Am deutschen Raketenwesen kann die Welt genesen – USA
In einer kleinen dreiteiligen Serie will ich einmal rekapitulieren wie die deutschen Raketenwissenschaftler die Entwicklung weltweit beeinflusst haben. Es beginnt heute mit dem bekanntesten Beispiel der USA, etwas mehr neue Tatsachen auch für Raumfahrtkenner dürften die beiden folgenden Beiträge über die UdSSR und als Abschluss dann alle anderen Länder. Ich habe das schon lange vorgehabt, aber die Erweiterung meines Buches über russische Raketen um genau dieses Kapitel liefert mir den Aufhänger. Der Titel ist natürlich etwas provokant und passt nicht in die heutige Zeit, aber ich denke er passt ganz gut, auch wenn ich ihn vom ollen Kaiser Wilhelm II geklaut habe, wobei der das auch aus einem Gedicht von Emanuel Geibel „Deutschlands Beruf“ von 1861 übernommen hat.
Die Entwicklung in Deutschland bis 1945
In Deutschland begann die Entwicklung von flüssigen Raketentriebwerken einige Jahre nach dem ersten erfolgreichen Start einer mit flüssigen Treibstoff angetriebenen Rakete von Goddard, dem Pionier der Raketenentwicklung in den USA. Allerdings erfolgte die Finanzierung in der Weimarer Republik durch die Reichswehr. Sie nützte eine Lücke im Versailler Vertrag aus. Der beschränkte die Reichswehr drastisch. Sie verbot alle schweren Waffen wie Flugzeuge, Panzer oder Schlachtschiffe. Das Heer wurde auf 100.000 Mann beschränkt, also noch weniger als heute die Bundeswehr bei damals mehr Einwohnern im Reichsgebiet. Aber Raketen kamen in dem Vertrag nicht vor. Die Reichswehr erhoffte sich das Raketen ein Ersatz für schwere Artillerie sein könnten.
Im Januar 1933 erfolgte der erste erfolgreiche Test einer A-1 (Aggregat 1), die im Schub bereits Goddards Raketen übertraf. Mit den nächsten Modellen A-2 und A-3 wurden die Raketen größer. Mit der A-2 wurde die Kühlung und Injektion des Treibstoffs verbessert. Die A-3 erprobte erstmals die Stabilisierung im Flug. Die A-1 und A-2 dagegen waren reine Bodenversuche. Bei ihnen ging es primär um die Entwicklung der Technologie einer mit flüssigen Treibstoffen angetriebenen Rakete.
Nachdem man mit A-1 bis A-3 die Lösungsansätze für verschiedene Probleme gefunden hatte, ging die Reichswehr an die A-4. Sie war zwanzigmal so schwer wie eine A-3. Parallel dazu entwickelte man die A-5. Das war ein verkleinertes Modell der A-4, mit dem man Aerodynamik und Steuerung der A-4 in der unteren Atmosphäre erproben konnte. Sie flog 1937/1938 und ebnete den Weg für den Einsatz der A-4.
Der wesentliche Unterschied zwischen Goddards Erfindungen und der A-4 war, das Goddard zeigte, das etwas prinzipiell funktionierte. Bei der A-4 wurde eine praktisch einsetzbare Lösung gefunden. So entdeckte Goddard, dass er mit einem schnell rotierenden Kreisel, einem Gyroskop, den Flug stabilisieren konnte. Bei ihm wog der Kreisel fast so viel wie der Rest der Rakete. Bei der A-4 wog der Kreisel nur wenige Kilogramm, da er die Rakete nicht durch seine Masse stabilisierte. Die Nutation, die Kraft, die der Kreisel abgibt, wenn er aus der Rotationsachse (z. B. durch Wind) bewegt wird, wurde elektrisch verstärkt und zur Steuerung des Schubvektors verwendet. Er wirkte der einwirkenden Kraft entgegen.
Was viel wichtiger war: In der A-4 steckten Jahre der Entwicklungsarbeit, in der die Ingenieure das Konzept immer weiter vervollkommneten. Es wurde unzählige Variationen der Brennkammerkühlung erprobt. Auch der Injektor wurde mehrfach überarbeitet. Nicht zuletzt wurden zahlreiche Methoden der Steuerung und Regelung der Rakete erprobt. So lagen zwei Jahre zwischen dem ersten erfolgreichen Flug einer A-4 am 3.10.1942 und dem ersten militärischen Einsatz am 8.9.1944. Es wurden 200 Versuchsexemplare gebaut, noch erheblich mehr Brennversuche durchgeführt – bis zu zehn pro Tag.
