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Die russische Raketenentwicklung

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Mein Aufhänger für den heutigen Blog liefert die Arbeit an meinem neuesten Buch über russische Trägeraketen, das eigentlich nur eine Auskopplung des Kapitels aus dem schon 2016 erschienen Buch „Internationale Trägerraketen“ werden sollte <Werbung>, das man bei Amazon oder auch beim Verlag oder sogar im Buchhandel erwerben kann </Werbung>. Nun wird es aber doch ziemlich erweitert. Zuerst will ich aber mal was allgemeines über dir russische Raketenentwicklung sagen.

Die sowjetische/russische Raketenentwicklung ist von zwei Dingen geprägt. Das eine sind – je nach Sichtweise – pragmatische Lösungen oder Umgehungen von Problemstellungen. Das zweite ist das die Raketenentwicklung dort im Schneckentempo voranschreitet.

Ich fange mal mit dem ersten an. Das ging schon los bei der R-7. Russland testete in den frühen fünfziger Jahren erste Triebwerke, die mehr Schub hatten als das Triebwerk der A-4. Sie kamen aber bald an ein Problem, dass viele Raketentriebwerke dieser Zeit hatten, die Verbrennungsinstabilität. Dabei schaukeln sich Druckschwankungen die durch eine turbulente Verbrennung entstehen auf und das kann bis zur Explosion des Triebwerks führen. Zwei Triebwerksentwicklungen wurden daher abgebrochen. Beschlossen wurde daher die R-7 nur mit Brennkammern auszustatten, die nicht mehr Schub als die A-4 hatten (real sogar weniger) anstatt wie in den USA, wo dasselbe passierte eben durch viele Versuche den Injektor so lange anzupassen bis das Raketentriebwerk stabil läuft.

Das ist eine Lösung des Problems, aber eigentlich hat man es nur umgangen. Bis heute haben russische Raketen so mehrere Brennkammern, das schlagkräftigste das RD-170/171 der Energija / Zenit hat nominell so mehr Schub als ein F-1, pro Brennkammer aber deutlich weniger und wird im Schub pro Brennkammer inzwischen sogar von dem Raptor, BE-4 und SSME übertroffen.

Das setzte sich so fort. Als man eine Oberstufe für die R-7 benötigte, zündete die noch während die Zentralstufe (Block A) arbeitete. Damit umging man eine Zündung in der Schwerelosigkeit. Diese Vorgehensweise hat aber auch Nachteile. Zum einen kann man so den Treibstoff der Unterstufe nicht vollständig verbrauchen, verliert also etwas Performance. Zum anderen ist das riskant. Es muss zeit genau die Verbindung gesprengt werden, die Flammenabgase müssen entweichen können und die Unterstufe muss einen zusätzlichen Hitzeschutz bekommen, sonst explodiert sie.

Üblich ist sonst, dass man die Verbindung der Stufen trennt, nach der Trennung erst kleine Feststoffraketen zündet oder bei kleinen Massen die Stufen mit Federn voneinander trennt. Eine Kollision kann man so ausschließen – wenn man es richtig macht. Feststofftriebwerke bringen neben einer Beschleunigung auch den Vorteil, mit das sie den Treibstoff der Oberstufe am Boden sammeln. Ich kenne außerhalb von Russland und China, nur einen Träger wo man „heiß“ trennte, dass war die Titan 2 und dort benötigte man einige Versuche, bis man die Streben zwischen den Stufen so gewählt hatte das sie den Belastungen stand hielten und die Flammen trotzdem entweichen konnten ohne die Erststufe zu sprengen. Bei der Titan II erfolgte die Wahl nur aus einem Grund – man wollte viel weniger Systeme als bei der Titan 1 zum Prüfen haben, weil sie als militärischer Träger innerhalb von Minuten startbereit sein musste. Der Vorgänger Titan I hatte dagegen Stufentrennungsraketen.

Da militärische Starts von Russland bis heute geheim sind, weiß man nicht ob Russland am Anfang nicht auch etliche Ausfälle bei dieser Methode hatte. Heute funktioniert sie, aber das wäre nach einigen Tausend Starts nach der Methode auch zu erwarten.

So überraschte mich das Chefingenieur Elon Musk nachdem die Stufentrennung beim ersten Testflug des Starship nicht klappte – wie ich schon vor ihm feststellte – nun eine heiße Trennung in Betracht zieht. Für ein wiederverwendbares Gefährt wäre ein Hitzeschutz, den man regelmäßig wechseln muss (es treffen rund 3,7 t/s heiße Gase auf ihn) jedenfalls keine kostengünstige Lösung.

