Das Prometheus – eine verpasste Chance für die ESA

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Ich schließe an meinen Blog zum Jungfernflug der Ariane 6 an, und zwar indem ich eine Alternative offeriere, nicht nur zur Ariane 6, sondern auch der Vega und Sojus. Bevor nun Einwände kommen: ich betrachte das natürlich aus der Sicht der damaligen Zeit. Die Ariane 6 wurde im Dezember 2014 vorläufig und im Juli 2016 endgültig beschlossen, das Prometheusprogramm startete 2017. Damals war die Sojus noch aktiv und wurde auch gut von der ESA gebucht.

Den Entschluss für Prometheus war ja eine Folge der Aufträge, die an SpaceX gingen. Ziel war ein neues Triebwerk, das bedeutend billiger ist als das Vulcain 2. Meine Idee: man hätte da ja überlegen können, ob man wirklich die Ariane 6 baut oder doch nicht eine neue Rakete oder bessere eine Gruppe von Trägern entwickelt. Für mich macht die Entwicklung eines Triebwerks ohne eine Trägerrakete keinen Sinn. Für Ariane 6 sprach damals wohl, dass sie auf bestehender Technologie aufbaut und man erwartete daher auch einen ersten Start im Jahr 2020. Eine neue Rakete würde länger in der Entwicklung brauchen. Aber wie wir heute wissen, dauerte die Entwicklung von Ariane 6 sehr viel länger als geplant, ja sogar länger als die Entwicklung der Ariane 5, obwohl diese komplette neu konstruiert wurde. Hätte man 2017 die Entwicklung einer Prometheus Rakete beschlossen, so wäre sie wohl heute auch startbereit.

Das europäische Problem

Europa ist im Prinzip in der gleichen Situation wie Indien und Japan: die eigenen Raumfahrtprojekte ergeben eben einige Starts pro Jahr, die sich zudem in dem Zeitraum auf drei verschiedene Träger verteilen. Traditionell kommt dann noch der kommerzielle Markt hinzu. Obwohl es schon seit Jahren so war, das Arianespace Marktanteile verlor und gestützt werden muss, rechnete man doch fest mit diesem Sektor bei der Entwicklung der Ariane 6.

Finanziell ist es so, dass die ESA in etwa ein Drittel des NASA-Budgets hat, es betrug 2023 7,08 Milliarden Euro. Dazu kommen noch Aufträge durch andere europäische Institutionen wie Eumetsat und vor allem der EU: Viele Starts in den letzten Jahren entfielen auf das Klimaprojekt Kopernikus und das Navigationssystem Galileo. Die Satelliten baut und startet die ESA, aber es sind Projekte der EU. Hoffen (sicher sind sie nicht) kann man noch auf nationale Starts. Frankreich setzt fast nur auf eigene Träger. Die beiden anderen großen ESA Einzahler Deutschland und Italien buchen auch gerne woanders, wenn es so billiger wird.

Nimmt man das Gesamtvolumen von ESA und EU für Raumfahrt so sind wir bei etwa 10 Milliarden Euro pro Jahr. Zum Vergleich: die USA gaben im selben Jahr über 73 Milliarden Dollar für ihre Weltraumaktivitäten aus.

Da die USA für ihre nationalen Starts nur eigene Träger verwenden, ist das Auftragsvolumen für US-Unternehmen also rund siebenmal größer als das für Arianespace. Selbst wenn sich dies dann auf zwei große Launch Service Provider und einige kleinere verteilt, führt das zu einer ausreichenden Startzahl. Grumman / ATK, als Nachfolger von Orbital führt mit der Antares nur ISS-Versogrungsmissionen durch, im Schnitt drei Starts pro Jahr. Das reicht aus um die Entwiclklung und den Einsatz zu finanzieren. Die Firma wechselte trotz des Lieferstopps von RD-191 Triebwerken nicht dauerhaft zur Atlas/Vulcan, sondern baut nun Triebwerke eines anderen US-Herstellers ein.

Der Vorteil des Prometheus für das europäische Problem

Der Schub (Vakuum) des Prometheus von anfangs 1.000 kN, inzwischen auf 1.200 kN gesteigert, ermöglicht es, mit einem Triebwerk die gesamte Nutzlastpalette abzudecken, die damals Vega, Sojus und Ariane 5 bzw. Ariane 6 abdeckten.

Bei 1.200 kN Vakuumschub kann ein Prometheus eine etwa 90 t schwere Rakete antreiben. Zusammen mit einer Oberstufe basierend auf der für die Vega E entwickelten Lyra Stufe und dem Mira Triebwerk mit rund 100 kN Schub wäre so eine Stufe mit 70 t Startmasse bei einem oder der doppelten Masse bei zwei Triebwerken möglich. Weitere Booster mit Prometheus Triebwerken könnten diese Zentralstufe ergänzen und so die Nutzlast steigern.

