War die Sowjetunion / Russland jemals eine Weltraummacht?

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Auf die heutige Frage kam ich durch das Scheitern der Luna 25 Mission. Wie bei der letzten gescheiterten Mission – Phobos Grunt – hat sei eine lange Geschichte. Erstmals 1997 kam der Vorschlag für Luna 25 auf, erst ab 2006 wurde sie aber Bestandteil des Programms. Damals war noch von einem Start 2012 die Rede. Nun ist sie 13 Jahre später dran wie andere dort geplante Missionen wie z.B. Venera D die noch länger auf ihren Start wartet. Schon ein Interview in der Tagesschau mit einem Roskomos Sprecher, in der er betonte, es gehe davon der erste zu sein der am Südpol landet – einen Monat vorher war ja Chandrayaan 3 mit demselben Ziel gestartet, nur eben wegen der indischen Vorgehensweise mit zahlreichen Anhebungen des Apogäums dauert die Reise von Chandrayaan 3 länger, sodass Luna 25 bei einer erfolgreichen Landung die indische Sonde um einige Tage hätte schlagen können. Aber etwas überhastet zu tun war noch nie gut, ich fühlte mich bei dem durchlesen des Nachrichtentickers über Luna 25 / Chandrayaan 3 zeitweise ins Jahr 1969 zurückversetzt als nahezu zeitgleich Apollo 11 und Luna 15 darum wetteiferten als erstes Bodenprobe zur Erde zu bringen. Wie heute stürzte Jauch damals Luna 15 ab.

Luna 15 ist erst die dritte Planetenmission Russlands nach Zerfall der Sowjetunion: Mars 96 startete 1996, sollte aber eigentlich auch früher starten, nur durch Zahlungen der ESA, weil viele europäische Instrumente auf der Sonde waren, kam die Mission überhaupt zustande. Dann folgte Phobos Grunt im Jahre 2012 und nun eben, ein weiteres Jahrzehnt später Luna 25. Drei Missionen in über 30 Jahren ist nicht viel. Indien, Japan und China haben mehr gestartet. Vor allem scheiterten alle drei Missionen schon früh. Das ist heute ungewöhnlich, aber russische Missionen zu den Planeten scheiterten schon früher sehr oft. Selbst wenn man die Fehlstarts aus der Frühzeit der Programme abzieht. Es war für mich der Anlass mal nachzudenken, ob man auch die Sowjetunion als Vorgängernation von Russland noch in die erste Liga der Raumfahrtnationen zählen kann.

Klar kann man, wenn es alleine nach der Zahl der Missionen geht haben Russland / die Sowjetunion an die 3.000 Satelliten und Raumschiffe gestartet. Aber Masse ist nicht Klasse. Wenn z.B. Saudi Arabien will, so könnten sie bei einem staatlich finanzierten Fond von 800 Mrd. Dollar, der nur für gute P&R dient, problemlos ein Weltraumprogramm finanzieren das selbst das der NASA in den Schatten stellt und dann eben die Ergebnisse öffentlichkeitswirksam verkaufen. Leider setzt Saudi Arabien oder auch die arabischen Emirate mehr auf das einkaufen von Fußballprofis als die Raumfahrt, alleine 2023 haben saudi-arabische Vereine Spieler für 667,5 Millionen Euro und einen Trainer für 90 Millionen eingekauft.

Aber die arabischen Nationen haben nicht die technische Expertise. Die aktuelle Marsmission „Hope“ wurde vom Laboratory for Atmospheric and Space Physics der Universität Boulder (Colorado) gebaut. Die Daten von der NASA empfangen und von einer US-Firma ausgewertet und nur zwei der drei! Experimente stammen von der VAE und die sind technologisch eher rückständig, was schade ist, denn die Sonde ist die einzige derzeit im Marsorbit die dem Marsmond Deimos aus der Nähe fotografieren kann. Aber mit Kameras mit einer Bildqualität einer Webcam wird das eben nichts. Ich sehe als Kriterium für die erste Liga an, das man technologisch mit der NASA mithalten kann, die immer noch das Maß der Dinge ist. Klar ist, dass die meisten Nationen nicht das Budget haben so viele Missionen wie die NASA zu starten, aber sie können Raumsonden oder Satelliten bauen die ähnlich gute Ergebnisse liefern und genauso lange arbeiten. Die ESA und JAXA haben das geschafft, haben dafür aber auch Zeit gebraucht. China und Indien hinken hinterher, gehören in die zweite Liga. Die Frage ist wo steht Russland?

