Ich habe mich kürzlich wieder über einen Artikel in der c’t, der Computer- und Technikzeitschrift die ich lese, geärgert. Eigentlich hatte ich vor hier den Artikel auseinander zu nehmen der vor allem enorm flach ist, also es fehlt wirklich an Tiefgang. Daneben hat er auch etliche inhaltliche Fehler. Aber da ich davon ausgehen muss, dass die meisten meiner Blogleser wohl keine c’t-Leser sind, dachte ich mir bringe ich mal wieder einen Grundlagenartikel und zwar ob inzwischen nukleare Treibwerke doch eine Alternative für Marsmissionen sind.
Wie funktioniert ein nuklearer Antrieb?
Ein nuklearer Antrieb – wenn man es ganz genau nimmt, muss man von einem nuklear-thermsichen Antrieb sprechen – unterscheidet sich vom chemischen Antrieb relativ wenig, von allen Alternativen zu diesem ist er am einfachsten zu verstehen. Beide bestehen aus einem Treibstoff, einem Treibstofffördersystem das den Treibstoff gegen den Brennkammerdruck einspritzt, einer Brennkammer, in der er erhitzt wir und die zum Schutz aktiv gekühlt wird und einer Düse wo er expandieren und den Schub auf die Rakete übertragen kann. Der einzige Unterschied ist, dass die Energie um das Gas zu erhitzen beim chemischen Antrieb aus einer chemischen Reaktion stammt und beim nuklearen antrieb aus der Kernfission im Reaktor stammt.
Ein nuklearer Antrieb ist also nichts anderes als ein Reaktor in der Brennkammer eines chemischen Antriebs. Für ihn gilt eigentlich das gleiche wie für jeden Reaktor in einem Atomkraftwerk. Solange die Kornrollstäbe eine Kernspaltung verhindern ist er relativ ungefährlich, seine Radioaktivität entspricht der des angereicherten Urans und die ist gering, selbst wenn er nur aus U-235 bestehen würde, so hat dieses doch eine enorm lange Halbwertszeit von rund 700 Millionen Jahren und gibt so wenig Strahlung ab. Sobald die Kernspaltung erfolgt, erhitzt sich der Reaktor und diese Hitze kann genutzt werden um das Arbeitsmedium zu erhitzen. Alle Versuche bisher und das trifft auch für den NASA Auftrag aus dem Artikel zu, beschränken sich auf eine Spitzentemperatur bei der der Reaktor oder auch nur Teile davon nicht schmelzen. Uran(IV)oxid hat eine Schmelztemperatur von 2.850°C unter der muss man also bleiben. Theoretisch wäre es möglich den Reaktor verdampfen zu lassen. Solche Ideen wurden aber nie praktisch umgesetzt. Als Spaltprodukte entstehen zuerst Atome die masseärmer als das Uran sind z.B. Cäsium und Strontium. Erst später entstehen aus dem Uran durch Neutroneneinfang und Umwandlung Elemente höherer Ordnungszahl wie Neptunium und Plutonium. Bei den kurzen Betriebszeiten im Orbit (einige Stunden) ist deren Anteil aber klein. Trotzdem strahlt der Reaktor nun stark, denn die beiden Hauptspaltprodukte Cäsium-137 und Strontium-90 haben Halbwertszeiten von 29 und 30 Jahren. Diese wurden auch bei der Tschernobylkatastrophe freigesetzt und sind bis heute auch bei uns (wo die radioaktive Wolke niederregnete z.B. in Bayern) nachweisbar. Die Folgen dieser Bestrahlung bemerkt man meiner Meinung nach bis heute bei Politikern in Bayern.
Das heißt: ein Reaktor in einem Raketentriebwerk ist „verhältnismäßig“ harmlos bis er angefahren wird, das senkt das Risiko bei Fehlstarts oder anderen Havarien. Danach strahlt er aber enorm stark durch die kurze Halbwertszeit der Isotope (neben den erwähnten entstehen auch andere wie Iod-131 mit einer Halbwertszeit von 8 Tagen das dann noch ein vielfaches stärker strahlt als Cäsium und Strontium. Das betrifft natürlich die Besatzung die vor dieser Strahlung abgeschirmt werden muss.
