Bernd Leitenbergers Blog

Splitter der Mad Doktrin 2

In Fortsetzung meines gestrigen Beitrags geht es heute weiter mit den beiden wohl unsinnigsten Projekten, die während des kalten Krieges gemacht wurden, um sich einen – wenn auch nur vermeintlichen – Vorteil zu verschaffen.

Die Megabombe

Raketen als Träger von Kernwaffen wurden erst attraktiv als die Wasserstoffbombe getestet war und funktionierte. Der Grund lag in der Zielgenauigkeit. Im englischen gibt es den CEP-Wert der angibt wie groß der Radius um den Zielpunkt ist in dem ein bestimmter Prozentsatz (meist 50 Prozent) der Raketen niedergeht. Der lag bei den ersten Raketen im Bereich von mehreren Kilometern. Das war selbst für eine Atombombe eine zu große Abweichung. Eine Wasserstoffbombe konnte anders als eine Atombombe eine sehr hohe Sprengkraft haben, so das auch eine größere Abweichung tolerierbar war. Die ersten ICBM hatten denn auch Sprengköpfe mit hoher Sprengkraft:

Rakete Sprengkopfgewicht Sprengkraft
R-7 6.300 bis 5.500 kg 2,9 MT
Atlas D 1.100 bis 1.680 kg 1,44 MT
Atlas E+F, Titan I 1.840 kg 3,75 MT
Titan II 4.077 kg 9 MT

Bei den Raketen der zweiten Generation nahm die Größe der Sprengköpfe ab, die Raketen wurden dadurch leichter. Bei den USA folgte auf die über 150 t schwere Titan II die 33 bis 38 t schweren Minuteman I-III mit einem Sprengkopf von „nur“ 0,8 MT Sprengkraft und die heutigen Minuteman haben Sprengköpfe mit 0,17 bis 0,475 MT Sprengkraft.

Möglich machte dies zum einen eine immer bessere Lenkung und Steuerung. Inertialsysteme wurden immer genauer, digitale Computer ersetzten analoge Computer und wurden schneller, konnten also schneller auf Abweichungen reagieren. Daneben führte man Steuertriebwerke ein, die nach dem Brennschluss der Haupttriebwerke in der Freiflugphase noch Korrekturen durchführen konnten.

Diese Verbesserungen gab es schon während der Entwicklung der Raketen. Sie waren ein Grund warum die ICBM der ersten Generation so kurz im Dienst waren, sie waren durch Verbesserungen in der Zielgenauigkeit obsolet geworden. Ihre großen Sprengköpfe wurden nicht benötigt, damit konnte man die unhandlichen und aufwendig zu wartenden Raketen ausmustern.

Eine Ausnahme gab es: Unter Chruschtschow testete die UdSSR immer größere Wasserstoffbomben. Der bis heute größte Sprengkopf, sowohl was seine Masse wie auch die Sprengkraft angeht, war die am 30.10.1961 getestete „Zar-Bombe“ (warum ein kommunistisches Regime, die größte Atomwaffe die jemals gebaut wurde, mit dem Titel des Herrscherhauses, dass sie 1917 ermorden lies, versieht, wird wohl für immer ihr Geheimnis bleiben). Die AN602 Bombe wog 27 t und hatte eine Sprengkraft von 50 bis 57 MT TNT-Äquivalent. Chefentwickler Sacharow, der während der Entwicklung sich von dem Sinn von Kernwaffen distanzierte und später dissident wurde begrenzte die Sprengkraft, die ursprünglich 100 MT betragen sollte und sorgte mit einer hohen Explosionshöhe von 4.000 m dafür, dass möglichst wenig radioaktiver Fallout an der Stelle niederging wo sie abgeworfen wurde, da die Druckwelle so vom Erdboden wieder nach oben reflektiert wurde.

Die Bombe hätte einen totalen Zerstörungsradius von 35 km gehabt das ist der Radius in der Gebäude durch die Druckwelle meistens einstürzen bzw. Menschen durch die Druckwelle getötet werden. Der Feuerball hätte einen Radius von 3,5 km gehabt und der Atompilz dehnte sich bis zu einer Höhe von 64 km aus.

Damit scheiden für diese Bombe militärische Ziele aus. Sie könnte eine ganze Ballungsregion auslöschen. Sie macht aber auch physikalisch weniger Sinn als viele kleine Sprengkörper, denn die Hauptzerstörungswirkung erfolgt durch die Druckwelle. Bei einem so großen Radius entweicht aber mehr und mehr dieser Druckwelle nach oben ab in den Weltraum, weil die Dichte der Luft mit der Höhe abnimmt und der Radius der Druckwelle für einen bestimmten Druck immer größer wird.

