Bernd Leitenbergers Blog

Der Jungfernflug des Starships ist gescheitert

Ja, anders kann man es nicht bezeichnen. Weitere Informationen zur Diskussion darüber folgen weiter unten. Aus dem aktuellen Grund folgt der für heute angekündigte Beitrag über Wiederverwendung Teil 2 dann morgen.

Ich habe mir die Videoaufnahmen angeschaut und es war sofort beim Abheben klar, dass etwas nicht stimmte. Die Rakete hob viel zu langsam ab und neigte sich sofort, was nicht normal ist, um eine Kollision mit dem Startturm zu vermeiden. Es war auch schon in dieser frühen Phase ein Flammenschweif jenseits des Hauptschweifs zu sehen, was das verursachte. Anhand der im Video eingeblendeten Grafik konnte man erkennen, dass bereits vor dem Abheben drei Triebwerke ausgefallen waren. Nach 41 Sekunden folgte das nächste Triebwerk, nach 61 Sekunden das fünfte und nach 71 Sekunden das sechste Triebwerk. Danach begann die Rakete erst flacher aufzusteigen und sich dann nach unten zu neigen. Währenddessen wurde im Kommentar von SpaceX jedoch angegeben, dass die „Propulsion nominal“ sei. Nach 2 Minuten und 25 Sekunden, bei einer Geschwindigkeit von 3,455 km/h oder lediglich 960 m/s in 31 km Höhe, erfolgte der Brennschluss des Superboosters. Danach sank die Geschwindigkeit kontinuierlich ab. Zu diesem Zeitpunkt drehte sich die Kombination bereits. Man konnte dies noch etwa eine Minute lang beobachten, bis das Fahrzeug nach etwa 4 Minuten explodierte.

Auffälligkeiten

Als Beobachter unzähliger Raketenstarts fallen mir einige Dinge auf. Zum Beispiel frage ich mich, warum bei SpaceX, wenn schon bei der Zündung drei Triebwerke ausfallen und die Kombination fast mit dem Startturm kollidiert, die restlichen Triebwerke nicht wie bei anderen Raketen wieder abgeschaltet werden. Ist das bei SpaceX nicht möglich? Oder darf man das nicht tun, weil Elon Musk neben einem sitzt und Druck macht, weil der Start schon vier Jahre nach der Ankündigung stattfindet?

Es bleibt offen, ob dieser Triebwerksausfall allein schon ausreicht, um die Mission als Ganzes zum Scheitern zu bringen, weil durch die gestiegenen Aufstiegsverluste der Treibstoff nicht ausreicht. Dazu bräuchte man genaue Daten von der Rakete, die jedoch von SpaceX nicht verfügbar sind.

Spätestens nachdem drei weitere Triebwerke ausfielen, wird jedoch klar, dass die Rakete es nicht schaffen wird. Schon vor dem Drehen wird ein langer Flammenschweif sichtbar und die Rakete neigt sich kurz danach, ihre Flugbahn wird flacher. Gemäß den FAA-Dokumenten sollte der Brennschluss der ersten Stufe nach 2 Minuten und 49 Sekunden erfolgen, gefolgt von der Stufentrennung drei Sekunden später. Wenn nun die Stufe schon nach 2 Minuten und 25 Sekunden Brennschluss hat, ist das auch kein regulärer Brennschluss, da er zu früh ist. Berücksichtigt man zudem, dass durch die ausgefallenen Triebwerke auch Treibstoff nicht verbrannt wurde, hätte die Rakete eigentlich noch 25 Sekunden länger brennen müssen (also bis 3 Minuten und 14 Sekunden).

