Bernd Leitenbergers Blog

Eine weitere ITF-3-Testnachlese

Der Teststart ist schon zwei Monate her. Alle warten auf den nächsten Test ITF-4. Dabei sollen Superheavy und Starship heil bis zur Wasseroberfläche kommen. Aber wie immer gibt es Details zum Teststart erst nachher. Das meiste betrifft das Vehikel und nicht die Ergebnisse des Starts. Darüber wird noch nicht viel gesagt.

Ich beziehe mich auf diesen Beitrag des NSF. Daneben auf das Transkript zu Musks Vortrag vor den Mitarbeitern am 4. April 2024 in der starbase. Ich freue mich, dass Musk selbst bestätigt hat, was ich bereits berechnet hatte: Die Nutzlast für den Orbit bei ITF-3 betrug lediglich 40 bis 50 t und lag damit deutlich unter der Sollvorgabe von 50 bis 60 t. Ich persönlich halte eine Erreichung dieser Vorgabe für unrealistisch. Die Nutzlast ist so hoch, dass bei Anwendung von Erfahrungswissen klar ist, dass eine Verdoppelung nicht möglich ist. Trotzdem verspricht SpaceX für dieses Modell „V1“ noch 100 t Nutzlast.

Ich hatte bereits vorgerechnet, dass die Raptoren nicht den Nennschub haben. Dies resultierte aus einer komplizierten mathematischen Berechnung, die heute leider nicht mehr von vielen beherrscht wird, namens „Dreisatz“. Für die Berechnung werden lediglich die SpaceX-Angaben für Treibstoff, spezifischen Impuls und die Brennzeit bei diesem Test benötigt. Des Weiteren ist der Resttreibstoff im Videobalken zu bestimmen. Ich kam auf 64.300/68.812 kN (Sea Level 7 Vakuum). Der Beitrag spricht von 69.945 kN (7130 t Hubkraft). Die Differenz zu meinen Werten resultiert aus der Tatsache, dass nur 3.300 Tonnen Treibstoff in der Superheavy zugeladen wurden, während ich von vollen Tanks also 3.400 Tonnen ausgegangen bin. Berücksichtigt man dies, so entspricht dies 67.300 kN zu meinen Bedingungen. Die verbleibenden 1,1 Prozent resultieren aus einer ungenauen Ablesung des Resttreibstoffs sowie der Möglichkeit, dass die Raptoren nicht den reklamierten spezifischen Impuls aufweisen. Eine Reduzierung des Vakuumimpulses um 33 m/s würde dies erklären.

Diese Betrachtung stimmt aber nur, wenn die 3.300 t der für Antriebszwecke nutzbare Treibstoff sind. Genannt wird eine Treibstoffladung von maximal 3.400 t. Bei der Stufentrennung hatte die Superheavy aber noch etwa 9 Prozent Resttreibstoff für das Umkehrmanöver und die Landung. Also wird dieser Resttreibstoff – immerhin fast 300 t – nicht mitgezählt oder – wahrscheinlicher – der Schub der Raptors wurde im Laufe des Flugs gedrosselt. Das passt dann auch eher zu der niedrigen Abtrenngeschwindigkeit.

Die Punktlandung beim Starship ist noch besser. Nach dem Beitrag hatte dieses einen Schub von 12.262 kN (1.250 t). Nach meinen Berechnungen beträgt der Schub 12.105 kN. Das NSF zeigt sich in diesem Fall überrascht von der Abweichung zu den auf der Website genannten 1.450 t Schub.

Aber auch hier gibt es Diskrepanzen. Nimmt man die Brennzeit nach Video (berechnet auf alle Triebwerke, drei arbeiten 15 Sekunden länger) von 340,5 Sekunden, die angegebenen 1.250 t Schub so kann man einen spezifischen Impuls von 3479 m/s errechnen. Das ist deutlich weniger als das arithmetische Mittel des reklamierten Vakuumimpulses der kurzen Raptors (3.433 m/s) und der langen (3,698 m/s) nämlich 3.565 m/s. Ich selbst rechnete bisher auf Basis meiner Simulationen des Raptors sogar mit 3.545 m/s. Beim Starship macht diese kleine Differenz viel aus, das sind gleich mal 6 t Nutzlast weniger. Insgesamt errechne ich eine Differenz der 120 t Trockenmasse des Starships (nach Spacex) zur tatsächlichen Orbitmasse von 39 bis 49 t (40 bis 50 t Nutzlast).. Berücksichtigt man den benötigten Landetreibstoff so sinkt die Differenz auf 20 t bei 50 t Nutzlast entsprechend einem um 17 t zu schweren Starship. Die restlichen 30 t Differenz zur 100 t Angabe beruhen auf der Minderperformance der Triebwerke und bei der Superheavy 100 t fehlendem Treibstoff.

