Bernd Leitenbergers Blog

Die russische Lösung – Probleme umgehen, anstatt sie zu lösen – Teil 2

Im zweiten Teil geht es jetzt um das eigentliche Thema, die Umgehung von Problemen in der Raumfahrt durch die Sowjetunion. Das Thema wird oft missverstanden. Ich kann mich an eine Werbung in einer Raumfahrtzeitschrift erinnern, in der nur ein kurzer, zerkauter Bleistift abgebildet war und in der sinngemäß stand, das die NASA enorme Summen für einen weltraumtauglichen Kugelschreiber ausgab, während die Russen das Problem so lösten: (und dann kommt der Bleistift).

Das führt auf eine falsche Fährte. Es gibt tatsächlich eine kleine Affäre um Kugelschreiber im Gemini-Programm.

Die NASA hatte 4.382,50 Dollar für 34 Kugelschreiber ausgegeben, mit denen die Astronauten Notizen machen und Berechnungen durchführen konnten. Sie waren notwendig weil sie zahlreiche Instruktionen von der Missionskontrolle bekamen, die sie erst aufschreiben und danach wieder vorlesen mussten und einen Verständnisfehler auszuschließen. Jeder kostete also rund 129 Dollar.

Das teure war die Anpassung des Druckmechanismus eines Standard-Gehäuses, damit die Astronauten auch in ihren klobigen Handschuhen den Druckknopf betätigen konnten. Der Kugelschreiber funktioniert durch die Kapillarkraft, daher kann man auch schreiben wenn die Spitze nach oben zeigt und funktioniert so auch in der Schwerelosigkeit. Die eigentliche Mine stammte von einem regionalen Schreibwarengeschäft und kostete lediglich 1,75 Dollar. Die Astronauten führten aber auch vier japanische (!) Pentel Kugelschreiber im Gesamtwert von 0,49 Dollar mit. Natürlich führte dies zu einer Anfrage, warum die NASA knapp 129 Dollar pro Kugelschreiber ausgab, wenn die Astronauten offensichtlich auch mit einem für 12 Cent aus dem nächsten Schreibwarenladen arbeiten konnten, der dazu noch nicht einmal ein US-Produkt war.

In der Anzeige wurde also im Prinzip suggeriert, das man bei der NASA sich unnötig viel Arbeit macht, mit Dingen die in Russland viel pragmatischer und einfacher gelöst werden. Doch schon dieses Beispiel zeigt, wie kurzsichtig diese Denkweise ist, denn der Bleistift muss ja mal nachgespitzt werden. Wie macht man das, ohne das Krümel in der Kabine herumfliegen?

Aber zurück zum Thema. Es geht heute um Raumsonden und in beschränktem Maße auch Satelliten, weil man von russischen Satelliten nur wenig weiß. Sei alle müssen in der Schwerelosigkeit, dem Vakuum und unter unterschiedlichen Sonneneinstrahlungen arbeiten können.

Die Schwerelosigkeit ist meist kein Problem, weil Elektronik keine Gravitation braucht und Mechanik so konstruiert werden kann, das sie auch ohne Gravitation auskommt. Experimente arbeiten fast immer ohne Gravitation (einfacher Test: wenn man ein Gerät um 90 Grad drehen kann und es funktioniert noch ohne Einschränkung, so benötigt es für eine Funktion keine Gravitation. Ein Fotoapparat kann man drehen um z.B. Hochkantaufnahmen zu machen. Die Gravitationskraft kann leicht durch andere Kräfte, wie Federkraft ersetzt werden.

Problematischer ist das Vakuum. Zwar benötigen viele Dinge keine Atmosphäre zum Arbeiten, bei manchen Experimenten stört sie sogar (Vidiconröhren sind z.B. evakuiert). Aber die Atmosphäre hat auf der Erde einen enormen Vorteil – sie gleicht Wärmeunterschiede durch Konvektion aus und durch ihre Wärmekapazität sind die Unterschiede zwischen von der Sonne bestrahlten und nicht bestrahlten Flächen geringer als im Weltraum. Es soll in tiefen Mondkratern am Mondsüdpol Eis geben, das normalerweise bei den Temperaturen längst verdampft wäre, aber ohne direkte Einstrahlung ist es dort so kalt das das Eis über Milliarden von Jahren beständig ist. Ein Satellit heizt sich so auf einer Seite auf und bleibt auf der anderen Seite sehr kalt.

Die Sonneneinstrahlung ist im erdnahen Weltraum auch größer, da die Atmosphäre wegfällt, variiert aber bei den Planeten.

