Die unbeliebtesten Körper im Sonnensystem

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Ich fange an mit einer Frage und ich bitte den geneigten Leser, bevor er weiterliest (diese Frage kann man auch lesen, ohne den Artikel aufzuklappen) sie geistig durchzugehen:

Welche Himmelskörper wurden in den letzten Jahrzehnten von zahlreichen Raumsonden aus geringer Entfernung (mehrere Tausend Kilometer) passiert und nie untersucht?

Ich denke, einige werden nun sagen „Das ist der Mond“. Falsch. Zar gab es zahlreiche Vorbeiflüge von Raumsonden an der Erde, aber keine näherte sich dem Mond sehr nahe. Das wird JUICE bei einem Erdvorbeiflug tun. Japanische Raumsonden, die mit den Feststoffraketen der My-Serie gestartet wurden, nutzen oft auch den Mond noch für einen Swing-By, aber waren da noch nicht voll betriebsbereit.

Es handelt sich um die beiden Marsmonde Phobos und Deimos. Beide umkreisen den Mars auf sehr nahen Bahnen. Phobos ist weniger als 10.000 km vom Marsmittelpunkt entfernt (und weniger als 6.000 km von der Oberfläche) und Deimos etwa 23.500 km vom Marsmittelpunkt oder ziemlich genau 20.000 km von der Oberfläche entfernt. Praktisch jede Raumsonde, die in den vergangenen Jahrzehnten in einen Orbit einschwenkte passierte die Bahnen der Monde. Aber trotzdem gab es in der Zeit kaum Untersuchungen. Der MGS passierte während der Aerobraking Phase Phobos und machte einige Aufnahmen. Von MRO’s hochauflösender Kamera gibt es Totalaufnahmen von Phobos und Deimos, aber aus dem operationellen marsnahen Orbit aus. Am meisten Aufnahmen aus den letzten Jahrzehnten lieferte Mars Express der auch auf der Endbahn Phobos Orbit kreuzt. Die meisten entstanden als Vorbereitung zur Phobos Grunt Mission.

Der kleinere Mond Deimos ist weiter draußen. Die meisten Raumsonden, die in exzentrischen Orbits blieben wie Mars Express oder Maven blieben unterhalb einer Bahn und so sind die besten Aufnahmen, die wir heute haben, immer noch von Viking, die den Mond mehrmals nahe passierte. Die saudi-arabische Hope Mission kreuzt derzeit die Bahn von Deimos als einzige Mission. Aber sie hat nur eine sehr niedrig auflösende Kamera, die Deimos dann bei einer veröffentlichten Aufnahme selbst aus nur 50 km Distanz nur in der Totalen zeigt, immerhin die Seite die permanent vom Mars abgewandt ist und so nicht von den Aufnahmen der inneren künstlichen Marssatelliten bekannt ist.

Nun kommt bald die japanische MMX Mission, bei der auch das DLR beteiligt ist. Sie stellt zusammen mit der CNES den Minilander „Idefix“ Hoffentlich sehen wir dann auch einige Aufnahmen mehr. Bei den bisherigen Minilandern, die das DLR für Rosetta und Hayabusa 2 anfertigte, bleiben die Aufnahmen ja unter Verschluss, warum sollte man dem Steuerzahler, der die Missionen finanziert, denn auch etwas zurückgeben?

Das Desinteresse zumindest während der Phase, wo es kein Geld kostet, also der Aerobrakingphase, kann ich nicht verstehen. Dann kreuzen ja viele Raumsonden deren Bahnen. Wahrscheinlich aber in der kurzen Phase nie so, dass die Distanz gering genug ist. Bei Missionen speziell zu den Monden ist es einfach so, das dadurch dass die Monde in einem Marsorbit sind, der Energieaufwendig größer ist als bei anderen Missionen. Ich habe mal über den NASA Trajektory Browser die dV Budgests zu drei Himmelskörpern rausgesucht von denen schon Bodenproben zur Erde zurückgebracht wurden (Hayabusa, Hayabusa 2 und OSIRIS-REx)

