Dies ist der dritte und abschließende Teil der kleinen Serie über die Entwicklung der R-1 zur R-5. Teil 1 erschien am 26.9.2023 und Teil 2 am 28.9.2023. In diesem letzten Teil geht es um die gescheiterte R-3 und die R-5 als letzte Rakete auf Basis der A-4 Technologie,
Die R-3
Sowohl die R-1, wie auch die R-2 waren strategisch nutzlose Raketen. Ihre Reichweite war zu gering und ihre Genauigkeit selbst bei einem Atomsprengkopf zu ungenau. Das letztere Problem war durch Fortschritte in der Steuerung lösbar, wie Gröttrup schon bei seiner G-1 skizzierte. Aber für einen realen Nutzen musste eine Rakete eine Reichweite von 2.500 bis 3.000 km haben, damit die BRD und andere NATO Staaten von russischem Territorium aus angegriffen werden konnten. So forderte die Führung nun eine Rakete mit dieser Reichweite. Erneut bekam kurz nach Koroljow auch Gröttrup einen Designauftrag:
R-3 |
G-4 (R-6) |
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Startmasse: |
71.000 kg |
66.600 kg |
Trockenmasse: |
5.480 kg |
2.690 kg |
Nutzlast: |
3.000 kg |
3.400 kg |
Schub: |
1.370 kN |
1.059 kN |
Erneut war der deutsche Entwurf der bessere. Dabei war es sogar der zweite Entwurf. Der erste Entwurf (G-2) sah zwei Stufen vor – das Konzept der deutschen A-9/A-10 wurde wieder aufgegriffen. Eine Oberstufe vergleichbar der G-1, saß auf einer Basisstufe mit drei oder vier A 4 Triebwerken. Das hätte die Startmasse auf 50 t gesenkt, aber das zweistufige Konzept war den Entscheidern wohl zu riskant, so besserte Gröttrup nach.
Nun gab es nun schon deutliche Unterschiede zwischen beiden Konzepten. Die R-3 war eine einstufige Rakete mit einem Triebwerk, dass LOX/Kerosin einsetzen sollte. Gröttrup wusste, wie aufwendig es war, das A 4 Triebwerk zu testen und wie viele Versuche es gab, bis es verlässlich funktionierte. Eine neue Treibstoffkombination bedeutete eine Veränderung aller Parameter wie Druck und Temperatur in der Brennkammer, die dann weitere Änderungen am Fördersystem und der Kühlung nötig machten. Also sah er kein neues Triebwerk, sondern mehrere Triebwerke der A 4 vor und rüttelte auch nicht am Alkohol als Treibstoff. Zum Kompensation des geringeren spezifischen Impulses des Alkohols senkte er die Leermasse. Beide Entwürfe wurden von einer unabhängigen Kommission untersucht und erneut war der Entwurf der G-4 der bessere. Dieses Mal konnte sich die Führung nicht dazu durchringen, erneut den schlechteren Entwurf umzusetzen und lies nur einige Grundlagenforschungen – die R-3A mit etwa 20 t Startmasse – durchführen. Zeitgleich arbeitete Gluschkos OKB-456 am Triebwerk der R-3 dem RD-110 mit 1.200 kN Schub und als sich Verbrennungsinstabilitäten einstellten und diese nicht schnell lösbar erschienen war dies das Ende des R-3 Projektes.
Die Anforderungen wurden heruntergefahren, sodass Koroljow nun an eine Rakete mit nur der halben Reichweite, 1.500 km gehen konnte. Die R-3, R-4 und R-6 wurden nie gebaut, die Nummern waren aber schon vergeben, sodass auf die R-2 gleich die R-5 und auf diese die R-7 folgte.
