Die A-4 – Prototyp und Revolution
Auf meinen heutigen Blog kam ich durch die Beschäftigung mit den frühen russischen Raketen, die (auch) ein Grund sind, warum ich derzeit so wenig blogge. Gemäß offizieller Lesart Russlands bzw. der Sowjetunion hat man ja das Wissen der rund 300 deportieren Raketenspezialisten abgeschöpft. Dann gibt es noch Äußerungen von Koroljow, das die A-4 keine gut konstruierte Rakete wäre. Mir ging das, je mehr ich mich mit dem Thema beschäftigte und je mehr mir deutlich wurde, wie langsam dann die weitere Triebwerksentwicklung Russland verlief und wie klein die Schritte von der R-1 zur R-5 waren, gegen den Strich. Ich fand dann ich das ziemlich arrogant.
Allerdings ist eines klar: schaut man sich die reinen technischen Daten der A-4 an wie Voll-/Leermasseverhältnis, spezifischer Impuls, Brennkammerdruck und die Masse von einigen Systemen, so schneidet die A-4 schlecht ab. Zeit also dem nachzugehen.
Der Prototypcharakter
Die A-4 war die erste Großrakete. Sozusagen der Prototyp der ballsitsichen Rakete. Jeder Prototyp ist weniger leistungsfähig als ein mit den Erfahrungen aus dem Prototyp gebautes späteres Exemplar. Er dient zur Grundlagenforschung, zeigt das etwas prinzipiell geht. Man muss sich mal vergegenwärtigen, was bei den Siegermächten bis zu Kriegsende an Forschung an Raketentriebwerken mit flüssigen Treibstoffen lief. Dann findet man das dort Triebwerke mit noch viel schlechteren Leistungen entwickelt wurden, oftmals nicht mal alleine lauffähig, sondern nur mit einer externen Wasserkühlung. Doch Triebwerke sind ja nicht alles. DieA-4 war eine ballistische Rakete, die senkrecht gestartet wurde und sich dann langsam neigte und nach Erreichen der Zielgeschwindigkeit Brennschluss hatte um den Ziel in 300 km Distanz entgegenzufliegen. Das hat keiner woanders gelöst, dort war man schon zufrieden, wenn eine Rakete nur senkrecht aufstieg und mangels Leistung maximal einige Kilometer Höhe erreichte. Nehmen wir Robert Goddard, in den USA gefeierter Raketenpionier, nach dem sogar ein NASA-Center benannt ist (seltsamerweise nicht nach Wernher von Braun ohne den die USA bis heute nicht auf dem Mond gelandet wären). Seine Raketen erreichten maximal 2,6 km Höhe. Schon 1937 wurde er in der technischen Umsetzung von dem Vorgänger der A-4, der A-5 geschlagen.
Die A-4 hat nicht nur ein Problem angegangen wie dies Goddard tat. Sie transportiere auch eine nennenswerte Nutzlast und das über Distanzen die um ein Vielfaches größer als die waren, die Koroljow, Gluschko und Goddard mit ihren Raketen erreichten. Dabei gab es genügend Probleme. Es ist ja nicht das Triebwerk alleine. Schon alleine das stellte viele Anforderungen – die Brennkammer musste zuverlässig gekühlt werden, eine Druckgasförderung wie bei Goddard und frühen Versuchen von Brauns kam nicht in Frage, es musste also eine miniaturisierte Pumpe entwickelt werden, die auch angetrieben werden musste. Dafür benötigte man eine Turbine und ein Arbeitsgas erzeugendes System. Dann musste die Rakete stabil fliegen. Sie musste auf Störungen reagieren, was wie sich zeigte, alleine mit Stahlrudern nicht ging. Dafür musste man eine Steuerung entwickeln und die musste die Lage und Kräfte feststellen, die auf die Rakete einwirken, schnell und adäquat reagieren und sie musste programmgesteuert umgelenkt werden. Dieses Problem haben andere Raketenpioniere nicht mal angegangen.
Nachdem die A-4 existierte, war es dann relativ einfach die Unzulänglichkeiten zu erkennen und zu verbessern.
