Genie, Naivling oder Scherzbold?
Ich habe gerade einen weiteren Artikel über den Apple I online gestellt, nachdem ich schon einen über den Apple III geschrieben habe. Nun will ich mich erst mal wieder den Raumsonden widmen und am Lucy Artikel weiterarbeiten und dann käme noch die Raumsonde DART dran, die auch letzte Woche startete. Zumindest bei den Raumsonden, über die es noch einigermaßen Informationen gibt, will ich die Website noch up to date halten, bei Raketen habe ich dies angesichts Unzähliger Start-Ups mit immer derselben Geheimniskrämerei schon aufgegeben.
Für die Artikel habe ich aber wieder die Biografie von Stephen Gary Wozniak, genannt „Woz“ erneut gelesen, das ist nicht das erste Mal. Jedes Mal stellt sich mir eine Frage: nämlich wie jemand so seine Autobiographie schreiben (lassen) kann.
Es sind drei Dinge die mir an dem Buch auffallen und die man auch in den Amazon Rezensionen kritisiert findet. Das allererste ist der Schreibstil. Es ist eine Ich-Perspektive, das ist klar bei einer Autobiographie, aber es ist komisch geschrieben, gar nicht so wie man ein Buch schreibt. Mehrere Rezensenten meinten, die Coautor-in habe wohl Interviews geführt oder „Woz“ einfach reden lassen und das so 1:1 abgetippt. Das trifft den Stil wohl am besten. Ich bin ja sprachlich auch nicht so gut und mit der Grammatik stehe ich auch ein bisschen auf Kriegsfuß und daher nachsichtiger, aber selbst ich würde nie so ein Buch über mich genehmigen.
Das zweite, was mir auffällt, ist das er in vielen Dingen ziemlich naiv vorkommt. Das geht los über seine Auslassungen über die „Lotterie“ ob man zum Vietnamkrieg eingezogen wird (oder nicht) bis zu einem Festival wo er Millionenverluste macht, weil er nicht verhindern kann, dass Leute ohne Bezahlung kommen (ja wie können die denn …). Natürlich muss ein scharfer Verstand, der mit Technik und Physik vertraut ist nicht unbedingt mit der (Un)Logik von Politik, Wirtschaft oder dem Verhalten von Menschen zurechtkommen. Aber über Jahre hinweg nicht ein bisschen Misstrauen aufzubauen, erscheint mir doch sehr unwahrscheinlich. Auch was er über viele Dinge in seinem frühen Leben schreibt, zeichnet ihn nicht gerade als Jemand, der viel nachdenkt.
Was den meisten Rezensenten am übelsten aufstößt, ist die Selbstbeweihräucherung. Klar er ist besser als alle anderen. Er hat den PC erfunden, er hat schon mit 13 einen Computer entwickelt, so geht das durch das ganze Buch. Das stimmt natürlich nicht. So hat er, obwohl er das mehrmals schreibt, mit dem Apple I nicht den ersten PC erfunden, der an einen Fernseher angeschlossen werden kann. Das ging zwar mit dem Apple I, aber verkauft wurde nur die nackte Platine, ohne Netzteil, Tastatur, Fernseher. Wenig später erscheint der Sol, der aber genau das war. Schlussendlich sieht man es auch den Verkaufszahlen – maximal 200 Apple I wurden verkauft, dagegen 12.000 Sols. Er betont seine Verdienste zwar auch immer in Interviews von denen ich schon einige gesehen habe, aber nicht so aufdringlich wie im Buch.
Gerade in dem Kontext Apple I und Apple III wurde mir klar, das Wozniaks „Genie“ langfristig nicht so toll für Apple war, was auch erklärt, dass er nach 1978 praktisch nichts mehr in dem Unternehmen bewegt hat.
Wozniak betont in dem Buch dauernd, das seine Maxime ist bei einem Design so wenige Chips wie nur möglich zu verwenden. An und für sich eine gute Herangehensweise die auch Geld spart. Das Problem ist nur zu erkennen, wann man mit dem Sparen von Chips auch die Leistung begrenzt.