Die R-5
Mit dem angebrochenen R-3 Projekt waren weder das Militär noch Koroljow zufrieden. Der Sprung von 600 auf 3.000 km Reichweite erschien aber in einem Schritt zu groß. Tests schubstärkerer Triebwerke endeten bald in Explosionen. Es traten Verbrennungsinstabilitäten auf, die bei jedem neuen Raketentriebwerk bis weit in die Sechziger Jahre „normal“ waren. Sie führten letztendlich auch zur umständlichen Konstruktion der A 4 Brennkammer mit 18 Vormischköpfen. Anstatt nun die Triebwerke zeitraubend zu modifizieren und über Versuch und Irrtum eine funktionierende Lösung zu finden, beschloss man im OKB-456 den Schub nur leicht anzuheben und von Kerosin als Treibstoff wieder zu Alkohol zurückwechseln. Damit war keine Rakete mit 3.000 km Reichweite möglich aber eine mit einer Reichweite von 1.200 km. Damit diese trotzdem auf dem Gefechtsfeld eingesetzt werden konnte, wurde die R-5 heimlich in der DDR stationiert. Mit nuklearen Gefechtsköpfen bestückte R-5M wurden während der Berlin-Krise im Mai 1959 erstmals außerhalb der UdSSR in der DDR in Vogelsang und Fürstenberg/Havel stationiert. Potenzielle Ziele waren Luftwaffenbasen und Häfen in der Bundesrepublik, den Niederlanden, Belgien und US-amerikanische Raketenstellungen in Großbritannien. Nach geheimen Verhandlungen mit den USA und einigen Zugeständnissen wurden die Raketen im August 1959 wieder abgezogen.
Die R-5 war damit auch die erste Rakete der Sowjetunion, die nach ihrer Entwicklung in größerer Zahl stationiert wurde. Die Entwicklung begann, nachdem man den Technologiedemonstrator, die R-3A, 1949 begann, aber schon im Oktober 1951 wieder abbrach durch ein Dekret am 20. Oktober 1951. Damals war auch vorgesehen, in zwei weiteren Varianten mehrere Sprengköpfe zu transportieren, die zusätzlich am Heck angebracht wurden und die Reichweite auf 600 km senkten. Als Nutzlast waren damals „schmutzige Bomben“ vorgesehen, das waren Flüssigkeiten mit Substanzen aus kurzlebigen Isotopen die durch ihre hohe Strahlung schnell zum Tod führen. Bis heute fertigt Russland solche Isotope und vergiftete mit Polonium-210 im Jahre 2006 den Putin-Kritiker Alexander Litwinenko.
Das Triebwerk RD-103 war die letzte Evolution des A 4, im Schub nochmals durch Steigerung des Brennkammerdrucks etwas gesteigert, war nun aber das Entwicklungspotenzial ausgeschöpft. Die Kühlung der Brennkammer wurde verbessert. Es wurde auf einen festen Katalysator übergegangen, bei der A 4 wurde noch eine wässrige Kaliumpermanganatlösung verwendet. Eine eigene Pumpe förderte das Wasserstoffperoxid, sodass das Gewicht der Druckgastanks reduziert werden konnte. Elastische Leitungen wurden erstmals eingeführt. Nach wie vor wurden aber Gasruder für die Steuerung des Schubvektors verwendet und das Triebwerk RD-103 war nichts schwenkbar eingebaut. Danach ging man auf die Entwicklung neuer Triebwerke mit Kerosin als Treibstoff und viel höheren Brennkammerdrücken von 50 bis 60 Bar über.
Die Steigerung der Reichweite musste nun nicht durch eine schwerere Rakete (die R-5 wog mit 28,6 t nur 8 t mehr als die R-2), sondern durch Gewichtseinsparungen realisiert werden. Hier wurde auch die meiste Arbeit investiert. Die Form war nun wie bei allen späteren Typen zylinderförmig, anstatt die aerodynamisch spitz zulaufende Form. Da er Durchmesser bei 1,65 m blieb, sank so der Luftwiderstand ab. Die Tanks waren für Oxidator und Treibstoff aus einer leichten Alumnium-Magnesiumlegierung AMR3, die in später für alle Modelle eingesetzt wurde. Lediglich das Heck bestand anfangs noch aus Stahl, wurde aber auch später auf eine leichtere Aluminiumlegierung D16T umgestellt. Beide Tanks waren nun selbsttragend. Die schweren Finnen an der Basis mussten nun nicht mehr die Rakete beim Wiedereintritt stabilisieren und wurden drastisch auf 15 Prozent der Fläche verkleinert. Nach wie vor hatten sie aber aktive Luftruder, die nun einen viel größeren Ausschlag erforderten und viel stärkere Stellmotoren nötig machten. Um die Rakete nach Brennschluss zu stabilisieren wurde Druckgas, dass es alleine durch das Verdampfen des Restsauerstoffs gab, verwendet das durch kleine Düsen expandiert wurde. Die R-5 erreichte eine Spitzengeschwindigkeit von 3.044 m/s und als ballistische Rakete eine Spitzenhöhe von 300 km. 10,5 Minuten nach dem Start erreichte der Sprengkopf das Zielgebiet.