Die Vorteile von nuklearen Triebwerken
Auf den ersten Blick hat ein nukleares Triebwerk keinen Vorteil, denn die für den Schub aber vor allem Treibstoffeffizienz wichtige Größe, der spezifische Impuls hängt auch von der Temperatur der Gase ab und bei einer chemischen Reaktion sind viel höhere Temperaturen möglich bei LOX/Wasserstoff z.B. 3700 K. Der Vorteil ergibt sich aus der Molekularmasse der Abgase. Der spezifische Impuls hängt mit der mittleren Geschwindigkeit der Gase zusammen und die steigt wenn die Molekularmasse sinkt. Vereinfacht gesagt: Verteilt man die Energie auf schwere Moleküle so ist jedes langsamer unterwegs als ein leichtes Molekül. Da keine chemische Reaktion stattfindet kann man als Arbeitsmedium das leichteste Gas nehmen das existiert, das ist Wasserstoff mit Atommasse 2 u. Das Verbrennungsprodukt von Wasserstoff und Sauerstoff, Wasserdampf hat dagegen Atommasse 18 und bei der Verbrennung von Kohlenwasserstoffen entstehen auch Kohlenmonoxid und Kohlendioxid mit Atommasse 28 und 44 u. Dieser Effekt ist so viel bedeutender, dass nukleare Triebwerke einen doppelt so hohen spezifischen Impuls wie chemische Triebwerke haben.
Die Nachteile
Ich klammere mal das Strahlenproblem aus, egal ob bei einem normal arbeitenden Reaktor oder einer Havarie nach einer Zündung, weil das kein Teil der Raketentechnik ist und soweit ich weiß auch sich bisher noch niemand um Lösungsansätze für die Abschirmung und das Zusatzgewicht bei realen Raumschiffen Gedanken gemacht hat. Ich beschränke mich auf meine Leisten, sprich Wissen bei Raketenantrieben.
Als erstes mal hat Wasserstoff auch einen riesigen Nachteil – seine geringe Dichte. Schon die Tanks in der Kombination LOX/LH2 wiegen dreimal so viel wie bei der Kombination LOX/Kerosin, aber geht man auf reinen Wasserstoff über, mit einer Dichte von unter 0,07 g/cm³ so werden die Tanks echt schwer. Der Tank für eine Stufe mit dem NERVA-II Triebwerk hätte bei 144 t Wasserstoff rund 25 t gewogen, also ein sechstel des Inhalts.
Ebenso sind die Reaktoren schwer. Das Triebwerk dieser Stufe hätte 9 t gewogen, bei einem Schub von 867 kN. Zum Vergleich: das J-2 Triebwerk der Saturn V in derselben Schubklasse hat 1.020 kN Schub und wog 1.578 kg, also bei mehr Schub nur ein sechstel des Gewichts.
Der Grund dafür ist relativ einfach. Man benötigt enorm viel Energie um viel Schubkraft zu erzeugen. Nehmen wir obiges J-2, das verbrennt 40 kg Wasserstoff pro Sekunde. 1 kg Wasserstoff liefert bei der Verbrennung 14,9 MJ das sind 14,9 MWs. 40 kg also fast 6.000 MWs, das ist die freiwerdende Energie die der thermischen Leistung eines 6.000 MW Reaktors (thermisch) ~ 1.500 bis 2.000 MW elektrisch entspricht. Selbst bei hoch angereichertem Uran wiegt ein solcher Reaktor einige Tonnen. Der obige Reaktor für NERVA-II hätte eine Leistung von 4.500 MW gehabt.
Trotzdem sind nukleare Triebwerk relativ schubschwach. Obige Stufe hätte 178 t gewogen bei nur 867 kN Schub.
Daneben kann der Wasserstoff nicht komplett genutzt werden. Es geht sowohl in der Hochlaufphase wie Abschaltphase Wasserstoff verloren, weil der Reaktor sich erst erhitzen und abkühlen muss, dieser Wasserstoff wird auch entlassen. Aber er hat eine viel geringere Temperatur und trägt nur wenig zum Schub bei. So waren von den 144 t Wasserstoff knapp 129 t als nutzbar eingestuft. Dagegen können chemische Triebwerke den Treibstoff bis auf kleine Reste (typisch < 0,3 Prozent der Startmenge) nutzen.
