Das Weltraumfähren-Dilemma

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So wies es aussieht, ist SpaceX mit etwas konfrontiert, was nicht neu ist, aber vorhersehbar. Ich nenne es das „Weltraumfähren-Dilemma“ um den Begriff „Shuttle“ zu vermeiden, auch wenn man es nach dem Erstling benennen kann.

Das ganze kam zuerst während der Entwicklung des Space Shuttles auf. Nach den Planungen von 1972 sollten die Fähren trocken (ohne Treibstoff) 68 t wiegen und 29,5 t Nutzlast transportieren. Diese 29,5 t sind das Gesamtgewicht der Zuladung. Wenn z.B. eine Besatzung an Bord ist, geht deren Gewicht sowie der Dinge, die sie braucht, von der Nutzlast ab.

In der Praxis wogen die Fähren zwischen 78 und 82 t. Die schwerste war die erste Fähre, die Columbia, die deswegen auch nicht für den Transport von schweren Modulen oder Gerät vorgesehen war, sondern für Langzeitaufenthalte umgebaut wurde. Die leichtesten Shuttles waren die letzten drei gebauten Discovery, Atlantis und Endeavour, die zwischen 78 und 79 t wogen. Doch das war immer noch 10 t schwerer als bei Planungsbeginn.

Wenn man nichts tut, so ist für jeden, der noch etwas von der Mathematik der Schule behalten hat, klar, das diese 10 bis 11 t Mehrgewicht von der Nutzlast abgehen, sie also auf rund 19 t sinkt, was eine Reduktion um ein Drittel bedeutet.

Mehr noch, das war die Nutzlast für den energetisch günstigsten Orbit, bei einem Start von der Ostküste aus, in eine Inklination von 28 Grad und nur 185 km Bahnhöhe. Schon bei einem Start in eine polare Bahn von der Westküste (Vandenberg) sank sie von 29,5 auf 14,5 t ab. Ebenso wenn man höhere Bahnen erreichen wollte – die höchste erreichte Bahn waren 611 km beim Aussetzen von Hubble, das dann auch nur noch 11 t wiegen dürfte. Das heißt, mit der Verkleinerung der Nutzlast ist auch ein Verlust an Flexibilität verbunden, da bestimmte Orbits nicht mehr oder nur mit indiskutabel geringer Nutzlast erreichbar sind.

Bei dem Space Shuttle begann man schon während der Entwicklung gegenzusteuern. So wurde der Schub der Triebwerke erhöht, um die Gravitationsverluste beim Aufstieg zu senken. Das senkte dann aber deren Lebensdauer von 100 auf 55 Missionen ab. Ebenso lies man nach den Testflügen die Lackierung des Tanks weg, was etliche hundert Kilo an Farbe einsparte. Der externe Tank erwies sich als das Schlüsselelement um Gewicht einzusparen. Er erreicht fast einen Orbit und jedes Kilogramm, das er weniger wiegt, schlägt sich in fast einem Kilo mehr Nutzlast durch. Es folgte der Lightweight Tank und ab dem Aufbau der Raumstation der Superlightweight Tank – letzterer wog 9 t weniger als das erste Exemplar. Zum Einsatzende betrug denn auch die maximale Nutzlast über 28 t – fast die Zielvorgabe. Betrachtet man das Space Shuttle als Gesamtsystem, so ist aber die Verbesserung klein. So blieb die Gesamtmasse vor Abtrennung des Tanks über die Einsatzdauer fast gleich. Und auch die Fähren wurden nicht leichter. Die 9 t sind bei über 110 t Gesamtmasse, die in den Orbit gelangen (mit Treibstoff der benötigt wird, um den Orbit wieder zu verlassen) nicht viel – weniger als 9 %, aber die Nutzlast stieg um nahezu 40 % an.

Das Starship hat nun das gleiche Problem. Wie ich schon bei der Nachlese zum dritten Teststart ausgerechnet habe, hat es nur eine Nutzlast von etwa 40+ Tonnen. Am 4. April hat das Elon Musk bei einer Ansprache vor Mitarbeitern auch eingeräumt. „currently flight 3 would be around 40 or 50 tons to orbit“.