Wie bei vielen russischen Raketen folgte auf die erste Version nach den Tests die in Kapustin Yar stattfanden, eine modernisierte Version R-5M. Sie hatte ein etwas leistungsfähigeres Triebwerk. Die R-5M war als erste Rakete vorgesehen, einen nuklearen Sprengkopf zu tragen. Mit einer Verbesserung der Zielgenauigkeit auf 1,5 km war sie nun auch eine echte Bedrohung für ungeschützte Ziele. Die Genauigkeit wurde durch die Hinzunahme eines Radiolenksystems zur internen Lenkung erreicht. Neu war, dass dieses Radiolenksystem auch die Seitenabweichungen korrigieren konnte. Es gab verschiedene Sprengköpfe von 60 bis 80 und 300 kt Sprengkraft. Die R-5 hatte eine Startvorbereitungszeit von zweieinhalb Stunden , konnte aufgetankt aber nur eine Stunde lang startbereit gehalten werden. Sie war daher eine Erstschlagswaffe. Nachdem die R-5 bei einer Militärparade auf dem roten Platz in Moskau von Militärbeobachtern der USA gesichtet worden war ,bekam sie die Bezeichnung SS-3 „Shuster“. Der russische Produktcode war 8A62.
Die Tests der R-5 verliefen in mehreren Phasen. Im März bis Mai 1953 erfolgten die ersten Tests mit acht Raketen, nur fünf waren für eine Reichweite von 1.200 km ausgelegt. Der erste Start erfolgte am 15. März 1953, der erste erfolgreiche Flug erfolgte am 2. April 1953 und die volle Reichweite wurde erstmals am 19. April 1953 erreicht. Von den acht Raketen die bis zum 23. Mai gestartet wurden erreichten sechs ihr Ziel. Danach gab es auf der Basis der Erfahrungen Änderungen am Design, vor allem aber im Steuerungssystem. Die zweite Phase der Erprobung fand dann vom 30. Oktober bis Dezember 1953 statt. Alle Raketen hatten nun eine maximale Reichweite von 1.185 km. Von den sieben Raketen erreichten sechs die Zielreichweite, bei einer führte ein Kabeldefekt zu einem vorzeitigen Brennschluss. Die letzte Phase vom 12. August 1954 bis zum 7. Februar 1955 hatte vor allem die Aufgabe, das Radiolenksystem zu qualifizieren. Von den 19 Starts erfolgten zehn mit dem der Radiolenkung. Es waren 15 Starts geplant, aber da das Radiolenksystem mehrmals versagte, wurden vier zusätzliche Starts ohne dieses System anberaumt.
Nach den Tests wurde die R-5 am 21. Mai 1956 in das Arsenal der Sowjetstreitkräfte übernommen und verblieb dort bis 1967. Gebaut wurde sie erstmals in Jangels OKB-586 in Dnipro, der auch beim Entwurf beteiligt war. Er sollte später die meisten russischen ICBM entwickeln.
Es wurden insgesamt für Tests und Stationierung etwa 200 R-5 gebaut. Stationiert wurde aber wahrscheinlich nur die modernisierte Version R-5M. Der Beschluss für die modernisierte Version R-5M erfolgte am 19. April 1954. Neben einem neuen Sprengkopf, der nun nicht mehr konisch zulief und so die Aerodynamik veränderte, war es vor allem wichtig, die Zuverlässigkeit der Rakete zu erhöhen – bei einem vorzeitigen Brennschluss wäre sonst die Wasserstoffbombe auf einem Gelände detoniert. Das wurde vor allem durch Redundanz erreicht. Das Steuerungs- und Funkleitsystem waren redundant vorhanden, der Geschwindigkeitsintegrator sogar dreifach, sodass eine Abstimmung möglich war. Ebenso wurden Stromleitungen verdoppelt und es gab sechs anstatt vier Steuerflossen. Ein Empfangssystem konnte die Explosion des Atomsprengkopfes auslösen, wenn die Rakete ein Problem hatte oder vom Kurs abkam.