Ich habe das schon zweimal vorgerechnet. Einmal mit einem konventionellen Ansatz vergleichbar Ariane 4 – einer Zentralstufe mit zwei oder drei Triebwerken und kleineren Boostern, oder radikaler – es gibt nur die rund 70 t schweren Booster und die Oberstufe. Die Nutzlast ist fast gleich und liegt in etwa in diesen Regionen:

Anzahl Prometheus Nutzlast (LEO, 5 Grad) LEO GTO, 5 Grad Vergleichbar
1 2.800 kg Vega C
2 6.700 kg 2.200 kg Sojus
3 11.000 kg 4.000 kg Ariane 62
4 14.500 kg 5.500 kg
5 18.000 kg 7.000 kg
6 21.500 kg 8.500 kg
7 25.000 kg 11.000 kg Ariane 64

Eine Rakete würde damit nicht nur die drei bisher eingesetzten Varianten ersetzen. Sie bietet zudem weitere Optionen, speziell für GTO-Missionen gibt es nun vier Varianten die bei leichten bis schweren GTO-Kommunikationssatelliten liegen (2-5 Booster) sowie eine für einen Doppelstart von einem leichten und einem mittelschweren oder zwei mittelschweren Satelliten im Doppelstart (6+7 Booster).

Die Serienfertigung

Der Hauptvorteil dieser Architektur ist die Stückzahl. Zurück zum Entwicklungsbeginn. Damals starteten vom CSG aus im jährlichen Mittel:

Das sind 11-12 Starts von drei Trägern. Diese drei Träger haben 10 verschiedene Stufen mit 9 verschiedenen Triebwerken. Ariane 6 sollte das verbessern auf 5 verschiedene Stufen mit fünf verschiedenen Triebwerken, aber mit einer Prometheus Architektur sieht es noch besser aus: zwei oder drei verschiedene Stufen und zwei Triebwerke. Noch deutlicher wird das an der Stückzahl. Mit Ausnahme der Booster von Sojus und Ariane 5 wird jede Stufe pro Träger nur einmal verwendet. Würde man das radikalste Konzept umsetzen – es gäbe nur eine etwa 70 t schwere Prometheus und etwa 14 t schwere Oberstufe – dann entspricht dies mindestens 10-11 Oberstufen und 43-49 Basistufen und 43-49 Prometheus Triebwerken.

Das ist eine Stückzahl die viel höher ist als bei der derzeitigen Architektur. Selbst wenn das Prometheus nicht das ehrgeizige Kostenziel von 1 Million Euro erreicht, sondern nur (gerechnet auf die Nutzlast, die möglich ist) so teuer wie ein Vulcain 2 wird, so würde alleine durch die höhere Stückzahl der Preis sinken.

Es gibt in der Wirtschaft ein Konzept das je nach Autor Lernkurve oder Erfahrungskurve genannt wird. Dahinter verbirgt sich die allgemein gültige Erkenntnis, dass wenn man höhere Stückzahlen produziert jedes Teil billiger wird: bei kleinen Stückzahlen kann man die Arbeit auf mehrere Menschen aufteilen die dann ihren Teil besser beherrschen und schneller durchführen, ab einer bestimmten Größenordnung kann man Maschinen einsetzen, deren Anschaffung sich bei kleinen Stückzahlen nicht lohnt und wenn die Stückzahlen richtig groß sind wie heute bei Konsumprodukten so wird das Gerät vorwiegend von Maschinen auf Fertigungsstraßen hergestellt.

Eine allgemeine Formel ist:

C = C1*Np

C1 sind die Kosten eines Exemplars in Einzelfertigung, N die Stückzahl und p ein Lernfaktor für den meist Werte von 0,7 bis 0,8 genannt werden.

Kleines Rechenbeispiel: Im obigen Beispiel werden die meisten Triebwerke nur einmal pro Stufe eingesetzt, es gibt z.B. nur fünf Vulcain 2 die im Jahr produziert werden. Nehmen wir an, ein Prometheus würde 2 Millionen Euro bei einer Stückzahl von 5 Triebwerken pro Jahr kosten, dann wäre N1 zu 3 Millionen Euro berechenbar (p=0,75), also die Produktion von fünf Exemplaren anstatt einem hat den Preis schon auf 2/3 des Einzelpreises gedrückt. Mit 43 Exemplaren würde der Stückpreis aber auf 1,2 Millionen Euro sinken.

