Könnte JUICE mit Ionenantrieb zum Jupiter gelangen?
Ich arbeite gerade an einem Artikel über die ESA-Raumsonde JUICE. Wie die NASA Mission zu Jupiter, Europa Clipper, gelangt sie durch zahlreiche Swing-By Manöver, vor allem an der Erde, zu Jupiter. Der Grund ist relativ einfach: es gibt keine Trägerrakete, die verfügbar ist, welche die Sonde direkt zu Jupiter befördern könnte. Die Reise dauert aber lange, mindestens 7,6 Jahre, soll zudem, wie ich einer neueren Veröffentlichung entnehme, der Start von Mai/Juni 2022 auf September/Oktober 2022 verschoben werden, so könnten es sogar zwei Jahre mehr sein, da man so das optimale Startfenster verpasst.
Ich will in diesem Blog erkunden, ob es nicht auch mit meinem Lieblingsantrieb, dem Ionenantrieb ginge und wenn möglich schneller. „Erkunden“, weil ich den Blog parallel zum Rechnen schreibe, also jetzt am Anfang noch nicht weiß, wie es ausgeht.
Datenlage
Leider gibt es bei der ESA Raumsonde JUICE relativ wenige Daten vor der Mission über den genauen Missionsverlauf. Im Red Book, der Vorlage für die Mission der JUICE Sonde, geht man im Jupitersystem von einem benötigten Δv von knapp 1700 m/s aus. Nach Informationen von Astrium ist das Δv Vermögen des Antriebssystems aber 2800 m/s. Ich vermute ein Großteil der Differenz wird für Deep Space Manöver benötigt. Vereinfacht gesagt, muss jeder Swing-By die Sonde ja wieder zu einem neuen Swing-By-Ziel bringen und will man nicht lange warten, bis man einen Resonanzorbit durchlaufen hat, muss man den Kurs zwischen durch leicht ändern. Die meisten neueren Raumsonden führten solche Deep Space Manöver durch, so auch Cassini und Juno, die schon so den Jupiter relativ schnell erreichten. Ich bin davon ausgegangen, dass die Sonde nur 2000 m/s im Jupitersystem benötigt, der Rest von 800 m/s für Deep Space Manöver benötigt wird. Weiterhin offen sind die Start- und Trockenmasse von JUICE. Das Red Book nennt 1,8 t Trockenmasse und 4,8 t Startmasse. Inzwischen scheint die Sonde schwerer geworden zu sein und nun je nach Quelle zwischen 5,2 und 5,5 t beim Start wiegen. Die Trockenmasse soll inzwischen bei rund 2.000 kg liegen. Ebenso sind die genauen Massen des Antriebsmoduls nicht bekannt. Ich bin im Folgenden von einem Voll-/Leermasseverhältnis von 6 des reinen Antriebs ausgegangen, demselben wie beim Antriebsmodul von Galileo.
Optionen
Ich gehe nicht davon aus, dass man von einem LEO aus startet, vielmehr davon, dass man die Sonde mindestens auf eine Fluchtbahn mit einer Ariane 5 ECA befördert. Alles andere hätte eine komplette Neuentwicklung der Raumsonde nötig gemacht. So gehe ich aber von folgendem Ansatz aus: Damit die Sonde bei Jupiter mit rund einem Dreißigstel der Sonneneinstrahlung in Erdnähe betrieben werden kann, hat sie große Solarzellenflächen mit einer Fläche von 85 m². Da man spezielle Solarzellen braucht, die strahlenresistenter als normale Solarzellen sind und bei tiefen Temperaturen noch funktionieren, kann man nicht die Leistung von Solargeneratoren für große Satelliten ansetzen. Ich habe mit daher mit der elektrischen Leistung von Juno verglichen. Juno hatte 45 m² Fläche mit einer Leistung bei Missionende von 412 Watt. Bei JUICE sind zu Missionsende mit 820 Watt fast doppelt so viel und auch die Fläche ist mit 82 zu 45 Quadratmeter fast doppelt so hoch. Das lässt den Schluss zu, dass sich auch die Leistung pro Fläche nicht so unterscheidet. Und man kann von den 18 kW Leistung von Juno bei der Erde auf 34 kW bei JUICE hochrechnen. Vergleicht man mit der Raumsonde Lucy, die zwar nicht zu Jupiter gelangt, aber bis in diesselbe Entfernung zu den Trojaner-Asteroiden, dann wären es (51 m² Fläche, 18 kW bei der Erde) 29 kW.
