Bernd Leitenbergers Blog

Mit der Schleuder in den Weltraum?

Auf das Thema wurde ich schon vor Jahren angesprochen, als mich eine Studentin interviewt hat, die sich mit der Atommüllentsorgung im Weltall beschäftigt hat. Schon damals tauchte die Firma Spinlaunch, auf die mit einer Zentrifuge Raketen beschleunigen will.

Das Prinzip dahinter ist relativ einfach. Eine Zentrifuge oder Schleuder beschleunigt die eigentliche Nutzlast sehr stark, indem sie sehr schnell rotiert, denn die Geschwindigkeit ergibt sich ja dadurch das man die in einer bestimmten Zeit zurückgelegte Strecke durch die Zeit dividiert. Wenn die Zentrifuge also nicht enorm groß sein soll, muss sie sehr schnell rotieren, da jede Umdrehung ein Stück Weg addiert. Selbst in einer niedrigen Erdumlaufbahn hat ein Raumschiff noch eine Geschwindigkeit von 7,8 km/s und das bei dem Durchmesser der Erde als „Zentrifuge“.

Ist die geforderte Zielgeschwindigkeit – äquivalent zu einer Nenndrehzahl – erreicht, so wird die Rakete entlassen und sie fliegt weg in der Richtung, die sie vor Freisetzung hatte, das muss also am richtigen Punkt geschehen, sonst fliegt sie in die falsche Richtung oder gegen die Wand, da man wohl nur eine kleine Öffnung freigeben wird.

Für hohe Geschwindigkeiten wird man die Zentrifuge evakuieren müssen, weil sich sonst der Rotor dauernd an der Luft reiben würde und so erhitzen, was ihm schadet und zudem Energie kostet.

Fangen wir mal mit den Grundlagen an. Ich beginne nicht mit der Zentrifuge direkt, sondern der gleichförmigen geradlinigen Beschleunigung, bei der anders als bei der Zentrifuge nicht die Richtung dauernd wechselt. Ein Beispiel dafür ist die Erdbeschleunigung, z.B. beim freien Fall.

Wirkt eine Kraft auf einen Körper ein, zum Beispiel die Gravitationskraft, so wird er zuerst beschleunigt. Bei einer konstanten Kraft ist die Beschleunigung konstant. Bei der Erde ist dies die Erdbeschleunigung g die 9,81 m/s² beträgt.

Nun wirkt diese Beschleunigung konstant auf den Körper ein, sie summiert sich also und integriert man sie über die Zeit (Ja, Integrale, die Dinger die man im Mathematikunterricht für so überflüssig hielt) erhält man die Geschwindigkeit. Die nimmt bei einer konstanten Beschleunigung allerdings zu, genauso wie man beim Fallen immer schneller wird.

Den zurückgelegten Weg erhält über ein Integrieren der Zeit, da er sich nach Geschwindigkeit × Zeit errechnet. Er steigt nun noch schneller an. Für eine gleichförmige Beschleunigung gelten daher diese Formeln:

a = F/m

v = a * t

s = ½ * v * t²

mit

F = Kraft (Einheit: kg * m / s²)

a = Beschleunigung (Einheit m/s²)

v = Geschwindigkeit (Einheit m/s)

s = Strecke (Einheit Meter (m))

m : Masse (Einheit: kg)

Dies gilt auch für das Beschleunigen eines Körpers auf einer Ebene. Nehmen wir an, wir könnten einen Körper reibungsfrei beschleunigen z.B. innerhalb einer evakuierten Röhre ohne Wandkontakt durch Magnetfelder, so kann man so die wichtigen Daten einer Railgun berechnen. Das Wichtige an der Beschleunigung auf der Ebene ist aber, das, sobald die Beschleunigung aufhört, die Geschwindigkeit konstant bleibt und der Weg dann nur noch mit s = v * t ansteigt. Das kennt man auch von der eigenen Erfahrung. In einem gleichmäßig schnellen Zug kann man sich problemlos bewegen, wie wenn er stehen würde, weil man eine Kraft nur bei Beschleunigung oder Abbremsung spürt.

Die Gesetze gelten im Prinzip auch bei einer Kreisbewegung, aber mit einer wichtigen Änderung. Entlang der Bewegung um einen Kreis ändert sich die Richtung dauernd. Damit wirkt dauernd eine zusätzliche Kraft auf den Körper ein, welche seine Richtung ändert. Auch das kennt man vom Fahren – kommt man in eine Kurve, so spürt man eine zusätzliche Kraft. Jeder Körper will durch seine eigene Massenträgheit die Bewegungsrichtung beibehalten und so wirkt auf ihn eine weitere Kraft, die Zentrifugalkraft die Radial vom Kreismittelpunkt nach außen geht und damit senkrecht auf dem Bewegungsvektor auf der Kreisbahn steht.