Was sich auch nicht geändert hat ist das man die Triebwerke prinzipiell nicht testen kann. Man kann das Prinzip ohne Reaktor testen, indem man den Wasserstoff elektrisch beheizt wie dies beim DRACO Kontrakt vorgesehen ist. Aber Hunderte oder Tausende von MW die ein Reaktor für Einsätze benötigt, kann man so sicher nicht aufbringen und wenn, dann ist damit immer noch nicht der Reaktor getestet, das hat man damals gemacht, aber ich glaube kaum das jemand heute einen Reaktor in der Wüste testen würde der dann radioaktiven Wasserstoff freisetzt und nach dem Test selbst hoch strahlend ist.
Neue Technologien?
Die USA haben nukleare Triebwerke in den sechziger Jahren getestet und das Programm Anfang der Siebziger Jahre eingestellt. Das ist lange her. Gibt es neue Gesichtspunkte die einen Antrieb attraktiver machen?
Ja die gibt es. Man traut sich heute noch etwas höhere Temperaturen zu als damals. Damals wurde bei maximal 2.270 K getestet, das ergab einen spezifischen Impuls von 8090 m/s, heute geht man bis auf 2.860 K, das sind je nach Auslegung des Triebwerks 8.670 bis 8.940 m/s.
Am miserablen Masseverhältnis des Triebwerks hat sich leider nichts geändert. Es liegt bei noch kleineren Triebwerken als damals unter 4, nur als Vergleich, das J-2 liegt bei 64.
Viel geändert hat sich heute in der Missionsdurchführung. Damals wollte man eine Marsexpedition mit einer Zündung durchführen, also wie bei der Mondmission. Dazu braucht man ein schubstarkes Triebwerk weil sich während der langen Brennzeit – bei der obigen Stufe 1.200 Sekunden – die Stufe sich laufend von der Erde entfernt und dabei an Geschwindigkeit verliert. Sinkt der Schub ab, so nähert sich ein nukleares Triebwerk einem Niedrigschubtriebwerk. Man kann dies mit den heutigen Kommunikationssatelliten vergleichen. Die größten wiegen 6 t, haben aber nur ein Triebwerk mit 0,4 kN Schub. Anstatt nun den Übergang GTO → GEO auf einmal durchzuführen, tun sie dies in mehreren Umläufen, jeweils mit Zündungen rund um das Perigäum.
So kann man auch bei einem nuklearen Antrieb verfahren, lediglich das letzte Manöver – von einer hochelliptischen Umlaufbahn um die Erde zum Mars muss dann in einem Schritt erfolgen. Von einer 200 x 120.000 km Bahn sind das noch etwa 800 m/s von insgesamt 3.700 m/s, das heißt man könnte das Verlassen der Erde in vier Teile aufteilen, in denen die Geschwindigkeit um je etwa 800 m/s erhöht wird. Die Gravitationsverluste sind so reduzierbar und damit auch der Treibstoffbedarf.
So entdeckte ich in einer Studie der NASA über Modellierung von nuklearen Triebwerken dass diese nur noch mit 33 bzw. 112 kN Schub arbeiten, lange nicht dem hohen Schub wie in den Sechzigern und entsprechend kleiner sind die Reaktoren, allerdings nicht viel leichter, weil je größer ein Reaktor ist um so besser ist sein Schub/Gewichtsverhältnis. Aber man braucht weniger angereichertes Uran, ein bedeutsamer Kostenfaktor.
Das nächste sind die Tanks. In den Neunziger Jahren wurde die Aluminiumlegierung 2195 eingeführt, erstmals beim Space Shuttle SLWT. Diese ist bei gleicher Belastung 26 Prozent leichter als die in den Sechzigern eingesetzte Legierung 2210. Inzwischen fertigt man auch Wasserstofftanks aus CFK-Werkstoffen. Boeing hat zusammen mit der NASA einen Demonstrator gebaut der 29 % weniger wiegt als ein Tank aus der Legierung 2195. Inzwischen hat Boeing einen 4,3 m CFK-Tank auf das TRL 6 Niveau gebracht womit die Technologie einsatzbereit wäre. In Europa arbeitet Airbus an einem CFK-Tank für die Ariane 6 Oberstufe der bis zu 2 t mehr Nutzlast bringen soll.
