Die gesündeste Süßigkeit …
Ich bin ja vom ersten Beruf her Lebensmittelchemiker und da habe ich so meine Probleme mit den Medien, aber auch der Medizin. Die Medien und inzwischen auch die Mediziner neigen dazu Lebensmittel Schwarz-Weiß zu sehen. Sprich etwas ist „gesund“ oder etwas ist „ungesund“. Den Gipfel, den ich im Fernsehen sah war ein Interview mit einem so called „Experten“ der Zucker als „toxisch“ einstufte. Ehrlich? Also ich habe mal Toxikologie gehabt und damals gab es noch so was wie Dosis-Wirkungsbeziehung, also selbst in kurzer Zeit zum Tod führende Gifte haben eine Dosis, unterhalb der sie überhaupt nicht toxisch sind. Kleines Beispiel: Beim Verdauen von bitteren Mandeln wird Blausäure aus einem Glycosid freigesetzt. Blausäure führt bei genügend hoher Dosis innerhalb von einer Stunde zum Tod. Trotzdem werden bittere Mandeln in der Küche eingesetzt, weil für Erwachsenen die Menge an Mandeln für eine Blausäureintoxikation einfach zu hoch ist (anders sieht es bei Kleinkindern aus). Wenn der gute Experte aufgrund seiner Giftigkeit Zucker verbieten will, wie sieht es dann mit zuckerhaltigen Nahrungsmitteln wie Obst und Säften aus?
So plädiere ich immer dafür den Verstand einzuschalten. Gerade die Medizin ist ja dafür bekannt, alle paar Jahre einen neuen Stoff zu verteufeln. Ich werfe nur mal die Stichworte Cholesterin, Salz und rotes Fleisch in den Ring.
Aber für alle, die gerne Süßigkeiten naschen, wäre es doch schön, wenn es „gesünder“ sein könnte. Ich möchte hier an dieser Stelle die gesündeste Süßigkeit, die ich kenne vorstellen. Zuerst mal einige, der tollen Dinge, die diese Süßigkeit kann:
- Sie hat weniger als 40 Prozent der Energie (ja es heißt Energie und nicht Kalorien!) anderer vergleichbarer Süßigkeiten
- Sie enthält keinen Zucker und muss daher per Se gesund sein, denn Zucker ist ja wie wir alle wissen ganz, ganz, gaaanz ungesund.
- Sie fördert nicht die Kariesentstehung.
- Sie reinigt die Zähne.
- Sie trägt zur Entwicklung einer gesunden Darmflora bei.
- Sie verhindert Verstopfung und andere Darmkrankheiten.
- Wirken sich nicht oder kaum auf den Insulinspiegel aus.
Na was ist das? Ich wette, die meisten Blogleser, die meiner Meinung nach größtenteils ja besser informiert als der Bevölkerungsdurchschnitt sind (weil sie diesen Blog lesen) wissen, wovon ich spreche: es sind Kaugummis.
Kaugummis bestehen aus folgenden Bestandteilen (in der Reihenfolge des Zutatenverzeichnisses): Zuckeralkohole, Kaumasse, Füllmittel, Süßungsmittel, diverse Zusatzstoffe, Aroma.
Ich habe schon alle Bestandteile zu Gruppen zusammengefasst, weil für die ernährungsphysiologische Bewertung nur Zuckeralkohole, Kaugmasse und die Füllmittel relevant sind. Real sind es meist etwa ein Dutzend Bestandteile.
Kaugummi wird anders als Bonbons nicht aus Zucker hergestellt, sondern aus Zuckeralkoholen und das schon ziemlich lange. Selbst als ich jung war, war das schon und das ist nun auch schon vier Jahrzehnte her. Die damals wie heute geltende Begründung für die Verwendung von Zuckeralkoholen ist, dass Kaugummi gekaut wird und so intensiver mit den Zähnen in Kontakt kommt. Ich fand das schon damals jetzt nicht so stichhaltig, denn gemessen an der Masse enthält Kaugummi wenige Zuckeralkohole, verglichen mit Bonbons, die zu 90+ Prozent aus Zucker bestehen sind es bei Kaugummi nur 60 Prozent. Daneben wiegt ein Kaugummi weniger als ein Bonbon und Bonbons kann man durchaus so lange lutschen, wie man Kaugummis kaut. So wäre Kaugummi mit Zucker wohl auch besser als Bonbons einfach weil die Zuckermenge viel geringer ist. Früher wurde oft mit „zahnschonender“ oder „Zahnpflegender“ Wirkung geworben, mancher Hersteller macht das bis heute, doch da nur Kaugummis ohne Zucker auf dem Markt sind, ist das eine Werbung mit Selbstverständlichkeiten und so heute durch EU-Gesetzgebung reguliert.