Trotzdem wollte Chruschtschow eine Rakete, die auch solche Riesenbomben transportieren konnte. Bomber schieden nicht nur wegen der Luftabwehr aus. Die Zar-Bombe wurde mit einem von Hand genähten Riesenfallschirm abgeworfen, damit sie langsamer fällt und die Tu-95 als Träger weit genug entkommen konnte. Trotzdem fielen drei Triebwerke durch den EMP und Hitzeeinwirkung aus und nur durch einen Sturzflug konnten zwei wieder gestartet werden. Dabei war die Tu-95 bei der Explosion schon 39 km vom Abwurfort entfernt.

Trotzdem konstruierten die Sowjetingenieure bereitwillig eine Rakete die die Zar Bombe transportieren konnte, vielleicht bereitwillig weil sie schon an die Möglichkeit des Trägers dachten wenn er Satelliten in den Orbit beförderte. Es wurden schubkräftige Triebwerke entwickelt, trotzdem braucht die Rakete sechs davon in der ersten Stufe. Um die Treibstoffmasse zu begrenzen wurde erstmals das Verfahren der gestaffelten Verbrennung (staged combustion) eingesetzt. Als die Rakete einsatzfähig war, war Chruschtschow längst als Premier abgelöst worden und sie wurde nun als Trägerrakete unter der Bezeichnung „Proton“ verwendet. Die ursprüngliche Proton hatte zwei Stufen, die beiden Oberstufen kamen erst für den Satellitenträger hinzu. Stationiert wurde die Zar-Bombe nie.

SDI

Am 23.3.1983 hielt US-Präsident Ronald Reagan eine Ansprache an die Nation in der er das ankündigte was später als SDI bezeichnet wurde. Wörtliches Zitat:

„What if free people could live secure in the knowledge that their security did not rest upon the threat of instant U.S. retaliation to deter a Soviet attack, that we could intercept and destroy strategic ballistic missiles before they reached our own soil or that of our allies?“

Das klingt wie ein Traum. Man ist nicht mehr bedroht von Atomwaffen der Gegenseite! Das System das dahinter steckte, konnte man wohl nur Ronald Reagan einreden, der nach den Aussagen von Beratern kaum etwas las, stattdessen wurden Tatsachen und Erklärungen ihm Videos und Filme präsentiert und in Animationen sah es ja auch ganz toll aus.

In Wirklichkeit klafften zwischen der verfügbaren Technologie und dem Anspruch Größenordnungen was Edward M. Kennedy, Demokrat aus Massachusetts als „reckless ‚Star Wars‘ schemes.“ kommentierte, worunter es dann auch allgemein bekannt wurde und nicht unter dem Akronym SDI für Strategic Defense Initiative.

Das grundlegende Problem liegt auf mehreren Ebenen. Für das Weltraum-Segment als Hauptelemente ergibt sich der Nachteil das ein Satellit nur während einer kurzen Zeit seines Orbits sich dort befindet, wo er Raketen oder Sprengköpfe abfangen kann. Man braucht also viel mehr Weltraumwaffen als der Angreifer Raketen hat. Daneben ist eine Rakete relativ leicht zu zerstören, doch die brennt typisch nur 2 Minuten lang, während man für das Abfangen von Sprengköpfen etwa 20 Minuten Zeit hat. Dafür sind diese viel kleiner und robuster.

Es existierten auch nicht die Waffen. Diskutiert wurden Partikelwaffen, Laser und Railguns, also elektromagnetisch beschleunigte Projektile. Partikel werden vom Erdmagnetfeld abgelenkt und schieden bald aus. Laser mit den benötigten Leistungen existierten, aber die müssen auf der Erde auch einige Zeit auf dieselbe Stelle einwirken was bei einem sich bewegenden Ziel ausschied. Bei einer Demonstration wurde ein unbeweglicher Titantreibstofftank zur Explosion gebracht, doch später wurde bekannt, das man getrickst hatte und den Tank mit Spannbändern unter Druck setzte. Selbst dann waren diese Laser chemische Laser, die pro Schuss eine Ladung Chemikalien die reagierten benötigten. Die Zahl der Schüsse pro Waffe war so begrenzt. Und Railguns waren zwar verfügbar, aber selbst bei den erreichbaren Geschwindigkeiten von einigen Kilometern pro Sekunde beträgt die Flugzeit des Projektils in der Größenordnung 1 Minute und das Ziel bewegt sich weiter und zudem bewegt sich das Projektil dann auch auf einer Bahn und nicht in gerader Linie. Zudem wird durch den Rückstoß die Bahn der Abschussplattform verändert. Und nicht zuletzt: solche Waffen füllen heute noch leicht eine ganze Halle.

