Als am 24 Februar der Krieg in der Ukraine begann, habe ich ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, das die Ukraine so lange durchhält. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen, einige von Seiten der Ukraine will ich kurz ansprechen, doch in diesem Blog geht es vor allem um die russische Armee.
Ein Grund ist sicherlich, das sich de Aufmarsch an den Grenzen über Wochen hineingezogen hat. Das hat der Ukraine Zeit gegeben sich vorzubereiten. Sie konnten sich eine Taktik überlegen, die ja auch funktioniert hat. Anstatt wie 2014 die russischen Truppen an der Grenze abzufangen. Hat man sie ins Land gelassen und dann die Kolonnen im Hinterland angegriffen. Wie ich einem Video der Bundeswehr entnehme, braucht Russland in diesem Fall eine vier bis sechsfache Überlegenheit – das bedeutet die rund 200.000 Soldaten, die anfangs die Ukraine überfielen, würden schon von 33.000 bis 50.000 ukrainischen Soldaten aufgehalten werden.
Natürlich spielt auch eine Rolle, dass die Ukrainer ihr Land verteidigen und daher eine andere Moral haben, als ihre russischen Gegenspieler, die nach beinigen Informationen beim Einmarsch meinten, das sie ein Manöver durchführen, sicherlich aber zu einem großen Teil nicht in den Krieg wollen.
Die Ukrainer kennen ihr Land gut und sie können sich aussuchen wo sie den Feind angreifen. Eine Analyse des österreichischen Bundesheers zeigt, wie effizient sie dabei einen Angriff durchführen.
Die Waffenlieferungen des Westens dürften sicherlich ihren Anteil haben. Dazu gibt es erstaunlicherweise die wenigsten Informationen. Ich habe auch meine Zweifel, ob diese so schnell in der Ukraine ankommen und wenn, ob man nicht die Armee auch damit trainieren müsste. Das spricht meiner Ansicht nach auch gegen komplexe Geräte wie Leopard 1 und Marder Panzer. Ich glaube kaum, dass man ein solches Waffensystem einfach in einigen Tagen oder Wochen einsatzbereit bekommt wenn die Armee es gar nicht kennt. Das spricht auch für die Lieferung von Restbeständen der DDR-Volksarmee. Als ich davon zuerst hörte, stellte ich mir zwei Fragen: Warum haben wir solche Restbestände noch nach über 30 Jahren, die ja nicht kompatibel mit der restlichen Ausrüstung der Bundeswehr sind? Und – Können wir der Ukraine nichts Moderneres liefern? Wie ich bei der russischen Armee noch erkläre, scheint die aber auch keine moderne Ausrüstung zu haben. Der Vorteil dürfte sein, das die Ukraine mit der Ausrüstung vertraut ist.
Der letzte Punkt ist der Zeitpunkt: In Russland kann man eigentlich nur im Sommer und im Herbst eine Offensive machen. Die deutsche Offensive begann 1941 am 22.6., die Sommeroffensive 1942 sollte am 5.4.1942 beginnen, verzögerte sich aber auch bis zum 28.6.1942 – übrigens ebenfalls in der Ukraine und selbst Napoleon begann am 24.6.1812, alle Offensiven also im Juni. Denn Februar März ist in der Ukraine die „Schlammsaison“ (offizielle Aussage eines Bundeswehrgeneral aus obigem Video). Da kann man schlecht übers freie Gelände fahren und auf den Straßen hat man dann lange, leicht angreifbare Kolonnen. Ich vermute, Putin wollte zum „Tag des Sieges“ am 9. Mai, dem Ende des Kriegs in Europa und seit 1995 gesetzlicher Feiertag in Russland die Offensive abschließen.
Was mich aber erstaunt hat, sind die hohen Verluste der russischen Armee und deren langsames Vordringen. Einige Videos des österreichischen Bundesheers waren da sehr erhellend. Zum einen mal die Ausrüstung. Gemäß dieses Videos scheint es an moderner Ausrüstung zu mangeln. So scheinen die Bataillone nicht die vorgesehene Anzahl an TOS-1 (moderner Raketenwerfer) zu haben. Zudem wundert mich das der Kampfpanzer immer noch der T-72 sein soll. Ich bin kein Militärexperte, aber ich weiß, dass die Ziffer für das Jahr des Entwurfs steht, also 1972. Ich wusste das es mindestens zwei neuere Exemplare, den T-80 und einen erst gerade in Einführung befindlichen T-14 gibt, wie ich bei der Recherche fand, gibt es dazwischen noch den T-90. Ich würde als Laie annehmen, dass man bei einem Überfall, um die eigenen Verluste zu minimieren, mit dem besten Equipment anrückt. Also würde ich die Bataillone voll ausrüsten, auch wenn ich die Ausrüstung woanders abziehen müsste und ich würde die modernsten Fahrzeuge einsetzen. Beides erfolgte offensichtlich nicht. Ebenso scheint der Überfall logistisch schlecht vorbereitet gewesen zu sein wie ja auch stecken gebliebene Kolonnen zeigen.