Das zweite ist die langsame Entwicklung der Raketen in der UdSSR / Russland. Hier mal eine kurze Geschichte der russischen Träger:

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gab es zahlreiche neue Trägerraketen und Stufen, doch es lohnt sich diese genauer anzusehen:

Zyklon, Dnepr, RS-28

Eine Rakete habe ich ausgelassen – echte Raumfahrtkenner wissen auch welche. Es ist die Zyklon. Die Zyklon basiert auf der RS-36, einer ICBM die für ein besonderes Programm entworfen wurde. Die R-36 wurde entwickelt, um die USA über eine Flugbahn über den Südpol vom Süden aus anzugreifen. Dafür musste der Sprengkopf in einen Orbit gebracht werden und vor dem Wiederein­tritt wieder abgebremst werden. Dies wurde als FOBS (Fractional Orbit Bombardment System) bezeichnet. Da sich alle US-Frühwarnstationen nahe des Nordpols befanden, der kürzesten Strecke zwischen der UdSSR und den USA, erlaubte dies die Vorwarnzeit von 20 auf unter 5 Minuten zu reduzieren. Es gab neben der FOBS-Version auch eine normale ICBM-Version mit größerem Sprengkopf.

Die Zyklon – in den sechziger Jahren entwickelt und stationiert – ist längst Geschichte, doch aus der R-36 entstand die RS-36, eine noch größere Rakete. Die R-36 ist in etwa in Abmessungen und Masse mit der Titan II vergleichbar, doch die RS-36 schlägt beide. Sie wiegt über 200 t und ist die grölte je gebaute ICBM. Sie wurde wie die Rockot, Strela und Start als Dnepr-Träger eingesetzt, weil Russland nach dem START-Abrüstungsabkommen zahlreiche ICBM ausmustern musste und neben dem Verschrotten war der Einsatz als Raumfahrtträger eine Möglichkeit zum Einsatz den auch die USA bei der Minotaur nutzen. Inzwischen ist auch die Dnepr Geschichte. Die RS-36M wurde im OKB von Jangel in der Ukraine entworfen. Vermarktet wurde sie von ISC Kosmotras einem Joint Venture aus russischen und ukrainischen Firmen, das ging nach 2014 natürlich nicht mehr. Seit 2017 entwickelt Russland die RS-28 „Sarmat“ als „neue“ Trägerrakete. In Wirklichkeit gehen alle Experten anhand der Abbildungen und Daten davon aus, das es ein russischer Nachbau der RS-36M ist denn durch die Okkupation der Krim 2014 wird man wohl kaum noch an Ersatzteile aus der Ukraine kommen. Das ist insofern bemerkenswert, weil es hier um die strategisch wichtigen Raketenstreitkräfte geht. Also das man bei Raumfahrtträgern nicht viel in die Entwicklung steckt versehe ich noch, aber für das Abschreckungspotenzial eine Rakete nachzubauen die 1975 zuerst stationiert wurde und deren flüssige Treibstoffe als obsolet gelten?

Die Sojus habe ich ausgespart, denn in ihr sieht man die Beibehaltung in Reinform. Zuerst kam als neue Version die Sojus – Fregat, eine Sojus mit einer neuen Oberstufe, der Fregat, welche die Molnija Version ersetzt. Deren Oberstufe „Block L“ war nur einmal zündbar, was das Einsatzspektrum beeinträchtigt und zudem erfordert das Oberstufe und Nutzlast zusammen nie mehr als die LEO-Nutzlast einer Lous (etwa 7,7 t) betragen. Doch neu ist die „Fregat“ nicht. Sie kam schon als Traktorblock seit den Achtziger Jahren bei Marssonden zum Einsatz und wurde mit einem Zusatztank dann auf der Zenit – Fregat kurzzeitig eingesetzt als die Beziehungen zur Ukraine besser waren (die Zenit stammt aus der Ukraine).

Das neueste Modell ist die Sojus 2v v steht für „Volga“. Bei ihr wurden die Außenblöcke weggelassen. Damit hat der Zentralblock mit dem alten Triebwerk aber zu wenig Schub zum Abheben, selbst mit einer minimalistischen Oberstufe – der erwähnten „Volga“ die aus einem Satellitenbus entstand. Die russische Lösung für das Schubproblem? Ich glaube es lief so ab:

Tja wir könnten das RD-191 der Angara einbauen, aber das müssen wir ja produzieren und das kostet Geld. Aber haben wir nicht noch eine Halle mit eingelagerten NK-33 Triebwerken der Mondrakete N-1? Warum bauen wir nicht eines von denen ein?“

Gesagt getan. Nur das System hat man nicht geändert. Bei der Sojus sind die RD-107/8 fest eingebaut, nicht schwenkbar, macht bei vier Brennkammern und dem technologischen Stand der Fünfziger Jahre auch Sinn. Die NK-33 wunden auch bei der Antares eingesetzt und waren dort schwenkbar (in der Mondrakete N-1 waren sie es auch nicht). Also baut man das NK-3 wieder fest ein. Nun braucht man aber weitere Triebwerke für Neigungen und Drehungen, denn die vier Steuertriebwerke des RD-108 wurden von der Turbopumpe für die großen Brennkammern mitgespeist. Was macht Russland? Sie nehmen das ebenfalls aus vier Brennkammern bestehende RD-0110 Triebwerk der Sojus (alte Version, die neue setzt das RD-124 ein) und bauen es zusätzlich als Steuertriebwerk ein. Funktionierte bisher bei 10 Starts (einer schlug fehl, aber aufgrund der Oberstufe Volga). Bei der Antares versagten dagegen die NK-33 einmal spektakulär und auch in Tests im Stennis Testcenter weshalb sich die Firma von den Triebwerken verabschiedete.

