Hergé: Tim und Struppi zum Mond

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Als Jugendlicher habe ich die Comics von Hergé verschlungen. Ich habe sie auch noch alle, bis auf den letzten unvollendeten Band „Tim und Struppi und die Alpha Kunst“, der erst erschien, als ich über das Comic-Alter raus war und auch nicht mehr komplett von Hergé stammt. Nun kam kürzlich – sehr gut gemachte und sich eng an das Buch haltende Zeichentrickserie im Fernsehen. Leider sind die Videos schon wenige Wochen später nicht mehr in der ZDF Mediathek verfügbar. Ich habe sie mir auf jeden Fall runter geladen und angeschaut und bei der einen oder anderen Folge auch nochmals in den Comic geschaut, weil ich doch einiges anders in Erinnerung hatte.

Als letzte Folge habe ich mir den Doppelband „Reiseziel Mond“ und „Schritte auf dem Mond“ aufgehoben, denn ich wusste schon, dass ich das nicht einfach so anschauen kann, ohne das mein kritischer Sachverstand gleich aktiv wird. In der Summe finde ich aber, ist Hergé hier durchaus ein sehr guter Plot gelungen. Gerne wird ja Jules Verne als der große Visionär bezeichnet, aber seine Romane haben eben immer nur ein Körnchen Wahrheit und der Rest ist eben doch Fantasie. So würde niemand einen Kanonenschuss auf den Mond überleben. Dagegen hat Hergé doch sehr viel realitätsnäher gearbeitet.

Die Geschichte

Für alle die die Story nicht kennen. Tim und sein Freund Kapitän Haddock werden von dem gemeinsamen Freund Professor Bienlein, eine Art Universalgenie in ein slawisches Land eingeladen. Dort baut er eine Mondrakete und sie sollen ihn begleiten. Ein Nachbarstaat will das verhindern, der hat in einem früheren Band schon mal diese Monarchie überfallen wollen. Eine Versuchsrakete wird von ihrem Funkstrahl vom Kurs abgebracht und bevor sie ihnen in die Hände fällt durch Funkkommando zerstört. (Ja dort gibt es ein funktionierendes Selbstzerstörungssystem, anders als 70 Jahre später bei SpaceX)

Dann starten sie selbst zum Mond. Kurz nach dem Start stellt sich heraus, dass die beiden trotteligen Detektive Schulze und Schultze zusätzlich an Bord sind. Sie wollten die Rakete überwachen, nahmen aber an das sie um 1:34 nachmittags und nicht um 1:34 nachts startet und warne deswegen noch an Bord. Auf dem Weg zum Mond wird der Asteroid Adonis gekreuzt und der betrunkene Kapitän Haddock verlässt das Raumschiff und gerät in seine Anziehungskraft und muss mit einem Lasso eingefangen werden. Auf dem Mond läuft alles gut, die Gegend wird erkundet und Instrumente aufgestellt. Nun stellt sich heraus, das der Ingenieur Wolff, der Bienlein unterstützt, im Auftrag der anderen Nation arbeitet und einen Agenten an Bord brachte. Der schlägt Tim bewusstlos und befielt Wolff die Triebwerke zu starten und die vier anderen auf dem Mond zurückzulassen. Da diese aber 30 Minuten zum Warmwerden brauchen gibt dies Tim Zeit zu Bewusstsein zu kommen und die Leitungen zu den Triebwerken zu durchschneiden.

Wolf und der Agent werden gefesselt und man muss nun sofort zurückkehren, da der Sauerstoff für vier Personen berechnet war und nun acht an Bord sind. Auf der Rückreise versuchen Schulze und Schulze die Fesseln durch Handschellen zu ersetzen, werden aber überwältigt. Der Agent will nun alle, außer sich selbst und Wolff über Bord schmeißen damit der Sauerstoff reicht. Wolff will das nicht es kommt zum Handgemenge, bei dem der Agent erschossen wird. Später verlässt Wolff selbst das Raumschiff ,als alle Schlafen um Sauerstoff zu sparen.

