Bernd Leitenbergers Blog

Die Wiederverwendung – eine nochmalige Betrachtung 2

Es ist ja nicht so, das man Wiederverwendung nicht durchdacht hat. Wer mal auf die Webseite des DLR Instituts Systemanalyse Raumtransport geht wird etliche Veröffentlichungen zu dem Thema finden. Dabei ist das nur ein kleines Institut des DLR.

Ich fange mal an mit allen Versuchen, die ich kenne, eine Stufe zu bergen – auch alle eingeschlossen, die es nur auf dem Papier gab. Das ging los mit der Redstone im Mercuryprogramm. Das ABMA schlug der Space Task Group vor, die Redstone zu bergen. Ein Fallschirm hätte sich, gesteuert durch einen Beschleunigungsmesser (mit einer Zeitschaltuhr als Backup), geöffnet. Dies sollte bei einer Geschwindigkeit von 100 bis 120 m/s erfolgen. Der erste Fallschirm von 5,18 m Durchmesser verlangsamte die Redstone und stabilisierte ihre Lage. Gesteuert durch einen Drucksensor sollten sich in einer Höhe von 1.600 m die drei Hauptfallschirme mit einem Durchmesser von jeweils 26,5 m öffnen. Die Redstone würde mit dem Triebwerk voraus, mit einer Geschwindigkeit von maximal 12,2 m/s wassern. Das entspricht dem Fall aus 7,5 m Höhe. Für die Bergung sollte zwischen Redstone und Mercurykapsel ein Ring mit sechs Innenverstrebungen angebracht werden. In dem würden die Fallschirme und andere Systeme untergebracht. An den Speichen des Rings kann eine Bergungsmannschaft die Redstone an einem Schiff fixieren.

Diese Bergung wurde sogar erprobt. Eine vier Jahre alte Redstone wurde so umgebaut, dass sie den Mercury-Redstones in Gewicht und Gewichtsverteilung glich. Diese Rakete wurde in mehreren Konfigurationen, mit leeren Tanks, teilgefüllten Tanks und mit oder ohne Innendruck in einen Wassertank fallen gelassen. Es gab leichte Beulen im Alkoholtank, der jedoch druckdicht blieb und einige Risse in der Hecksektion. Beides war einfach zu reparieren. Ebenso wurde das Bergen einer Redstone vor der Küste Virginias mit einem Landungsschiff erprobt. Die Redstone konnte in 80 km Entfernung durch das Radar detektiert und in 16 km Distanz der genaue Ort bestimmt werden. Schlussendlich kam es aber nicht zur Bergung. Der STG war eine „benutzte“ Rakete zu unsicher. So wurde auch die Redstone, die bei MR-1 nur kurz abgehoben hatte, nicht erneut eingesetzt. Stattdessen wurde sie zur Ersatzteilgewinnung verwendet. Dasselbe plante man bei der Saturn V Erststufe, doch auch hier ergab eine Kosten-Nutzenanalyse, dass es sich nicht lohne. Als die Ariane 1 entwickelt wurde, gab es Befürchtungen, dass sie zu teuer wäre um genügend ausländische Aufträge zu gewinnen und es wurde die Bergung der ersten Stufe untersucht. Hier wurde sogar mit Modellen im Windkanal das Verhalten erprobt und man stellte fest, dass die Stufe durch die Triebwerke zu hecklastig war und sich beim Wiedereintritt in die dichte Atmosphäre überschlagen würde. Ein Fallschirm wäre so nicht entfaltbar. Trotzdem wurde die Bergung einmal beim Start von Giotto erprobt, aber man fand die Stufe nicht mehr.

Bei der Ariane 5 wurden in der Anfangszeit die EAP Booster geborgen. Aber nicht um sie erneut zu verwenden, sondern um sie zu inspizieren. Man wollte sicher gehen, dass ihre Verbindung zwischen den Segmenten hält und es nicht zu einer Katastrophe wie bei der Challenger kommt. Als dies klar war, stellte man die Bergung ein. Keiner der Booster wurde erneut verwendet.

Für die Energija plante die UdSSR eine kombinierte Bergung der Booster, abgebremst zuerst durch Fallschirme, dann Airbags. Da die Energija nach zwei Flügen eingestellt wurde, kam es nie dazu.

SpaceX selbst hat bei der Falcon 1 eine Bergung mit Fallschirm und Airbags geplant. Bei keinem der fünf Starts wurde die Stufe wieder geborgen, wenn ich mich richtig erinnere, stellte man es bei den letzten beiden Starts auch ein.