Körper Sonde dV
Bennu OSIRIS-Rex 7,48 km/s
Itokawa Hayabusa 7,21 km/s
Ryugu Hayabusa 2 9,51 km/s

Von diesen Geschwindigkeiten muss man wissen, das sie relativ zu einer LEO Bahn sind, also für die Fluchtgeschwindigkeit braucht man schon alleine 3,2 km/s. Für Deimos und Phobos bleibt der Trajektory Browser die Geschwindigkeit schuldig, aber man kann sie selbst abschätzen, wenn auch nicht ohne das Startfenster zu kennen, genau berechnen.

Die Flugbahn

Dei Flugbahn zu einem der beiden Monde sind folgende:

  • Einschuss in eine Marstransferbahn aus einem LEO Orbit aus
  • Einbremsen in einen ersten elliptischen Marsorbit (mit einem sehr hohen Marsperigäum)
  • Zirkularisieren der Bahn

Wird eine Bodenprobe genommen, so erfolgt noch eine Landung, die Energie dafür ist bei der geringen Gravitation der Monde vernachlässigbar. Danach käme noch ein Rückstart auf eine Fluchtbahn. Bei der Erde würde die Kapsel rein aerodynamisch abgebremst werden.

Besucht man beide Monde, so wird man sich von Innen nach außen arbeiten und das Marssystem von Deimos aus verlassen.

Hier die entsprechenden dV für typische Marsmissionen:

Einschuss in Marstransferbahn vom LEO aus:

3,7 km/s

Einbremsen in 200 x 80.000 km Bahn um den Mars

0,95 km/s

Einschwenken in Phobos Orbit (aus 200 x 80.000 km Bahn)

0,84 km/s

Einschwingen in Deimos Orbit (aus 200 x 80.000 km Bahn)

0,61 km/s

Transfer Phobos → Deimos

0,75 km/s

Verlassen des Mars von Phobos aus

2,2 km/s

Verlassen des Mars von Deimos aus

2,2 km/s

Eine Mission zu Phobos hätte so ein dV von 5,5 km/s, zu Deimos eines von 5,26 km/s und eine Bodenprobenrückführmission von Phobos eines von 7,7 km/s, von Deimos von 7,46 km/s und eine Mission zu beiden Monden eines von 6,25 km/s ohne und 8,45 km/s mit Bodenproben. Alle Rechnungen erfolgtem mit einem c3 von 9 km²/s² im Unendlichen.

So liegen wir eigentlich nicht viel schlechter als die obigen Missionen, warum findet nun erst die MMX Mission statt? Bei diesen Asteroidenmissionen gibt es nur ein dV das chemische erfolgen muss, das ist der Start von der Erde. Danach befinden sie sich in einer Sonnenumlaufbahn und jegliche Bahnänderungen können über Ionentriebwerke erfolgen, die alle Sonden hatten. Alle drei haben aber trotzdem durch einen Erdvorbeiflug noch Schwung geholt. So was fällt beim Mars weg. Die drei kleinen Manöver im Marsorbit (Geschwindigkeitsänderungen jeweils unter 1 km/s, alle drei zusammen nur (maximal 2,2 km/s) könnten mit Ionentriebwerken durchgeführt werden, aber das Einschwenken in den den Marsorbit und dessen Verlassen geht nur mit einem chemischen Antrieb, es steht für die Ionentriebwerke einfach nicht genügend Zeit zur Verfügung. So bestand bei Phobos Grunt auch der Großteil der Sonde aus Treibstoff.

MMX nutzt Ionentriebwerke wird aber immer noch 3,15 km/s chemisch aufwenden müssen.

