehmigt, egal ob es das doppelte eines vergleichbaren Gegenstandes kostete. Es ist ja nicht das eigene Geld, das ausgegeben wird.
Vor allem aber bei diesem Ansatz, der gerne als „commercial“ bezeichnet wird die Firmen mehr Freiheiten die in ihrer Sicht beste Lösung zu finden und „beste“ schließt auch die Kosten und nicht nur den Nutzen mit ein. Nach wie vor werden sie aber von der NASA überwacht und die Zahlung an absolvierten Meilensteinen gekoppelt.
COTS hatte aber auch eine zweite Zielsetzung. Der NASA war es ein Dorn im Auge, das sie immer weniger Auswahl bei den Auftragnehmern hatte. Als die NASA gegründet wurde, war ihr erstes großes Projekt das Mercuryprogramm. Als sie den Aufruf nach Vorschlägen startete erhielt sie 38 Rückläufer von Firmen, die vor allem Flugzeuge bauten. Die sind in den vergangenen 60 Jahre alle großen Luft- & Raumfahrtfirmen mehr oder weniger fusioniert oder aufgekauft worden. Nur aus dem Gedächtnis, ohne aufwendige Recherche. Die drei großen Luft- & Raumfahrtkonzerne in den USA beinhalten folgende früher unabhängige Firmen: Lockheed-Martin: Lockheed, Martin, Marietta, General Dynamics. Boeing: Boeing, Mc Donnell, Douglas, North American, Rockwell. Grumman/Northrop: Grumman, Northrop, Alliant, Orbital, TRW. Ebenso sind die drei größten Triebwerkshersteller Pratt & Whitney, Rocketdyne und Aerojet heute zu einer Firma (Pratt & Whittney) verschmolzen.
Der COTS Auftrag erging daher an zwei Newcomer, die noch keine öffentlichen Aufträge erhalten hatten, Kistler Rocketplane, welche die Trägerrakete K-1 entwickelten und SpaceX welche gerade die Falcon 1 erprobten und die Falcon 5 angekündigt hatten. Als Kistler Rocketplane unfähig war den Auftrag zu erfüllen wurde Orbital als Ersatz gewählt. Orbital war zu dem Zeitpunkt schon ein etablierter aber kleiner Raumfahrtkonzern, der vor allem Zulieferer war und als größtes eigenes Produkt die Trägerrakete Pegasus anbot.
COTS lohnte sich. Die NASA gab insgesamt 816 Millionen Dollar aus, erhielt dafür zwei Versorgungsraumschiffe und die Firmen entwickelten jeweils eine eigene Trägerrakete und investierten in etwa nochmals die gleiche Summe.
Entsprechend wurden auch nur diese beiden Firmen bei dem nächsten kommerziellen Projekt, der Versorgung der ISS (Commercial Resupply Services – CRS) berücksichtigt. Ihre Investitionen sollten sich ja lohnen. Es gab auch Vorschläge der anderen US-Raumfahrtkonzerne doch war klar, dass sie keine Chance hatten. Dabei waren die durchaus interessant. Sie sahen meist kein eigenes Gefährt vor, sondern man wollte Progress, ATV oder HTV mit US-Trägern starten.
Bei Runde 2 von CRS kam noch Sierra Nevada hinzu – diesmal ohne Finanzierung der Entwicklung ihres Dreamchaser, aber eben mit einem garantierten Auftrag. Zwei bzw. drei Anbieter bei CRS, das klingt zuerst nach Konkurrenz. Doch der Sinn ist ein anderer. Die NASA befürchtet das, wenn einer der Transporter ausfällt, der Betrieb der ISS auf der Kippe steht. Das ist sicher eine Nachwehe der Erfahrungen aus dem Space Shuttle Programm. Es stand jeweils für zwei bzw. drei Jahre nach Verlusten von Shuttles und ihrer Besatzungen. Im ersten Fall waren vor allem Satellitenstarts betroffen, die nun Jahre warten mussten, bis Trägerraketen für ihren Start verfügbar waren. Im zweiten Fall war es die ISS, die schon aufgebaut wurde und die nun mehr als zwei Jahre nicht erweitert wurde. Bei der ISS machen zwei Vehikel auch Sinn, denn bei rund 20 t Versorgungsgüter für die US-Seite pro Jahr benötigt man rund sechs bis sieben Flüge pro Jahr, das ist eine genügend große Zahl um zwei Fertigungslinien aufrechtzuerhalten. Was aber nicht der Fall ist, ist das die Konkurrenz die Preise senkt. Im Gegenteil. CRS-1 ist inzwischen abgeschlossen. Der Nachfolgevertrag -CRS-2 kommt die NASA (gerechnet auf die Frachtmenge) um 14 % teurer und das, obwohl die beiden Firmen die Nutzlast ihrer Frachter durch Upgrades der Trägerraketen massiv gesteigert haben. Orbital machte sogar einmal einen unerhofften Gewinn als die Antares nicht starten konnte, weil man beschloss, die Triebwerke durch neue zu ersetzen und sie ihren Frachter mit einer Atlas V starteten – die war zwar teurer, aber hatte auch eine viel größere Nutzlast, sodass die Firma mehr Fracht befördern konnte und bei der festgesetzten Zahlung machten sie so einen zweistelligen Millionenbetrag als Gewinn. Hauptpreistreiber war bei CRS-2 aber SpaceX. Anders als bei CRS-1 wird auch nicht mehr öffentlich kommuniziert wer wie viel Geld für wie viele Flüge mit wie viel Fracht erhält.