Der Zeitdruck
Eines unterschied die A-4 Entwicklung von den Nachfolgern wie R-2, R-5 oder Redstone: die wurden entwickelt mit einem konkreten Auftrag und einem Budget und meist ohne Zeitdruck. Bei der A-4 lief das anders. Es wurde mit relativ kleinem Aufwand die A-1 bis A-3 entwickelt, Raketen die einige Probleme lösten wie die Kühlung der Brennkammer und die vergleichbar waren mit Koroljows oder Goddard Versuchen zu dieser Zeit. Doch um mehr Geld zu erhalten musste man ein militärisch nutzbaren Gerät, kein Froschungsgerät entwickeln. Nach Dornbergers Memoiren erfolgte die Festlegung der Fähigkeiten nach dem Rekordhalter der Artillerie, dem Paris Geschütz – ein 21 cm Geschütz wurde in ein 38 cm Geschütz eingebaut. Diese 256 t schwere Kanone schoss 105 kg schwere Granaten 130 km weit. Doch ich denke, schon damals dachte von Braun an den Einsatz in der Raumfahrt. Vielleicht nicht für Satellitenstarts aber die Erforschung der Hochatmosphäre (es waren ja auch Forschungsmissionen „Regener Tonne“ geplant, dazu kam es wegen dem Krieg nicht). Denn um das Paris-Kanone zu schlagen bei der nur 10 kg des Projektils auf den Sprengstoff entfielen hätte es gereicht viel weniger Nutzlast zu transportieren. Designt wure die A-4 aber für den Transport von 1 t über eine Distanz von 270 km. Damit hat man aber auch bewusst die Messlatte sehr hoch gelegt.
Die Entscheidung für die A-4 fiel 1936, ab 1937 wurde auch begonnen das gemeinsame Forschungszentrum von Heer und Luftwaffe in Peenemünde aufzubauen das 1940 fertig war. Doch dann kam der Krieg. Nachdem Hitler im März 1939 Peenemünde besucht hatte bekam die Entwicklung zuerst die höchste Dringlichkeitsstufe, doch die wurde ihr schon ein Jahr später entzogen. Zu dem Zeitpunkt hatte die Wehrmacht Polen und Norwegen besiegt und stand vor dem Einfall in Frankreich. Die Waffe schien nun überflüssig. Die Entziehung der Dringlichkeitsstufe hatte im Krieg sofort unmittelbare Folgen. Es gelang von Brauchitsch noch mit einem Trick das Personal in Peenemünde selbst zu halten. Es wurde formal zu einer Sondereinheit zusammengefasst und konnte nicht woanders abkommandiert werden. Aber überall wo man Firmen benötigte die Teile entwickeln oder bauen sollten, war es das gleiche – alle Projekte mit höherer Priorität wurden vorgezogen, was im Krieg bei Materialmangel, Fachkräftemangel und Geldmangel hieß, man stand auf der Warteliste. Nur ein Beispiel: Die A-4 war ungenau. Die analoge Steuerung mit Kreiseln wies Fehler durch Reibung auf, sie wurde durch Vibrationen beeinflusst und auch die Bedienmannschaft konnte beim Aufstellen nur eine bestimmte Genauigkeit erreichen. Dr. Steinhoff einwickelte ein Funk-Steuersystem dass an Bord einer Do-17M erprobt wurde, es hätte die 100% Streuung von 18 auf 1 km drückte. Doch Telefunken war ausgelastet, konnte es nicht in die Serienfertigung übernehmen, sodass man ein serienmäßiges, nicht geeignetes Luftwaffenleitstrahlgerät mit einer Genauigkeit (100%-Streuung) von 7-8 km einsetzte.
Viele Entscheidungen bei derA-4 waren diesem Umstand geschuldet. Es ging nur darum, möglichst schnell ein Gerät zu bauen, dass erfolgreich flog, damit man die höchste Dringlichkeitsstufe wieder bekam. So fand man bei einem Antrieb mit 1,5 t Schub eine funktionierende Lösung für das Vermischen von Alkohol und Sauerstoff. Man arbeitete an einer guten Lösung für das A-4 Triebwerk mit 25 t Schub, doch um eine schnelle Lösung zu haben baute man provisorisch einfach 18 dieser Minibrennkammern auf das Triebwerk oben drauf. Auch das man an der Treibstoffkombination, die schon die A-1 einsetzte, nicht rührte – natürlich wusste man das ein Alkohol-Wassergemisch einen kleineren Energiegehalt als ein Kohlenwasserstoff hatte – lag am Zeitdruck und Mangel. Denn so konnte man diese Mischkammern weiter verwenden und daneben waren die Bedingungen für die Kühlung viel kleiner. Nebenbei: als der Einsatz näherrückte, war man froh, dass die Rakete keine Kohlenwasserstoffe wie Benzin oder Diesel einsetzte. Denn der Alkohol stammte aus der Vergärung von Kartoffeln und selbst die Kartoffelernte reichte nicht aus für die von Hitler geforderten 900 Raketen pro Monat aus. Dem war auch geschuldet, dass man bei der A-4 den Sprengkopf nicht abtrennte. Er hätte sonst beim Flug durch die Atmosphäre stabilisiert werden müssen, so diente die gesamte Rakete mit ihrer aerodynamischen Form und den großen Finnen als Stabilisator. Damit war die Rakete aber sehr schwer, weil sie beim Wiedereintritt Temperaturen bis zu 680 Grad Celsius überstehen musste.
