Die erste Wiederverwendung eines Raumschiffs
Ich möchte heute an das erste wieder verwendete Raumschiff erinnern, das im Zeitalter der Verseichtung fast vergessen ist, aber da ich gerade an den Titan-Raketen für mein nächstes Buch arbeite und da auch ergänze kam es mir beim Schreiben einfach unter.
Dazu müssen wir arg lange in die Vergangenheit zurückgehen, sogar noch vor meine Geburt (und die ist mittlerweile auch schon 58 Jahre her) nämlich ins Jahr 1965.
Beim Gemini Programm gab es, wie bei allen amerikanischen bemannten Programmen – das gilt bis heute, wie wie erst vor einigen Wochen bei der Artemis 1 Mission gesehen habe – einen unbemannten Test der gesamten Mission.
Im Gemini Programm waren es zwei unbemannte Starts zur Qualifikation von Kapsel aber auch Titan II. Es waren die beiden ersten Flüge, genannt Gemini 1 und Gemini 2.
Gemini 1
Der erste Testflug galt dem Test der Trägerrakete und der Kapsel. Es sollte die strukturelle Integrität der Kapsel geprüft werden, die Kompatibilität mit der Trägerrakete und ein Test der Titan 2 als Trägerrakete für Gemini. Des weiteren wurden eine Reihe von neu entwickelten Subsystemen in der Titan 2 und einige Kapselsysteme, wie die Kontrolle des Wärmehaushaltes, getestet. Bei diesem ersten Testflug war die Kapsel noch fest mit der zweiten Stufe verbunden. Der Test des Hitzeschutzschildes stand erst für den nächsten Testflug an. Die Kapsel war noch ein Prototyp, so fehlte der Hitzeschutzschild, die Retroraketen und zahlreiche andere Systeme. Sie wog nur 2.766 kg. Der für uns wichtigere Testflug ist der von Gemini 2:
Gemini 2 (19.1.1965)
Sieben Monate nach dem Gemini 1 Flug waren dann auch sämtliche Systeme der Kapsel startbereit. Gemini 2 sollte die Fähigkeiten der Subsysteme demonstrieren, die bei Gemini 1 noch in der Entwicklung waren, wie die automatische Steuerung durch den Bordcomputer, den Hitzeschutzschild und die Bremseinheit mit ihren Triebwerken. Der Start wurde mehrmals verschoben. Ursprünglich geplant war der Start im November 1964, doch der Start fand erst im Januar 1965 statt.
Schon am 14.7.1964 kam die Titan am Cape an. Sie wurde gerade zusammengebaut, als ein Gewitter aufzog und Blitze nahe des Pads einschlugen. Es dauerte einige Tage die Stufe auf Beschädigungen zu prüfen. Man war damit gerade fertig, als im August der Wirbelsturm Cleo über das Cape zog. Die zweite Stufe wurde abgebaut und in einem Hangar verstaut. Die erste Stufe nur geschützt. Kaum hatte man die Rakete wieder zusammengebaut, da nahte der nächste Hurrikan Dora. Diesmal wurde zur Sicherheit die ganze Rakete demontiert. Bevor man sie wieder am Startplatz zusammenbauen konnte, folgte der dritte Orkan genannt „Ethel“. (Wirbelstürme erhalten weibliche Vornamen die das Alphabet durchlaufen). So war die Titan erst am 14.9.1964 startbereit. Allerdings nicht die Kapsel. Das Raumschiff für Gemini 2 kam erst Ende September 1964 an und wurde somit erst am 5.11.1964 mit der Titan verbunden.
Die Kapsel sollte das Programm eines Geminiflugs absolvieren, aber keinen Orbit erreichen. Vielmehr würde sie direkt nach dem Start die Wiedereintrittsprozedur durchlaufen und damit diese Systeme, die bei der ersten Mission Gemini 1 noch inaktiv waren, erproben. Weiterhin resultierte durch dieses Flugregime dadurch eine steilere Wiedereintrittsbahn als normal, sodass der Hitzeschutzschild höheren Belastungen ausgesetzt war, als sie später auftraten. Überstand er diese, so hatte er eine Sicherheitsreserve für die operativen Flüge.