Das ist mehr als genug Strom um mehrere Ionentriebwerke der 4 bis 7 kW Klasse parallel zu betreiben. So benötigt man eigentlich nur noch die Triebwerke selbst und den Treibstoff. Ich bin von einem Voll-/Leermasseverhältnis von 10 bei dem Druckgastank ausgegangen, das entspricht dem Verhältnis der CFK-Druckgastanks für Helium bei der Ariane 5, nur gefüllt mit Xenon. Dawns Tank liegt mit einem Verhältnis von 17 noch erheblich besser, das liegt wohl daran, dass die Tanks von Ariane 5 älter sind und Helium besser abgeschirmt werden muss, da es als kleines Molekül leichter durch die Hülle diffundieren kann.
Zum Gewicht der Sonde mit dem chemischen Treibstoff kommt so nur noch der Ionenantrieb und die Tanks mit Treibstoff, wie viel Treibstoff und Tanks wiegen habe ich offen gelassen, da ich den Geschwindigkeitsbedarf nicht kenne, doch benötigt man mehr Treibstoff, so sinkt einfach die nutzbare Masse.
Von den Bahnen her gibt es drei Optionen:
- Start auf eine Fluchtbahn – höchste Nutzlast, aber auch hoher Geschwindigkeitsbedarf um Jupiter zu erreichen.
- Start auf eine Bahn mit einem höheren Aphel, z.b. in Marsentfernung – kleinere Nutzlast aber auch um 3 bis 4 km/s kleinere Geschwindigkeitsanforderung. Nachteil: man entfernt sich schon nach dem Start von der Erde, braucht also wegen der abnehmenden Leistung länger um die Restgeschwindigkeit zu erreichen
- Start auf eine Bahn mit einem niedrigeren Perihel, z.B. Venusentfernung. Ebenfalls kleinere Nutzlast, sogar höhere Geschwindigkeitsanforderung als bei einer Nahn mit einem hohen Aphel, aber mehr Zeit nahe der Sonne, um mehr Triebwerke länger zu betreiben, damit eventuell verkürzte Reisezeit.
Basisberechnung
Zuerst berechne ich mal die Masse der Sonde mit einem chemischen Antriebssystem, das 2 km/s aufbringt, nicht 2,8 km/s wie JUICE. Das sind immer noch 300 m/s als im Red Book. Ich komme bei einem spezifischen Impuls von 3000 m/s für den Antrieb auf 1.406 kg Trockenmasse für JUICE ohne Antriebsmodul. Basierend auf dieser Masse errechnet man eine Startmasse von 3.377 kg, wenn nur 2 km/s aufzubringen sind, anstatt 5.500 kg bei 2.800 m/s wie der echten JUICE.
Wie groß die Masse für Treibstoff und Triebwerke ist, hängt von der gewünschten Bahn und ihreer Geschwindigkeitsanforderung ab. Mit einer Ariane 5 ECA erhalte ich für die drei Optionen:
- Fluchtbahn: 7.000 kg
- Nach außen (c3 von 12 km²/s²): 5.500 kg
- Nach innen, bis auf Venusentfernung (c3 von 6 km²/s²): 6.300 kg
In Europa gibt es drei Triebwerke, in der Schubklasse, die geeignet sind: T6 und T7 sind Kaufmann-Triebwerke der 5 und 7 kW Klasse. Das RIT-2X ist ein RF-Ionentriebwerk der 4 bis 5 kW Klasse. Die spezifischen Impulse sind mit rund 40 km/s fast gleich. Bei so ähnlichen Leistungsdaten reicht es, ein Triebwerk durchzurechnen. Ich habe mich für das RIT-2X entscheiden, weil es das leichteste, bezogen auf den Schub ist und zudem eine sehr hohe Lebensdauer von 15.000 Stunden hat. Bei einem nominellen Strombedarf von 4.685 Watt und 900 Watt Eigenverbrauch für JUICE kann man in Erdnähe sieben Triebwerke betreiben. Bei der Option mit Sonnennähe natürlich mehr. Zu dem Triebwerksgewicht habe noch 100 % des Triebwerksgewichts für die notwendigen Spannungskonverter und Leitungen addiert.