Warum ein Flugterminierungssystem, wenn schon alle Triebwerke aus sind und nichts die Fluglage mehr kontrolliert, dann nicht sofort die Rakete sprengt, ist mir ein Rätsel, denn je höher die Sprengung erfolgt, desto geringer sind die Schäden am Boden durch Trümmer. Aber – so meine Vermutung – es gab gar kein Flugterminierungssystem. Elon Musk muss ja sparen, deswegen baut er auch ein wiederverwendbares Gefährt, also eines, bei dem sich die Herstellungskosten auf viele Flüge umlegen und das man so aus dem Material bauen sollte, das die höchste Nutzlast verspricht, auch wenn es teurer ist, aus dem billigsten, aber dafür maximal die Nutzlast reduzierenden Material, das es gibt: Stahl. Er wird sonst in der Raumfahrt seit den frühen sechziger Jahren aufgrund seiner hohen Dichte nicht mehr eingesetzt. Ich vermute, dass irgendwann durch die Rotation und die beim Sinken in niedrigere Höhe zusätzlich einwirkenden aerodynamischen Kräfte ein Tank platzte und durch die Restflammen sich der Treibstoff entzündete. Es sieht im NSF-Video auf jeden Fall sehr ähnlich aus wie damals die Challenger-Explosion. Die Aufnahmen vom NSF zeigen auch, dass dies keine abrupte Explosion ist, wie sie eine Sprengung auslösen könnte. Aufnahmen der Starbase nach dem Abheben zeigen Beschädigungen. Herumliegende Trümmerstücke und einen Krater unterhalb der Startplattform.

Auftauchende Fragen

Es ist offensichtlich, dass der Ausfall von drei Triebwerken vor dem Abheben schon zu einem kurzzeitigen Kontrollverlust führt, wahrscheinlich einem dauerhaften Abweichen von der Bahn, aber beim Startturm als Referenz eben erkennbar, am freien Himmel nicht. Warum stellt man dann die Triebwerke nicht alle ab, sucht den Fehler und wiederholt den Flug? Spätestens nach etwa zwei Minuten, als deutliche Abweichungen der Bahn erkennbar sind, wäre es an der Zeit gewesen, dass jemand – woanders nennt sich der Range Safety Officer oder ähnlich – der verantwortlich ist, dass die Rakete nicht irgendwo niedergeht, wo sie Schaden anrichten kann, auf den Knopf zur Selbstzerstörung drückt. Nach dem vorzeitigen Brennschluss aller Triebwerke wäre selbst für jemanden, der keine Bahndaten hat, dieser Zeitpunkt gekommen, denn nun dreht sich die Rakete nur noch um sich selbst, ist unkontrollierbar, steigt zuerst höher und fällt dann.

Warum sie nach dem sechsten Ausfall – in der Grafik taucht ein Triebwerk das ausgefallen ist übrigens wieder auf – dann so vom Kurs abweicht ist mir ein Rätsel. Zu dem Zeitpunkt ist das weit weniger kritisch als der Ausfall von dreien in der frühen Phase, denn nach mehr als einem Drittel der Brennzeit der ersten Stufe ist diese um 1.100 t Treibstoff leichter. Die Beschleunigung schon bei etwa 16 m/s, also eine stabile Beschleunigung die es erlaubt weiter an Höhe und Geschwindigkeit zu gewinnen. Vielleicht fiel zu dem Zeitpunkt zusätzlich noch die Elektronik für die Steuerung der Lage aus oder der asymmetrische schub ist durch Drehen der Triebwerke nicht kompensierbar was mich wundert, weil sie nicht alle an einer Seite sind sondern an zwei Seiten und in der Mitte.

Schlüsse

Starship/Super Booster mit Nutzlast in Startkonfiguration sollten zusammen rund 5.000 t wiegen. Nach der SpaceX-Website beträgt der Startschub 74.312 kN (7.590 tf, 16,7 Mlbf). Ohne Nutzlast wiegt es mindestens 100 t weniger. Bei 30 Triebwerken und so reduziertem Schub auf 67.557 kN sollte es mit 13,8 m/s beschleunigen, was deutlich über den Mindestanforderungen für eine Rakete liegt. Der Startturm hat nach Wikipedia eine Höhe von 146 m. Die Kombination braucht 10 Sekunden, um ihn zu passieren. In dieser Phase mit fast vollen Tanks ist die Beschleunigung noch annähernd linear, daraus kann man eine Beschleunigung von 2,92 m/s ableiten, deutlich unter dem Wert von 13,8 m/s nach Abzug von g (9,81 m/s). Berücksichtigt man, dass die Rakete durch den Treibstoffverbrauch schneller wird, so ist der echte Wert sogar noch geringer. Daraus lässt sich ableiten, dass die verbauten Triebwerke nur einen Schub von etwa 2079 kN anstatt 2.251 kN haben, wie von SpaceX angegeben. Schon allein deswegen sollte man mit 30 Triebwerken nicht starten.