Die derzeit letzte Ausschreibung mit mehr als einer Firma ist CCDev. In mehreren Runden wurden Forschungs- und Entwicklungsaufträge vergeben, die schließlich in der Entwicklung zweier Raumschiffe mündeten. Die Entwicklungskosten betrugen schließlich über 10 Mrd. Dollar, auch weil die Finanzierung über Jahre nicht stand. Anders als bei CRS machen zwei Raumschiffe aber keinen Sinn. Die USA wechseln die Besatzungen im 180 Tage Rhythmus, also zwei Besatzungen pro Jahr. Bei zwei Anbietern ist das nur ein Flug eines Raumschiffs pro Jahr und es wird immer zwei Anbieter geben, weil sonst die Redundanz bei dem Ausfall eines Anbieters nicht gegeben ist.
Das Mondprogramm lief dagegen bisher auf die alte Art. Orion und SLS wurden von der NASA zusammen mit den Firmen entwickelt. Auch die Aufträge für das Lunar Gateway wurden exklusiv an jeweils eine Firma vergeben, wobei man hier aus Kostengründen aber schon auf existierende Systeme zurückgriff. Völlig neu ist die Entwicklung eines Mondlanders. Der NASA Vorschlag Altair wurde ja in der Entwicklung noch gar nicht begonnen, als Constellation eingestellt wurde. Nachdem die NASA den Auftrag für die Entwicklung unter etwas mysteriösen Umständen an SpaceX vergeben hatte, wurde bald die Forderung laut, dass man eine zweite Firma zusätzlich beauftragen sollte. Die NASA erhielt auch die Mittel dafür. Ein Grund für die SpaceX-Selektion war ja, das sie nicht die Mittel hatte, die sie beantragt hatte. Inzwischen will Bezos Blue Origin bis zu 2 Mrd. Dollar Eigenmittel investieren, wenn sie auch einen Auftrag erhalten. Bezos Blue Origin ging ja schon bei dem letzten Großauftrag der USAF für Trägerraketen leer aus. Der Protest der beiden unterlegenen Firmen gegen die Entscheidung wurde inzwsichen abgelehnt. Es ist aufgrund der politischen Proteste gegen die Entscheidung, die Aufforderung einen zweiten Anbieter zu fördern und Bezos Finanzspritze aber wahrscheinlich, das auch Blue Origin einen Auftrag bekommt.
Doch das lohnt sich bei einem Mondlander noch weniger als bei der Versorgung der ISS. Derzeit sind neun Artemis Missionen mit der SLS über ein Jahrzehnt geplant also rund eine pro Jahr. Das führt zu einer maximalen Frequenz von 1 Mondlander pro Jahr. Würde man hier dies noch auf zwei Anbieter aufteilen so kommt man auf eine unwirtschaftlich niedrige Stückzahl, dass ich denke, dass die NASA sich auf einen Anbieter für die Operationen einlassen wird.
Ich glaube, wenn man allgemein mehr einen „kommerziellen Approach“ nimmt, indem man auch bei Forschungssatelliten und Raumsonden weniger selber baut, sondern einfach Grenzwerte vorgibt, was der Bus leisten muss (Unterstützung der Instrumente, Datenrate, Lebensdauer, Antriebsvermögen) und dann aus verschiedenen Angeboten das Beste heraussucht dann wäre Commercial in der Lage Kosten zu sparen und dann mehr Raumfahrt mit demselben Budget zu betreiben. Das gilt natürlich auch für NRO und DoD, die zusammen mehr Geld in „Space“ ausgeben als die NASA. Alle Agenturen generieren zum Beispiel bei Raketenstarts einen solchen Overhead, dass die Starts automatisch teurer sind. Bei der ESA ist das nicht der Fall und das klappt seit Jahrzehnten so und beim CRS und auch den bemannten Flügen zur ISS bucht die NASA aber nur Serviceleistungen also beförderte Fracht oder Astronauten und da klappt es doch auch, ohne alles ins kleinste zu überwachen.