Ergebnisse
Als maximale Betriebszeit habe ich 2.600 Tage angesetzt, das entspricht etwas mehr als 7 Jahren und damit fast der Reisezeit JUICE, schlechter als die Vorlage sollte die Option ja nicht sein.
Hier die Ergebnisse, tabellarisch aufgeführt:
Parameter | Fluchtbahn | Hohes Aphel (247 Mill. km) | Hohes Perihel |
---|---|---|---|
Gesamtdauer: | 2.600 Tage | 2.600 Tage | 2.600 Tage |
Erreichte Endbahn: | 314 x 375 Mill. km. | 344 x 616 Mill. km | 275 x 419 Mill. km |
Restgewicht: | 5.157 kg | 4.574 kg | 4.635 kg |
Ohne Ionenantrieb: | 4.847 kg | 4.339 kg | 4,271 kg |
Man sieht: in allen Fällen wäre der Ionenantrieb der Swing-By Lösung unterlegen. In 2600 Tagen wird keine Bahn mit einem Aphel von 778 Millionen km, der mittleren Entfernung von Jupiter von der Sonne erreicht (wenn man es genau nimmt, muss man diese Entfernung auch nicht erreichen, da Jupiters Gravitation schon 25 Millionen km vorher die der Sonne überwiegt, also eine Sonde zu Jupiter zerren würde). Die Option mit dem hohen Aphel liegt aber relativ nahe der Forderung und hat nach 2.600 Tagen noch 1.000 kg mehr Masse als nötig. Daher habe ich bei dieser Option die Startmasse auf 4,5 t abgesenkt und errechnet, welche Bahn eine solche Nutzlast mit der Ariane 5 erreichen würde. Das wäre bei einem Aphel in 289 Mill. km Distanz von der Sonne der Fall. Es gibt dann tatsächlich eine Lösung. Leider ist auch sie schlechter als die mit Swing-By, über 11 Jahre würde man benötigen, um zu Jupiter zu gelangen. Die anderen Lösungen sind wenn man die Startmasse auf die benötigte Startmasse reduziert, mit 12 bis 13 Jahren Gesamtdauer noch schlechter.
Ich glaube aber trotzdem nicht, dass die Idee prinzipiell ganz falsch ist. Man könnte die Swing-Bys ja mit Ionenantrieb kombinieren, zwischen den Swing-Bys die Ionentriebwerke zur weiteren Kursveränderung einsetzen und so einen oder vielleicht einen oder zwei Vorbeiflüge einsparen. So würde JUICE schneller Jupiter erreichen. In jedem Falle könnte man die 800 m/s, die ich für Deep Space Manöver berechnet habe durch Ionentriebwerke aufbringen, vier RIT-2X, die man alle bis in 1,37 AE Entfernung, eine einzelnes Triebwerks sogar bis in 2,74 Ae Entfernung mit voller Leistung betrieben kann, würden mit Xenongas für 1.000 m/s Geschwindigkeitsänderung nur 234 kg mehr Gewicht addieren. Lässt man dafür 234 kg chemischen Treibstoff weg, so verliert man nur 130 m/s Korrekturfähigkeit. In der Summe hätte man also ein gesamtes Δv Potenzial von 3.670 m/s anstatt 2.800 m/s, die man z.B. für mehr Vorbeiflüge bei Jupiter nutzen kann – derzeit hat man wegen des knappen Treibstoffs schon die Zahl der Callisto-Vorbeiflüge von 20 auf 12 reduziert.
Als weiteren Vorteil heben die Ionentriebwerke das Perihel an und sie reduzieren so die Geschwindigkeit die man aufwenden muss um in den ersten Jupiterorbit zu gelangen.
Was aufgrund des hohen Leistungsverlusts beim 5,2 AE entfernten Jupiter allerdings nicht geht, ist der Betrieb der Ionentriebwerke dort. Schon ohne den Einsatz von Ionentriebwerken ist der Betrieb aller Instrumente nur für kurze Zeit möglich, sonst reicht der Strom, der in dieser Distanz noch zur Verfügung steht, nicht aus. Ebenso ist gleichzeitiges Senden und Beobachten nicht möglich. Für die Zeiten mit hoher Leistungsforderung setzt JUICE eine Lithiumionenbatterie ein.
Einen Teil der Ersparniss könnte man auch in zusätzliche Solarzellen stecken. Dieses könnte die Lebenszeit der Sonde erhöhen.