SpaceX hat mit Sicherheit kein Flugterminierungssystem, weder in der Rakete eines, das automatisch anspringt, noch jemanden am Boden, der dafür verantwortlich ist. Das ist selbst bei unbemannten Trägern Standard.

SpaceX will mal Menschen mit diesem Gefährt transportieren – auch die wären in einem solchen Fall tot. Natürlich kann man bei der Konstruktion keinen Fluchtturm integrieren, aber beim Space Shuttle wo die Rettung durch einen Fluchtturm auch nicht möglich war, gab es wenigstens Vorkehrungen wie das Abtrennen von SRB und Tank, das Rückfliegen zum Startort oder eine Notlandung. Hier hätte bei einem bemannten Start bei Problemen sich das Starship sofort vom Superbooster abtrennen müssen und mit seinem Treibstoffvorrat eine Notlandung einleiten müssen. Doch es versagt ja schon die reguläre Stufentrennung.

Kleinreden

Es ist nicht neu. Ich kenne das schon von dem ersten Flug der Falcon 9. Elon Musk und damit verdonnert, seine Kommentatoren senken die Erwartungen schon vor dem Flug. Wörtlicher Kommentar nach der Explosion: „Everything after leaving the Tower is icing on the cake.“ Also ehrlich? Wie dumm muss man als SpaceX-Fan sein, um das zu glauben? Wenn alles, was nicht die Starbase zerstört, ein Erfolg ist, dann würde ich keinen Flug ansetzen. Wenn ich ernsthaft damit rechne, dass dabei meine Startbasis zerstört wird, in der ja auch einiges an Investitionen steckt, wie kann ich dann starten? SpaceX hat einen Flugplan bei der FAA vorgelegt, was diese Mission erfüllen muss. Das sind die Ziele. Das ist ein Flug des Starships bis in den Orbit, dann vor Hawaii ein Deorbitburn. Der Superbooster sollte nach Abtrennung nochmals die Triebwerke zünden, um zur Küste zurückzukehren und vor dieser niederzugehen. Keines der beiden Gefährte sollte landen. Das ist schon ein Flug, der für ein wiederverwendbares Gefährt recht geringe Anforderungen hat. Es ist der einer normalen Rakete. Es ist das, was SpaceX erreichen wollte und plante, und wenn man das nicht erreicht, was man verspricht, dann ist alles darunter kein voller Erfolg. Wenn aber schon beim Start nichts normal läuft, dann kann man auch nicht von einem Teilerfolg oder erst recht nicht von der „Sahne auf dem Kuchen“ reden.

SpaceX-Fans bitte meldet euch bei der Firma und sucht dort Arbeit. Wenn das deren Vorstellung von Erreichen des Solls ist, reicht es, wenn ihr bis zur Frühstückspause arbeitet und danach könnt ihr Videospiele spielen. Allerdings nur in der Firma, denn Elon Musk hat etwas gegen Home-Office, selbst wenn eine Corona Pandemie wütet. Wer da von daheim aus arbeiten will, fliegt raus.

Ich empfehle neben dem offiziellen SpaceX Webcast auch den des NSF (länger Beitrag hier) zu schauen, die unabhängige Beobachter dort haben und weitere Blicke vom Abheben mit dem Abweichen zeigen und Detailaufnahmen der Explosion zeigen. Deren Wagen haben Trümmerstücke übrigens ziemlich erwischt wie man auf einem anderen Video sieht. Das zeigt wie ernst man bei SpaceX es mit der Sicherheit nimmt, wenn Dritte ihren Wagen und Kameras bis in den unmittelbaren Gefahrenbereich abstellen dürfen.

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