Bei der Landung sind alle durch den Sauerstoffmangel bis auf Tim ohnmächtig, der muss aber den Antrieb einschalten, was nur gelingt weil die Bodenkontrolle Sirenen einschaltete. Schlussendlich landen alle und können gerettet werden.

Der historische Kontext

Man sieht hier: Hergé machte nicht fiktionale Comics wie Asterix oder Superman oder mit Tierfiguren wie Walt Disney. Es ging um Dinge die einen realen Bezug haben, wie Kokainschmuggel, Sklaverei, Falschgelddruck, Umstürze in kleinen Staaten. Und so kann man den Comic auch mit der Realität vergleichen.

Fangen wir damit an, wann die beiden Bände erschienen, das war 1952 und 1954. Das heißt noch vor dem ersten Satellitenstart. Die größte Rakete, die es gab, war immer noch die V-2 oder A-4, die USA arbeiteten an der Redstone, doch operativ wurde diese erst nach Erscheinen des zweiten Bandes. Abbildungen konnte Hergé also nicht kennen. So sieht die Versuchsrakete auch ziemlich einer V-2 ähnlich. Die eigentliche Mondrakete ähnelt ihr auch, ist aber bauchiger und hat drei Landebeine. (Abbildungen bringe ich hier wegen des Urheberrechts nicht, aber ihr solltet leicht im Internet fündig werden).

Es gab aber schon Filme, die das Thema behandelten, so Frau im Mond von 1929 und Endstation Mond von 1950. Das Interieur der Rakete erinnert ein bisschen an Frau im Mond, den anderen Film kenne ich leider nicht, aber nach der Wikipedia soll er auch Hergé beeinflusst haben.

Ich denke Hergé wusste genau, dass er mit dem Konzept das er skizziert – es gibt nur eine Stufe, die den ganzen Weg zurücklegt, das mit einer chemischen Rakete nicht schafft. So kam er auf einen Kniff: einen „Atomantrieb“. Ich weiß nicht, ob es eine reine Erfindung ist oder ob Hergé von der Möglichkeit von nuklear thermischen Triebwerken wusste, die aber auch erst ein Jahrzehnt später praktisch getestet wurden. Ich denke aber er wusste davon, denn dieser Atomantrieb wird nicht beim Start eingesetzt, hier ist es ein herkömmlicher Raketenantrieb, erst danach übernimmt der Atomantrieb. Ich deute das dahin, dass die Umgebung nicht radioaktiv verschmutzt werden soll, was eben auf einen Antrieb auf Basis der Kernfission hindeutet wie bei den nuklearthermischen Antrieben.

Natürlich haben die Figuren viel mehr Platz als später im Apollo-Raumschiff. Es gibt einen Kontrollraum an der Spitze mit Periskop, einen Mannschaftsraum und einen Raum für den Ausstieg. Kleines Detail am Rand: ich habe aus Spaß mal nachgerechnet, ob das denn mit einem nuklear-thermischen Antrieb ginge und mit zwei Stufen und ohne aktive Landung bei der Rückkehr (also durch die Atmosphäre abgebremst und eine Rakete von der Größe der Saturn V (3000 t Startgewicht) könnte tatsächlich etwa 100 t zum Mond und zurück befördern. Der Knackpunkt wäre aber, dass bei einem nuklearen Antrieb, der Schub viel zu gering wäre um von der Erde abzuheben. Er könnte erst ab dem Orbit eingesetzt werden.

Vieles im Comic ist dem Plot geschuldet. So kann die Versuchsrakete ferngesteuert werden, aber die eigentliche Mondrakete muss von den Insassen gesteuert werden. Das ist natürlich Unsinn, in einer richtigen Rakete gäbe es sicher die Fernsteuerung als Backup-System.