Die verpasste Gelegenheit

Nun ist mit MMX ja eine Mission unterwegs. Ich wünsche ihr Glück, denn zumindest Phobos scheint Raumsonden Pech zu bringen. Die beiden russischen Raumsonden Phobos 1 + 2 fielen schon aus bevor die heiße Phase der Annäherung begann. Phobos Grunt verließ nicht einmal die Erde. Auch Japan hat bisher Pech bei der Marsforschung gehabt – ihre einzige Raumsonde zum Mars, Nozomi scheiterte ebenfalls kurz vor der Ankunft am Mars.

Es gab aber seit Viking über ein Dutzend Missionen zum Mars, warum keine zu Phobos und/oder Deimos?

Der Grund liegt in den äquatorialen Umlaufbahnen der Monde. Wie fast alle planetennahen Monde verlaufen ihre Orbits in der Äquatorebene des Planeten. Phobos Umlaufbahn ist um 1,075 Grad geneigt, die von Deimos sogar nur um 0,94 Grad. Selbst bei unserem Mond ist die Neigung mit 5,1 Grad höher. Ein künstlicher Marssatellit hat aber meist eine sonnensynchrone Umlaufbahn, also eine Bahn mit einer Bahnneigung knapp über 90 Grad. So kann er zum einen den ganzen Mars beobachten und nicht nur die Äquatorregion und seine Solarpaneele erhalten fast dauernd Sonnenlicht. So eine Bahn kreuzt die Äquatorebene nur an zwei Punkten. Daneben sind die meisten Umlaufbahnen nahe des Planeten also weit von den Monden entfernt.

Denkbar wäre dass ein Hauptsatellit nach dem Erreichen des ersten Orbits einen Tochtersatelliten absetzt. Sehr viele Instrumente braucht ein solcher Satellit nicht, denn beide Monde haben weder ein Magnetfeld und beeinflussen so auch nicht die Teilchenumgebung und sie haben keine Atmosphäre. Kameras, IR-Spektrometer und Röntgenspektrometer könnten die Oberfläche kartieren und ihre chemische/mineralogische Zusammensetzung bestimmen. Ein Laserhöhenmesser könnte das genau topografische Profil ermitteln und ein Langwellenradar könnte ins Innere schauen (zumindest bei Phobos vermutet man im Inneren Hohlräume). Im exzentrischen Anfangsorbit braucht man nur ein kleines dV, um im marsfernsten Punkt der Bahn die Bahnneigung abzusenken. Der Satellit könnte dann – mit größerem Treibstoffverbrauch – in Orbits um beide Monde einschwenken, oder er bleibt auf einer Bahn mit einer Umlaufszeit von 56 ¼ Stunden, das ist die gemeinsame Periode von Phobos und Deimos, das heißt eine Begegnung mit einem Mond wiederholt sich alle 56 Stunden.

Ähnliches wäre auch bei den Landemissionen möglich. Hier wäre der Aufwand sogar noch kleiner. Jede Mission hat eine Cruise Stage die für die Kurskorrekturen und Kommunikation bis zum Mars nötig ist und dann verloren geht. Würde man den Lander etwas früher abtrennen, so könnte diese Cruise Stage selbst in einen Orbit einschwenken. Sie müsste dann nur um Treibstoffe, Instrumente und eine Hochgewinnantenne erweitert werden. Man hat das nicht gemacht, weil man die Rover möglichst präzise absetzen will, nahe des Zielpunktes. Das geht nur, wenn man sie möglichst spät von der Cruise Stage abtrennt, dann kann diese aber ihren Kurs nicht mehr entscheidend ändern.