Die USA arbeiteten zuerst an verschiedenen Oberflächenlackierungen, welche die Temperatur in einem erträglichen Rahmen halten sollten, später wurden viele Satelliten durch rasche Rotation um die eigene Achse versetzt. Das stabilisiert sie nicht nur, sondern verteilt die Sonneneinstrahlung auf die ganze Oberfläche. Das ging so gut, dass dies bis in die Achtziger Jahre angewandt wurde, sogar bei mehreren Tonnen schweren Kommunikationssatelliten. Die heutige Methode ist es, durch reflektierende Folien und entsprechende Oberflächen nur so viel Wärme aufzunehmen, das die der sonnenzugewandte Seite in einem normalen Temperaturbereich bleibt – meist Zimmertemperatur, weil das auch die Anforderungen für alle Komponenten auf gewohnte Maßstäbe absenkt. Teile des Satelliten, die nicht von der Sonne beschienen werden werden aktiv beheizt, heute wird auch mit HeatPipes Wärme innerhalb der Raumfahrzeuge transferiert.

Russland umging dies, indem sie einfach auf den Raumsonden normale Bedingungen schuf. Alles was temperaturempfindlich war, wurde in ein Gefäß gefüllt mit Stickstoff platziert, in dem ein Ventilator die Atmosphäre umwälzte. So wurde die Wärme von der heißen Wand aufgenommen und umverteilt. Das sieht man zahlreichen frühen Sonden an, man muss nur darauf achten, ob der Zentralkörper die Form eines abgerundeten Zylinders hat. Das ist der Druckzylinder.

Neben dem Mehrgewicht – der Zylinder muss dem Innendruck standhalten – hat das Vorgehen noch einen Nachteil. Der Behälter muss druckdicht bleiben. Ein Mikrometeorit der einen „normalen“ Satelliten trifft, muss schon etwas treffen was Schaden verursacht – innen bestehen Satelliten meist aus leerem Raum, die Größe wird oft von den Solarpaneelen bestimmt. Bei einem Druckzylinder reicht ein Treffer aus, das die Luft entweicht und die Raumsonde durch erhitzen ausfällt. Das passierte einige Male so. Schon bei Luna 3, der ersten Anwendung des Konzepts bei einer Raumsonde (schon Sputnik 1 war eine mit Stickstoff gefüllt Kugel) gelang es nicht die Temperaturen einzuhalten und die Sonde überhitzte. Da die Sonde Film nutzte um Fotos zu machen, waren die Bilder auch von nicht sehr hoher Qualität.

Trotzdem wurde das Prinzip bei allen Raumsonden der Sechziger und siebziger Jahre verwendet. Oft fielen sie schon vor Erreichen des Ziels aus weil der Druckzylinder punktiert war. Von dem Sondentrio Mars 4 bis 7 gelangte nur Mars 5 in eine Umlaufbahn, machte gerade die ersten Bilder als durch Druckabfall die Temperaturen ansteigen. Man beschleunigte das Messprogramm, konnte aber nur wenige Bilder gewinnen, bis die Sonde kurz darauf ausfiel.

Mars 5 arbeitete auch mit fotografischem Film. Das war die zweite Übernahme von erdähnlichen Bedingungen. Mit Film arbeiteten auch US-Aufklärungssatelliten lange und Russlands Satelliten noch länger, aber bei diesen Satelliten wurden die Filmkapseln geborgen und in professionellen Labors entwickelt. Russland setzte bei Raumsonden bei denen die Filmbergung nicht möglich war auf das Entwickeln an Bord und das Abtasten mit Photodioden, anstatt eine weltraumtaugliche, kleine elektronische Kamera zu entwickeln. Die USA probierten die Technik anfangs im SAMOS Projekt aus und setzten sie einmal auch bei der Planetenforschung ein – bei den Lunar Orbitern, weil eine Videokamera niemals den Bereich abgebildet hätte den man für die Auswahl der Landeplätze benötigte. Allerdings waren deren Aufnahmen relativ gut, anders als die russischen Aufnahmen von Raumsonden, die veröffentlicht wurden. Der Nachteil von Film ist, dass er eine begrenzte Ressource ist und sich während der Lagerung verändern kann – verspröden, oder noch schlimmer, er wird durch kosmische Strahlen belichtet. Die Sonden Mars 2+3 kamen zeitgleich mit Mariner 9 an, doch von ihnen gibt es nur wenige sehr schlechte Fotos.

Die Spitze in der Bereitstellung erdähnlicher Bedingungen dürften wohl die Zenit Aufklärungssatelliten sein. Die Wostok Raumkapseln waren schon konstruktiv so ausgelegt, dass Eingreifen seitens des Kosmonauten nicht vorgesehen war. Da war der Schritt nicht groß, den Menschen wegzulassen und vor das Bullauge eine Kamera zu montieren. So kam Russland zu ihren ersten Aufklärungssatelliten. Sie hatten mit 10 bis 15 Meter Auflösung und 1.500 Frames auf der Filnmrolle. Das ist vergleichbar mit der ersten Generation von KH-1 Satelliten, aber während diese etwa 250 bis 400 kg wogen, waren es bei den Zenit 4,7 t. Um den Preis das man sich eine Entwicklung eines Aufklärungssatelliten sparte, baute Russland bis 1994 Raumfahrzeuge die sicher auch nicht billig waren und startete sie mit Wostok-Trägerraketen während für einen Aufklärungssatelliten wohl eine Kosmos C gereicht hätte.