Das Starship 2 wird voraussichtlich später in diesem Jahr auf den Markt kommen. Die Hauptänderung ist eine weitere Steigerung des Schubs, die wahrscheinlich mit einem höheren Brennkammerdruck korrespondiert. Der Schub soll von 7.120 auf 8.240 kN bei der SuperHeavy und von 1.250 auf 1.600 kN bei dem Starship steigen. Des Weiteren erfolgt eine Erhöhung der Treibstoffzuladung: 3.650 t anstelle von (nominell) 3.400 t beim Starship 1 in der SuperHeavy und 1.500 anstelle von 1.200 t im Starship. Die Verlängerung der beiden Fahrzeuge beträgt 1,3 m (SuperHeavy) bzw. 1,8 m (Starship). Bei einer Startmasse (ohne Nutzlast) von mindestens 5.470 t soll somit die 100 t Sollnutzlast erreicht werden. Dies entspricht lediglich einer Steigerung der Startmasse um knapp 12 %. Vor dem Hintergrund, dass die Raketengrundgleichung bekannt ist, erscheint die angestrebte Steigerung der Nutzlast um 100 % fraglich. Ich schlage vor, von einer Orbitmasse von 12 % mehr auszugehen, was bei gleicher Schiffsmasse etwa 80 t Nutzlast entspricht.

Ich finde auch die Pläne für schubgesteigerte Raptoren kühn, bedenkt man, dass man bei drei Testflügen ja noch nicht mal das Sollschubniveau der Raptor 2 erreicht hat. Das Steigern des Schubs ist nicht trivial. Ich sehe auch die bewusste Begrenzung des Schubs beim Starship auf 80 % des nominellen Schubs als einen Hinweis darauf, dass man das bei SpaceX nicht weiß, wie lange sonst die Triebwerke den Schub durchhalten. Da der Brennkammerdruck von 300 auf 350 Bar steigen soll. Das alleine reicht aber nicht. Wenn wir wieder die komplizierte Rechenvorschrift „Dreisatz nach Adam Riese“ bemühen, müsste die Steigerung von 300 auf 350 Bar Brennkammerdruck den Schub um 16,6 % steigern und – wen wundert es – wurden von den ersten Tests auch 16,9 % mehr Schub vermeldet. Den Rest muss man durch einen weiteren Düsenenghals erreichen, der mehr Gas pro Zeiteinheit passieren lässt. Das senkt aber dann durch Absenkung des Expansionsverhältnisses den spezifischen Impuls ab. Daneben muss die Turbopumpe 30 % mehr Treibstoff bei höherem Druck fördern, was einer Leistungssteigerung um fast 80 Prozent entspricht.

Die Situation ist herausfordernd. Alle Triebwerke verfügen über Reserven, die sich nutzen lassen. Bei Ariane 1 konnte der Schub während der Entwicklung deutlich gesteigert werden, was letztlich die Verlängerung bei Ariane 2 ermöglichte. Beim Space Shuttle wurden die Reserven bereits während der Entwicklung angegangen, sodass die Triebwerke schließlich 109 % des Schubs aufwiesen, der beim Design vorgesehen war. Bei einer Steigerung des Schubs um fast ein Drittel ist ein Neudesign unumgänglich, wie es bei der Ariane 5 beim Übergang zur Evolutionsvariante der Fall war. Die Wasserstoffturbopumpe musste vollständig neu entwickelt werden.

Dies hat auch Auswirkungen auf die Lebensdauer des Triebwerks. Bei normalen Raketen stellt dies kein Problem dar, da ein Triebwerk in der Regel die sechs- bis zehnfache Nennbetriebsdauer hat, auch ohne dass eine Wiederverwendung angestrebt wird. Die 9 Prozent mehr Schub führten beim Space Shuttle Triebwerk jedoch zu einer Reduktion der Sollllebensdauer von 100 auf 55 Missionen. Die Brennzeit sank von 520 auf 480 Sekunden, was auf den höheren Schub zurückzuführen ist.

Diese Tatsache dürfte die Ursache dafür gewesen sein, dass das Starship mit nur 80 Prozent des Nennschubs arbeitet. Denn dort arbeiten die Triebwerke ja dreimal länger als bei der Superheavy. Bei einem zeitgleichen Austausch der Triebwerke muss die längere Brennzeit durch geringere Anforderungen kompensiert werden.