In der Form wie bei CRS oder CCDev, das man für eine Aufgabe aber mehrere Anbieter wählt, nur um Redundanz zu haben funktioniert „Kommerzialisierung“ aber nicht. Bei CRS hätte man auch so vorgehen können, dass man die Hälfte der Transporte gleichmäßig verteilt und die andere Hälfte bekommt der billigste oder die beiden (von drei) Anbieter. So funktioniert Konkurrenz. Beim Crewtransport funktioniert mangels Anzahl der Flüge nicht mal dies. Da hätte man nach mehreren Runden, bei denen man ja auch schon die Anbieter evaluieren, konnte den besten auswählen sollen. Zwei Raumschiffe für zwei Missionen pro Jahr – purer Luxus. Im Geminiprogramm gab es 10 Missionen in 20 Monaten, also sechs pro Jahr und das mit einem Raumschiff. Apollo erreichte zur Spitzenzeit auch fünf Missionen pro Jahr. Redundanz gab es damals im Raumschiff und die bewährte sich auch bei Apollo 13.
Bei den Aschreibungen sind aus meiner icht immer noch zu viele Vorgaben. Um den Mond zu erreichen könnte die Ausschreibung auch aus nur ein paar Zeilenbestehen
Z:B so
Am 01.08.2028 und danach grnau alle 6 Monate für 10 Jahre sind:
5 Personen auf den Mond zu liefern. Am Landeort (max 200m entfernt) sollen zusätzlich 20Tonnen Fracht angeliefert werden.
nach 30 Tage sind diese 5 Personen +1 Tonne Fracht wieder sicher auf der Erde zu landen.
Festpreisangebot Pro Flug (Teuerung gem offizieller Infaltionsquote)
Es werden nur erfolgreiche Transporte bezahlt
Pönale bei Verzug: 1% des Ausschreibungspreises pro Flug/Tag
Bei Verlust der Crew 200 Millionen pro Person.
Bei Überschreitung von 3g 10% des Vertragspreises/Flug pro 0,1g
Mit einem solchen Vertrag wäre es interessant zu sehen wer alles anbieten würde und zu welchem Preis.
Ich denke, dass BO und SpaceX abgeben würden. Boing lässt sich gerne auch die Fehlschläge bezahlen und wäre wohl raus.
Für die NASA hätte das ganze den Charm, dass sie zum einen wirklich zum Mond kommen und wen nicht eine riesen Summe an den Vertragsstrafen verdienen.
Zum anderen müssten sie nicht tausende Mitarbeiter bezahlen die die komplexen Verträge entwerfen und Später auf deren Einhaltung aufpassen.
Die Anbieter haben die Sicherheit, dass es die 20 Flüge geben wird und sie können ihre Entwicklungskosten entsprechend verteilen.
Die Kosten von Pönalen und und Strafen müssen dann entsprechend als Risiko von Anfang an mit eingerechnet werden.
Wie das Ganze gelöt wird ist dann Sache des Auftragnehmers.
Ob mit LOPG oder direkt.
Ob Personen und Frachttransport getrennt erfolgen.
Ob mit Wiederverwendung oder nicht.
BO wollte für ihren demonstrator 5 Milliarden.
Ich denke das bei 20 Flügen der Preis po Flug bei einer Milliarde liegen wird.
Und wenn jemand Anbietet und dann zum 01.08.2028 nicht fliegen kan verdient die NASA 10 Millionen pro Tag.
Für jemand der in Elon-Time Rechnet kann das dann sehr teuer werden, aber bis dahin bringt ja Starlink so viele Einnahmen, dass man sich das sicher mehrere Jahre leiten kann.
Die Idee ist nicht schlecht, Das Problem ist nur das die NASA selbst wenn sie es wöllte solche Verträge nicht abfassen kann, denn dann müsste auch im gegenzug die genaue Vorfinanzierung feststehen. Da die NASa aber jedes Jahr ihr Budget neu beantragen muss ist das unmöglich. Schon dieses Jahr bekam sie für das HLS nicht mal die Hälfte dessen was sie wollte. CCDev hat sich nicht nur wegen der technischen Probleme verzögert sondern auch weil die NASA jahrlang nicht die Mittel bekam um das Programm voranzubringen.
Genau so einen Vertrag (nur ohne die Vertragsstrafen) gab es Jahrelang mir den Russen für den Personaltransport zur ISS.