Hitlers Vergeltungswaffe
Mit einer Filmvorführung nach dem ersten erfolgreichen Start am 3. Oktober 1942 – nach Dornberger war es die letzte Gelegenheit, danach hätte auch er nicht mehr das Projekt verteidigen können – im Dezember 1942 bekam man die Einstufung in die höchste Dringlichkeitsstufe. Doch nun sollte aus dem Prototyp gleich eine in Serie gebaute Waffe werden. Der Hinweis, dass man für eine im Feld einsetzbare Waffe vieles verbessern und vereinfachen musste, zählte nicht. Hitler hatte auch keine Geduld – was angesichts des Kriegsverlaufs auch nicht verwunderlich war. Die Entwicklung wurde eingefroren, die Serienfertigung vorbereitet, die unter der Leitung des SS (Organisation Todt) verlief. Man arbeitete zwar an der A-4 noch weiter, konnte schließlich einen Injektor als Platte wie spätere Triebwerke fertigstellen und durch verschiedene Verbesserungen die Reichweite von 300 auf 420 km steigern, aber dies floss in die Serie nicht mehr ein.
Koroljow und die russischen Experten.
Russischer Hochmut
Mir persönlich fielen vor allem die hochmütigen Worte von Koroljow auf. Er bezeichnete die Rakete als unnötig kompliziert, nicht für eine Serienbauweise geeignet und meinte die deutschen Ingenieure wären verzichtbar. Er schickte sie dann auch bis 1952 zurück nach Deutschland.
Nun ja, schaut man sich an wie die Entwicklung in der Sowjetunion danach verlief so wird klar, wie er sich irrte. Als Erstes unterlag er nach der Beurteilung einer unabhängigen Kommission zweimal bei Konkurrenzentwürfen, die man von Helmut Gröttrup einholte. Bei der R-2 wollte man ihn nicht brüskieren und lies ihn werkeln, aber schaut man sich die technischen Daten der R-2, verglichen mit der A-4 an, so fällt doch nur eine geringe Verbesserung auf, ja mehr noch, dir russifizierte A-4, die R-1 hatte sogar schlechtere Leistungsdaten als das Serienexemplar der A-4 geschweige das letzte Entwicklungsmodell der A-4. Soviel zu der Kompetenz Kowoljows zu dieser Zeit. Dann zeigte sich auch die Fehleinschätzung. Koroljow und Co dachten, wenn sie eine funktionierende Rakete haben, dann könnten sie einfach mit dem Wissen wie diese funktioniert neue Raketen bauen. Also Re-Engineering und Hochskalieren. Was sie nicht – aber die Amerikaner – hatten waren die gesamten Entwicklungsunterlagen, mehrere Tonnen Papier, in denen alle Tests protokolliert waren, alle Fehlschläge, alle Versuche, jeder Irrtum, jeder verfolgter Weg. Und es kam wie es kommen sollte. Bei der R-5 wollte man den Schub des Triebwerks steigern und von Alkohol auf Kerosin übergehen. Es kam zu Verbrennungsinstabilitäten. Um diese zu umgehen, hatte man diesen umständlichen Mischkopf aus 18 Vorkammern genutzt. Nun echte Ingenieure würden dann testen, probieren solange bis man eine Lösung hat, wie man es in Peenemünde auch tat und so einen monolithischen Injektor entwickelte, der aber nicht mehr in der Serie zum Einsatz kam. Ebenso ging man in den USA vor, wo eben monate-, jahrelang getestet wurde bis man eine stabile Verbrennung bei Nachfolgetriebwerken erreichte. Aber was machte man in Russland? Bei der R-5 steigerte man den Schub nur gering, dies ging durch Ersetzen von 25 Prozent Wasser durch Alkohol sodass der Wasseranteil auf 8 Prozent sank. Die Brennkammer der A-4 konnte man so weitestgehend weiter verwenden. Versuche mit Kerosin führten zu Explosionen der Brennkammer. Später war das Problem der Verbrennung von Kerosin gelöst, aber an der Größe der Brennkammer wurde nicht mehr gerüttelt. Stattdessen setzte man eben mehrere Brennkammern ein. Die R-7 setzte so 20 Brennkammern ein, jeder mit nur wenig Schub als die A-4. Die kleineren Mittelstreckenraketen R-12 und R-14 jeweils zwei Brennkammern, die R-16 und selbst die noch Mitte der Sechziger Jahre entwickelte R-36 sechs Brennkammern – keine mit einem wesentlich höheren Schub als das A-4 Triebwerk.
