Tempo 30 und Tempo 130

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Seit längerem gibt es die Diskussion um Tempo 130 auf Autobahnen. Dazu kommt nun in neuerer Zeit der Vorschlag Tempo 30 auf allen Nebenstraßen einzuführen. Paris hat dies schon getan, und hier war das Echo geteilt. Zeit mal sich dem Thema zu widmen.

Ich fange mit dem Dauerbrenner an: Tempo 130. Bisher gibt es die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h, die wie der Name aber sagt, nur ein Richtwert ist. Man kann also schneller fahren wenn es geht. Eingeführt wurde sie 1978, als die meisten neu zugelassenen Autos 130 km/h schon überschritten. Das war ja damals schon ein Hinweis, das man die Maximalgeschwindigkeit nicht ausreizen sollte. Für ein einheitliches Tempo werden viele Argumente angeführt. Manche sind stark, wie die reduzierte Unfallgefahr oder verringerte Staugefahr – spontane Staus, also nicht durch Baustellen und Unfälle, entstehen nach der wissenschaftlichen Forschung vor allem durch das unterschiedliche Tempo der Verkehrsteilnehmer. Andere sind eher schwach, wie der verringerte Kohlendioxidemission. Um die zu reduzieren, wäre eine Reduktion des Verkehrsaufkommens allgemein und der Motorisierung jedes Wagens besser.

Die Debatte orientiert sich aber nicht nach Tatsachen oder Sachargumenten. Es geht vielmehr um Emotionen, wie man am Slogan „Freie Fahrt für freie Bürger“ sieht. Das es freie Bürger auch in anderen Ländern gibt und Deutschland das einzige Industrieland ist, das keine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen hat (bei vielen Ländern übrigens kleiner als 130 km/h) und es dort wohl auch freie Bürger gibt, wird da gerne ignoriert. Auch das „freie Bürger“ aus anderen Ländern extra hierher kommen, um sich schnelle Wagen auszuleihen und über die Autobahn zu brettern wird ignoriert. Ist es das, was man unter „Freiheit“ versteht? Sinnloses Fahren mit Höchstgeschwindigkeit? Auch ignoriert wird, dass es meist ja gar nicht möglich ist so schnell zu fahren. Viele Autobahnen sind marode und haben Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Teilstrecken oder es gibt Baustellen. Vor allem aber ist es viel voller als 1978, als diese Regelung eingeführt wurde. Es gibt mehr PKW, vor allem wurde aber systematisch Frachtverkehr von der Schiene auf Lastwagen verlagert und die LKW belegen heute schon mal (mindestens) eine Spur. So viele Stellen wo man die „grenzenlose Freiheit“ ausnutzen kann gibt es nicht mehr. Meine Meinung: ich glaube, dass es wie in den letzten Jahren scheitern wird, ein Tempolimit durchzusetzen, vielleicht wenn es eine Regierung ohne CDU gibt, zwar ist auch die FDP dagegen, aber ihr Einfluss ist gemessen an den Stimmen, die sie bekommt, gering. Was ich aber vermisse, ist eine Initiative der Autobauer. Angeblich wollen sie ja ein ökologisches Gewissen haben und sie suchen auch nach einer Zukunft des Verbrennungsmotors. Da für jeden Hersteller inzwischen die Durchschnittsemission der Flotte wichtig ist, sollte es eigentlich in ihrem Eigeninteresse liegen, diesen Flottendurchschnitt zu senken. Warum bietet man nicht ein Modell jedes Autos an, das gerade mal etwas mehr als die Richtgeschwindigkeit als Spitzengeschwindigkeit erreicht? Nehmen wir mal den Golf als Beispiel. Der Urgolf hatte in der kleinsten Motorisierung eine Spitzengeschwindigkeit von 145 km/h, beim Golf 8 liegt das Einstiegsniveau schon bei 188 km/h. Würden nicht auch die 145 km/h des ersten Modells reichen? Der Motor wäre kleiner und leichter, was sich dann auch auf das Fahrzeuggewicht und den Verbrauch bzw. die Emissionen auswirken würde. Dann könnten zumindest die, denen Spritverbrauch wichtig ist diese Variante wählen.

Neuer ist die Diskussion um Tempo 30, wobei hier die Fronten noch verhärteter sind. Das liegt daran, dass von Tempo 130 nur Autofahrer betroffen sind, von Tempo 30 aber Autofahrer und Fahrradfahrer. Beide haben völlig unterschiedliche Sichten auf die Situation. Autofahrer, die jenseits der Innenstadt schnell fahren können, empfinden Tempo 30 als Gängelung und extrem langsam. In einem Interview meinte einer, man könne die Geschwindigkeit nicht mal richtig auf dem Tacho ablesen (was dann wieder ein Argument für Tempo 130 wäre, denn dann würde sie Skala des Tachos weiter auseinander gerissen). Fahrradfahrer empfinden ein Auto, dass nicht schneller ist als sie, als Befreiung. Zum einen hat man nicht das Gefühl man bremst andere aus bzw. diese müssen nicht drängeln oder hupen, weil sie gerne 50 fahren wollen. Zum anderen ist die Gefahr eines Zusammenstoßes erheblich geringer. Und ein Zusammenstoß mit einem Auto hinterlässt bei diesem vielleicht einen Kratzer, kann für einen Fahrradfahrer aber lebensgefährlich sein. Also wenn ich mal auf einer vielbefahrenen Straße als Radfahrer unterwegs bin, ist bei mir immer der Adrenalinspiegel erhöht.