Durch die Zentrifugalkraft waren auf dem Jahrmarkt früher Attraktionen möglich. In einem stehenden Hohlzylinder k

{\displaystyle {\vec {\omega }}}

onnten schnelle Motorradfahrer durch die Zentrifugalkraft die Wand hochfahren. In einem rotierenden Hohlzylinder wurden die Leute im Inneren durch die Zentrifugalkraft an die Wand gedrückt. In einem Orbit sind die Astronauten schwerelos, weil die Zentrifugalkraft durch die Kreisbewegung genau gleich groß ist wie die Gravitationskraft.

Das bedeutet aber auch: wenn eine Zentrifuge nicht beschleunigt (sprich, ihre Umdrehungszahl pro Zeiteinheit ändert) so wirkt trotzdem die Zentrifugalkraft auf sie und eine Rakete, die an ihr befestigt ist.

Bei einem rotierenden System gelten folgende Größen:

Winkelgeschwindigkeit: ω = 2 * π / t

Sprich: Wie viele Umläufe schafft die Zentrifuge pro Zeiteinheit. Diese Größe ist daher auch gängig in Systemen, wo die Kraft von der Rotationsgeschwindigkeit abhängt wie bei Motoren (Umdrehungen pro Minute).

Bahngeschwindigkeit: v = ω * r

Je größer also der Radius ist, desto höher ist die Bahngeschwindigkei,t bzw. wenn ich eine gewisse Beschleunigung nicht überschreiten will, muss ich den Radius vergrößern um die Winkelgeschwindigkeit und damit Rotationsfrequenz zu verringern.

Die Winkelbeschleunigung ist die Ableitung der Winkelgeschwindigkeit nach der Zeit.

a = ω / t mit der Einheit rad/s²

Die Tangentialbeschleunigung vt die auf den Körper einwirkt, ist wiederum berechenbar nach:

vt = a / r

Bei Spinlaunch soll die Endgeschwindigkeit 5000 Meilen pro Stunde (ca. 8.047 km/h), das sind 2234 m/s erreicht werden, die Zentrifuge hat einen Durchmesser von 100 m. Formt man die Gleichung der Bahngeschwindigkeit auf ω um, so erhält man:

ω = v / r

mit den Konstanten 2234 m/s und 100 m kommt man auf 22,34 s-1. Die Zentrifuge muss also 22,34 -mal pro Sekunde oder weil Umdrehungen pro Minute gängigere Größen sind, 1340 U/Min erreichen.

Dadurch erreicht man eine Winkelgeschwindigkeit von 140 rad/s (1 rad = Kreisumfang / 2 π) und eine Tangentialbeschleunigung bei 100 m Durchmesser von 14.000 m/s oder rund 1.400 g.

Der springende Punkt ist, dass diese Beschleunigung dauernd auf die Rakete einwirkt, auch wenn die Zentrifuge nicht schneller rotiert. Spinlaunch will die Zentrifuge in eineinhalb Stunden auf die Nenndrehzahl bringen, in dieser Zeit wird die Rakete dann einer Beschleunigung von anfangs 0 bis zum Schluss 1.400 g ausgesetzt sein. Ich habe meine Zweifel das eine Rakete das überlebt. Selbst wenn ich eine robuste Konstruktion nehme wie eine Feststoffrakete, wo das dickwandige Gehäuse und der feste Treibstoffblock das überstehen können habe ich doch die Düsen und die Interstufenteile und Nutzlasthülle, die leichter gebaut sind. Treibstoffblöcke sind auch bei Feststoffraketen keine uniformen Blöcke, sondern haben in der Mitte eine Höhle, oft mit Sternprofil, die wohl bei diesen Kräften vom Treibstoff verschlossen wird, der dafür sich von der Wand lösen wird.

Vergessen dürfen wir nicht, da die Kräfte vom Radius abhängig sind. Das heißt, wenn die Rakete 1 m Durchmesser hat, so ist der äußere Rand 1 m weiter vom Mittelpunkt entfernt als der innere, wodurch es alleine eine Zusatzbeschleunigung von 14 g zwischen den Rändern gibt.

Aus technischer Sicht sollte eine Zentrifuge also möglichst groß sein, um die Rotationsfrequenz bei gleicher Winkelgeschwindigkeit zu verringern. Damit sinkt quadratisch die Beschleunigung, die auf die Rakete einwirkt. Das hat aber andere Folgen. Den damit steigt auch die Masse die in Drehung versetzt wird und ein immer kleiner werdender Anteil der Gesamtenergie entfällt auf die Rakete und ein immer größerer auf die Zentrifuge. Sofern diese Energie nicht wiedergewonnen werden kann, wird das also immer unwirtschaftlicher. Weiterhin bedeutet die Rakete als Unwucht, das ein Teil der Zentrifuge größere Belastungen hat als ein anderer, dass muss das System durch Steifigkeit, sprich Masse ausgleichen. Selbst wenn man ein Gegengewicht von der gleichen Masse der Rakete 180 Grad davon entfernt installiert, ändert das nichts, denn verlässt die Rakete die Zentrifuge, so fehlt die Masse ja und die Unwucht entsteht nun durch das Gegengewicht. Die einzige Lösung wäre es, auch das Gegengewicht gleichzeitig zu entlassen, dass dann auf dem Erdboden aufschlägt und wohl dabei zerstört wird.