Da fragt sich der eine oder andere „Was sind Zuckeralkohole?“. Dazu ein kleiner Exkurs in die Chemie. Die Kohlenhydrate – deren einfachste (monomere) Vertreter man Zucker nennt – bestehen aus Molekülen, die an einem Atom eine Aldehyd oder Ketogruppe haben und an den anderen Kohlenstoffatomen je eine Alkoholgruppe. Die für die Nahrung relevanten Zucker haben alle sechs Kohlenstoff-Atome, daneben findet man noch Kohlenhydrate mit fünf Kohlenstoffatomen als Bestandteil der DNA und RNA.
Zuckeralkohole entstehen aus diesen Zuckermolekülen, wenn das Kohlenstoffatom, das eine Aldehyd- / Ketongruppe trägt auch zur Alkoholgruppe reduziert wird. Man hat dann pro Kohlenstoffatome eine Alkoholgruppe. Diese Verbindungen schmecken alle süß. Die beiden einfachsten dieser Alkohole sind das Glykol und das Glycerin, die kennt vielleicht der eine oder andere werden häufig in Frostschutzmitteln oder zum Pflegen von Dichtungen eingesetzt.
Zuckeralkohole kommen in einigen Pflanzen natürlich vor, der am meisten eingesetzte Zuckeralkohol Sorbit z.B. in den Früchten der Eberesche. Großtechnisch werden sie aber durch Hydrierung von Kohlenhydraten hergestellt. Xylit, den man mittlerweile als „Birkenzucker“ sogar beim Discounter kaufen kann, wird aus Xylanen, die zu den Hemicellulosen gehören, durch Hydrierung hergestellt.
Von Bedeutung für die zahnschonenden Eigenschaften ist, dass die Bakterien in der Mundhöhle zwar Zucker zu Säure vergären können, die dann den Zahnschmelz angreift aber nicht oder nur zu einem kleinen Teil, die Zuckeralkohole.
Das gilt aber nicht nur für die Bakterien in der Mundhöhle, es gilt auch für uns. Unser Enzymsystem nimmt die meisten Nahrungsbestandteile wie Zucker aktiv auf. Für die Zuckeralkohole ist es nicht ausgelegt, da sie in der Nahrung kaum vorkommen, sie werden passiv aufgenommen. Ebenso durchlaufen sie zwar den Kohlenhydratstoffwechsel, nachdem der Körper sie zu dem entsprechenden Kohlenhydrat oxidiert hat, aber dies erfolgt normalerweise unabhängig vom Glucosestoffwechsel, sie beeinflussen den Insulinspiegel daher kaum.
Die langsame Resorption hat einen weiteren Effekt: die Zuckeralkohole werden anders als Zucker nicht vollständig im Darm aufgenommen. Sie kommen zum Teil noch im Dickdarm an. Dort freuen sich Milliarden von Bakterien über ein Festmahl.. Die bekommen sonst als Nahrung nur dass was wir nicht verdauen können. Nun gibt es energiereiche, leicht abbubare Moleküle, keine nicht abbaubare Stärke, Sehnen oder Ballaststoffe. Sie vermehren sich prächtig und erzeugen Abgase. Das trägt nicht nur zum Wachstum einer gesunden Dickdarmflora bei, sondern die entstehenden Gase wirken auch abführend. Also anstatt Medikamente gegen Verstopfung zu nehmen (die bei vielen ja keine Krankheit ist sondern ein Symptom von zu ballaststoffarmer Ernährung) kann man auch Kaugummis in größerer Menge kauen.
Gegen Verstopfung hilft auch, dass die Kaumasse, zweiter Hauptbestandteil völlig unverdaulich ist. Sie erhöht somit das Kotvolumen. Früher wurde dafür tatsächlich mal pflanzlicher Gummi (Kautschuk) verwendet, inzwsichen seit Jahrzehnten aber Kunststoffe wie Polyvinylether (zum Beispiel Polyvinylacetat) und Polyisobutene (zum Beispiel Butylkautschuk). Man kann Kaugummis durchaus schlucken, muss mit ihnen nicht die Umwelt verpesten. Die Kläranlage filtriert sie heraus, während sie in der Umwelt praktisch nicht verrotten. Als Weichmacher werden oft auch Phthalate verwendet, die sind etwas kritischer zu sehen, richtig große Mengen an Phthalaten findet man aber nicht in Kaugummis, sondern kosmetischen Produkten. Die Kaumasse gilt als toxikologisch unbedenklich.
Die zahnreinige Wirkung von Kaugummi beruht darauf, dass man ihn kaut. Der Kaugummi selbst reinigt nicht die Zähne, er regt aber den Speicherfluss an und dieser bekämpft zum einen die Mundbakterien zum Teil und zum anderen reinigt er etwas die Zähne. Als kleiner Nebeneffekt ist das Füllmittel meist Calciumcarbonat. Calciumcarbonat zerfällt beim Kontakt mit Säure in Kohlendioxid und einem Calciumsalz der Säure. Damit neutralisiert es zum einen die Säuren, die von den Mundbakterien gebildet werden und zum anderen trägt es etwas zur Calciumversorgung bei.
