Ich will heute mal meine Meinung über Artemis bringen, wobei ich etwas zurückgehen muss, nämlich bis 2004, dem Geburtsjahr von Constellation. Constellation bestand aus vier Elementen von denen aber nur an drei bis zur Einstellung von Constellation entwickelt wurde:
- Der Ares I Trägerrakete die Besatzungen mit der Orion in einen nahen Erdorbit bringen sollte, sowohl für ISS-Missionen wie auch Mondmissionen.
- Der Ares V Trägerrakete die für eine Mondmission gedacht war, aber keine Besatzung transportiert.
- Der Orion als bemanntes Raumfahrzeug für vier Astronauten
- Dem Altair Mondlander der bei Einstellung noch nicht mal konzertiert war.
Nun ist Apollo nicht ganz typisch für Raumfahrtprojekte. Die Verträge, die damals abgeschlossen wurden waren nicht Verträge wie heute bei denen es eine feste Summe gab, es waren „Cost plus Fee“ Verträge: Die NASA trug alle Kosten der Firmen und die bekamen eine Prämie wenn sie das Ziel früher erreicht als ausgemacht – es gab schließlich die Deadline einzuhalten. Ingenieure berichteten Jahrzehnte später von seltsamen Dingen. So testeten Sie J-2 Triebwehre und stellten eine nicht gravierende aber auffällige Abweichung fest und wollten die am nächsten Tag bei einem weiteren Testlauf überprüfen. Doch die Triebwerke waren schon weg und neue standen auf dem Teststand. Es wurde für die heutige Zeiten enorm viel getestet und enorm viel gefertigt. Vom erwähnten J-2 Triebwerk wurden 190 Exemplare gefertigt aber nur 78 davon eingesetzt.
Aber eine Eigenschaft hat keines der Projekte: das die Finanzierung auf einem konstanten Niveau bleibt und genau das ist das was die NASA bei Artemis leisten muss. Die Folgen sind, dass die NASA anstatt parallel zu entwickeln nacheinander entwickelt. Zuerst die Orion die nach Streichung von Constellation nie in Frage stand und bei der die Entwicklung auch danach weiter ging. Dann die SLS die neu entstand und die sich signifikant von der Ares V unterscheidet:
- Sie muss für bemannte Missionen qualifiziert sein: Das macht sie teurer. Die Ares V musste das nicht leisten. Die Besatzung wäre mit einer Ares I gestartet, die Ares V mit dem Altairlander. Im Erdorbit wären beide aneinander gekoppelt und die letzte Stufe der Ares V hätte die Kombination zum Mond befördert. Da die Ares V die Orion in den Erdorbit gebracht hätte, wäre so die Nutzlast zum Mond von 62,8 auf 71,1 t gestiegen.
- Die SLS erreicht in der ersten Ausbaustufe „Block IA“ nicht mal die Hälfte der Nutzlast der Ares V. Das reicht angesichts der schweren Orion nicht mal für das Einbremsen in einen niedrigen Mondorbit und dessen Verlasen. Eine neue Oberstufe soll dies von 28 auf 38 t steigern. Das ist aber immer noch weniger als die Saturn V schaffte (49,5 t) und das macht eine komplett neue Missionsplanung nötig.
De Faktor reicht die SLS nicht für klassische Mondmissionen wie bei Apollo. Also das Einschwenken in einen niedrigen Orbit und Landung aus diesem. Das hat gravierende Auswirkungen auf das Artemisprogramm. Nur so ist die Verwendung des Halo-Orbits zu verstehen. Der Halo Orbit ist ein stabiler Orbit um den Mond der die Eigenschaft hat, das er bezogen auf die Oberfläche eingefroren ist, man also jederzeit aus ihm heraus das vorgesehene Landegebiet erreicht.
Gegenüber einem niedrigen Mondorbit wie ihn Apollo, aber auch die sowjetischen Luna Sonden vor der Landung einnahmen, hat er den Vorteil das der Geschwindigkeitsbedarf etwa 460 m/s gegenüber 900 bis 1000 m/s beträgt. Da dasselbe Manöver auch bei der Rückkehr nötig ist und der Mondlander fehlt, benötigt die aktuelle Artemis 1 Mission nur wenig Treibstoff und so kommt sie mit einer Block IA SLS mit nur 28 t Nutzlast aus, obwohl die Trockenmasse mit 19,5 t erheblich höher ist als bei Apollo mit 11,9 t.
Das ganze ist natürlich nicht ohne Preis. Der Mondlander muss genau die eingesparte Geschwindigkeitsdifferenz zusätzlich aufwenden, aber er ist eben erheblich leichter als das CSM und beim CSM spart man in jedem Falle Treibstoff ein. Nur so kann die NASA eine Mondmission durchführen, die so in zwei Missionen in den Haloorbit (einmal Lander und einmal Orion) aufgeteilt wird und so mit der SLS trotz beschränkter Nutzlast auskommt. Zwei SLS haben mit der noch kommenden Oberstufe für Block IB ziemlich genau die Nutzlast einer Ares V/Ares I Kombination.
