Bernd Leitenbergers Blog

Kein Katzen-Trockenfutter für Igel?

Da es in den letzten Tagen wieder wärmer geworden ist, erwachen viele Igel aus ihrem Winterschlaf. So gab es im Radio auch wieder Ratschläge, wie man die nun auftauchenden Igel füttern soll oder ob man sie überhaupt füttern soll. Ich war sehr erstaunt, als ich hörte, dass man kein Katzentrockenfutter füttern soll, weil es pflanzliche Eiweiße enthält, die für Igel schädlich sind.

Verwundert deswegen, weil ich seit einigen Jahren die Igel, die meinen Garten mit bewohnen, ganzjährig füttere. Alles fing vor ein paar Jahren an, als ich just an meinem Geburtstag (3. Februar) am Tag einen Igel über den Rasen torkeln sah. Er wog weniger als die 250 g, die immer als Minimalgewicht genannt werden. Nach einer kurzen Suche im Internet fand ich damals die nächstgelegene Igel-Auffangstation, die ihn aufnahm, wo ich ihn am 10. April – auch ein Geburtstag, nur der meines Vaters – abholen konnte. Ich nahm diesen Doppelgeburtstag als Wink des Schicksals und füttere die Igel seitdem das ganze Jahr über. In manchen Sommern fressen sie fast nichts, wie 2021, wenn es dagegen trocken und heiß ist und es weniger Bodeninsekten gibt, wie 2020, sind sie auch im Sommer Dauergäste. Ich lasse die Igel aber Wildtiere sein, beobachte und störe sie nicht. Das sie da sind hört man aber. Igel sind relativ laute Tiere.

Zweimal habe ich sie erwischt, einmal 2020, als ein ziemlich gut gefütterter Igel abends an meiner Garage vorbei zur Futterstelle dahinter trottete (erstes Bild), und einmal letztes Jahr, als ich zwei in meinem Lichtschacht fand, die ich dann wieder herausholte, weil ich nicht sicher war, ob sie alleine herauskommen würden, obwohl der Lichtschacht nicht tief ist. Im Winter füttere ich sie bis sie in den Winterschlaf gehen, das ist im November. Sie wachen dann im Winter noch einige Male auf, deshalb steht immer eine Futterration für die Igel bereit. Diese Futterration wird dann einige Tage lang verbraucht und von mir wieder aufgefüllt, bis die Igel wieder wochenlang schlafen.

Ich füttere vor allem Katzenfutter, dass Igel das mögen, weiß ich schon seit den 80er Jahren, als ich einen Tipp aus einem „Ratgeber Garten“ umgesetzt habe. Es ging um Nacktschnecken und er schlug vor, eine Mischung aus Katzenfutter und Kleie auszubringen und die angelockten Nacktschnecken einzusammeln. Das funktionierte zunächst auch. Aber nach drei Tagen waren keine Schnecken mehr da, sondern zwei Igel.

Gestern hieß es im Radio, Katzentrockenfutter enthalte Getreide und das sei schädlich für Igel. Nun füttere ich die Igel schon seit Jahren mit Katzentrockenfutter. Es ist praktisch, verdirbt im Sommer nicht und vor allem habe ich so wählerische Katzen, wenn ich billiges Trockenfutter nehme, gehen sie nicht ran. Bei drei eigenen Katzen und drei Katzen der Nachbarn, die sich im Garten tummeln, ist das ein wichtiges Argument.

Wenn man im Internet nach den Stichworten „Katzentrockenfutter“ und “Igel“ sucht, findet man auch viele Hinweise, dass normales Katzentrockenfutter für Igel ungeeignet ist, weil sie das pflanzliche Eiweiß darin nicht verdauen können und es zu Verdauungsstörungen und sogar zu Pilzinfektionen des Darms kommen kann.

Also habe ich mir erst einmal die Zusammensetzung meines Futters angeschaut. Nicht nur die Sorte, die der Igel bekommt, sondern auch die drei teureren, die meine Katzen bekommen. Alle enthalten Getreide, je nach Hersteller Mais, Weizen oder Hirse. Dazu kommen teilweise noch andere pflanzliche Bestandteile, wie Gemüse. Wäre dem nicht so, wäre das Trockenfutter also getreidefrei, hätte ich den Igeln wahrscheinlich das teurere Futter gegeben. Dann hätte ich die Schale wie früher unter einer Kiste mit einem kleinen Loch verstecken müssen, durch das die Igel passen, die Katzen aber nicht. Leider sind meine neuen Katzen sehr erfinderisch, wenn es darum geht, die Kiste umzuwerfen, und der Kot der Igel ist dann auch schwerer zu entfernen, als wenn das Futter offen da steht.