Angara

Das Filetstück der russischen Raketenentwicklung habe ich mir zum Schluss aufgehoben. Die Angara, so benannt nach einem Fluss, ist die einzig wirklich „neu“ entwickelte Rakete nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Eigentlich sollte sie die meisten anderen Träger ersetzen, was sogar klappen würde, wenn man alle Versionen umgesetzt hätte, da man dann ein Spektrum von 2 bis (angeblich) 40 t in den LEO abdecken kann. Aber so richtig neu ist die Angara nicht. Alle Versionen bestehen aus einer Kernstufe, dem URM. Je nach Version zünden 1, 3, 5 oder 7 URM gleichzeitig. Bei den größeren Versionen brennt das zentrale URM länger. Die Oberstufen sind bei den Einsatzversionen schon bekannte Stufen: Breeze-KM (Rockot), Breeze-M (Proton) und Block I der Sojus. So bleibt als neues Element das URM, wobei, gaaanz neu ist das auch nicht. Das Triebwerk RD-191 ist eine Einkammerversion des RD-171 der Zenit, es gibt daneben schon das RD-180 als Zweikammerversion (Atlas V) und das RD-181 als Zweikammer/zwei Turbopumpenversion (Antares 2xx). Vor allem wurde ein leicht im Schub und Anforderungen gesenkte Variante als RD-151 in der südkoreanischen KSLV I alias Naro eingesetzt. Auch deren erste Stufe ist ein verkürztes URM. Also neu entwickelt? Na ja … Neu wären Oberstufen gewesen, die erstmals bei Oberstufen Wasserstoff als Treibstoff nutzen. Nur wartet man auf diese Oberstufen von denen es mindestens vier Konzepte gibt, nun schon seit mehr als einem Jahrzehnt. Dabei wäre es auch hier ganz einfach: Russland hat schon von 1965 bis 1972 für das Mondlandeprojekt ein Triebwerk entwickelt entwickelt, dass Wasserstoff einsetzt. Dieses wurde auch eingesetzt, denn als Indien für ihre GSLV eine Oberstufe mit Wasserstoff benötigte fertigte GKNPZ Chrunitschew diese im Auftrag und setzte dazu das RD-56 Trieb ein. Die ersten sieben Stufen der GSLV stammen aus Russland, später baute Indien die Stufe nach. Man hat also eine funktionierende Stufe mit Wasserstoff als Treibstoff. Da könnten andere auf die Idee kommen, diese einfach zu nutzen. Nein, nicht in Russland. Dort entwickelt man ein neues Triebwerk, das RD-0146. Gut es ist in den Parametern etwas besser als das RD-56, leichter mit leicht höherem spezifischen Impuls aber im Schub vergleichbar. Während man sonst pragmatisch vorgeht, meint man hier eine neue Technologie einsetzen zu müssen: Das RD-56 arbeitet wie alle größeren ab Mitte der Sechziger Jahre entwickelten Triebwerke im „staged combustion“ Verfahren, das RD-1046 dagegen wie westliche Gegenstücke in diesem Schubbereich im Expander Cacle. Aber was nützt es wenn es zu keiner umgesetzten Stufe kommt?

Die Angara hat seit 2014 in neun Jahren gerade mal 6! Starts absolviert. Die kleinste Version Angara 1.1 (ersetzt die Rockot) und die Zwischenversion Angara 3 (ersetzt die Zenit) wurden gestrichen. Die größte Version Angara 7 mit den Wasserstoffoberstufen scheint nie zu kommen. So sieht für mich nicht eine Rakete aus, die alle anderen Raketen ablösen soll. Immerhin, die Zahl der Raketen verringert sich. Die Proton ist inzwischen ausgemustert. Aktuell gibt es nur noch Sojus und Angara für diese beiden Träger gibt es auch nur im Weltraumbahnhof Wostotschny der langfristig Baikonur und Plessezk ablösen soll, Startrampen.

Was es dagegen zu Hauf gibt sind vorgeschlagene Projekte bis hin zu Raketen für bemannte Mondmissionen. Hier ist man in Russland viel weiter als bei uns , denn es gibt davon unzählige. Der Grund ist das es dort mehrere große Konzerne gibt die aus den OKB der Sowjetzeit hervorgingen und die rivalisieren und laufend Projekte ausarbeiten und dem Staat vorschlagen. Also es läuft anders als in den USA wo der Staat überlegt, welche Träger brauche ich und diese ausschreibt.

Aber Luftprojekte gibt es auch sonst. In den nächsten Wochen soll Luna 25 starten, eine Mondlandesonde Russlands. Die erste seit 1976 und seit Jahren geplant. Auch bei der Erforschung gibt es bunte Flyer aber wenig Hardware. Hoffen wir mal das die Mission klappt. Russland hat nach Zusammenbruch der Sowjetunion nur zwei Sonden gebaut:

Mars 96 und Phobos Grunt. Beide scheiterten schon im Erdorbit.

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