Einen Einblick wie man bei SpaceX arbeitet, liefert folgende Textpassage: „Besides the Raptor 3’s thrust increases, this version also features a simplified, more compact design allowing boosters that use it to dispense with engine shields.“

Also, woanders explodieren heutzutage nicht mehr Triebwerke. Sie werden vorher abgeschaltet. Einfache Mechanismen gab es schon bei der Saturn V. Beim ersten Teststart sollen ja Explosionen dessen Scheitern verursacht haben und auch beim abgebrochenen Wendemanöver von Teststart 1 führt ein Triebwerksdefekt zum Abschalten aller anderen Triebwerke, was eigentlich, da sie unabhängig voneinander sind, nur durch eine Beschädigung möglich ist.

Bevor sich eine Explosion ereignet, steigen bestimmte Parameter wie Drücke oder Rotationszahlen von Turbopumpen an. Das Space Shuttle hatte schon von Anfang an Triebwerkskontroller die beim Überschreiten von „roten Linien“ die Triebwerke abschalteten. Das taten sie auch in der Anfangszeit des Programms recht oft, meist beim Hochlaufen auf der Startrampe aber in einem Fall auch während des Flugs. STS 51-F erreichte trotzdem einen Orbit. Der letzte Stand des Space Shuttle Programms – und dieser Stand ist nun auch schon zwanzig Jahre alt – war das neue Triebwerkskontroller nicht nur rote Linien überwachten, sondern Trends verfolgten und lange bevor ein kritischer Zustand erreicht wird ein Triebwerk abschalten – was das Ausfallrisiko um den Faktor 3 reduzierte. Mehr noch und das wäre auch für SpaceX wichtig, sie konnten ein Triebwerk in der Leistung reduzieren und weiter betreiben. Das erhöhte vor allem die Wahrscheinlichkeit einen Orbit noch zu erreichen, denn so fällt nur ein Teil des Schubs weg. Damals setzte die NASA auf TMS 320X Signalprozessoren mit einem Takt von unter 100 MHz. Heute müsste noch viel mehr möglich sein. Aber bei SpaceX scheint man lieber Explosionen in Kauf zu nehmen und Schilde einzubauen. Seltsames Verhalten für einen CEO der sich so technikverliebt gibt, im Starship aber auf Materialien (Stahl) und Techniken (Explosionsschutz) einsetzt, die man in der Raumfahrt seit über sechs Jahrzehnten nicht mehr einsetzt.

An der 1000-maligen Wiederverwendung der Raptors lässt das auch Zweifel aufkommen: Wenn ein Triebwerk 1000-mal betrieben werden kann, ohne Probleme zu machen, wäre doch ein Ausfall bei 39 Triebwerken im Starship recht unwahrscheinlich und trotzdem kam es bisher bei jedem Flug vor – bei ITF-3 zündete auch nur eines der drei Triebwerke der Superheavy die es abbremsen sollen. Die Wiederzündung scheint allgemein ein Problem zu sein. Davon gab es bei drei Testflügen bisher 30 (je 13 für die Wende bei ITF-2+3, drei für die Abbremsung der SuperHeavy bei ITF-3 und der Zündungspunkt beim Starship bei ITF-3. Davon scheiterten 16 also mehr als die Hälfte. Verwundert mich bei einem 1000-mal wiederverwendbaren Triebwerk.

Das mit der 1.000-fachen Wiederverwendung ist auch so eine Sache. Die Strukturen dürften ohne die bei der Falcon 9 durchgeführte Abbremsung stärker belastet werden, so verwundert mich dieser hohe Wert. Relativ genau kann man die Lebensdauer bei den Triebwerken festmachen. Hier begrenzen die Turbopumpen mit ihren rotierenden Teilen die Lebensdauer. Normale – nicht für die Wiederverwendung vorhergesehene – Triebwerke haben eine Sololebensdauer von 6 bis 10 Einsätzen. Ich kenne nur wenige Beispiele von Triebwerken, die für die Wiederverwendung vorgesehen waren. Das NK-33 kann 17-mal ohne Überholung und maximal 25-mal gezündet werden, die RS-25 erreichen 55-mal und beim RD-170 werden 10-20 Einsätze genannt. Da erscheint der Sprung auf 1.000 doch sehr wagemutig, vor allem wenn man weiß das die Anforderungen an die Turbopumpem mit steigendem Förderdruck ansteigen und mit 300 bis 350 Bar liegen sie höher als die Drücke bei den obigen Beispielen.

Ich sehe das als eine typische Musk-Wunschvcorstellung ebenso wie die extrem niedrigen Startpreise – die ja inzwischen von 20-20 Millionen Dollar pro Start auf 2-3 Millionen gesunken sind. Komisch: rechnet man die Ankündigung von Musk was SpaceX 2023 in das Starship stecken will, auf die von ihm genannte Startzahl herunter, so kommt man auf 400 Millionen Dollar pro Start, was wenn die höhere Masse berücksichtigt, es in die Preisregion der Falcon 9 und Heavy pro Tonne einordnet. Praktisch ist eine 1000-malige Verwendung ohne Bedeutung, weil es ja Fixkosten für die Startdurchführung und den Treibstoff gibt. Die werden schon weit vorher den Startpreis dominieren.