Anderes ist erstaunlich real. So denkt Hergé an Conturenliegen. Also Liegen, die der Körperform angepasst sind. Astronauten und Kosmonauten starten heute in Conturensesseln. Nur ein Detail war falsch. Bei ihm liegen die Protagonisten auf dem Bauch. Da bei der Beschleunigung das mehrfache Körpergewicht auf einem lastet, wäre das eine schlechte Position, denn so drückt das mehrfache Gewicht des Rückens auf den Brustkorb, das Atmen fällt schwer und im Comic werden beim Start auch alle bewusstlos, eine unmittelbare Folge davon.

Hergé denkt an Plexiglashelme, die später auch so zum Einsatz kommen, nur noch zu groß und oben und hinten verkleidet, während bei Hergé die Figuren aussehen, als hätten sie ein Goldfischglas über. Die Anzüge sind zu groß, haben aber den orangen Ton der Space Shuttle Anzüge. Seine Figuren können über den Mond hopsen und ich muss jedes mal wenn ich die Szene sehe, an die Videoaufnahmen der Hopser von Apollo 17 denken.

Vor dem Start gibt es zwei Gerüste mit Ebenen, die an die Rakete herangeschoben werden. Später wurden feste Starttürme verwendet, doch wer sich mal die Bilder der frühen Wartungstürme der Redstone ansieht wird eine Ähnlichkeit feststellen. Zudem wurde das Konzept des mobilen Wartungsturms auch aufgegriffen, bei der Ariane 4 wurde ein solcher eingesetzt.

Bei der Fernsehserie strauchelte ich über eine Zahlenangabe. Adonis sollte 700 m Durchmesser haben. Nun gab es 1952/54 noch keine Möglichkeiten den Durchmesser genau zu bestimmen, man konnte ihn nur aufgrund der Helligkeit und des (angenommenen) Reflexionsgrades abschätzen. Adonis wird heute auf 1,2 bis 2,5 km Durchmesser geschätzt. Die Angabe ist nach so vielen Jahrzehnten immer noch ungenau, weil er sich anders als bei Hergés Comic der Erde nur selten nähert, 1926 tat er das bis auf 2,5 Millionen km, wurde damals aber nicht beobachtet (er wurde erst 1936 entdeckt und nach zwei Jahren fand man ihn nicht mehr, 1977 wurde er dann wieder entdeckt). Es ist natürlich Unsinn, das ein so kleiner Asteroid jemanden anziehen kann, zumindest nicht in der Geschwindigkeit wie im Comic. Selbst, von dem zehnmal größeren Deimos könnte ein Astronaut mit einem Sprung wahrscheinlich sich aus der Schwerkraft lösen.

Schaudern musste ich bei den ersten Worten auf dem Mond:

„„Es ist so weit! Ich habe einige Schritte gemacht! Ohne Zweifel zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit gab es SCHRITTE AUF DEM MOND!“

Ob Neil Armstrong wohl auch den Comic gelesen hat?

Bei der großen Rakete ist umfangreiche Ausrüstung kein Problem, so wird ein Kettenfahrzeug, dass an einen Panzer erinnert, für Exkursionen genutzt. Etwas befremdlich erscheinen uns die astronomischen Beobachtungen auf der Mondoberfläche. Heute konzentriert man sich natürlich ganz auf den Mond, aber es gab in der Vergangenheit nicht wenige Vorschläge auf dem Mond tatsächlich Teleskope zu montieren die nicht nur Tag und Nacht arbeiten können, sondern auch nicht von der Lichtverschmutzung beeinträchtigt sind. Für Radioteleskope scheint die Rückseite des Mondes – im permanenten Funkschatten der Erde sogar heute noch attraktiv.