Was sich schon am Anfang zeigte, war das der Plan, Kiews handstreichartig zu nehmen fehlschlug. von dem Ziel hat man aber trotzdem vier Wochen lang nicht abgelassen. Nun verlagert sich der Krieg nach Osten, in die Nachbarschaft der Krim und dem Dombass, wo sich zwei Regionen für „unabhängig“ erklärt haben. Wohl sollen nun wenigstens diese gesichert werden. Schon vor dem Krieg hat sich der Präsident des Inlandsgeheimdienst bei einer „Audienz“ bei Putin versprochen und sich für den Anschluss dieser Gebiete an Russland ausgesprochen, was diese ja gar nicht beantragt haben. Das soll wohl als Ziel nun wenigstens erreicht werden.
Das einzige, was wirklich auf russischer Seite zu funktionieren scheint, ist der Beschuss mit Artillerie, Raketen und Drohnen. Dagegen gibt es kaum Abwehr, selbst westliche Armeen könnten nur punktuell Raketen abfangen und Artilleriegeschosse gar nicht. Doch diese Angriffe wenden sich vor allem gegen die Zivilbevölkerung. Das ist nicht neu. Entsprochenes kennt man schon vom Syrien und Tschetschenienkrieg, wo die Hauptstadt Grosny weitestgehend zerstört wurde. Angriffe gegen die Zivilbevölkerung – und sei es die eigene – sind ja Kennzeichen von Autokraten wie Saddam Hussein oder Baschar al-Assad. Russlands Armee hat da eine zweifelhafte Tradition die von Afghanistan über Tschetschenien und Syrien bis zur Ukraine reichen.
Die Frage, die ich mir stelle, ist aber ob die russische Armee überhaupt eine schlagkräftige Armee ist. Jahrzehntelang wurde der Einmarsch der Russen ja im kalten Krieg als Menetekel an die Wand gemalt. Inzwischen habe ich da meine Zweifel an ihrer Schlagfertigkeit. Sie schafft es ja nicht mal die Ukraine einzunehmen. Die Ukraine hat 34 Millionen Einwohner. Ihre Streitkräfte sind mit 209.000 Soldaten in etwa so groß wie die Bundeswehr, ihr Wehretat ist mit knapp 6 Mrd. Dollar aber zehnmal kleiner als den der Bundeswehr (46,93 Mrd Euro – 2021), entsprechend haben sie vor allem veraltete Waffen wie die Wikipedia schreibt. Wie sollte die russische Armee dann gegen die NATO eine Chance haben?
Historisch gesehen sieht es auch nicht besser aus. Russland ruht sich auf dem Sieg über Nazi-Deutschland aus. Der ist auch unbestritten. Doch der kam zustande, indem die Opfer egal waren. Ich dachte immer nach der Wende im Osten (1943) wären die Verluste der deutschen Armee immer größer geworden, man hätte immer weniger einsatzfähiges Material gehabt und das stimmt auch. Aber genauso stimmt, das man bei der Roten Armee auf eigene Verluste keinerlei Rücksicht genommen hat. Im Endkampf um Berlin hatte die Rote Armee über 352.000 Tote, die Wehrmacht 92.000. Bei den Kämpfen um Wien waren es 167.000 zu 37.000 und das, obwohl die Rote Armee in beiden Fällen weit überlegen war. Nur ist das heute sind solche Opferzahlen nicht so möglich, ohne das selbst Putin um seinen Thron fürchten müsste. Aber wie sah es bei der Leistung der Roten Armee den anderen Konflikten aus?
1939 gab es den Hitler-Stalinpakt, in dem Polen aufgeteilt wurde. Doch in Polen marschierte die Rote Armee erst dann ein, als der Krieg schon entschieden war. Dann fiel Russland noch im gleichen Jahr in Finnland ein. Auch hier konnte das kleine Finnland Russland lange Paroli bieten. Es gab einen Frieden 1940 mit kleinen Gebietsabtretungen, die im wesentlichen russische Gebiete vor 1721 waren. Auch hier verlor die Rote Armee zehnmal mehr Soldaten als die finnische Armee.