{Edit 11.5.2024]

Ich gebe mal eine Erklärung für die Aussage die Vinezrd in diesem Kommentar wiedergibt. Genaueres findet man in der Grundlagensektion der Website.

Es geht um den Ausfall der Triebwerke. Jede Rakete setzt ihre Tanks vor dem Start unter einen leichten Überdruck, da sie so steifer werden und höheren Kräften widerstehen. Nur sind diese beim Start zu 99+ Prozent voll. Leeren sie sich, so nimmt der freie Raum zu und der Druck würde abnehmen, also muss laufend Gas nachgeliefert werden um einen konstanten Überdruck gegenüber der Umgebung aufrechtzuerhalten.

Dafür gibt es verschiedene Methoden die vom Treibstoff abhängig sind. Bei verflüssigten Gasen kann man diese einfach in den gasförmigen Zustand überführen und so Gas erzeugen. Das ist das wovon der Ingenieur spricht. Dazu zweigt man aus dem Treibstoffstrom beider Komponenten ein bisschen ab, leitet es an die heiße Brennkammerwand wo Methan und Sauerstoff jeweils durch die Hitze verdampfen und führt diese Gase in die jeweilligen Tanks zurück. Ein einfaches System das aber zusätzliche Leitungen erfordert.

Musk gefiel das äu0ßere Aussehen des Raptor 1 nicht, er wollte die Vielzahl an Rohrleitungen und Verdrahtungen reduziert haben und so fiel wohl die Entscheidung ein anderes Konzept zu verwenden. Die Raptors sind staged-combustion Triebwerke im sauerstoffreichen Betrieb. Das heißt in einem Vorbrenner wird der gesamte Sauerstoff mit einem kleinen Teil des Methans verbrannt. Da nur ein Teil des Sauerstoffs umgesetzt wird, dient der Rest als interte Masse die mit erhitzt wird, so werden die Verbrennungstemperaturen auf einige Hundert Grad Celsius begrenzt. Dieses heiße Gas treibst dann die Turbine eine Turbopumpe an, welche dann das Gas und das restliche Methan in einer separaten Leitung ansaugt und unter Druck in die Brennkammer einspritzt.

Von diesem Vorbrenner hat man nun einen kleinen Strom heißen Gases abgezweigt und in die Tanks zurückgeführt. Keine gute Idee. Das Gas besteht vor allem aus Sauerstoff und den Verbrennungsprodukten Kohlendioxid und Wasser. Wasser gefriert bei 0 Grad Celsius, Kohlendioxid bei -78 Grad Celsius. Im Methantank ist es aber -162 Grad Celsius kalt und im Sauerstofftank sind es -182 Grad Celsius. Als Folge fallen Wasser und Kohlendioxid zu Eis aus. Beide Substanzen sind dichter als Methan, das nur eine Dichte von 0,42 g/cm³ hat und fallen nach unten.

Dort wird das Eis angesaugt und es tut Triebwerken nicht besonders gut wenn feste Körper auf schnell rotierende Turbinenschaufeln kommen, die können dann beschädigt werden und die Unwucht, wenn ein Stück abbricht, zerlegt die Turbinenschaufel die mit mehreren Tausend Umdrehungen pro Minute rotieren und so ein Turbinenblatt durchschlägt dann schon mal das Gehäuse und beschädigt andere Triebwerke oder Treibstoffleitungen.

Das ist wohl bei ITF-1 passiert. Das Problem ist ja nicht neu. Schon die N-1 hatte das Problem, bei ihr waren es aber Aluminiumsplitter die sich aus den Tanks durch die Vibrationen lösten. In beiden Fällen ging man nicht der Ursache nach sondern kam auf eine „einfache“ Lösung: man baut Filter ein. Das funktioniert solange die Triebwerke laufen. Werden sie abgeschaltet so haben die Eispartikel mehr Zeit sich abzusetzen und da kein neues heißes Gas nachkommt sinkt auch die Gastemperatur in den Tanks ab und es fällt mehr Eis aus. Schlie0lich verstopfen die Filter und es scheitert die Wiederzündung.

Nebenbei denke ich ist es keine gute Idee heißen gasförmigen Sauerstoff in einen Methantank zu leiten, Stichwort Methanexplosion. Aber bei einer Fima, wo die Ingenieure auf die Idee kommen, Sauerstoff während die Triebwerke noch laufen, während des Fluges abzulassen, muss man sich über nichts mehr wundern.

Die mobile Version verlassen