Erst 13 Jahre nachdem die letzten Deutschen nach Hause geschickt wurden gab es die ersten, in der Leistung und Schub deutlich gesteigerten Triebwerken – diesmal im Hauptstromverfahren. Wo es aber keine Notwendigkeit gab etwas zu ändern war die Steuerung. Die analoge Steuerung der A-4 die auf einer programmgesteuerten geneigten Kreiselplattform und einem vorgeladenen Element eines Analogrechners als Endgeschwindigkeitsvorgabe arbeitete wurde noch sehr lange in sowjetischen Raketen verwendet. Bei der Sojus wurde diese Steuerung erst mit der Sojus 2 also mehr als 60 Jahre nach dem letzten Flug einer A-4 durch eine digitale ersetzt. Wen wunderts, hatten die Russen doch von der A-e Entwicklungsmannschaft vor allem die Steuer- und Regelexperten übernommen…
Wer wissen will, wie die A-4 die Raketenentwicklung in aller Welt beeinflusste kann dies hier und hier und auch hier tun.
Also ich kann Koroljows Charakter echt schwer einschätzen. Er wird ja auf ein sehr hohes Podest gehoben, aber ich lese immer wieder Sachen, die mich wundern.
Die Entwicklung der A-4 ist eine beachtliche Leistung, sowohl wissenschaftlich, ingenieurmäßig als auch wirtschaftlich. Es wurde absolutes Neuland betreten und das mitten im Krieg.
Wenn jemand, der auch noch vom Fach ist, das einfach abtut, ist das einfach nur ignorant und lächerlich. Es ist ja nicht nur der Antrieb, sondern wie du schon sagtes auch der ganze Rest. Treibstoffförderung, Aerodynamik bei Überschall und Wiedereintritt, Steuerung und Stabilität im Flug, Telemetrie und Funkkontrolle, Beobachtung der Flugbahn optisch und mit Radar, etc. Dazu all die Abläufe und Verfahren, die teilweise heute noch Standard sind.
Koroljow hatte mit der R-7 seine Sternstunde, die ohne die A-4 undenkbar gewesen wäre. Die Planetenmissionen wurden ihm entzogen und die N-1 war ein riesiger Fehlschlag.
Ja aber man darf nicht vergessen, das die R-7 im Testprogramm viele Ausfälle hatte, sich das lange hinzog und sie so obwohl mehr der erste Flug als ein Jahr vor der Atlas erfolgte erst nach dieser das Testprogramm abschloss. Es wurden nur wenige stationiert und als ICBM war sie eine absolute Niete (das sie bis heute als träger eingesetzt wird hat damit nichts zu tun, denn entwickelt wurde sie ja als ICBM). Die R-7 war noch weniger eine vollwertige Rakete als die A-4 die immerhin in enormen Stückzahlen gebaut und problos gestartet wurde, anders als die T-7.
Dei nächsten Projekte im Raketenbau, die R-9 und GR-1 und die N-1 von Koroljow gingen denn auch gewaltig schief und bei den Raumsonden entzog man nach vielen Fehlschlägen seinem OKB-1 auch die Aufträge.
Der Ruf Koroljows beruht vor allem auf Erstleistungen, nicht auf der Qualität seiner Raketen.
Bei den Äußerungen von Koroljow müsste man immer den Kontext sehen. Wenn er gesagt hätte „die deutschen sind viel Besser“ hätte er wohl mindestens an Einfluss verloren.
„Nun ja, schaut man sich an wie die Entwicklung in der Sowjetunion danach verlief so wird klar, wie er sich irrte.“
Und somit mein freches TLDR:
„For all Mankind’s“ Alt. History Szenario is ein Schmarn. 😉