Zurück zu den Zuckeralkoholen. Sei sollen ja die Süße des Kaugummis ergeben. Was wir als süß empfinden, ist eine komplexe Sache. So haben die chemisch sehr ähnlichen Kohlenhydrate Galactose und Glucose sehr unterschiedliche Süßkräfte, dabei haben sie dieselbe Strukturformel, nur die räumliche Stellung der -OH Gruppen ist an zwei Atomen unterschiedlich. Nicht zuletzt können künstliche Süßstoffe wie Sacharin oder Cyclamat, obwohl sie keinerlei chemische Ähnlichkeit zu Zuckern haben, einen viel stärkeren Süßeindruck hervorrufen.
Da die Zuckeralkohole in der Herstellung viel teurer sind als Zucker will man die Menge begrenzen. Dumm ist nur, dass die meisten der Zuckerlkohole eine geringere Süßkraft als Rohr- und Rübenzucker (Haushaltszucker, Sacharose) haben. Zudem hat man noch die Kaumasse die gar nicht süß ist. Daher werden noch Süßungsmittel wie Aspartam oder Acesulfam K zugesetzt. Damit spart man Zuckeralkohole und Energie ein.
Der geringe Energiegehalt kommt durch mehrere Faktoren zustande. Da haben wir zum einen die unverdauliche Kaumasse, die definitionsgemäß keine Energie hat. Aber auch die Zuckeralkohole kann unser Körper nicht so effizient wie Kohlenhydrate verwerten. Für die Nährwerberechnungen wird per Gesetz mit 10 kJ/g Zuvkeralkohol gerechnet, zum Vergleich bei Zucker sind es 17,2 kJ. In der Realität gibt es je nach Zuckeralkohol einen anderen physiologischen Wert, der zwischen 6,3 und 14 kJ/g liegt. Als letzer Faktor wiegt ein Kaufgummidragee viel weniger als ein Bonbon – ein normales Bonbon kann einen Energiegehalt von 80 bis 100 kJ haben, ein Kaugummi hat typisch einen Energiegehalt von etwa 9 KJ pro Dragee und besteht zu etwa 60 bis 65 Prozent aus Zuckeralkoholen. Daraus errechnet sich ein Energiegehalt von ewta 620 kJ/100 g während Bonbons auf etwa 1.650 kJ/100 g kommen.
Hier eine kleine Tabelle, die ich meinem Buch „Zusatzstoffe und E-Nummern“ entnommen habe:
Zucker |
Relative Süße |
Einfluss auf den Blutglucosespiegel |
Kariogen |
Wirkt |
---|---|---|---|---|
Saccharose |
1,00 (Definition) |
Mäßig |
Ja |
Nein |
Glucose |
0,5-0,6 |
Hoch |
Ja |
Nein |
Fructose |
1,1-1,7 |
Gering |
Ja |
Nein |
Lactose |
0,2-0,6 |
Mäßig |
Ja |
Ja |
Maltose |
0,3-0,6 |
Hoch |
Ja |
Nein |
Glucosesirup |
0,3-0,5 |
Hoch |
Ja |
Nein |
Fructosesirup |
0,8-0,9 |
Gering |
Ja |
Nein |
Mannit |
0,4-0,5 |
Klein |
Leicht kariogen |
Ja |
Sorbit |
0,4-0,5 |
Klein |
Leicht kariogen |
Ja |
Xylit |
1,0 |
Klein |
Nein |
Ja |
Isomalt |
0,5 |
Gering |
Nein |
Nein |
Maltit |
0,6-0,9 |
Gering |
Nein |
Ja |
Lactit |
0,3-0,4 |
Kein Einfluss |
Nein |
Ja, stark |
Erythrit |
0,6-0,8 |
Kein Einfluss |
Nein |
Ja, stark |
In den Kaugummis, die ich kaufe, findet sich meist – in abnehmender Menge Sorbit, Maltit und Xylit.
Übrigens: Die Sorten „Spearmint“, „Peppermint“ und „White Mint“ unterscheiden sich nicht im Aroma selbst. Alle verwenden Menthol, das aus Pfefferminzöl gewonnen werden kann, aber auch aus anderen Pflanzen oder synthetisch erzeugt werden kann. „Peppermint“ und „Whitemint“ unterscheiden sich nur in der Mentholmenge. Wird mehr Süßstoff zugesetzt, der Kaugummi also süßer, so verändert sich der Geschmack leicht und man hat die Variante Spearmint.
Menthol hat noch positive pharmakologische Wirkungen, so wirkt es kühlend und schmerzlindernd – bei Kopfschmerzen hilft es z.B. oft die betreffende Stelle am Kopf mit Minzöl einzureiben, weshalb es auch in Zahnpastas zugesetzt wird, ebenso wie die Zuckeralkohole und Süßungsmittel, diese aber nur wegen des Geschmacks.
Also kaut mehr Kaugummis!