Nach der Bombardierung von Peenemünde durch britische Bomber am 16.8.1943 stellte die Reichswehr alle neuen Entwicklungen ein, darunter die A-9/A-10 eine zweistufige Rakete die Amerika erreichen sollte. Verfolgt wurden nun nur noch die A-4 und ihre Fortentwicklung A-4B, die Flugabwehrrakete Wasserfall und später die ungelenkte Flugabwehrrakete Taifun. Schon vor dem ersten Einsatz bekamen die Alliierten Wind von der Entwicklung. Wrackteile von Flugtests in der Ostsee wurden von Schweden aufgefischt, eine weitere A-4 wurde von polnischen Partisanen geborgen und über Moskau nach England verschifft. Auch wenn sie nach dem Test nur noch ein Wrack war, so war Experten alleine von der Größe klar, das Deutschland in der Raketenentwicklung weltweit führend war. Zu Kriegsende suchten daher sowohl amerikanische wie auch britische und russische Spezialkräfte nach den Experten.
In Deutschland wurde Peenemünde vor den anrückenden Sowjets evakuiert und zerstört was ging. Die wichtigsten Konstruktionsunterlagen wurden in zwei Lastwagen in einem Stollen im Harz versteckt. Die Verantwortlichen setzten sich nach Bayern ab. Angeblich sollten sie von der SS erschossen werden, doch ich halte das nicht für glaubwürdig, denn so etwas gab es auch bei anderen Experten nicht die z.B. die Düsentriebwerke entwickelten.
Dort fanden sie dann amerikanische Truppen im Mai 1945. Wernher von Braun war mit den anderen bereit mit den USA zusammenzuarbeiten. Er verriet auch das Versteck der Konstruktionszeichnungen, die so geborgen wurden. Genauso wie etwa 100 A-4 die es fertiggestellt im Mittelbau Dora gab. Man transferierte alles in die USA, bevor am 1.7.1945 Thüringen wo sich Mittelbau Dora und das Versteck der Pläne befanden an die rote Armee übergeben musste.
Der wichtigste Schatz, den die Amerikaner 1945 „erbeuteten“, waren nicht die Konstruktionszeichnungen. Es war die Erfahrung der „Peenemünder“, die in die USA übersiedelten. Erfahrungswissen steckt nicht in Dokumenten, sondern im Kopf. Die USA sollten dies beim Space Shuttle deutlich bemerken. Nach dem Apolloprogramm begann eine Kündigungswelle. Die erfahrenen Mitarbeiter, die ein Jahrzehnt an den Saturn Trägerraketen gearbeitet hatten, wurden entlassen. Die Triebwerksentwicklung für das Shuttle geriet bald darauf in Schwierigkeiten. Das Projekt wurde erheblich teurer und dauerte vier Jahre länger als geplant.
Nachdem die Raketenforscher in die USA übersiedelten, nutzten die Streitkräfte ihr Know-How zuerst nicht. Die „Deutschen“ schulten zwar US-Ingenieure anhand der A-4 im Raketenbau. Doch es gab keinen Auftrag für die Entwicklung einer neuen Rakete. Lediglich von der A-4 wurden einige Dutzend erbeutete Exemplare gestartet. Viele Mitarbeiter von Brauns wechselten in dieser Zeit zu US-Firmen. Die begannen unter anderen, Raketentriebwerke zu entwickeln, z.B. North American, die später ihre Triebwerkssparte als „Rocketdyne“ ausgliederten.
Währenddessen drehten die 106 Experten die im Rahmen der Operation Paperclip in die USA übersiedelten und später auch die US-Staatsbürgerschaft übernahmen in Fort Bliss Däumchen. Wernher von Braun nutzte diese Jahre, indem er seine Vision der Raumfahrt in US-Magazinen wie „Collier“ veröffentlichte. So wurde auch Walt Disney auf ihn aufmerksam. Er erhoffte sich mit Raumfahrt- und Raketenerlebniswelten mehr Besucher für seine Parks. So entstanden mehrere Filme die von Braun populär machten.