Das nächste Problem ist, das die Geschosse dann mit 2234 m/s auf die Atmosphäre treffen und dabei abgebremst werden. Ein Teil der Energie geht dabei in Form von Wärme auf die Rakete über, die stark aufgeheizt wird. Daneben bremst dies die Nutzlast ab. Spinlaunch will vom Spaceport Amerika aus starten. Der liegt immerhin in Arizona schon in 1403 m Höhe, was die Dichte und Reibung durch die Atmosphäre reduziert. Würde Spinlaunch von Bhutan aus starten das in durchschnittlich 3.280 m Höhe liegt so würde die Gipfelhöhe auf 67 km ansteigen und die Verluste wären um 60 m/s geringer.

Ich habe in einer Simulation mit dem Winkel von 35 Grad und als Vorgabe für Zentrifuge und die Größe den Durchmesser einer Pegasus XL Rakete (1,27 m) und deren Masse (22,2 t) genommen. Dann so lange den cw-Wert geändert bis die angegebene Gipfelhöhe von 61 km herauskam Als cw-Wert errechnen sich dann ungünstige 0,41, die Geschwindigkeit geht auf 1.498 m/s zurück.

Ich vermute aber, das die Rakete kürzer ist, denn mit 16,9 m Länge der Pegasus würde sie kaum auf einer Zentrifuge befestigt werden können und die beiden Enden wären noch höheren Belastungen ausgesetzt als die Mitte. Ich vermute, eine Rakete wird nicht länger als der zweifache Durchmesser sein können. Zieht man davon noch die Spitze mit Nutzlast und die Düse hinten ab, so bleibt nicht viel für den Treibstoffblock. Hat der 1,5-fache Länge und eine Dichte von 1,7 (typisch für Feststoff) so reduziert sich bei 1,27 m Durchmesser die Treibstoffmasse auf 4,1 t und für die ganze Rakete dann etwa 4,5 t und dann braucht man schon ein sehr stromlinienförmiges Profil mit einem cw-Wert von 0,086 (eine Flugzeugtragfläche hat 0,08) um die 61 km Höhe zu erreichen.

Das Problem beginnt aber dann erst. Aufgrund der Kompaktheit und der Belastung der Stufenverbindungen wird die Rakete sicher nur einstufig sein. Diese einzige Stufe muss dann den Rest zur Orbitalgeschwindigkeit (rund 6,3 km/s) aufbringen was bei einem spezifischen Impuls von 2900 m/s (typisch für ein Feststofftriebwerk mit langer Expansionsdüse) zu einem Voll/Leermasseverhältnis von 8,8 führt. Feststofftriebwerke erreichen zwar Verhältnisse von 12, aber unter anderen Umständen, ohne diese Spitzenbeschleunigung. Selbst dann blieben von 4,5 t Startmasse aber nur noch 136 kg übrig, die auf den Satelliten und Steuerung entfallen würden. Das ist, dann nicht mehr so viel besser als die Pegasus die zwar fünfmal so viel wiegt aber auch 460 kg in den Orbit transportiert (+ rund 80 kg Masse, die auf die Steuerung entfallen – also fünffache Masse und vierfache Brutto-Nutzlast).

Kurz: ein ziemlicher Aufwand für relativ wenig Zusatznutzen. Vor allem ist fraglich, ob es überhaupt Nutzlasten dafür gibt. Man mag eine Rakete so konstruieren können, das sie die Beschleunigung überlebt – Feststoffraketen, bei denen das Gehäuse einem hohen Druck von rund 100 Bar ausgesetzt ist, sind ja per se massiv aufgebaut, anders als Raketen mit flüssigen Treibstoffen bei denen dann eine Wand der Zentrifugalkraft multipliziert mit der Masse des beweglichen Treibstoffs ausgesetzt wäre. Aber die Nutzlast ist sicher nicht so aufgebaut das sie den enormen Beschleunigungen widersteht. Bei aktuellen Raketen beträgt die Maximalbeschleunigung meist zwischen 5 und 6 g. Früher gab es Typen mit höheren Spitzenbeschleunigungen von 11 bis 13 g, aber hier reden wir von dem 100-fachen dieses Wertes. Kurz: ich glaube dafür findet sich kein Kunde. Ich kann mich dunkel daran erinnern, das es mal einen Satelliten gab der bei Tests „kaputt gerüttelt“ wurde – Satelliten werden vor dem Start auf Rütteltischen den erwartenden Vibrationen, die viel heftiger sind als die gleichmäßige Beschleunigung der Rakete, ausgesetzt und hat man den falschen Wert eingestellt. Schade, denn hätte ich den Satelliten gefunden, so hätte man einen Spitzenbeschleunigungswert, den man nicht überschreiten dürfte.

Ob es technisch funktioniert darf auch bezweifelt werden immerhin konnte der Firmengründer einem Reporter weder die kleine Prototypzentrifuge von 12 m Durchmesser, noch Videos von Testläufen zeigen oder wollte diese zeigen.

 

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