Berücksichtigt man nur die beiden bekannten Gewinne durch bessere Materialien von 26 und 29 %, so kann heute ein Tank auf 53 Prozent des Gewichts der Siebziger Jahre gedrückt werden. Bei 25 t Gewicht für die Tanks bei obiger Stufe sind das fast 12 t mehr Nutzlast.
Natürlich ist das Volumen kleiner. Eine SLS hat einen Durchmesser von 8,38 m, ein Kugeltank mit diesem Durchmesser hätte ein Volumen von 308 m³, würde aber nur 21 t Wasserstoff fassen. Dann müsste man mehrere dieser Tanks übereinander anbringen. Problematisch wird bei der Konstruktion die Anbringung einer Nutzlast oberhalb der Kugeltanks, da würde die Last ein das Gewicht wieder erhöhendes Gerüst nötig machen, doch wenn man aus Sicherheitsgründen sowieso Raumschiff und Stufe getrennt startet, braucht man nur an der Spitze einen leichtgewichtigen Adapter zum Andocken. Der Schub ist später so gering, dass das Raumschiff kaum Kraft auf die Tanks ausübt. Bei dieser Konstruktion von hintereinander geschalteten Kugeltanks kann man leider keine leeren Tanks abtrennen, was sonst noch ein zusätzlicher Vorteil wäre.
Fazit
Ich halte nach wie vor nichts von nuklearen Triebwerken, anders als andere die sich mit Raumfahrt befassen wie Eugen Reichl. De Fakto wäre es günstiger einen relativ kleinen Reaktor zu nehmen und mit dem erzeugten Storm Ionentriebwerke anzutreiben. Eine Reise zum Mars dauert ohne Zusatzbeschleunigung rund 190 Tage. Ein 1 MW Reaktor könnte eine 60 t schwere Nutzlast soweit beschleunigen das sie rund 50 Tage früher ankommt. Und 1 MW ist keine hohe Leistung für ein nukleares Triebwerk, dass würde nicht mal 1 kN Schub haben. Ionentriebwerke sind noch schubschwächer als nukleare Triebwerke, aber sie können lange laufen; über Monate. Sie wären auch geeignet chemischen Treibstoff zu sparen indem sie unbemannte Teile in hochelliptische Orbits befördern und erst dann kommt die Besatzung mit einer kleinen und leichten Kapsel dazu, und zündet eine chemische Stufe um die letzte Geschwindigkeitsänderung aufzubringen. Bei den meisten Teilen einer Marsexpedition, die unbemannt starten müssen, kann man sie sogar komplett von einem niedrigen Erdorbit zum Mars bringen, wenn man nur genügend Zeit hat.
Ionentriebwerke haben für sehr schwere Lasten aber ein anderes Problem: Auch sie werden mit steigendem Schub immer größer und ein Ionentriebwerk von 838 cm Durchmesser – dem der SLS-Kernstufe, würde hochgerechnet von kleinen Triebwerken maximal 4 bis 5 MW Strom verbrauchen. Der Grund liegt in der Felddichte, die nicht unendlich gesteigert werden kann. So werden für bemannte Missionen hohe Beschleunigungsspannungen diskutiert, die den spezifischen Impuls steigern und damit auch den Schub, allerdings steigt der Energieaufwand quadratisch mit dem Impuls an und von der Treibstoffersparnis, die es als Nebeneffekt gibt, hat man bei den geringen Δv einer Marsexpedition wenig. Aber für die unbemannten Teile ist es immer eine Alternative.
Allerdings – um zu dem Artikel zurückzukommen – ist dieses NASA Projekt nun auch nicht der Beginn der Entwicklung von nuklearen Triebwerken, dazu ist der Kontrakt mit einem Umfang von 22,2 Millionen Dollar einfach zu klein. Dieses kleine Detail verschweigt der Artikel übrigens auch.