Die Situation änderte sich mit dem Koreakrieg. Ein bewaffneter Konflikt mit der UdSSR schien nun wahrscheinlicher. Zudem arbeiteten die USA an der Wasserstoffbombe. Die Zielgenauigkeit der Raketen war damals noch gering und selbst mit einer Atombombe als Sprengkopf der Rakete war nicht garantiert, dass man ein militärisches Ziel zerstören würde, weil die mögliche Abweichung vom Zielpunkt größer als der Zerstörungsradius war.
Die Ausschreibung des Verteidigungsministeriums forderte die Beförderung eines nuklearen Sprengkopfes über eine Distanz von 200 Meilen, also rund 320 km. Betraut wurden die deutschen Raketenforscher – sie warne die einzigen die die nötige Erfahrung hatten. Die Entwicklung der PGM-11 Redstone begann 1950. Da es sich um einen direkten Nachfahren der A-4 handelte, konnte sie bereits 1952 abgeschlossen werden. Die Firma Chrysler – Autohersteller und kleiner Flugzeugbauer – bekam den Produktionsauftrag im Oktober 1952. Den Namen „Redstone“, nach dem Army Redstone Arsenal, wo sie entwickelt wurde, bekam die Rakete am 8.4.1952.
Bemerkenswert für die damalige Zeit war, dass Wernher von Braun die Entwicklung vollständig im Army Redstone Arsenal (dem späteren Marschall Space Flight Center) durchführen konnte. Das war wie vorher Peenemünde eine militärische Einrichtung. Schon damals vergab die US-Regierung den Auftrag für die Entwicklung und Produktion normalerweise an Firmen, wie es heute allgemein üblich ist. Wernher von Braun dagegen behielt das Know-how bei seinen eigenen Leuten. Durch die Produktion der Rakete erwarb aber auch Chrysler die Fähigkeiten – Unternehmen und Regierung profitierten von diesem System.
Von Braun war dafür bekannt, dass die Kontrolle der Kontraktoren anders verlief als sonst in der US-Industrie. Das System, das bis heute angewandt wird, basiert auf einer Ausschreibung. Eine Reihe von Firmen unterbreitet Vorschläge, die dann geprüft werden. Anschließend erhält eine Firma den Entwicklungs- und Produktionsauftrag. Sie wird zwar von der Raumfahrtagentur überwacht und das Produkt eingehend getestet. Aber schlussendlich ist der Auftragnehmer für die Entwicklung verantwortlich. Dabei erwirbt die Firma das Know-How, nicht die NASA.
Von Braun dagegen hielt die Entwicklung in der ABMA (Army Ballistic Missile Agency), so wie dies schon in Peenemünde der Fall war. Die ersten kompletten Raketen wurden dort gebaut, selbst bei der Saturn V. Erst danach ging die Produktion an die Industrie über. Doch nicht ohne Kontrolle. Von Huntsville schwärmten die Ingenieure zu den Subkontraktoren aus und überwachten die Produktion.
Die enge Verzahnung mit den Herstellern wurde von der NASA abschätzig „Kontraktatorinfiltration“ und von den Auftragnehmern als „technische Übernahme durch die Regierung“ bezeichnet. So bekam auch bald McDonnell als Kapselhersteller des Mercuryraumschiffs Besuch von den Inspekteuren der ABMA. Sie stellten fest, dass man mit Verfahren arbeitete, die im ABMA als veraltet und riskant angesehen wurden. So schrieb von Braun am 9.10.1959 Robert Gilruth Chef des Projektes an, um ihn auf diese Umstände hinzuweisen.
Das machte von Braun und das ABMA bei der Space Task Group (STG), die Mercury durchführte, nicht gerade beliebt. Allerdings waren alle Flüge seiner Raketen erfolgreich, nicht nur bei der Redstone, sondern auch bei der Saturn. Im Mercuryprojekt bestand von Braun darauf, dass die von Chrysler gebaute Redstone nicht wie die Atlas zum Cape verschifft wurde, sondern zuerst nach Huntsville. Dort wurden sie nochmals eingehend überprüft. Es gab auch Probezündungen des Triebwerks. Er wollte dasselbe mit der Kapsel durchführen. Das wurde von der STG als zeitraubend und teuer kritisiert. Doch die Kritik verstummte schlagartig, als bei MR-1 die Rakete abhob und wieder landete, weil ein Kabel zu kurz war. Erst jetzt wurde vielen klar, dass es rund 800 Änderungen gegenüber dem Standardmodell der Redstone gab. Die mussten überprüft werden, bevor die Redstone startete.