Ich kam zum selben Schluss, indem ich die eingeblendeten Videoinformationen beim dritten Teststart ausgewertet habe. Ich habe dann auch mal nach diesem Testflug eine Simulation gemacht, in der ich nicht die Angaben von SpaceX für die Masse genommen habe, sondern sukzessive das Starship schwerer gemacht habe, bis es nur noch 40 bis 50 t Nutzlast hat und ein solches Starship wiegt 240 bis 250 t im Orbit. Das ist schon ein ziemlicher Unterschied, zu den 120 t den SpaceX für das Starship angibt. Doch das muss ich wohl erklären.

Als Erstes muss man aber zwischen Trockenmasse – darauf dürfte sich die 120 t Angabe beziehen – und Orbitmasse unterscheiden, denn das Starship braucht wie das Space Shuttle noch Treibstoff. Beim Sprache Shuttle waren ungefähr 10 % der Orbitmasse Treibstoff, beim Starship sind es zwangsläufig mehr. Denn das Starship braucht Treibstoff für mindestens zwei Manöver:

  • Es muss den erdnächsten Punkt so weit absenken, dass es wieder in die Atmosphäre eintritt, dass sind aus einem niedrigen Erdorbit aus etwa 100 m Geschwindigkeitsänderung, was in Treibstoff umgerechnet, etwa 3 Prozent der Orbitmasse entspricht.
  • Bei der Landung zünden erst drei Triebwerke, um es abzubremsen, dann wird das reduziert auf ein Triebwerk, um weich zu landen. Nimmt man die Brenndauer bei der letzten, gelungen Landung, so werden dabei etwa 20 t Treibstoff verbraucht. Allerdings war dies ein Prototyp mit nur drei anstatt sechs Triebwerken, ohne die Hitzeschutzkacheln wahrscheinlich deutlich leichter als die späteren Exemplare. Aber selbst 20 t Treibstoff sind rund 17 % der Trockenmasse eines 120 t Starships.
  • Es kann noch ein drittes Manöver nötig sein. Die Space Shuttles legten eine große Strecke vom Eintritt beginnend zurück, bis sie landeten. In dieser Zeit bremsten sie langsam ab und gingen am Schluss in einen aerodynamischen Gleitflug über. Das wird das Starship mit den kleinen stabilisierenden Flossen kaum können. Bei den Landetests fiel es wie ein Stein zu Boden. In einem solchen Landeprofil muss es aber noch deutlich mehr Geschwindigkeit vernichten. Als Beispiel kann hier die Landung der SuperHeavy beim dritten Testflug dienen. Die Tests der Landeversuche geschahen in 10 km Höhe, wobei die Anfangsgeschwindigkeit des Starships Null war. Die SuperHeavy war in 10 km Höhe beim Wiedereintritt noch 3000 km/h schnell, eine Abbremsung um 3000 km/h würde rund 30 Prozent Treibstoff kosten.

Alle diese Manöver addieren sich, sodass wenn alle drei nötig sind, das Starship bei 120 t Masse rund 68 t Treibstoff braucht, was dann auch die hohe Orbitmasse erklärt.

Die gute Nachricht: Senkt man die Trockenmasse des Starships um 1 t so, steigt aufgrund dieser Tatsache die Nutzlast um mehr als 1,5 t an. Ich glaube allerdings nicht daran, dass SpaceX die Trockenmasse wird entscheidend senken können und zwar aus Allgemeiner und spezieller SpaceX-Erfahrung. Die Allgemeine Erfahrung aus dem Space Shuttle aber auch anderen Projekten, wo nachgebessert werden musste – bisher hat ja noch keine Landung einer SuperHeavy oder eines Starships geklappt – ist die das solche Nachbesserungen nie zu einer geringeren, sondern einer höheren Trockenmasse führen.

Die spezielle SpaceX-Erfahrung ist die, das die Firma bisher immer Leistungsangaben angab, die sie in der Praxis nie erreichte. Bei der Falcon 1 gab es noch so etwas wie eine Kommunikationspolitik, da sank die Nutzlast während der Testflüge von 670 auf 420 kg ab, was prozentual mehr als ein Drittel ist.

Bei der Falcon 9 wurden die „Website-Nutzlasten“ trotz mehrfacher Iterationen der Verbesserungen nie erreicht, dabei legte die gestreckte Falcon 9, die ab 2016 zum Einsatz kam, von 482 auf 549 t Startmasse zu, trotzdem liegt die GTO-Nutzlast selbst ohne Wiederverwendung bei 6,5 und nicht 8,3 t.