Zur Beantwortung gehe ich ganz zurück. Zurück zu den Anfängen zu Sputnik 1. Mit ihm setzte der Sputnikschock ein. Damals kam man schon zu dem Missverständnis das Russland technologisch führend wäre. Das stimmte was die Technologie stimmt nicht, das konnte man aber damals nicht wissen. Aber auch der eher nachprüfbare zeitliche Vorsprung täuscht. Die Sowjetunion setzte die R-7 ein, die nur einige Erprobungsstarts hinter sich hatte. Die USA entwickelten eine neue Trägerrakete, hätten aber genauso gut auch eine Atlas nehmen können, die auch ihr Testprogramm durchlief und 9 Monate vor der R-7 abgeschlossen hatte.

Diese Fehleinschätzung setzte sich fort, weil man nun nur noch auf das Datum schaute. Und die Sowjetunion machte mit nachdem Chruschtschow den propagandistischen Vorteil erkannt hatte. Russland war vor den USA am Mond (Vorbeiflug, Orbit, Landung), übertrumpfte auch in der bemannten Raumfahrt sowohl was die Erstleistungen wie Aufenthaltsdauer anging. Das drehte sich Mitte der Sechziger im bemannten Raumfahrtprogramm und bei den Planetenmissionen schon früher.

Was dabei vollständig unterging war, das die USA sehr bald den Weltraum erschlossen: Sie legten das Explorer Programm auf mit Forschungssatelliten, Es folgten bald erste militärische Satelliten wie Corona, Midas und Samos. Es wurden erste Anwendungssatelliten entwickelt, wie Tiros zur Wetterbeobachtung, Echo, Courier, Telstar und Syncom zur Kommunikation. Mitte der Sechziger Jahre waren durch Syncom erstmals Liveübertragungen möglich wie die der Olympiade von Tokio. Vorher war nichts mit life – es wurde auf Film oder Magnetbändern gespeichert, mit dem Flugzeug in die USA gebracht und zu sehen gab es dann etwas frühestens einen Tag vorher. Tiros rettete Tausenden von Amerikanern das Leben weil er den Kurs eines auf die Ostküste heranziehenden Wirbelsturms erstmals prognostizierbar machte. Weltraumfahrt hatte schon in den Sechziger Jahren einen Einfluss auf das Leben der Amerikaner, es gab einen echten Benefit. Anders in der Sowjetunion. Dort waren die meisten Anwendungssatelliten nur für das Militär vorgesehen.

Und die Sowjetunion? Sie strebte weiter Erstleistungen an, sobald die erreicht waren stellte man das planetare Programm ein. Das ist eine auf Effekthascherei angelegte Politik. Vergleicht man bei den unbemannten Sonden aber die Ergebnisse, z.B. Landefotos von Luna 9 und Surveyor 1 oder Marsfotos von Mariner 9 und Mars 2/3 so sieht man auch sie hinkte technologisch hinterher.

Da das gesamte Raumfahrtprogramm der Sowjetunion von dem Militär, den strategischen Raketenstreitkräften gemanagt wurde, wundert es nicht, das fast alle der mehreren tausenden Satelliten militärischer Natur sind. Dazu kommen dann noch Anwendungssatelliten wie die Wettersatelliten Meteor oder Kommunikationssatelliten Molnija. Mit dem Aufbau eines Navigationssystems (Glonass) oder geostationären Kommunikationssatelliten begann die Sowjetunion erst spät. Bei den Kommunikationssatelliten ist das wegen der geografischen (polnäheren) Lage noch verständlich, nicht jedoch bei dem Navigationssystem, das ja bei GPS ebenfalls militärische Wurzeln hat. Ich kenne ehrlich gesagt keine sowjetischen Forschungssatelliten von Bedeutung oder von ihren publizierten Ergebnissen. Die enorme Zahl militärischer Satelliten zeigt auch das Defizit: Sie ergab sich aus einer viel kürzeren Betriebsdauer als bei den US-Amerikanischen Gegenstücken. Auch das spricht nicht für technologische Überlegenheit.