Der erste Testflug der Redstone fand am 20.8.1953 statt. Am 3.5.1954 explodiert die dritte Redstone beim Start. Als General Toftoy fragt „Wernher, why did the rocket explode?“ wusste von Braun zunächst keine Antwort. Nach gründlicher Untersuchung stellte sich heraus, dass jemand bei der Fertigung geschlampt hatte. Von Braun antwortete Toftoy: „It exploded, because the damn son of a bitch blew up!“. Wernher von Braun lernte, dass die US-Produktion eine deutlich schlechtere Qualität ablieferte als das, was er in Deutschland von der A-4 gewohnt war. Er drängte bei Chrysler auf eine qualitativ bessere Arbeit und führte ein rigides Qualitätsmanagement ein. Das behielt er auch bei allen folgenden Trägern bei. Das Ziel war: „Maximum reliability will be achieved, when the target area of the missile becomes more dangerous, than the launching area.“.
Es erfolgte die Indienststellung der Redstone langsamer als bei den Nachfolgern. Die Produktion der Redstone begann erst 1955. Das lag daran das vorher die Sprengköpfe noch nicht verfügbar waren. Das erste Produktionsexemplar wurde 1956 getestet. Ab 1958 wurden die ersten Redstone in Deutschland stationiert. Da die Trägerrakete schnell als „veraltet“ eingestuft wurde, begann die Ausmusterung bereits im Jahre 1963 und war 1964 abgeschlossen.
Nachdem auch Russland seine Wasserstoffbombe gezündet hatte, begann eine enorme Aufrüstung in den USA. Es wurden gleich zwei Mittelstreckenraketen genehmigt, die ein Vielfaches der Reichweite der Redstone hatten. Auch hier wurde eine von dem ABMA entwickelt – die Jupiter. Die Thor war dagegen die erste Großrakete, die von den US-Industrie entwickelt wurde, was sich in zahlreichen Fehlschlägen im Testprogramm niederschlug, aber danach hatte die US-Industrie das gleiche Know-How wie die „Beutedeutschen“.
Während der Entwicklung der Jupiter wurde die NASA gegründet und das ABMA wechselte zur NASA. Das fiel leicht, weil zeitgleich das Verteidigungsministerium beschloss, das die USAF sich alleine um größere Raketen kümmern sollte, die Army also keine Verwendung mehr für das ABMA hatte. Es wurde in Marschall Space Flight Center (MSFC) umbenannt. Hier entwickelte von Braun und die anderen Deutschen dann die Saturn I, Saturn IB und Saturn V. Alle Starts der Saturn waren erfolgreich – ein Umstand der wie der Teststart des Starships zeigt, selbst heute durchaus nicht selbstverständlich ist. Viele der Deutschen rückten in Führungspositionen aus. Von Braun leitete das MSFC, als er ins NASA Headquarter, Eberhard Rees löste ihn ab, Kurt Debus wurde Direktor des Kennedy Space Centers. Ernst Stuhlinger und Ernst Steinhof wurden Chefwissenschaftler beim MSFC und der Raketenentwickelung der USAF.
Nach Ende des Apolloprogramms wollte man in den USA nichts mehr von den Deutschen wissen und vertrieb diese aus den Posten. Die Center sollten „amerikanisiert“ werden. Das war relativ leicht, weil viele von ihnen seit den Dreißiger Jahren an Raketen arbeiteten und sich nun dem Pensionsalter näherten. Die Folgen dieser Politik für das nächste Programm – dem Space Shuttle habe ich schon erwähnt. Der Name „Space Shuttle“ stammt übrigens noch von Wernher von Braun.
Letztendlich erbrachten von den „Peenemündern“ entwickelte oder mit entwickelte Raketen folgende Erstleistungen:
- Erster Satellit der USA im Orbit
- Erster Satellit Australiens im Orbit
- erster suborbitaler Flug eines Amerikaners
- Erste erfolgreiche Raumsonde der USA
- Erste Dreimannbesatzung der USA im All
- Erste Mondumrundung
- Erste Mondlandung
- Erste Raumstation der USA
So im nächsten Teil geht es dann um die anderen Beutedeutschen in Russland.
„An deutschen Raketenwesen kann die Welt genesen …..“
Wenigstens die Blogüberschrift könnte der Autor ja mal richtig schreiben. Es muss heißen :
„Am deutschen …..“