Ein anderer, dem Plot geschuldeter Kniff ist die Schwerkraft. Der Antrieb ist dauernd an und so herrscht normale Schwerkraft. Als er abgeschaltet wird, führt dies dann auch zu komischen Situationen. Kaptitän Haddock kann nicht rechtzeitig die dafür vorgesehenen „magnetischen“ Schuhe anziehen und schwebt durch die Kabine. In der Praxis wäre ein permanenter Antrieb mehreren Gründen nicht sinnvoll. Zum einen würde man so die Schwerkraft der Erde nicht gut nutzen, die dazu führt, dass man aus einer Erdumlaufbahn nur 3,1 km/s braucht, um zum Mond zu gelangen anstatt 7 km/s, wenn dies in größerer Entfernung von der Erde passiert. Daneben, das kann man leicht ausrechnen, würde man so zuerst weit über die Fluchtgeschwindigkeit beschleunigen (die erreicht man von einem Erdorbit aus bei 1 G Beschleunigung schon in 320 Sekunden) und müsste dann auf halber Strecke wieder abbremsen. Das wäre eine enorme Treibstoffverschwendung.

Die Mondlandschaft ist in dem Comic erstaunlich realistisch. Einiges ist erfunden, so findet Tim Stalaktiten und Stalagmiten, die durch Abscheidung von Carbonaten aus einer Wasserlösung auf der Erde entstehen. Flüssiges Wasser kann es auf dem Mond im Vakuum nicht geben, das wusste man schon damals. Er entdeckt aber auch Eis und ist damit der Forschung um Jahrzehnte voraus. Bis heute ist nicht zu 100 % geklärt, ob es in tiefen Kratern an den Polen tatsächlich Eis gibt. Aber dementsprechende Missionen dorthin sind geplant und wir werden es vielleicht in diesem Jahrzehnt noch erfahren.

Nicht zuletzt erinnert die Sauerstoffarmut ein bisschen an Apollo 13, auch wenn dort das Problem nie der Sauerstoff war, aber das Kohlendioxid, das durch die Ausatmung entsteht. Die Folgen wären aber dieselben: Bewusstlosigkeit.

Und für alle SpaceX-Fans: Angeblich hat sich Elon Musk bei dem Design des ersten Starships (nicht dem wie es heute aussieht) von der Rakete von Hergé inspirieren lassen. Zugegeben, einige Ähnlichkeiten sind da. Aber die Form ist auch mehr oder weniger durch die Aerodynamik vorgegeben. So sehen die sowjetische Buran und das Space Shuttle auch aus demselben Grund sehr ähnlich aus.

Also ich finde die Comics erheblich besser als manches Video, dass mir zum Ansehen empfohlen wird und ziemlich viel Unsinn enthält.

 

4 thoughts on “Hergé: Tim und Struppi zum Mond

  1. Der Marsianer ist ja eins meiner Lieblingsbücher das ich immer wieder lese.
    Als der Film rauskam, war ich etwas schockiert. Nicht davon, wie viele unplausible und unmögliche Sachen da mit reingetan wurden, sondern wie unnötig die größtenteils waren.
    Insbesondere die Bühnenbildner schienen keine Ahnung davon zu haben, wie Raumfahrt eigentlich geht.
    Eine der schlimmsten Sachen war, dass da eine Leiter INNERHALB von der Wiederaufstiegsrakete war. Einfache Frage: Wo ist dann der ganze Treibstoff? Was bringt eine Leiter im inneren eigentlich?
    Das letzte Mal, wo ich sowas gesehen habe, war in der Mars Chroniken Miniserie. Ich glaub das war 1980, aber sie sah aus wie aus den frühen 70ern.
    Und dann hab ich mir gedacht, selbst Hergé hat das besser gemacht. Da war die Leiter außerhalb. Und das war in den 50ern!

  2. Zu Verne. Da sollte man aber beachten das der deutlich früher gelebt hat (rund 100 Jahre zwischen den Büchern). Vieles war damals nicht bekannt bzw. wurde (auch von der Wissenschaft) falsch vermutet. Er hat häufig Erfindungen die es wirklich gab extrem hochskaliert in Bereiche wo es eben nicht mehr funktioniert.

  3. Mir kommt zum Thema nukleare Antriebe in der Science Fiction vor der Mondlandung das Buch Prelude to Space (Deutsch: Aufbruch zu den Sternen (Alternativtitel: Die Erde lässt uns los)) von Arthur C. Clarke in den Sinn, in dem ein atombetriebenes Raumschiff zum Mond fliegt.

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