Rocketlab hat zweimal eine Bergung der Elektron versucht. Einmal klappte sie, einmal nicht. Dabei wird die erste Stufe mit Fallschirmen abgebremst und im Flug von einem Helikopter an den Fallschirmleinen eingefangen. Eines der geborgenen Triebwerke fliegt beim nächsten Start erneut.

Eine ähnliche Vorgehensweise könnte bei der Vulcan kommen, allerdings birgt man hier nur den besonders teuren Triebwerksblock, der dazu wie bei der Atlas abgesprengt wird. Auch hier soll er im Flug von einem Helikopter eingefangen werden. Klingt abenteuerlich, wurde aber über 100-mal schon bei dem Bergen von Kapseln mit Film der KH 1-8 Aufklärungssatelliten so praktiziert.

Das einzige System, bei dem vor der Falcon 9 die Wiederverwendung routinemäßig durchgeführt wurde, ist das Space Shuttle. Die Geschichte hat über das Space Shuttle ihr Urteil getroffen: ein tolles System, aber zu teuer. Bevor ich darauf eingehe, erst mal die beiden Lehren, die man aus dem Programm nur für die Bergung ableiten kann: Feststoffbooster sind so robust, weil die Hülle dem hohen Brennkammerdruck widerstehen muss, dass man sie mit dem Fallschirm landen kann. Bei einer Stufe mit flüssigem Treibstoff wäre die Gefahr zu groß, dass sie bei der Landung beschädigt wird und die dann nötige Inspektion und Reparatur würde viel von den eingesparten Produktionskosten wieder auffressen – Stufen sind ja nicht deswegen so teuer, weil die Materialien so teuer sind, sondern viel Arbeit im Zusammenbau und Prüfungen steckt.

Diese Erfahrung machte auch SpaceX. Heute fast vergessen, bevor man auf das derzeit benutzte System der aktiv abgebremsten Landung überschwenkte, versuchte SpaceX es bei der Falcon 9 Erststufe auch mit einer Fallschirmlandung. Die kam aber nur in Bruchstücken unten an. Hätte SpaceX dies wie bei Ariane 1 vorher im Windkanal erprobt, so hätte man das vorher wissen können.

Dank GPS ist es heute kein Problem mehr, eine Stufe auf einer kleinen Plattform zu landen. GPS war bei allen vorherigen Versuchen natürlich nicht verfügbar und die einzige Alternative zum Fallschirm war dann die aktive Landung auf einer Landepiste, wofür man die Stufe mit Flügeln und einem Turbofan oder Düsentriebwerk ausstattet. Das DLR hat einige dieser Vorschläge auch durchgerechnet. Das bedeutet aber eine deutliche Investition in das System und die Nutzlast sinkt natürlich ab, weil die Abtrennmasse der Erststufe größer ist.

Das Space Shuttle habe ich in der Liste ausgenommen. Man ist nur zu gerne bereit, es als Fehlschlag abzuschreiben. Aber man darf nicht vergessen, dass sich die Rahmenbedingungen änderten. Denn man ging davon aus, dass das Shuttle sehr häufig fliegen würde und 1985 fanden neun Flüge statt. Die Zahl wurde später nie mehr erreicht, dabei waren damals nur zwei Orbiter voll einsatzbereit. Die Atlantis kam erst zur Flotte und hatte nur einen Einsatz, die Columbia wurde umgerüstet. Also auch ohne die utopischen 60 Flüge pro Jahr (ein Flug pro Orbiter alle vier Wochen) wären bei vier Orbitern sicher 16 Flüge pro Jahr möglich gewesen. Dabei betrugen die Operationskosten im Finanzjahr 1985 1.314 Millionen Dollar, also 146 Millionen Dollar pro Start. Interne Rechnungen der NASA für die Festsetzung des Preises für kommerzielle Kunden kamen zu einem kostendeckenden Preis von 87 bis 100 Millionen Dollar für die Nutzung des gesamten Nutzlastraumes. Das ist geringer als die Operationskosten/Flugzahl, weil dies nur die Kosten repräsentiert, die zusätzlich durch diesen weiteren Flug entstehen. Das wäre damals billiger gewesen als wiederverwendbare Raketen, wenn der Nutzlastraum voll ausgenutzt worden wäre. Ein Space Shuttle konnte mindestens drei, theoretisch vier Delta-Starts übernehmen oder zwei Atlas-Starts. Die Startkosten einer Delta lagen bei 38 Millionen Dollar, die einer Atlas bei 68 Millionen Dollar.

Das Problem war, dass nach Challenger durch viel höhere Sicherheitsanforderungen diese Basiskosten enorm anstiegen und 1993 z.B. bei 350 Millionen Dollar Fixkosten und 83 Millionen Dollar Flugkosten pro Einsatz lagen. Entsprechend sank die Flugzahl ab.