Bei der Suche im Internet fand ich jedoch kein Trockenfutter für Katzen, das frei von pflanzlichen Bestandteilen war. Selbst wenn es „getreidefrei“ war, enthielt es Gemüse, Obst oder Kartoffeln. Dafür kostete es ein Vielfaches von dem, was ich heute meinen Katzen gebe.

Nun weiß ich, wie zuverlässig das Internet ist, also ignorierte ich Foreneinträge oder Ratgeber aus dubiosen Quellen. Ich habe nur zwei Quellen gefunden, die sich wissenschaftlich mit dem Thema beschäftigen. Dazu später mehr. Meine kritische Distanz resultiert auch aus meiner Vorbildung als Lebensmittelchemiker. Vor allem leuchtet es mir nicht ein, dass Proteine aus Pflanzen schädlich sein sollen. Alle Proteine sind aus Aminosäuren aufgebaut. Enzyme im Darm spalten die Proteine an bestimmten Stellen, meist zwischen zwei bestimmten Aminosäuren. Diese Bruchstücke werden dann resorbiert. Nun unterscheiden sich pflanzliche und tierische Proteine in ihrer Zusammensetzung. Es wäre also denkbar, dass einige Bruchstücke zu groß sind und nicht aufgenommen werden. Sie werden aber im Dickdarm von Bakterien abgebaut. Dabei entstehen durch eine Gärung Gase und das müsste man am Kot sehen, er wäre dann wie beim Menschen verändert, die Igel bekommen buchstäblich Durchfall. Igel sind nicht sehr reinliche Tiere, Kotreste findet man immer rund um die Futterstelle, aber das waren immer die bekannten festen Kothaufen. Also Entwarnung.

Ein Analogon beim Menschen, aber auch bei Katzen, wäre die Laktoseintoleranz. Fehlt das Enzym Laktase, gelangt der Milchzucker in den Dickdarm, wird dort vergoren und führt zu Durchfall und Blähungen. Etwa 10 Prozent der Mitteleuropäer sind davon betroffen. Auch Igel und Katzen sind übrigens laktoseintolerant. Nur: Kein Mensch wird durch Milchzucker ernsthaft geschädigt, Milchzucker ist bakteriell leichter abbaubar als Eiweiß, und eine typische Milchportion enthält proportional mehr Milchzucker als Trockenfutter Getreideprotein. Trotzdem sollte man Igeln keine Milch anbieten, sondern nur Wasser.

In dem Artikel im Radio wird auf die unterschiedliche Zusammensetzung des Eiweißes eingegangen, beim Menschen würde man von der biologischen Wertigkeit sprechen. Nur ist das völlig irrelevant. Igel als Kleinsäugetiere brauchen nur einen Bruchteil der Nahrung um Körpermasse aufzubauen. Den Großteil verbrennen sie und da ist es egal, ob sie vorher daraus Körpermasse bilden können oder es sowieso nur energetisch verwerten können. Je kleiner ein Tier ist, desto mehr Energie benötigt es nur für die Aufrechterhaltung der Körperwärme und um so mehr für die Bewegung. Eine meiner Katzen ist hyperaktiv, die frisst aber auch doppelt so viel wie die anderen. In jedem Falle beschreibt der Artikel von pro Igel mit der Expertise eines Tierarztes, dass das Problem nicht das Protein ist, sondern die Pflanzenzellen an sich. Die Zellmembran von Pflanzenzellen soll für Igel nicht aufschließbar sein. Allerdings sollte man auch die Ausgangsfrage im Artikel lesen. Die lautet „Wie steht es mit pflanzlichem Eiweiß, also dem Eiweiß, das z.B. in Getreide (z.B. Haferflocken), in Nüssen (z.B. Erdnussbruch) oder in Kernen (z.B. Sonnenblumenkerne) enthalten ist?“. Darauf bezieht sich der Tierarzt. In Katzentrockenfutter wird man aber kein unverarbeitetes Getreide finden, das wird vorher aufgeschlossen und fein zermahlen, eventuell erhitzt. Nach meiner Meinung ist es vor allem als Bindemittel  im Katzenfutter vorhanden, denn aus dem Fleisch alleine wird man schwerlich festes Futter, das nicht zerbröselt, herstellen können. Dafür muss man die Stärke aber zum Verkleistern bringen, wofür man Getreide fein mahlen und erhitzen muss. Der Gehalt an Getreide ist gering, weil auch Katzen als reine Fleischfresser Getreide nicht mögen. Die meisten Marken schweigen sich über den Prozentanteil aus. Purina One, die Lieblingssorte meiner Katzen, gibt den Prozentsatz an, dort sind es 16 Prozent.

