Zwei Tage lang hat ein Ballon Schlagzeilen gemacht. Er überflog den Bundesstaat Montana und soll angeblich eine US-Air Force Base ausgekundschaftet haben. Ich habe das Thema mal aufgegriffen. Auch weil es ein Wissensgebet tangiert zu dem ich was beitragen kann nämlich Fernerkundung aus großer Höhe.
Zuerst einmal: so neu ist die Idee nicht. Die USA selbst haben in den fünfziger bis frühen Jahren genauso Spionage mit hochfliegenden Ballons betrieben. Diese wurden nahe der russischen Grenze steigen gelassen und wenn sie es schafften jenseits von Russland wieder geborgen. Als der Flug über Russland zu riskant wurde, beschränkte man sich auf die innerdeutsche Grenze um zumindest einen Blick über den eisernen Vorgang zu werfen. In genügender Höhe kann ein Ballon weit in die damalige DDR blicken, aber wenn er mit eine Seil am Boden fixiert ist nicht den Luftraum der DDR betreten. So wurde diese Ballonaufklärung in den frühen sechziger Jahre noch durchgeführt. Seitdem nicht mehr und sie gilt daher als veraltet.
Die Reaktion Russlands war genau die gleiche wie heute die von Amerika, es gab wütende Protestnoten und vor allem Chruschtschow war über diese Verletzung der Souveränität der Sowjetunion und ihres Luftraums empört. Er sah damit einer Herabwürdigung der U.d.S.S.R, da der Luftraum eines jeden Staats genauso unverletzlich ist wie die Land- und Seegrenzen, also man für den Überflug eine Erlaubnis brauchte. Und die USA reagierten genauso wie heute China und sagten, das wären verirrte Wetterballons.
Wetterballons können in der Tat riesig sein und große Höhen erreichen. Die Grenze ist eigentlich nur die Eigenmasse der dünnen Hülle und der Nutzlast. Sie erreichen die Höhe durch die geringere Molekülmasse des Füllgases Helium. Eine bestimmte Menge an Gasmolekülen nimmt immer das gleiche Volumen ein, die Masse ist aber abhängig von der Molmasse. Helium hat eine Molmasse von 4, Luft eine von 29. Auf Meereshöhe ist ein Kubikmeter Helium also 1,1 kg leichter als Luft und kann somit eine Hülle und eine Nutzlast von 1,1 kg in der Schwebe halten. Er hat eine Auftriebskraft die einem Gewicht von 1,1 kg entspricht.
Mit der Höhe wird die Luft immer dünner, sodass für dieselbe Nutzlast der Ballon immer größer wird und die Hülle wird immer größer und schwerer. Das begrenzt letztendlich die Höhe. Der Rekord für Ballons liegt bei 49 km Höhe. Er wurde 2002 von einem NASA-Ballon mit einem Volumen von 7,1 Millionen Kubikmetern erreicht (bei einer Kugel entspricht dies einem Durchmesser von 238 m). Er trug eine 690 kg schwere Messeinrichtung. Bei Abnahme des Drucks nach der barometrischen Höhenformel ist in 49 km Höhe der Druck 334-mal geringer als auf Meereshöhe, in 18 km Höhe, der Flughöhe des chinesischen Ballons, immerhin 8,5-mal kleiner. Entsprechend kann der Ballon auch viel kleiner sein. (der NASA Ballon hätte bei sonst gleichen Angaben dann 70 m Durchmesser). 18 km Höhe sind für einen Ballon keine große Höhe. Die 49 km Höhe des NASA Ballons sind extrem, aber Forschungsballons erreichen oft über 30 km Höhe. Selbst wenn ein Wetterballon nur Messungen in der Troposphäre und unteren Stratosphäre durchführt, muss er eine sehr hohe Höhe erreichen, denn er darf ja da ungesteuert, nicht die Luftfahrt stören, muss also über 12 km Höhe erreichen. Das ist die Höhe in der Verkehrsflugzeuge die Welt umrunden.
Allerdings sind Wetterballons, welche die Atmosphäre erforschen viel kleiner. Sie tragen einige Sensoren, Funksender und Batterien, das wiegt einige Kilogramm. Ein Ballon mit wenigen Metern Durchmesser reicht dafür aus.
Nach den Nachrichten soll es ja nicht der erste Ballon gewesen sein der über die USA gezogen ist. Ungewöhnlich ist nur, das er diesmal besonders tief flog. Das bedeutet das die USA dieses Überfliegen solange tolerierten solange der Ballon keine bestimmte Mindesthöhe unterschritt. Ich vermute, wäre er der Öffentlichkeit nicht aufgefallen wäre, die Reaktion wäre wesentlich kleiner gewesen.
Das der Ballon bei tieferer Höhe natürlich mehr sieht, ist eine logische Folge, eine zweite Folge der Höhe ist das die Windgeschwindigkeit nach der Spitze mit dem Jetstream mit der Höhe wieder leicht ansteigt, er also in größerer Höhe weniger Zeit für eine Beobachtung hat. Zuletzt kann ein Ballon mit einer gegebenen Größe in niedrigerer Höhe eine viel schwerere Nutzlast tragen. Eine solche Nutzlast sind die Solarpaneele zur Stromversorgung, die wiederum einen Motor antreiben können, um die Flugbahn zu beeinflussen und natürlich eine Kamera.