Was gerne vergessen wird: so viel Zeit sparen Autofahrer auch nicht ein. Denn es soll ja Tempo 30 nicht auf Hauptverkehrsstraßen eingeführt werden. Auf denen ist aber der Autofahrer meistens unterwegs. In Paris wo sich die Autofahrer so vehement über Tempo 30 beschwerten war vorher das Durchschnittstempo 17,5 km/h – denn natürlich gibt es Staus, Stopps etc. Ich kenne das Gefühl, wenn man meint ausgebremst zu werden. Wenn auf der Gegenbahn eine Kolonne von Autos kommt, habe ich früher eine größere Lücke ausgenutzt, um abzubiegen. Inzwischen bin ich schlauer. Was spare ich ein? Einige Sekunden, vielleicht eine halbe Minute, dafür gehe ich aber ein hohes Risiko ein. Also warte ich bis die Kolonne durch ist – die ja immer mit einem Wechsel einer Ampelschaltung korrespondiert. Geht leider nicht immer, ich kenne auch Straßen, da ist die eine Kolonne noch nicht weg, wenn die nächste schon kommt. Aber gerade hier gäbe es die Chance für Tempo 30, denn wenn alle wirklich dieses Tempo haben, auch sonst langsame Verkehrsteilnehmer, wie Fahrrad- oder E-Bike Fahrer, aber auch rücksichtsvolle Autofahrer dann kann man wirklich eine Grüne Welle darauf bauen, und alle kommen flüssiger und schneller voran.

Auch hier muss die Hoffnungen auf eine neue Regierung setzen, eine ohne die CSU. Denn die hat seit 2009 das Verkehrsministerium inne und eine extrem autofreundliche Politik verfolgt, obwohl sie ja für den gesamten Verkehr zuständig ist. Derzeit ist durch Bundesgesetz Tempo 50 aber die Vorgabe in Innenstädten und für Tempo 30 benötigt man eine Begründung wie unübersichtliche Verkehrssituation oder die Nähe einer Kita oder Schule.

6 thoughts on “Tempo 30 und Tempo 130

  1. “ (was dann wieder ein Argument für Tempo 130 wäre, denn dann würde sie Skala des Tachos weiter auseinander gerissen). “

    Das ist nicht wirklich korrekt, denn nach unserer Gesetzgebung muß der Tachometer bis zur Höchstgeschwindigkeit des Fahrzeugs anzeigen.

    In den USA gab es in den Siebzigern und Achtzigern das Gesetz, daß die Tachoskala nur bis 85 mph gehen durfte, egal wie schnell das Auto wirklich fahren konnte. Das war im Rahmen des bundesweiten Tempolimits auf allen Straßen; das führt dann auch dazu daß es z.B. Corvettes gibt, deren Tacho bei 85 mph aufhört (und zu lustigen Diskussionen mit den hiesigen Zulassungsbehörden wenn man ein solches Fahrzeug hierzulande zulassen möchte).

    Viele, wenn nicht gar die meisten der neueren Autos haben aber sowieso die Möglichkeit, die gefahrene Geschwindigkeit digital (also numerisch) anzuzeigen, insofern zieht das Argument der schlechten Ablesbarkeit nicht. Darüberhinaus verfügen ebenso die meisten neueren Autos nicht nur über einen Tempomat („cruise control“) sondern auch über einen Geschwindigkeitsbegrenzer. Finde ich sehr angenehm, ein Knopfdruck und schon sind die Tempo-30 Zonen kein nervenaufreibender Schrecken mit permanenter Blitzgefahr mehr für mich 🙂

  2. Ich war vor 2 Jahren mit meinen Tesla in Deutschland. Spitzengeschwindigkeit ist 223 km/h, aber so schnell fahren konnte ich nie, da es entweder Stau gab, oder zuviel Verkehr. Ich fuhr einmal für 1 s 200, 160 war schon eher möglich. Beim Model 3 ist höchste nutzbare Geschwindigkeit 190, da man sonst mehr Zeit bei den Ladestationen verbraucht.
    Wenn man statt 130 160 oder 170 fahren kann, dann kann man wirklich Zeit einsparen, wenn man quer durch Deutschland fährt. Mein urspünglicher Plan sah für Kiel-Basel 8.5 h bei max 160km/h und 5 Ladestopp. Am Schluss waren es 11.5h bei 4 Ladestopp, der Navi hat mich über lange Strecken über normale Landstrassen geschickt (wegen Baustellen/Stau). Da es viel langsamer war, braucht ich viel weniger Strom.