Die R-5M wurde erneut getestet. Von 14 Raketen waren 13 erfolgreich. Der erste Start erfolgte am 21. Januar 1955. Am 2. Februar wurde erstmals eine R-5M mit aktivem Atomsprengkopf getestet, der beim Aufschlag auch detonierte. Die Armee übernahm die Rakete am 21. Juni 1956 in ihr Arsenal. Für die Startvorbereitungszeit wurden anfangs 30 Stunden, nach mehreren Jahren Übung fünf bis sechs Stunden angegeben. War eine R-5M betankt, so musste sie innerhalb einer Stunde gestartet werden. Stationiert wurden 48 Raketen.
Wie die R-2 wurde auch die R-5 zivil als Höhenforschungsrakete eingesetzt. Sie wurde als R-5W oder W-5 meist aber als „Vertikal“ bezeichnet. Es gibt drei Subversionen R-5A, R-5A und R-5W. Am 21. Februar 1958 erreichte eine R-5W eine Rekordhöhe von 473 km. Sie beförderte eine Kapsel mit einem Gewicht von 1.520 kg, die nach der Landung noch 1.350 kg wog. Mit der R-5W wurden Hunde auf suborbitale Bahnen als Vorbereitungsmission für das Wostok-Raumschiff gestartet. Diese Höhenforschungsraketen wurden bis 1975 gestartet. Insgesamt 49 Starts sind dokumentiert.
Wie die R-2 wurde die R-5 an China lizenziert, die sie unter der Bezeichnung Dong Feng 2 in Dienst stellte. Öffentlich präsentiert wurde die R-5 im November 1957 bei der Parade zum vierzigsten Jubiläum der Oktoberrevolution. Die NATO gab ihr den Code SS-3 „Shyster“. Der sowjetische Produktcode war 8K51 und als erste sowjetische Rakete erhielt sie auch einen Namen: „Pobenda“ (Sieg).
R-5 Pobenda 8K51 |
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Länge: |
20,75 – 22,12 m, 17,47 m ohne Sprengkopf |
Durchmesser: |
1,652 m, Spannweite 3,45 m |
Startmasse (ohne / mit Sprengkopf) |
27.200 / 28.570 kg – 29.200 kg (R-5M: 28.610 kg ohne Sprengkopf) |
Trockenmasse (mit / ohne Sprengkopf) |
4.300 kg / 3.250 kg |
Nutzlast: |
1.000 – 1.425 kg |
Distanz: |
<1.200 km |
Schub: |
438 kN |
Triebwerk: |
RD-103 |
Zielgenauigkeit (CEP) |
1,5 km |
Treibstoff: |
92 % Alkohol / LOX: 24.300 kg |
Brennzeit: |
120 s |
Hier ein Vergleich mit den zeitgleich entwickelten ersten US-Mittelstreckenraketen:
R-5 |
Jupiter |
Thor |
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Projektname: |
8K51 |
PGM-19 |
PGM-17 |
Länge: |
17,47 m |
18,29 m |
19,76 m |
Durchmesser: |
1,65 m |
2,67 m |
2,41 m |
Startmasse: |
27.200 kg |
49,885 kg |
49.560 kg |
Trockengewicht: |
3.250 kg |
4.308 kg |
3.125 kg |
Startschub: |
438 kN |
667 kN |
670 kN |
Sprengkopf |
60 – 300 kT |
W-49 1,44 MT |
W-49 1,44 MT |
Gewicht Sprengkopf: |
1.000 – 1.425 kg |
1.187 kg |
1.000 kg |
Zielgenauigkeit: |
1.500 m |
1.500 m |
2.000 m |
Reichweite: |
1.185 km |
2.778 km |
2.820 km |
Erster Testflug |
15.3.1953 |
1.3.1957 |
25.1.1957 |
Teststarts |
34, davon 23 erfolgreich = 67,6 Prozent |
28, davon 22 erfolgreich = 78,5 Prozent |
18, davon 7 erfolgreich = 38,9 Prozent |
Indienststellung: |
21.5.1956 |
1961 |
August 1958 |
Links:
https://web.archive.org/web/20180301164626/https://www.energia.ru/ru/history/systems/rockets/r1.html
https://web.archive.org/web/20161007030137/http://www.energia.ru/ru/history/systems/rockets/r5.html
https://russianspaceweb.com/r1.html
https://russianspaceweb.com/r2.html
https://russianspaceweb.com/r5.html
https://en.wikipedia.org/wiki/R-5_Pobeda
http://astronautix.com/r/r-1.html
http://astronautix.com/r/r-2.html