18 km Höhe sind wenig. China hat verschiedene Aufklärungssatelliten der Yaogan Serie im Einsatz. Neben elektronischer Aufklärung betreiben diese auch optische und Radaraufklärung. Satelliten dieses Typs befinden sich in 600 bis 1.100 km hohen Bahnen. Je nach Typ wird die Bodenauflösung auf 0,8 bis 1,5 m geschätzt. 18 km Höhe ist rund 30-mal näher an der Erde als die niedrigen 600 km Bahnen, entsprechend würde dieselbe Kamera eine Auflösung von 3 bis 5 cm haben. Das ist ein Quantensprung, sofern man diese Auflösung auch ausnutzen kann. Denn es gibt neben dem Faktor der Bahnbeeinflussung auch eine zweite große Einschränkung: in dieser Höhe gibt es noch Wind. Nicht nur den der den Ballon konstant in eine Richtung treibt – der Ballon hat in zwei Tagen bevor er abgeschossen wurde, die USA überquert, sondern natürlich auch turbulente Kräfte, welche ein Bild verschmieren können. Je höher die Auflösung, um so empfindlicher ist die Kamera für das „Verwackeln“. Theoretisch ist ein bedeutsamer Vorteil eines Ballons, das er langsamer unterwegs ist. Die Nachrichten spekulierten davon, dass er über dem Ort schweben könnte, was dieser chinesische Ballon aber nicht tat. Aber er kann einen Ort länger beobachten als ein Satellit und ist natürlich auch viel preiswerter. Eine längere Beobachtungszeit benötigt man um Veränderungen zu sehen. Die USA haben sich ja deswegen aufgeregt weil eine US-Luftwaffenbasis überflogen wurde, in der Atomwaffen (150 Minuteman Raketen) gelagert werden. Normalerweise macht es keinen Sinn sich deswegen aufzuregen, denn ich glaube kaum, dass Atombomben unter freiem Himmel für einen Ballon sichtbar lagern. Aber wenn es darum geht, zu beobachten wie sie unter einem Flugzeug montiert werden dann macht die Aufregung schon Sinn. Da die Bahnen von Satelliten bekannt sind, könnte man solche Manöver – zumindest so lange bis China nicht zu viele Satelliten im Einsatz hat, dass die Zeitfenster klein werden, auf die Zeiten legen wo die Basis nicht von einem Satelliten beobachtet werden kann. Aber ehrlich gesagt ich glaube nicht daran. Ich vermute alle Arbeiten an Atomwaffen werden in Gebäuden erfolgen, egal ob sie nun an eine Rakete oder ein Flugzeug montiert werden und die Rede war ja von Minuteman Raketen die werden sicher nicht unter freiem Himmel gewartet.
Zurück zu den Ballonen welche die USA in den Fünfziger Jahren über Russland entsandten. Diese waren nicht steuerbar. Sie hatten automatische Kameras, die in festgelegten Abständen Aufnahmen machten. Schon damals hätten die USA die Ballone in eine so große Höhe bringen können, das sie für die sowjetische Luftabwehr nicht erreichbar waren. Das machte man nicht, obwohl die russische Propaganda immer wieder Reste von abgeschossenen Ballonen der internationalen Presse präsentierte. Angeblich sollen die russischen Mondsonden und ersten russischen Aufklärungssatelliten sogar dabei geborgenen hochempfindlichen Film verwendet haben. Der Grund war relativ einfach – die Ballone waren ineffizient und das US-Militär arbeitete an einem Aufklärungsflugzeug das große Höhe erreichen konnte und nur durch diese Höhe vor einem Abschuss geschützt war – die U-2. Einige Jahre lang konnten dann U-2 unbehelligt die Sowjetunion überfliegen und Baikonur und Militärbasen ausspionieren. Abfangjäger mussten abdrehen weil sie die Höhe nicht erreichten, bis Russland eine Rakete entwickelte, welche diese Höhe erreichte und im Mai 1960 eine U-2 abschossen. Heute wäre das unmöglich. Alle größeren Nationen haben Abfangsysteme für große Höhen. Wer einen Satelliten abschießen kann, kann auch einen Ballon abschießen. Für mich ist der chinesische Ballon dasselbe wie die US-Ballone in den Fünfziger Jahren. Es ist das Eingeständnis, dass man nicht die Technologie hat, den Gegner wirksam auszuspionieren. Die USA setzten die Ballonerkundung ein, als sie eine wirksamere Technologie hatten. Der Ballon ist eher ein Zeichen der Schwäche als der Stärke. Das es einen enormen Unterschied zwischen dem Paraden von Militärgerät und dessen wirklichen Nutzen gibt, sehen wir ja gerade in der Ukraine. Russland hat eine hochgerüstete Armee, viel weniger abgerüstet als der Westen nach dem kalten Krieg und wird nicht mal mit der kleinen Ukraine fertig. Auch hier kann ich mich an viele Militärparaden mit Waffensystemen und Videos von Manövern und Flugschauen erinnern in denen Flugzeuge, Panzer, Raketen Russlands so gut aussehen. Genau die gleichen Bilder die China zeigt.
Vielleicht ist es aber auch nur eine weitere Grenzüberschreitung, wie sie China ja schon seit Jahren betreibt. So will es größere Teile des chinesischen Meers als Hoheitsgebiet beanspruchen indem sie Sandbänke zu bewohnten Militärbasen ausbauen oder Taiwans Lufttraum wird gezielt von chinesischen Kampfflugzeugen verletzt. Es sind gezielte Grenzüberschreitungen, um zu sehen wie der Westen reagiert.