    1. Dein Tesla fährt „nur“ maximal 223? Da bin ich aber enttäuscht, das hat ja schon meine fast 40 Jahre alte Celica Supra gemacht mit nur einem kleinen Teil der Motorleistung 🙂 🙂

      Aber mal ernsthaft, der Zeitgewinn durch das Schnellfahren hält sich in Grenzen, da man kaum (noch) längere Strecken wirklich schnell fahren kann (vor 20 Jahren war das noch anders).
      Als ich mein letztes US-Auto von Bremerhaven abgeholt habe, bin ich mit einem Leihwagen von München aus hochgefahren, mit „pedal to the metal“ wo es ging. Dort angekommen war ich halb taub, der Nacken war von der schlecht einzustellenden Lüftung steif (OK, dazu kann das Fahrtempo nichts) und vom schnellen Fahren war ich psychisch völlig ermüdet. Beim Rückweg mit dem Amiauto habe ich den Tempomat gemütlich bei 110 eingestellt und bin bequem im Ledersessel mit langgestreckten Beinen wie im Wohnzimmer nach Hause gerollt. Ich kam ohne Verspannung, völlig gemütlich und ungenervt an; auf die 850 km habe ich dann doch zwei Stunden mehr gebraucht. Ob es das wert ist, muß jeder für sich selber entscheiden. Ich fand die Zeit sehr gut investiert, kein Streß, weniger Risiko und ich kam frisch und entspannt am Reiseziel an.

  3. Jetzt muss ich erst mal ad hominem auf den Autor eingehen. Sorry dafür! Legale Bahnstreiks mag er nicht, da er Bahnfahrer ist. Ok, zugegeben, die sind auch ganz schön nervig. Da er keinen Führerschein hat, ist er aber für ein Tempolimit.

    Da ich öfters, zum Glück nicht täglich, „längere“ Strecken zurück legen muss, bin ich viel auf Landstraßen, Bundesstraßen und auch auf Autobahnen unterwegs. Gewisse Autobahnabschnitte schenke ich mir, da dort entweder immer Baustelle ist oder es irgendwie immer, wenn ich da lang müsste Stau aufgrund von Unfällen gibt. Auf den Landstraßen habe ich eher das Problem, dass da schon jetzt genug Schnarchnasen unterwegs sind, die mit der zulässigen Geschwindigkeit nicht klar kommen aber noch so schnell fahren, dass man sie kaum überholen kann. Würde da jetzt eine Höchstgeschwindigkeit von 70 oder 80 km/h eingeführt, möchte ich nicht wissen, wie langsam diese Schnarchnasen dann erst fahren werden. Tempo 30 oder langsamer in Wohngebieten gibt es in vielen Städten schon seit Jahren: „Tempo 30“-Zonen und „Spielstraßen“. Das müsste gar nicht mehr gesetzlich eingeführt werden, es ist gelebte Praxis und ausreichend beschildert, sonst gibt es demnächst viele Gerichtsverfahren, was eine Durchgangsstraße ist und was nicht.

    Autobahnen. Dazu gab es jetzt eine Studie aus/in NRW. Demnach fahren praktisch 98 % aller Autos aus Autobahnen in NRW unter 160 km/h und nur 2 % schneller (77% langsamer als 130 km/h). Ein Tempolimit von 160 km/h auf Autobahnen sollte also nur wenige Menschen in ihrer gefühlten „Freiheit“ beschneiden und einen breiten Konsens finden können. Ja ich fahre auch mal gerne etwas schneller und ich mag es nicht, wenn sich Fahrzeiten ewig in die Länge ziehen.

    Ich bin also für Tempolimit 160 / 100 / 50

    P.S. die PS, eigentlich den Hubraum bzw. den Drehmoment benötigen viele Menschen gar nicht zum Rasen sondern, da nicht alle im Flachland wohnen, auch besonders in bergigen Gegenden um überhaupt etwas zügig voran zu kommen. Manchmal auch um einen LKW bergauf überholen zu können. Es gibt viele Orte, bei denen ich mich um eine Ortsumgehung freuen würde, da diese Ort im Tal liegen. Wenn man ankommt muss man die wertvolle Bewegungsenergie mit seinen Bremsklötzen vernichten (in Wärme umwandeln) um dann nach dem Ortsausgang diese Energie wieder teuer aufzubauen! Da sind E-PKW durchaus im Vorteil, die diese Energie zum Teil rekuperieren können!

  4. Naja ich sage mal so ein Limit ist okay, aber 130 ist ein bisschen mager, das merke ich schon, wenn ich wieder mal durch Holland fahre. ich finde ein Tempolimit bei 150 kmh ok, Landstraße würde ich limitieren bei 70 bis 80, in der Stadt würde ich die 50 lassen, allerdings höhere Busgelder und sofort bei 1 kmh Überschreitung schon zahlen lassen….

  5. „Andere sind eher schwach, wie der verringerte Kohlendioxidemission. Um die zu reduzieren, wäre eine Reduktion des Verkehrsaufkommens allgemein und der Motorisierung jedes Wagens besser.“

    Gerade die Motorisierung hängt an der möglichen Höchstgeschwindigkeit. Wenn nur noch 130 erlaubt sind macht eine Motorisierung und Ausstattung für 200 keinen Sinn mehr. Erst mit der geänderten Motorisierung kommt es dann zu den CO2 Einsparungen.

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