Der Apple I war im Prinzip die Erweiterung eines Terminals, das Woz schon gebaut hatte, um einen Mikroprozessor mit Speicher. Dagegen schreibt er, habe es im Apple II so viele Verbesserungen gegeben, das er auf diesen ganz stolz wäre. Nur hat Wozniak aber einiges vom Apple I übernommen, was den Apple II dann auch beschränkte. So bekam er es beim Apple I nicht fertig den Interruptbetrieb des 6502 zu realisieren (eine der wenigen selbstkritischen Momente) und beim Apple II hat er es gar nicht erst probiert. Programme mussten im Polling Modus dauernd die Tastatur abfragen. Wie der Apple I gibt der Apple II keine Kleinbuchstaben aus – ein K.O.-Kriterium für Textverarbeitung. Das BASIC das er erstellt, soll Spiele ermöglichen – für etwas anderes taugt es weniger. So schiebt Apple sehr bald eine Implementation von Microsoft nach die es im Apple II+ ablöst.
Ich glaube auch nicht an viele seine Ausführungen. Das BASIC, das schon beim Apple I rund 4000 Bytes lang war, beim Apple II dann doppelt so groß ist, will er nur auf Papier in einem Notizbuch entwickelt haben. Sorry, das ist völlig unglaubwürdig. Er schreibt er hätte sich keinen Assembler leisten können. Nur: ein Assembler ist ein viel einfacheres Stück Software als ein BASIC Interpreter, ich habe auf meinem CPC selbst einen geschrieben, einen BASIC Interpreter hätte ich wohl nicht hinbekommen. Vor allem glaube ich nicht das jemand rund 2.000 Maschinencodebefehle mit Subroutinen und dann auch passenden Sprungadressen fehlerfrei auf Papier kodiert. Wenn etwas im Code nicht stimmt – wie verändert er das?
Am verhängnisvollsten ist sein Chip-Sparzwang beim Diskontroller, dem letzten Projekt für das er bei Apple verantwortlich ist. Andere Autoren verweisen gerne, das vorher Diskontroller Dutzende von Chips umfassen, während es bei Wozniak nur einige sind. Das Schreiben/Lesen auf Disketten ist nicht so einfach, weil nicht nur die Daten geschrieben werden müssen, sondern auch zahlreiche Verwaltungsinformationen. Es müssen Prüfsummen berechnet werden und alles ist zeitkritisch, denn die Diskette rotiert ja und verpasst man nur ein Bit, nützen einem alle Bits des Sektors vorher nichts. Wozniak hat die Aufgabe von TTL-Bausteinen auf die CPU verlagert. Er war nicht mal der einzige, der das tat. Commodore machte das bei allen ihren Rechnern so. Dort erhielten die Laufwerke eigene Rechner, mit 6502 Prozessoren die Commodore ja selbst herstellte. Das blieb bei Commodore bis zum Ende der Produktionszeit, so weil es einfach viel billiger war als einen FDC zuzukaufen. Die grundlegende Aussage, das man Dutzende von Chips brauchte, ist aber falsch. Schon 1976 wurde der Floppy-Disc-Controller (FDC) erfunden, der die meisten Bausteine auf einem Chip integrierte. Der erste war der WDC 1771. Bei meinem Heimcomputer bestand der Diskcontroller auch nur aus fünf Chips, dem FDC, einem ROM und drei TTL-Bausteinen. Und der zeitgleich erschienene Tandy TRS-80 setzte einen der ersten FDC auch ein.
Genützt hat es auf lange Frist Apple nichts. Denn damit war auch die Codierung der Floppies fest. Niemand schient Wozniaks Code verstanden zu haben (was mich angesichts eines Spiels von ihm das man auf der Wikipedia noch findet, auch nicht wundert), sondern man packte das Ganze in einen integrierten Baustein und nannte das IWM – integrated Wozniak Machine. Der grundlegende Nachteil – man konnte nichts mehr ändern. So hatte auch der Apple III nur Floppies mit 140 KByte Speicherkapazität, woanders gab es damals schon 2,5-mal mehr. Beim Apple IIe blieb das bis zum Produktionsende bei 140 KByte auch so bis man bei den schnelleren Modellen (Apple IIc+, Apple Iigs) mit mehr MHz dann die Kapazität vervierfachen konnte, was trotzdem die 1000 KByte unformatierte Kapazität nur zu etwas mehr als 50 % erhöhte.