Damit die Öffentlichkeit das nicht merkt und dumm fragt, warum man denn diesen komischen Orbit einschlägt, kam die NASA noch auf eine tolle Idee. Sie kombinierte den Orbit mit einer kleinen Raumstation, dem Lunar Gateway. Das hat mehrere Vorteile:
- Es entzerrt den Flugplan. Da die NASA nicht fähig ist mehrere SLS-Missionen zeitnah zu starten, kann die Besatzung an dem Lunar Gateway warten bis der Lander gestartet ist.
- Module für Raumstationen zu bauen, damit hat man nach der ISS viel Erfahrung, sie kosten nicht viel.
- ESA und JAXA entwickeln eigene Module, die hinzukommen, für die man gar nichts zahlen muss und man kann das als internationale Zusammenarbeit verkaufen.
- Man verkauft der Öffentlichkeit das Lunar Gateway als erste Raumstation im Mondorbit und Forschungsstation obwohl die Erforschung aus dem Orbit viel billiger und effizienter durch Satelliten erfolgen kann.
Das Grundproblem bei Artemis ist und bleibt die Finanzierung. Das Problem hatte schon Constellation. Aber damals beschloss die NASA um Mittel freizubekommen das Space Shuttle einzustellen, nachdem die ISS fertiggestellt ist und die ISS nach zehn Jahren einzustellen. Sie hätte beide Projekte sogar sofort einstellen wollen (wir erinnern uns: 2004 ist ein Jahr nach dem Verlust der Columbia), aber dummerweise gab es die Verträge mit ESA und JAXA die für ihre Beteilligung einen Betrieb ihrer Module über zehn Jahre vorsahen. ISS und Space Shuttle kosteten zusammen zwischen 5 und 6 Milliarden Dollar pro Jahr, das über zehn Jahre summiert ergibt einen schönen Betrag der eben bei der SLS fehlt. Dabei hatte auch Constellation das Problem, dass die NASA die Kosten viel zu gering ansetzte, so war als das Programm 2011 eingestellt wurde, die Arbeit am Altair Lander noch gar nicht begonnen worden, weil es an Mitteln fehlte. Bei Artemis bedeutet die noch knappere Finanzierung da jede Budgetüberschreitung, die es vor allem bei der SLS gab das Programm weiter verzögert.
Die NASA hat seit Apollo einen immer kleineren Anteil am US-Haushalt. Absolut gesehen bekommt die NASA mehr Geld, doch das berücksichtigt eben nicht die Inflation und der US-Haushalt ist in den letzten Jahrzehnten enorm gewachsen. Als die ISS entstand, also das letzte Großprojekt hatte das NASA-Budget einen Anteil von 0,8 Prozent am Haushalt. Heute sind es unter 0,5 Prozent. Würde man es nur auf das NASA Budget nur auf diese 0,8 Prozent anheben, so wären das rund 12 Milliarden Dollar mehr, 2022 lag das Budget für die Deep Space Exploration Systems, unter denen Artemis läuft, bei 6.750 Millionen Dollar. So kann sich die NASA aber gerade mal eine Artemismission alle zwei Jahre leisten, weil eine Mission enorm viel kostet – die aktuelle Artemis 1, 4,1 Milliarden Dollar, und dabei ist nicht mal ein Lander dabei, dessen Prototyp weitere 1,15 Milliarden Dollar kostet. Dabei setzt die NASA ja schon auf andere Träger, welche die Module des Lunar Gateways befördern sollen, vor allem die Falcon Heavy. Sonst wäre das Gateway nicht finanzierbar. Noch mehr Mittel würde eine echte Raumstation auf der Mondoberfläche erfordern. Ohne diese wäre eine Erforschung beschränkt auf einige Tage Aufenthalt. Viel länger kann man bei begrenztem Raum in einem Mondlander aushalten und für viel längere Aufenthalte braucht man auch ein regeneratives Lebenserhaltungssystem und eine dauerhafte Stromversorgung, die sich völlig von der von Kurzzeitmissionen unterscheidet. Weil ein Mondtag etwa 14 Tage dauert und dann eine 14 Tage lange Mondnacht sich anschließt, benötigt eine Raumstation eine nukleare Stromversorgung die auch noch nicht entwickelt ist. Eine Mondbasis erfordert also weitere deutlich höhere Investitionen, die nicht im Budget vorhanden sind. Artemis wird daher erst Fahrt aufnehmen wenn die ISS aufgegeben wird, nach derzeitigem Zeitplan ist das 2030 der Fall. Dann werden wenn man das Budget von 2022 als Basis nimmt, 4,1 Milliarden Dollar pro Jahr frei, die die ISS und ihre Transportflüge derzeit pro Jahr kosten.
Die NASA hat das Constellation Programm wegen der Ähnlichkeit zu dem Apolloprogramm, vor allem aber der ähnlichen Architektur, als „Apollo on Steroids“ bezeichnet. Bedenkt man den langsamen Fortschritt von Artemis, das nun ja auch schon zehn Jahre alt ist mit einer Mission alle zwei Jahre wäre für das Programm dann wohl die Bezeichnung „Apollo on Valium“ angebracht. Für alle jüngeren Leser: Valium (chemisch: Diazepam) war ein zu meiner Zeit populäres Beruhigungs- und Schlafmittel. Eine Nebenwirkung war, das Personen die Valium nahmen unmotiviert waren und ihnen so so ziemlich alles egal war.