Insgesamt waren russische Raumfahrzeuge immer schwerer als westliche Gegenstücke. Dafür meistens kurzlebiger. Selbst die bemannten Raumfahrzeuge hatten lange Zeit nur eine begrenzte Lebensdauer, weil sie noch Wasserstoffperoxid als Treibstoffkomponente verwendeten und dieses sich langsam zersetzte. Anstatt einen nicht zersetzenden Treibstoff zu verwenden umging die Sowjetunion das Problem: es gab zu Saljut und Mir Gastbesatzungen die eine neue Sojus zur Station brachten und mit der alten Sojuskapsel zurückkehrten.

Nur bei den Venuslandekapseln war dieses Konzept von Vorteil. Bedingt durch den enormen Druck mussten Kapseln sowieso massiv sein. Je größer sie waren desto langsamer wurde es im Inneren unerträglich heiß. In der kurzen Betriebszeit – maximal einige Stunden – war auch eine komplexe Elektronik nicht vorn Vorteil. Man konnte nicht von der Missionskontrolle groß eingreifen, dazu war die Zeitspanne zu kurz. Zudem wusste man nicht, wie lange die Kapsel arbeiten würde. Die Veneras wurden ab Venera 9, der ersten am Boden arbeitenden Generation so konstruiert, das sie ein festes Programm durchliefen. War dass Programm durch, so fing es von neuem an. Das hat Vorteile – man bekommt so Mehrfachmessungen. Mehrere Messungen desselben Werts bestätigen diesen, ansonsten kann man schleichende Veränderungen erkennen. Bei den Kameras konnten so Lücken in den Bildern gefüllt werden, die dadurch entstanden, dass Kameras und Telemetriesender sich eine Verbindung teilten und so es wenn Telemetrie gesendet wurde, Lücken in den Panoramen gab. Venera 9 und 10 hatten eine Sollbetriebsdauer von 32 Minuten. Die zweite Generation, ab Venera 11 eine von 60 Minuten. Der Rekord für die Betriebszeit liegt bei 127 Minuten, aufgestellt von Venera 13. Allerdings waren einige Sonden noch aktiv als sie außer Funkreichweite der Busse waren, welche die daten übertrugen, so könnte es sein das sie noch länger arbeiteten (auch die europäische Raumsonde Huygens arbeitete noch als der Funkkontakt zu Cassini abriss, die Trägerwelle konnte mit Radioteleskopen noch lange danach empfangen werden).

Für mich persönlich interessant wäre ein Vergleich mit US-Vorgehensweise auf der Oberfläche der Venus hinsichtlich Überlebensdauer. Leider ist er schwer möglich. Zeitgleich mit Venera 11+12 landeten auch die Pioneer Venus Kapseln, doch sie waren für eine Landung nicht ausgelegt und kippten als Kugeln dann um. Empfangen konnte man ein Signal, wenn der Sender zufällig in Richtung Erde zeigte. Das war bei einer Sonde der Fall die noch 67 Minuten lang Daten sandte. Für Davinci, die einzige geplante Venuslandemission ist eine Überlebenszeit von 18 Minuten nach der Landung möglich, die Rechnung basiert aber auf den Ressourcen. Auch Davinci ist keine Landemission und landet relativ hart mit 18,7 m/s (entspricht auf der Erde einem Fall aus 18 m Höhe, so das ein Ausfall wahrscheinlich ist) Russland hat seit 2003 eine Verena-D in der Planung, die länger auf der Venus arbeitet, aber wie so viele andere russische Projekte blieb es bisher eine Papiersonde. Angeblich soll sie 2029 nach 26 Jahren Planung starten, nach dem 2004 veröffentlichten Konzept ist das genau 15 Jahre nach der erfolgten Landung im Jahre 2014 …

Ach ja: Ich habe ChatGPT eine Zusammenfassung des Textes anfertigen lassen:

„In diesem Text geht es um die russische Lösung, Probleme in der Raumfahrt nicht zu lösen, sondern zu umgehen. Im zweiten Teil des Textes wird beschrieben, wie die Sowjetunion mit den Herausforderungen umgegangen ist, die die Schwerelosigkeit, das Vakuum und unterschiedliche Sonneneinstrahlungen mit sich brachten. Es wird darauf hingewiesen, dass die Annahme, dass die russische Lösung immer die einfachere und pragmatischere ist, nicht immer zutrifft. Ein Beispiel dafür ist die Geschichte mit den teuren Kugelschreibern der NASA im Gemini-Programm. Der Text beschreibt auch, wie die USA Probleme mit der Temperatur in Satelliten durch die Rotation um die eigene Achse gelöst haben.“

Also ich bin damit nicht zufrieden, so wird viel weggelassen und die Kugelschreiberepisode hat mit Russland nichts zu tun.

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