Vor allem aber sind die angekündigten Starship V2 (mehr Schub) und V3 (mehr Schub und Verlängerung) ein Indiz, dass man auch diesmal die Sollnutzlast nicht schafft.

Dabei ist noch vieles nicht geklärt – wird das Starship oder die Superheavy schwerer, wenn sie mal eine Landung überstehen sollen? Die Superheavy explodierte ja in geringer Höhe, was nicht für genügend strukturelle Integrität spricht und beim Starship wurde der Hitzeschutzschild bisher nicht mal getestet. Erinnern wir uns – die ersten Falcon 9 kamen bei den Bergungsversuchen in Trümmern an, als Folge musste SpaceX das Abbremsmanöver einschieben, das dazu führt, dass die Falcon 9 Erststufen bei Abtrennung mehr Treibstoff in ihren Tanks haben, als sie selbst trocken wiegen. Das hat die Nutzlast rapide abgesenkt und dieselbe Situation haben wir nun bei der Superheavy. Wenn sie nun auch aktiv abgebremst werden muss senkt das die Nutzlast ab.

Das Ganze hat für SpaceX enorme finanzielle Auswirkungen. Für die Firma selbst geht es um ihr Starlink Netz. Das wird derzeit von der Falcon 9 aufgebaut, die maximal 18 t in den Orbit transportiert. Wenn das Starship nun gerade mal die doppelte Nutzlast offeriert, aber neunmal schwerer ist, dann dürfte der Transport teurer sein, denn bei der Falcon 9 wird ja schon die Erststufe und die Nutzlastverkleidung wiederverwendet. Verloren geht nur die Oberstufe und die kostet sicher nicht die 67 Millionen Dollar, die SpaceX pro Start verlangt – außer SpaceX baut die teuersten Oberstufen weltweit. So viel Geld kann man also beim Starship durch die Wiederverwendung nicht einsparen. Dabei schlägt nun das Geliche zu wie bei den Space Shuttles – diese 40 bis 50 t sind ja für den energetisch günstigsten Orbit. Schon ein 53 Grad geneigter Orbit, das war die Bahnneigung bei der ersten Generation von Starlink, kostet über 130 m/s an Geschwindigkeit, was die Orbitmasse von 290 auf 270 t absenken dürfte – oder die Nutzlast von 50 auf 30 t ….

Die einfache Lösung

Es gäbe eine einfache Lösung für das Dilemma, aber die passt nicht zu Elon Musks Dogma. Man muss nur das Starship nicht wiederverwenden. Setzt man den Strukturfaktor der SuperHeavy auf das Starship an – beides sind ja gleich aufgebaut und haben den gleichen Durchmesser – so müsste dieses als nicht wiederverwendbare Raketenstufe 70 bis 80 t wiegen. Dazu käme noch die Nutzlastverkleidung, die aber keinen Wiedereintritt überstehen muss und daher, sobald 100 km Höhe erreicht sind abgeworfen werden kann, was die Nutzlast steigert. Diese Verkleidung dürfte etwa 5 t wiegen. Dann wären wir selbst im ungünstigsten Fall bei etwa 155 t Nutzlast, das ist übrigens recht nahe an den 150 t ist, die SpaceX für den Nicht-Wiederverwendbaren Fall verspricht.

Im Prinzip hat man aber schon beim Design die Fehler begangen. Als 2016 Musk das Starship erstmals präsentierte, stellte er gleichzeitig ein Mockup des bis dahin größten Tanks aus CFK-Materialien vor. Später schwenkte man auf Stahl. Der Grund war wohl das zeurst ein neues System der Absorption der Wiedereintrittsenergie geplant war, das daraus basierte das man Stahl sehr hoch erhitzen kann, bis er an Festigkeit verliert. Doch das wurde sehr schnell begraben und nun werden Kacheln wie beim Space Shuttle verwendet. Doch beim Stahl blieb man. Nimmt man Äußerungen von Elon Musk, so wird man den Eindruck nicht los, das der primäre Grund die geringen Kosten von Stahl waren. Es gibt sicher andere Gründe, so ist Stahl einfacher zu verarbeiten als CFK-Werkstoffe, es gäbe aber auch noch die Möglichkeit Aluminium einzusetzen, das liegt sowohl in den Verarbeitungseigenschaften als auch dem Gewicht und den Kosten zwischen Stahl und CFK.