Beim ersten Startversuch am 9.12.1964 stoppte die Zündung der Titan. Ein Gehäuse eines Hydraulikventils war gebrochen, und das MDS (Mailfunction Detect System) erkannte eine Abweichung und schaltete die Triebwerke wieder ab. Damit hatte das MDS seine Bewährungsprobe bestanden. Die Ursache war, dass man um Gewicht zu sparen, das Gehäuse dünner gefertigt hatte so brach es. Man baute nun wieder die ursprünglichen Gehäuse ein und schließlich hob nach einer Pause wegen der Weihnachtsferien am 19.1.1965 schließlich Gemini 2 ab.
Wie geplant löste bereits 6 Minuten 54 Sekunden nach dem Start ein Zeitgeber im Computer das Wiedereintrittsprogramm aus. Er drehte zuerst durch die RCS-Triebwerke das Geminiraumschiff, trennte danach die Serviceeinheit ab und die vier Bremsraketen wurden gezündet. Schließlich wurde auch die Bremseinheit abgetrennt. Die Kapsel landete schon 18 Minuten und 26 Sekunden nach dem Start 3.419 km von Cape Kennedy entfernt, im Atlantik; 26 km vor dem vorausberechneten Landepunkt entfernt. Da die Kapsel beim Bremsmanöver um 3,2 Grad falsch ausgerichtet war, kam es zu dieser Abweichung vom Zielpunkt. Ohne Besatzung und ohne alle Systeme für einen längeren Aufenthalt wog diese Kapsel nur 3.132 kg.
Die Ergebnisse waren mehr als zufriedenstellend, lediglich die Temperatur im Kühlkreislauf war höher als geplant.
Gemini und der MOL Simulator
Damit wäre normalerweise die Geschichte erzählt. Nicht jedoch in diesem Falle. Seit dem 3. November 1963 arbeitete die US-Air Force an einem bemannten, militärisch genutzten Raumlabor, genannt Manned Orbital Laboratory, abgekürzt MOL. Das Militär erhoffte sich von einem bemannten „Satelliten“ bessere Bilder, die sie für Aufklärungszwecke benötigte. Astronauten konnten schon bevor sie ein Foto machten beurteilen, ob es sich lohnte die Aufnahme zu machen, es also Veränderungen gab oder überhaupt die Sichtbedingungen gut waren und nicht Wolken die Szenerie bedeckten.
MOL war eine einfache Raumstation von 3,05 m Durchmesser wie eine Titan Trägerrakete. An der einen Seite war ein Geminiraumschiff angebracht, das mit ihr gestartet wurde. Die Aufteilung des Labors selbst war bis zu seiner Einstellung noch nicht fertiggestellt. In einigen Bildern sieht man an der anderen Seite Tanks für Flüssigkeiten und Druckgase, in anderen Abbildungen befinden sich dort Wiedereintrittskörper welche mit Film beladen und während der Mission ausgestoßen wurden (so wurde dies auch bei den militärischen Satelliten praktiziert). Andere Entwürfe zeigen einen Wohnbereich und einenr Docking-Bereich.
In der Basisauslegung war gedacht das die Besatzung zusammen mit dem Labor startet, bis zu 30 Tage lang mit ihm Aufnahmen macht, den Film in die Geminikapsel oder die Abwurfbehälter umlädt und danach wieder mit dem Geminiraumschiff zur zurückkehrt. Jedes Labor wäre nur einmal benutzt worden. Das Herzstück war eine Kamera mittig eingebaut. Als das MOL Konzept aufgegeben wurde, wurde sie in den Satelliten KH-9 „Hexagon“ verbaut (MOL selbst lief beim Militär unter der Bezeichnung KH-10 „Dorian“.
Das Konzept hatte aber eine Neuerung, die erst erprobt werden musste. Wie man an den Abbildungen sehen kann, ist das Gemini-Raumschiff an der Station so angebracht, dass die Basis an der Station fixiert ist und die Kabinensektion von ihr wegschaut – anders wäre das auch nicht möglich bei der kegelförmigen Figur des Gemini-Raumschiffs. Nun kann man in der Versorgungs- und in der Bremssektion System umgruppieren, damit eine Besatzung durch einen Tunnel zur Station gelangen kann. Doch das hat eine Grenze: Was ist mit dem Hitzeschutzschild? Er beschützt die Kapsel beim Wiedereintritt. Es musste ein Loch in den Hitzeschutzschild gebohrt werden. Dieser Teil des Hitzeschutzschildes musste nach außen aufklappbar sein, sodass er, wenn die Astronauten die Station verlassen wieder vollständig ist. Doch ist er auch dicht? Können durch die zwangsweise angebrachten Öffnungen nicht heißes Plasma nach innen dringen?