Das Bodensegment als zweite Abfanglinie war wohl umsetzbar, hatte aber eine geringe Reichweite, sodass man enorm viele Waffen entlang der Grenzen der US benötigt hätte.

Von so nebensächlichen Problemen, wie das es keinen Träger gab, der die vielen Waffen ins All bringen kann, man dieses System wahrscheinlich nicht finanzieren kann (es ist um ein vielfaches teurer als die Raketen sie es abfangen soll) und es damit es wirklich funktionieren soll, ALLE also nicht 9.999 von 10.000 Atomsprengköpfen abfangen muss, denn ein einziger würde ausreichen das man schon wegen des politischen Drucks einen Gegenschlag auslöst, ganz zu schweigen Und das mit der Computertechnik Mitte der Achtziger Jahre, die ja zum einen die Bewegungskompensation von zwei Zielen die sich mit mehreren Kilometern pro Sekunde relativ zueinander bewegen über Distanzen von Hunderten von Kilometern bestimmen muss und trotzdem gewährleisten, dass man ein Ziel, das bei einem Sprengkopf deutlich kleiner als 1 m² ist, trifft. Dabei muss unzählige Stationen synchronisieren, das von Tausenden Raketen alle abgeschossen werden.

Jeder der nur etwas Ahnung von der Materie hat, oder sich die Zusammenhänge in relativ kurzer Zeit erklären lassen kann, wird klar sein, das SDI eine Utopie ist, praktisch nicht durchführbar. Selbst wenn es gebaut worden wäre, es wäre leicht zu überwinden gewesen. Russland hätte nur neben den Atomsprengköpfen eine Vielzahl leichter Täuschkörper ausstoßen müssen um mehr Sprengköpfe durchbringen zu können. Selbst einfachste Maßnahme,n wie das Blankpolieren oder mit einer spiegelnden Metallschicht Überziehen aller Oberflächen, setzt die Erfolgschancen von Laserwaffen als der Technologie, die am nächsten an den Anforderungen war, deutlich herab.

Trotzdem nahm Russland SDI ernst und sah es nicht als ein Hirngespinst an, sondern den Versuch eine Erstschlagfähigkeit zu erhalten, also zu verhindern das Russland zurückschlagen kann. SDI einzustellen war den auch eine der drei Kernforderungen von Michael Gorbatschow bei den Abrüstungsgesprächen mit Reagan in den späten Achtzigern. Gorbatschow erkannte aber bald, dass er auf diesen Punkt nicht bestehen musste weil seine Experten ihm sagten, das das System nicht umsetzbar sei.

SDI wurde nach zehn Jahren von Clinton 1993 eingestellt, obwohl mittlerweile Abrüstungsverträge unterschieben waren und es so weniger Atomwaffen abzufangen gab. 1987 schätzte die Regierung die Kosten auf 40 Milliarden Dollar, ernsthafte Berechnungen kamen zu dem Schluss das es eher 120 Milliarden Dollar sind und das für ein System das nur 90 Prozent aller Sprengköpfe abfängt. Gegenmaßnahmen der Sowjetunion und die Forderung alle Sprengköpfe abzufangen, könnten die Kosten in Richtung 1.000 Milliarden Dollar treiben. Kein Wunder das man es nach Ausgaben von 30 Milliarden Dollar, ohne das man auch nur einen Teilaspekt gelöst hatte, einstellte. Als kleines Spin-off kam die Raumsonde Clementine heraus, die den Mond erkundete, aber vor ihrer eigentlichen Mission – Verfolgungssensoren bei einer Passage des Asteroiden Geographos zu testen ausfiel.

Heute bauen die USA an einem Raketenschild. Der soll und kann die USA aber nicht vor den Kernwaffen Russlands schützen, sondern nur einzelne Flugkörper abfangen, ist also auf „Schurkenstaaten“ die „zur Achse des Bösen“ gehören (um einen zweiten geistig minderbemittelten US-Präsidenten zu zitieren) gerichtet.

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