Für Deimos – der weniger gut erforschte Mond des Gespanns – war und ist noch eine besondere Möglichkeit gegeben. Seine Umlaufbahn liegt knapp außerhalb der geosynchronen Umlaufbahn des Mars (Umlaufdauer 24 Stunden 37 Minuten, bei Deimos sind es knapp über 30 Stunden). Für die Marsbodenprobengeewinnung, aber auch um mehr Daten von Rovern zu bekommen, plante die NASA schon vor der Jahrtausendwende einen Kommunikationsorbiter in einer geosynchronen Bahn. Genehmigt bekam sie ihn nie. Wäre dieser nicht in einer kreisförmigen Umlaufbahn von 20.400 km Höhe, sondern einer elliptischen, deren marsfernster Punkt über der Bahn von Deimos liegt, so würde sie ihn regelmäßig passieren. Solche Vorbeiflüge wären selten – unter 1.000 km etwa 12 in fünf Jahren, aber der Zusatzaufwand wäre gering, für eine Sonde am Mars würde der Orbiter eine „8“ beschrieben, doch da diese sowieso Antennen mit einem weiten Blickwinkel haben wäre dies kein Nachteil.

Die Landung

Die Landung auf beiden Monden ist erstaunlich weise schwerer als auf einem kleinen Asteroiden, wie den schon besuchten drei Itokawa, Ryugu und Bennu. Ryugu ist der größte der dreien mit einem mittleren Durchmesser von 0,9 km. Ein Körper, der auf die Oberfläche fällt, hat bei Ryugu maximal eine Geschwindigkeit von 0,4 m/s². Die Technik bei allen Sonden ist daher die, dass man zuerst die Orbitgeschwindigkeit neutralisiert – die Sonde fällt auf die Oberfläche und wird diese mit Fluchtgeschwindigkeit erreichen. Oft beschleunigt sie sogar noch, um einen Probennehmer tiefer in die Staubschicht zu bringen. Dort angekommen zünden Triebwerke, um sie wieder zu entfernen.

Bei Phobos beträgt die Fluchtgeschwindigkeit bis zu 12,2 m/s (44 km/h). Das entspricht auf der Erde einem freien Fall aus 7,5 m Höhe, das würde eine Sonde wohl kaum überleben. Man würde wohl zuerst fallen und dann in bestimmter Höhe die Geschwindigkeit durch Triebwerke auf ein akzeptables Maß reduzieren. Das muss gut getimt werden, denn aufgrund der geringen Schwerkraft wird danach der Körper nur noch leicht beschleunigt.

Um sich über den Körper zu bewegen ist das Springen die beste Methode. Bei ganz kleinen Körpern reicht die Kraft ,die eine Feder ausüben kann, wenn sie entspannt wird, um ihn anzuheben. Ich habe mal bei Amazon gesucht. Eine Feder aus 2,2 mm starkem Draht und 45 mm Länge und 16 mm Durchmesser liefert eine Kraft von maximal 134 N. Schon 0,8 N würden ausreichen um einen 100 kg schweren Körper auf Phobos auf dessen Fallbeschleunigung zu bringen (er würde sich dann aber nur um weniger als 1 mm bewegen). Mit 10 N Kraft könnte ein 100 kg schwerer Lander auf Phobos minimal 1,7 m weit sich springend fortbewegen (abhängig von der Distanz vom Mittelpunkt, bei Deimos wären die Sprünge noch höher).

Eine Bodenprobennahme würde wohl genauso wie bei den bisherigen Missionen erfolgen. Japan setzt dazu ein Projektil frei, dass Staub aufwirbelt und in die Bodenprobenkammer befördert, die NASA setzt dagegen eher auf das Staubsaugerprinzip. Ein Lander könnte natürlich auch gezielt Steine mit einem Greifer aufnehmen.

MMX soll im September dieses Jahres starten. Beim Schreiben des Artikels fand ich aber keine aktuellen Meldungen, obwohl der Termin weniger in drei Monaten ist. Verpasst sie das Startfenster, so gibt es das Nächste in 26 Monaten.

6 thoughts on “Die unbeliebtesten Körper im Sonnensystem

        1. Tja wenn man nur den Vornamen als Benutzername nimmt ist so was vorprogrammiert. Wie wäre es mit „Olaf T.“? Aber wenn Du nichts mehr posten willst, ist es doch eigentlich auch egal. Das System unterscheidet Benutzer nur nach Mailadresse. Der neue „olaf“ kann sich also auch mit erstem Buchstaben groß schreiben….

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