Diese Frage galt es zu klären, sonst machte das ganze Konzept von MOL keinen Sinn. Die Kapsel von Gemini 2 selbst war in einem so guten Zustand, dass sie für einen Test verwendet werden konnte. Die USAF plante eigene Gemini Raumschiffe mit Änderungen, genannt „Blue Gemini“ oder auch „Gemini B“. Sie waren etwas einfacher als die NASA Pendants aufgebaut, da sie nur für den Start und Landung benötigt wurden. So wurde die Ausrüstungssektion deutlich verkleinert. Für den Test des Tunnelkonzepts würde aber eine einfache Gemini Kapsel der NASA reichen. Da traf es sich gut, das diese Geminikapsel nun übrig war. Sie wurde umgebaut und erhielt einen neuen Hitzeschutzschild, der nun mit einer eingebauten Luke versehen wurde, um als Prototyp für das Gemini-B Raumschiff zu dienen. Wenn man gerade dabei war, konnte man auch ein Mockup von MOL testen.
So wurde die Kapsel am 3. November 1966 mit einer Titan 3C Rakete erneut auf einen suborbitalen Flug gestartet. Nutzlast war das MOL Mockup, eigentlich der Tank einer Titanerststufe und der Experimentalsatelliten OV1-6. Das MOL Mockup wurde wegen Geheimhaltung in den Begriffen „ OV4“ verpackt. OV4-3 war das 9.680 kg schwere Labor, OV-4/R das Gemini Raumschiff. Am 3. November 1966 startete das Gespann mit der sechsten Titan 3C mit der Seriennummer 3C-9. Das MOL Mockup gelangte in einen 288 x 290 km Orbit in dem es bis zum 9.1.1967 blieb. Die Gemini-Kapsel wurde schon vorher abgetrennt. Sei durchflog eine suborbitale Bahn und landete 9 km vom vorausberechneten Punkt entfernt. Alle Missionsziele wurden erreicht, mehr weiß man auch 50 Jahre später noch nicht.
MOL selbst geriet sehr bald in Schwierigkeiten. Wenig Probleme hatte die USAF an die Raumschiffe zu kommen. Sie wandten siech an McDonnell-Douglas, Hersteller der NASA Raumschiffe und schlossen einen Vertrag über die Lieferung von vier Gemini B Raumschiffen und einem Modell für 168,2 Millionen Dollar ab. Ebenso wenig gab es Probleme Astronauten auszubilden. Das waren auch bei der NASA meist USAF-Testpiloten mit wenigen zivilen Testpiloten. Unter den MOL Astronauten war Robert Lawrence, der erste Astronaut mit schwarzer Hautfarbe, der aber schon 1967 verunglückte.
Das Hauptproblem war aber das MOL immer teurer und schwerer wurde. Ursprünglich sollte es von einer Titan 3C gestartet werden. Die neue Oberstufe Transtage wurde deswegen so gebaut, dass sie „man rated“ war. Doch sehr bald wurde MOL zu schwer für eine Titan 3C. Es begannen die Planungen für eine neue Titan Version, die Titan 3M. Die erste Version hätte Booster mit sieben anstatt fünf Segmenten gehabt. Doch mit weiter steigendem Gewicht reichte auch diese Version nicht mehr. Neue Triebwerke für die Titan Erst- und Zweitstufen, mit mehr Schub, erlaubten eine Verlängerung der Stufen für die Titan 3M. Als das Projekt eingestellt wurde, wurden diese Stufen dann zusammen mit der Agena eingesetzt, zwanzig Jahre später sollte die Titan 3M nun angepasst an neue Oberstufen als „Titan 4“ zum Einsatz kommen.
Was aber dem Projekt das Genick brach waren die Kosten. Sie stiegen laufend an und das Militär hatte mit dem Vietnamkrieg schon enorme Ausgaben zu schultern. Im Sommer 1969 zog Verteidigungsminister Robert McNamara den Stecker und beendete das Programm. Russland baute wenig später eine Raumstation mit derselben Zielstzeung. Das war Saljut 2. Doch auch hier stellte man das Programm nach einigen Jahren ein, weil Aufwand und Ergebnis in keinem Verhältnis zueinander standen.