Meine persönliche Meinung ist, dass das Space Shuttle noch immer fliegen könnte, wenn es unbemannt gewesen wäre. Denn dann wären die Fixkosten niedrig geblieben, gleichzeitig wäre die Nutzlast höher. Baut man alle Systeme aus, die für die Mannschaft benötigt werden und ersetzt die Kabine, so steigt die Nutzlast um 10 bis 15 t. Der Verlust der Challenger wurde möglich, weil man unbedingt starten wollte, obwohl Techniker schon vorher wussten, dass die Dichtungsringe bei den tiefen Temperaturen zu spröde sind. Aber selbst wenn man diesen Verlust als typische Verlustzahl eines unbemannten Programms nimmt – ein Fehlstart auf 25 Einsätze, 95 Prozent Zuverlässigkeit, ein damals üblicher Wert – dann wäre das tolerierbar gewesen. Ein Orbiter kostete 1,7 Milliarden Dollar in der Fertigung, das hätte jeden Start dann um 68 Millionen Dollar verteuert.

Damit wäre das Space Shuttle gleichauf mit unbemannten Trägern gewesen, wobei die Orbiter dann in Serienproduktion (ein neuer alle ein bis zwei Jahre) und ohne die Sicherheitsaufschläge/Systeme für die Mannschaft sicher billiger gewesen wären. So kostete aber die Endeavour schon 2,2 Milliarden Dollar als Einzelexemplar. Die bei der Wiederverwendung absinkende Produktionszahl ist neben dem Risiko der Wiederverwendung und den Kosten für die Wiederverwendung – nicht nur Bergung, sondern auch Inspektion – eines der Hauptargumente gegen die Wiederverwendung. Eine Rakete wird in kleinen Stückzahlen gebaut. Vor dem Beginn des Aufbaus von Konstellationen kamen nur wenige Typen über 10 Starts pro Jahr. Mehr Raketen kann man leicht bauen, die US-Industrie konnte 54 Atlas oder Titan in zwei Jahren produzieren, als diese als ICBM stationiert wurden. Dann kann man mehr automatisieren und die Arbeit in mehr Einzelschritte unterteilen, die die Arbeiter dann schneller durchführen können. Weniger zu produzieren verteuert die Rakete aber. Bei vielen Trägern kenne ich eine Grenze von etwa 3 bis 4 Trägern pro Jahr, ab der die Kosten rapide ansteigen. Ariane 1 war auf diese Zahl ausgelegt, die Titan auch und als diese Startfrequenz bei der Titan nicht erreicht wurde, stieg ihr Preis enorm an. Das zahlte die Regierung weil sie die gleiche Qualität haben wollte, ansonsten hätte Lockheed-Martin einfach alle Arbeiter nach der Fertigstellung eines Batches entlassen und dann wiedereingestellt wenn es einen neuen Auftrag gibt.

Es lohnt sich also, wenn man entweder die Wiederverwendung so günstig durchführen kann, dass dies die höheren Produktionskosten kompensiert, also praktisch keine Wartung nötig ist oder man durch viel mehr Starts trotzdem eine minimale sinnvolle Produktionsrate aufrechterhalten kann. Beim Space Shuttle ging man durch die Landung wie bei einem Flugzeug aus, dass dies gegeben ist, doch dem war nicht so. Für einen Raketenhersteller, bei dem man heute nur die erste Stufe birgt, ist daher wichtig, wie groß der Markt ist. Europa kommt – selbst wenn alle europäischen Staaten nur Ariane und Vega nutzen würden – nie auf diese Startzahl. Das Budget der ESA beträgt etwa ein Zehntel des Raumfahrtbudgets von Militär und NASA der USA zusammen. Bei den USA liegt die Sache anders. Hier kommt man auf diese Mindestzahl, trotz Verteilung der Starts durch das DoD auf zwei Träger. Allerdings auch erst seit zehn Jahren, denn durch den Wegfall des Space Shuttles muss die ISS mit Fracht und Personen versorgt werden, was acht bis neun zusätzliche Starts pro Jahr generiert.