Bei der SuperHeavy soll die Möglichkeit, das sich Stahl hoch erhitzen lässt, ja den Reentry-Burn überflüssig machen. Das klappte bisher nicht. Beim Starship sollte der Hitzeschutzschild den Schutz bieten, sodass man hier sowieso auf ein leichteres Material verwenden könnte. Das Preisargument ist beim Starship noch fragwürdiger, weil seine hohe Leermasse ja die gravierendsten Auswirkungen auf die Nutzlast hat und es ja wiederverwendet wird.

Aus meiner Sicht hat man eine Fehlentscheidung getroffen, das habe ich schon mehrfach erwähnt, einmal schon als das Starship 2019 in der heutigen Form angekündigt wurde. Vielleicht sollte ich viel mehr SpaceX-Wetten machen, denn meist treffen meine Vorhersagen ja zu. Inzwischen nicht nur bei Terminen, sondern auch der Technik. Aber das ist ja nicht verwunderlich, denn für SpaceX gilt ja keine andere Physik als wie für mich.

Am gravierendsten dürfte die Misere für das Lunar Starship sein. Ist die Trockenmasse zu groß, dann reicht das Volumen der Treibstofftanks gar nicht aus, damit die Mission erfüllt werden kann. Auf jeden Fall braucht man bei 50 t Nutzlast weit über 20 Flüge) ohne dass es Verluste gibt) bis man den Treibstoff transportiert hat. Wahrscheinlich wird SpaceX das aber erst angehen, wenn sie ihr „V3“ Starship haben, das die Sollnutzlast erreicht und auch größere Tanks hat. Der Gewinner dürfte Blue Origin sein, die ja nun einen zweiten Mondlander bauen und deutliche Fortschritte aufweisen können. Auch die New Glenn soll im September ihren Jungfernflug haben. Ich denke sie werden vor SpaceX Astronauten auf den Mond befördern – wenn das Artemisprogramm nicht vorher eingestellt wird.

3 thoughts on “Das Weltraumfähren-Dilemma

  1. Auf jeden fall wird schon rein von der Stufenauslegung her das Booster/Starship ungünstiger sein als das Space Shuttle. Das Space Shuttle kann man mit etwas guten willen als dreistufig bei dem die erste und zweite Stufe anfangs gebündelt sind bezeichnen. Das Starship ist nur 2-stufig, wobei die erste Stufe sogar was erreichte Geschwindigkeit und Flughöhe betrifft ziemlich schwach ist wenn ich mich nicht ganz irre. Das einzige was mir als Grund einfällt ist das man das Starship so groß baut ist das das Konzept mit der Wiederbetankung im all dann mehr Sinn macht.

    Einer meiner Verbesserungsvorschläge, wenn man das Space Shuttle weiter entwickelt hätte. Wäre ja die RS-25 Triebwerke am Tank und nicht am Shuttle anzubringen (wie beim SLS). Die Triebwerkssektion dann vor dem Wiedereintritt des Tanks abtrennen und mit so einem Aufblasbaren Hitzeschutz wie ULA es verwenden will landen. Wären dann so rund 10 Tonnen weniger beim Shuttle, dafür vermutlich etwas mehr als 10 Tonnen mehr beim Tank. Hätte es den OMS einfacher gemacht das Shuttle in eine Umlaufbahn zu haben.

    1. Dein Vorschlag bringt in Sachen Nutzlast nichts weil ja nur 100 m/s bis zum Orbit fehlen, würde die Kosten aber in die Höhe treiben.

      Angedacht waren während der einsatzzeit mehrere Booster-Updates. Sie sind am preiswertesten umzusetzen anders als Änderungen am Orbiter. Zuletzt Verlängerungen der Booster, bis durch den Verlust der Columbia der Ausmusterungs- Beschluss kam und damit zur Einstellung aller Updates.

      Einen Überblick liefert:
      https://www.bernd-leitenberger.de/blog/2020/07/19/moegliche-feststoffboosterverlaengerungen-beim-space-shuttle/

      1. Ok, dann macht das mit den Auslagern der Treibwerke erst dann Sinn wenn man den Tank insgesamt wiederverwendbar gemacht hätte. Das wäre wohl einer der schwierigsten Schritte wenn man das Space Shuttle komplett und „besser“ wiederverwendbar hätte machen wollen. Vermutlich wäre eine richtige dritte Stufe da einfacher um bei dem „Haupttank“ etwas weniger Geschwindigkeit abbauen zu müssen.

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