Ich habe nun in einem Dokument über die Ernährung hilfsbedürftiger Igel nachgeschaut und fand folgende Zusammensetzung des natürlichen Futters von Igeln und habe dies verglichen:

Igel natürliches Futter Coshida „Lachs“ Coshida Lachs auf 16 % Protein Purina One „Huhn“ Purina One „Huhn“ auf 16 % Protein
Protein 16 % 32 % 16 % 34 % 16 %
Fett 4 % 11 % 5,5 % 14 % 6,6 %
Kohlenhydrate 2 %
Ballaststoffe 3 % 2,5 % 1,25 % 2,5 % 1,2 %

„Coshida“ – die Marke von Lidl ist das Futter, das die Igel zur Zeit bekommen, Purina One ist das Lieblingsfutter meiner Miezen. Das Trockenfutter ist konzentrierter, deshalb habe ich die Nährwertangaben auf die gleiche Eiweißmenge skaliert. Man sieht, dass ein Igel durch das Katzen-Trockenfutter weniger Ballaststoffe aufnimmt, als er natürlicherweise in der Nahrung hat. Ballaststoffe können aber nur aus Pflanzen gewonnen werden. Insofern ist das Trockenfutter für den Igel sogar besser als sein normales Futter.

Ich habe dann noch die Zusammensetzung von Nass-Katzenfutter angesehen, das ich habe, dank mehrerer Katzen mit verschiedenen Vorlieben immerhin von fünf verschiedenen Marken. Auch hier findet man pflanzliche Bestandteile. Manchmal leicht erkenntlich in der Sortenbeschreibung „Mit Reis“ oder „In Karottensauce“, manchmal erst kleingedruckt im Zutatenverzeichnis. Doch selbst wo kein pflanzlicher Bestandteil ausgewiesen war, finde ich Rohfasern in den analytischen Bestandteilen, gemessen auf den Energiegehalt in etwa genauso viel wie bei Trockenfutter (Naßfutter enthält etwa ein Fünftel der Energie von Trockenfutter). Zuerst dachte ich, dass die Industrie für Tierfutter den Begriff anders auslegt als beim Menschen. Man weiß ja inzwischen, dass auch ein Teil des Eiweißes z. B. aus Sehnen unverdaulich ist. Doch dem ist nicht so. Es hätte mich auch gewundert, denn die „Analytischen Bestandteile“ auf der Packung verweisen nur auf Dinge, die man sehr einfach bestimmen kann wie Protein (Kjeldahl), Fett (Lösungsmittelextraktion), Rohasche (Veraschen) und Rohfaser (Säureaufschluss). Die Futteranalytik hat den Stand, den die Lebensmittelanalytik vor einem Jahrhundert hatte. Da aber Naßfutter für Igel allgemein empfohlen wird, kann Trockenfutter mit in etwa derselben Zusammensetzung nicht schlecht sein.

Ich habe einen Test gemacht und den Igeln Trockenfutter und Nassfutter angeboten. Beides aus der gleichen Preisklasse, zugegeben: der niedrigsten Preisklasse. Aber wenn ich teureres Futter anbiete, dann ist es bei sechs Katzen (drei eigene, drei von den Nachbarn) längst weg, bevor es dunkel wird. Ergebnis: Das Trockenfutter war fast ganz weg, das Nassfutter nur zur Hälfte, obwohl es mengenmäßig deutlich mehr Nass- als Trockenfutter war. Entweder hat den Igeln niemand gesagt, was gut für sie ist, oder sie entscheiden nach Geschmack. Letztendlich sprechen die Igel, die ich bei mir gesehen habe, gegen die Theorie, denn die haben alle gut gefressen und ich erinnerte mich an den Sack, den ich mit meinem ersten Igel als Startfutter bekam, der bestand hauptsächlich aus Getreide mit Fett, wie man es vom Winterfettfutter für Vögel kennt, und kleinen Mengen Katzentrockenfutter – dem Igel schmeckte mein Katzentrockenfutter besser als diese Mischung.

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