Am deutlichsten sieht man die grundsätzliche Vorgehensweise bei den Trägerraketen. Sie wurden mit wenigen Ausnahmen bis Mitte des Sechziger Jahre eingeführt und dann unverändert über Jahrzehnte produziert. Zwar wurden auch die US-Raketen lange Zeit produziert, aber doch dauernd verbessert oder erweitert. Als Starsem begann die Sojus zu vermarkten bekam sie ein rein digitales Steuersystem, vorher flog sie noch dem Steuersystem aus den frühen sechziger Jahren das analog war. Technologische Weiterentwicklung sieht anders aus.

Inzwischen ist die Situation noch verschärft. Russland war von Anfang an unzufrieden, das Baikonur nach dem Zerfall der Sowjetunion in Kasachstan lag, aber der Aufbau eines eigenen Kosmodroms in Swobodny verläuft im Zeitlupentempo. Ebenso die Entwicklung der Angara die ja alle anderen Träger ablösen sollen. Die meisten Träger die es 1990 gab oder die danach sogar neu auftauchten sind heute nicht mehr im Einsatz. Die von Russland nach 1990 noch eingesetzten Rockot, Strela, Start, Zenit, Proton, Dnepr sind alle Geschichte. Erst recht die viel älteren Kosmos und Zyklon. Sie fielen schon deswegen weg weil sie aus der Ukraine stammten. In dem neu aufbauten Kosmodrom Swobodny gibt es nur Startrampen für die Sojus und Angara.

Das einzige was noch funktioniert ist die bemannte Raumfahrt. Doch auch hier: das Sojus-Raumschiff wurde Mitte der sechziger Jahre für das Mondprogramm entwickelt und fliegt seitdem ohne größere Änderungen. Es gibt leichte Verbesserungen doch an dem Raumschiff selbst ändert sich wenig. Die USA haben im gleichen Zeitraum Gemini, Apollo, das Space Shuttle und die kommerziellen Raumschiffe entwickelt. Das gleiche findet man bei den Modulen. Die drei Module Russlands in der ISS wurden zum einen von der ESA/NASA querfinanziert (Swesda) zum anderen war Russland bei Nauka erst nach über einem Jahrzehnt fähig es fertigzustellen und bei der Ankopplung gab es denn auch gleich Schwierigkeiten. Sie basieren immer noch auf der Mir-Technologie, also dem Stand von 1985. Bemannte Raumschiffe – das ist ein Paradoxon – sind technisch einfacher als ein komplexer Satellit. Man muss alleine wegen des Druckkörpers nicht Gewicht einsparen, es gibt keine komplexen Experimente die hohe Ausrichtungsgenauigkeit über längere Dauer erfordern und es ist auch kein komplexer Computer für die Steuerung und Datenverarbeitung nötig. Im Gegenteil, die Besatzung soll ja möglichst viel selbst machen können. Trotzdem sind Löcher in der Hülle von Sojus MS-22 ein Alarmsignal. Russland weiß, wie wichtig dieser Sektor ist und was passieren würde, wenn Kosmonauten sterben würde, und trotzdem passiert dies bei der Herstellung und wird – noch schlimmer – nicht entdeckt. Als Parallele waren die erfolgreichsten Planetenmissionen die von Venera 9 bis 14 wo es nur darum ging eine massive Druckkapsel auf der Venusoberfläche abzusetzen. Ausgeklügelte Experimente und Computertechnik war nicht nötig. In der kurzen Betriebsdauer von 30 bzw. 60 Minuten Designlebensdauer reichte es ein vorgegebenes Programm abzuspulen.