Wozniak kritisiert, den Apple III als eine Maschine die vom Marketing aufgelegt wurde. Nun war einer der Fehler das der Apple III einen Apple II kompatiblen Modus haben sollte. Allerdings verhinderten gerade Wozniaks Designentscheidungen das auch der Apple III Modus sinnvoll genutzt werden konnten. Beim Apple II lagen wichtige Speicherbereiche für Betriebssystem und Prozessor sowohl unten wie oben im Speicher, der Grafikspeicher sogar mitten drin. So konnte der Apple III der seine 128 bis 512 KByte Speicher nur über Bank Switching erreichen konnte nur eine zentrale Bank von 32 K austauschen und außer der gab es für Programme keinen Speicherplatz für eigene Daten, die man spätestens beim Banks-Switching brauchte, wenn der nächste Programmteil mit ihnen weiterarbeiten sollte.
Vor allem stößt mir die Kritik sauer auf, das er anführt, dass der Apple III einen Apple II+ emuliert, aber die Käufer an die er gerichtet ist einen Apple II mit 80 Zeichenkarte und 16 K Erweiterung erwarten. Beide Karten, das sollte er wissen, wurden erst nach Entwicklungsbeginn des Apple III herausgebracht, auf Druck von Anwendern die Wozniaks Beschränkungen (vor allem der fehlenden Kleinbuchstaben und nur 40 Zeichen/Zeile) leid waren.
Nicht das der Apple III ein guter Computer war, aber man sollte ihn schon gerecht beurteilen.
Zurück zum Blogtitel. Ist Wozniak ein Naivling? Ich glaube nicht, denn in dem Buch hat er auch sehr viel ausgelassen. Das er zum Zeitpunkt des Apple I schon mit Alice Robertson verheiratet war, erfährt man mit keinem Wort, nur seine zweite Ehefrau wird erwähnt. Ebenso findet man viel über Jobs und die Arbeit an den Computern doch praktisch nichts über das persönliche Verhältnis der beiden zueinander. Nur bei wenigen Episoden, die schon hinreichend bekannt sind, wie dass Jobs ihn für Atari das spiel Breakout entwickeln lies, von dem Verdienst aber nicht die Hälfte, sondern ein Zehntel gab und ihn anlog, es hätte nicht mehr Geld gegeben, äußert er sich das ihn „das verletzt habe“ ohne aber auf irgendeine Auseinandersetzung oder Diskussion von Jobs Charakter einzugehen.
Was sich auch durch das ganze Buch zeiht sind Wozniaks Vorliebe für Scherze. Er unterhält zeitweise eine Witzehotline (ein Anrufbeantworter trägt kurze polnische Witze vor), er entwickelt einen TV Störer und das kann auch sehr teuer sein. Bei einer Messe lässt er 20.000 Broschüren eines fiktionalen Computers namens Zaltair verteilen und 20.000 Broschüren kosten sicher eine Menge Geld. Als ich das Buch zum ersten Mal durchgelesen habe kam mir die Idee, das das ganze Buch auch so ein Scherz ist. Wer eine Broschüre in hoher Auflage druckt nur, um einen Scherz zu machen, der ist sicher auch bereit ein ganzes Buch so zu gestalten, das die Leute denken „Mensch, das kann doch nicht sein ernst sein!“. Ehrlich gesagt ist das für mich noch die schlüssigste Erklärung. Niemand mit nur wenig Selbstreflektion und Selbstkritik kann ein solches Buch autorisieren und kein Ghostwriter der etwas auf sich hält, würde ein Buch so schreiben. Nur – ich warte bis heute, auf die Auflösung, das dies ein Scherz ist und das Buch ist mittlerweile fast 15 Jahre alt …
„Natürlich muss ein scharfer Verstand, der mit Technik und Physik vertraut ist nicht unbedingt mit der (Un)Logik von Politik, Wirtschaft oder dem Verhalten von Menschen zurechtkommen.“
Das findet sich durchaus oft im Leben. Ich muß dabei nur an meinen Bruder denken; intelligent, Dr. rer.nat. forscht im Bereich phyikalische Chemie, hält Vorlesungen und betreut Dr Arbeiten. Im wahren Leben eher weniger so…