Dann gab es 1979 den Einmarsch in Afghanistan. Auch hier konnten die Mudschaheddin nicht besiegt werden, obwohl diese überhaupt keine schweren Waffen hatten. Schließlich zog mach wieder ab. Im ersten Tschetschenienkrieg konnte Russland die kleine abtrünnige Republik nicht besiegen und es kam zu einem Waffenstillstand. Auch im zweiten Konflikt sah Russland nicht gut aus und schlussendlich wurde der Konflikt dadurch beendet, dass sich Russland zurückzog und einen der Warnlords als Autokrat einsetzte. Putin liebt ja Autokraten. Auch 2008 in Georgien waren sie nicht siegreich und erkannten schließlich zwei Gebiete als unabhängig an.
Ich denke Putin hat gemeint, es liefe wie 2014 bei der Annektion der Krim oder wie in Syrien wo ja nur die Luftwaffe beteiligt ist. 2014 hat man die Ukraine überrascht, als man direkt nach der Olympiade von Sotchy einmarschiert ist. Doch der Überraschungseffekt ist bei wochenlangem Aufmarch nicht gegeben. Die Luftüberlegenheit haben sie nach wie vor, aber sie nützt nichts, wenn man keine Geländegewinne erzielt.
Was folgt aus diesen Erkenntnissen für die nun beschlossene Aufrüstung der Bundeswehr? Ich halte sie für nötig. Aber erst in einem zweiten Schritt. Im ersten Schritt sollte man die schon seit Jahren vorhandenen Probleme lösen. Die sind:
- mangelnde Einsatzbereitschaft von Ausrüstung
- Ersatzteilmangel
- aufwändige und lang andauernde Beschaffungsmaßnahmen
Dazu gehört eine Reform des Beschaffungssystems, das wir Scharping als Vereinigungsminister zu verdanken haben und das zu einem aufgeblähten 12.000 Angestellte starken Beschaffungsamt geführt hat. Danach kann man über Neuanschaffungen und etwas schneller über Nachbeschaffungen reden. Nachbeschaffen müsse wir, denn man hat nicht nur die Armee verkleinert, man hat überproportional Equipment abgebaut. So hatte die Bundeswehr 1990 eine Stärke von 495.000 Mann und 2.125 Leopard 2. Heute sind es knapp 184.000 Soldatinnen/Soldaten und nur 328 Leopard 2, man hat die Zahl der Panzer also um den Faktor 2,4 stärker als die der Soldaten reduziert. Entsprechend peinlich war es ja beim Beginn des Ukrainekrieges, als man gerade Mal 12 Schützenpanzer und drei Eurofighter an die Ostgrenze der Nato abkommandieren konnte. Eine Politikänderung ist aber nicht in Sicht so wurde als eine Maßnahme beschlossen 35 F-35, als Ersatz für die Tornados anzuschaffen. Gute Idee, aber es gibt noch 85 Tornados in der Bundeswehr und die werden nun durch weniger als halb so viele F-35 ersetzt. Daher würde ich von den 100 Milliarden erst mal wieder das Equipment aufstocken anstatt israelische Raketenabwehrsysteme zu kaufen, die man in Deutschland – 1000 km von der NATO-Ostgrenze entfernt, wohl kaum braucht. Dazu gehört auch eine Aufstockung der Truppenstärke. Bundeswehr und NVA hatten 1990 zusammen eine Stärke von 600.000 Mann. So viele wird man ohne eine direkte Bedrohung wie sie im kalten Krieg gegeben war, nicht brauchen, aber die Hälfte, rund 300.000 halte ich für eine vernünftige Größe.
Zurück zu Russland. Es scheint, als würde der Krieg nicht so laufen wie gewünscht. Gut das sah man schon am Anfang, aber denkbar war damals noch ein langer Abnutzungskrieg. Der Tschetschenienkrieg dauerte ja auch Jahre. Die Verlagerungen von Kräften und Aufgabe von erobertem Gebiet und die immer wütender werdenden Aussagen Putins und seiner Getreuen mit immer mehr Drohungen und undurchführbaren Dingen (man will das Gas in den Osten transportieren – wie soll das ohne Pipeline denn gehen?) deuten für mich aber darauf hin, dass Putin den Krieg nicht mehr lange aufrechterhalten kann. Ich denke Barack Obama hatte recht, als er sagte ,dass Russland eine Regionalmacht ist die seine Nachbarn bedroht, nicht aus Stärke, sondern aus Schwäche. Das steht im Gegensatz zu Putins Traum einer Rückgewinnung des Territoriums das die UdSSR mal hatte und einer Aufteilung von Europa wie nach der Konferenz von Jalta, also zwei Einflussgebieten mit Vasallenstaaten.