Also Russland ist für mich heute sicher keine Weltraummacht, wenn wir absehen von der militärischen und zivilen Nutzung, die ja eben eine Nutzung und nicht die Forschung ist. Auch kann ich nicht den Eindruck verbergen, das man Luna 25 unbedingt vor Chandrayaan 3 landen wollte. Vielleicht ist dies eine Ursache für das Scheitern. Es scheint als wäre dieses „Erster sein Wollen“ immer noch eine wichtige Antriebsfeder. Diese Rückständigkeit scheint auch woanders vorhanden zu sein. Das Militär sieht ja im Ukrainekrieg gegen eine viel kleinere Armee auch nicht gut aus. Mehr noch. Es gelingen der Ukraine Schläge weitab von der Front. Wenn Drohnen den Kreml angreifen, über 1.000 km von der Front entfernt und das trotz einer Luftabwehr die um Moskau sicher besser als im Rest des Landes ist, dann lässt das tief blicken. Ist aber auch nichts neues. Erinnert sich noch jemand an Matthias Rust? Der flog 1987 auch über fünf Stunden über sowjetisches Hoheitsgebiet um dann auf dem roten Platz zu landen. Dabei ist eigentlich Russland reich. Mit den seit 2008 rapide gestiegenen Preisen für Rohstoffe natürlich vor allem Erdöl und Gas hat Russland enorme Gewinne gemacht, alleine das bei Krieg eingefrorene Auslandsguthaben der Zentralbank in der EU sind 600 Mrd. Euro. Aber das Geld landete wohl bei einigen Oligarchen und Putin. Alleine Putins Palast (in Russland „Datscha“ genannt) hat Baukosten von 1,1 Milliarden Euro, dazu käme dann noch was da drinnen ist. Also mal ein kleiner Tipp an die Ukraine – wenn ihr Putin direkt treffen wollt schickt doch ein paar Drohnen nicht nach Moskau sondern auf diesen Palast. Es sind nur 300 km Luftlinie von Mariupol bis zu Putins kleiner 17.700 m² Datscha ….

7 thoughts on “War die Sowjetunion / Russland jemals eine Weltraummacht?

  1. Zu „Also Russland ist für mich heute sicher keine Weltraummacht, wenn wir absehen von der militärischen und zivilen Nutzung, die ja eben eine Nutzung und nicht die Forschung ist.“ Hast du infos wie viele Aufklärungs bzw. Spionagesatelitten USA, Russland und China im All haben? Zivile Nutzung wüste ich nicht viel was Russland macht, Glonass als dual Use, sonst? Die Start für Westliche Länder sind ja jetzt weg.

  2. Wenn es um die Errungenschaften der sovietischen Raumfahrt ging, hab ich immer sofort „Venera“ gesagt.
    Sicher, die verwendete Technik war grob. Aber das Programm war aus meiner Sicht in mehrerlei Hinsicht positiv anders als das meiste, was aus dem Ostblock kam:
    – Es war ein sich iterativ immer weiter verbesserndes Programm
    – Es hatte ihre Nische gefunden, wo sie ohne direkte Konkurrenz aus den USA agieren konnte
    – Die Instrumente waren (meiner Meinung nach) aus wissenschaftlicher Sicht sinnvoll gewählt
    – Das Programm wurde weiter geführt, nachdem es den ersten Erfolg gab
    – Die letzten Missionen sind allesamt gelungen. Nicht nur was die Sonde angeht, sondern auch die Beförderung zur Venus.

    Reicht das für eine Einstufung als „Weltraummacht“?
    Alleine bestimmt nicht. Aber ich finde, dass dieses Programm im Gedächtnis der Bevölkerung sträflich unterverankert ist.

    1. Die letzten erfolgreichen Missionen waren 1984, seitdem besteht der einzige Beitrag Russlands zur Planetenforschung aus Pannen. Viel ankündigen, aber nichts mehr können. Eine Weltraummacht sieht anders aus.

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