In Europa können wir keine Arbeiter entlassen und dann wieder einstellen, wenn mal wieder ein Auftrag ansteht. Deswegen bin ich auch von der Entscheidung für die Ariane 6 nicht begeistert. Ich meine, dass wir das aus dem Blickfeld verloren haben, wofür Ariane 1 mal entwickelt wurde: um einen unabhängigen Zugang zum Weltraum zu haben. Denn damals wollten die USA nur eigene Kommunikationssatelliten starten und machten für die deutsch-französischen Erstlinge Symphonie 1+2 Auflagen, damit sie diese überhaupt starten. Die meisten Nationen nutzen Trägerraketen nur für die eigenen Satelliten mit derselben Zielsetzung. Die japanische H-2A hat bisher nur einen kommerziellen Start absolviert. Indiens PSLV steht gut da, doch bei der GSLV in der Klasse der Ariane 5 sind es auch nur zwei kommerzielle Aufträge, die nur durch den Wegfall der Sojus entstanden. Wir müssen nicht 3 Milliarden Euro investieren, nur damit Betreiber von Telekommunikationssatelliten einen billigeren Start haben.

Mit dem Aufbau von Konstellationen hat sich nun aber einiges geändert. Selbst wenn die Satelliten leicht sind, so sind doch viel mehr Starts nötig. SpaceX transportiert pro Start 50 bis 60 Starlink-Satelliten und braucht so für die erste Phase mit 4400 Satelliten mindestens 80 Starts. Seit zwei Jahren finden die meisten Starts der Falcon nur für Starlink statt. Amazon ist im Kommen und auch OneWeb plant über die 648 Satelliten hinaus weitere. Damit steigt die Startzahl so stark an, dass selbst wenn ich die Erststufe oft wiederverwende man in eine für die normale Fertigung praktikable Größenordnung kommt. Kleines Rechenbeispiel: letztes Jahr gab es 61 Falcon 9 Starts. Die Erststufe ist etwa zehnmal wiederverwendbar, also benötigt man sechs neue Erststufen pro Jahr. Die Zweitstufe, die nicht geborgen wird, sogar 61-mal und dank gleichem Durchmesser kommt so die Tankfertigung auf hohe Stückzahlen.Bei den Triebwerken werden 61 für die Zweitstufe und 54 für die ersten Stufen benötigt, zusammen 115, das ist eine große Anzahl, bedenkt man das die meiden Raketen pro Stufe meist nur ein oder zwei Triebwerke einsetzen so entspricht dies deutlich mehr als die meisten anderen Hersteller produzieren und das ohne Wiederverwendung.

Ich persönlich hoffe aber, dass diese Konstellationen nicht alle fertig werden. Ich halte sie für überflüssig. Sie sind ja nicht dazu da, unterentwickelte Regionen in Afrika, Südamerika oder in der Mongolei mit Internet zu versorgen. Die meisten dieser möglichen Nutzer können sich weder die Kosten leisten noch haben viele überhaupt den Strom für den Betrieb. Sie sind eine Alternative zum Mobilfunknetz und Festnetz. Und das wird immer billiger sein als ein Satellit und der Ausbau legt ja auch weltweit zu. Vor 20 Jahren war bei uns 1 Mbit ein schneller Internetanschluss, inzwischen liegt die Messlatte bei 1 Gbit/s.

Aber es ist eine weitere Dimension der Vermüllung. Das ZDF hat die alten Folgen ihrer „Chronik“ gekürzt und kommentiert online gestellt. Das ist am Ende des Jahres eine Zusammenfassung der Ereignisse. Da kann man die Umweltverschmutzung im Zeitraffer miterleben: Es geht los Anfang der Siebziger Jahre mit biologisch toten Flüssen und ersten Smog-Alarmen, also lokal begrenzt. In den Achtzigern ist mit dem Waldsterben und radioaktiven Wolken dann schon Deutschland und Teile Europas betroffen. In den Neunzigern taucht das Ozonloch auf, das nun schon die Größe eines Kontinentes hat und inzwischen reden wir vom globalen Klimawandel. Da muss es wirklich nicht sein, dass wir nur wegen noch schnellerem Internet den ganzen Weltraum vermüllen. Zumal die Erfahrungen von Starlink zeigen, dass dessen Datenrate dauernd absinkt, was den Zustrom an Kunden ausbremsen dürfte.

Seit dem 20.4.2023 ist auf jeden Fall das Space Shuttle in meiner persönlichen Würdigung deutlich angestiegen. Das startete am 12.4.1981 bemannt, es gab Probleme wie abfallende Hitzeschutzkacheln, aber die Mission war voll erfolgreich und die beiden Astronauten John Young und Robert Crippen landeten sicher. Heute bezeichnet SpaceX ein Starship, das nicht direkt nach dem Start explodiert, als einen Erfolg. Elon Musk spricht von 20 Starts bis man eine Stufe auch nur wiederverwenden kann, Gwynne Shotwell von 100 Starts bis es bemannt starten kann. Da war die NASA 1981 schon Lichtjahre weiter.

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