Wir hätten eine ausreichende Zahl an Triebwerken, aber auch anderen Bauteilen wie Triebwerksrahmen, Tankdomen, Tanksegmenten, Nutzlastverkleidungen, Avionik – auch hier haben wir damals ja jeweils drei Systeme, um in vielen Bereichen in eine Serienfertigung überzugehen. Das betrifft auch die Oberstufen. Es werden mindestens 10 Oberstufen pro Jahr benötigt, führt man die Ariane 5 Starts als Einzelstarts durch, dann sogar 15 bis 17. Derzeit liegt das Maximum bei fünf bis sechs Oberstufen und ihren Triebwerken pro Jahr.

Es geht noch weiter: Wir hatten zu der Zeit drei Startanlagen für Vega, Sojus und Ariane . Eine einzige Anlage könnte aber problemlos die rund 10 bis 17 Starts pro Jahr durchführen. Aus der Sicht der Serienfertigung wären Einzelstarts sinnvoller als Doppelstarts.

Als Folge dürften die Herstellungskosten der Triebwerke, Stufen und Raketen deutlich sinken und wer weiß, vielleicht wäre dann auch wieder der kommerzielle Markt zugänglich. Zumindest gibt es mehr Modelle, die auch die Lücken abdecken, die es heute noch gibt und nach Wegfall der Sojus ist die Lücke zwischen 3 und 12 t LEO sogar recht groß.

Wiederverwendung

Zumindest bei den Boostern kommt man nun auf eine Stückzahl, bei der man über Wiederverwendung nachdenkt. Wiederverwendung klingt, wenn man unpassende Vergleiche wie mit der Luftfahrt heranzieht, ganz logisch. Den passenden Vergleich haben sie aber an jeder Supermarktkasse. Da können sie eine Plastiktüte wählen – billig und in großer Serie hergestellt oder eine wiederverwendbare Tasche aus Stoff – aufwendig produziert, kleinere Stückzahl, aber mehrmals verwendbar. Je nachdem wie oft sie die Taschen verwenden lohnt sich die eine oder andere Variante. Bei den derzeitigen Trägern, die maximal sechs bis siebenmal pro Jahr gebaut werden, wurde eine Wiederverwendung die Stückzahl soweit absinken lassen, dass die Kosten pro Träger enorm ansteigen, weil im Prinzip die Arbeiter nicht mehr ausgelastet sind. Das untere Ende im heutigen Sortiment markiert die Vega. Ausgelegt auf niedrige Startraten, wird sie sogar erst am Startplatz zusammengebaut. Sie könnte viermal pro Jahr starten. Doch selbst bei nur zweimaliger Verwendung einer Stufe würden alle derzeitigen Raketen unter diese Grenze rutschen. Bei 43 Stufen sieht es schon anders aus.

Einsatz des Prometheus?

Derzeit setzt nur Maiaspace das Prometheus für eine Trägerrakete ein, die 1.500 kg in einen SSO ohne und lediglich 500 kg mit Wiederverwendung transportiert. Die Website wirkt wie eine Mischung von ESA-Grafiken und Falcon 9 Animationen. Was mich wundert ist die geringe Nutzlast. Auf Abbildungen scheint der Haupttank so groß wie zwei Personen zu sein, also über 3 m Durchmesser und auf der Animation sind drei Triebwerke zu erkennen, mithin ein Startschub von über 300 t, das ist eine Trägerrakete in der Größe der kleinste Atlas V Version heute und sie soll nur 1,5 t Nutzlast haben?

6 thoughts on “Das Prometheus – eine verpasste Chance für die ESA

  1. > Da können sie eine Plastiktüte wählen – billig und in großer Serie hergestellt oder eine wiederverwendbare Tasche aus Stoff – aufwendig produziert, kleinere Stückzahl, aber mehrmals verwendbar.

    Der Vergleich hinkt. Die derzeit einzige wiederverwendbare Erststufe kostet wahrscheinlich weniger als die konkurrierenden Wegwerf-Booster. Das liegt daran, dass SpaceX Erst- und Zweitstufen auf der selben Produktionslinie mit fast identischen Triebwerken (Merlin 1D/Merlin Vac) baut. Bei Bedarf schieben sie einfach einen Booster dazwischen.

    1. Jeder Vergleich hinkt weil es eben kein anderes Produkt gibt das unter denselben Umständen produziert wird:

      * Normale Produktionsrate klein
      * Wiederverwendung schränkt Nutzen (Nutzlast) ein

      Das man eine Rakete mit identischen Triebwerken in mehreren Stufen bauen kann ist nicht so neu. Mein neuer Blog gibt da ein Beispiel, ein anderes aus der Historie wäre die N-1. Das dies die Produktion vereinfacht ist auch klar, hat aber mit der Wiederverwendung primär nichts zu tun.

  2. Wie wäre es denn mit einem Vakuum-Prometheus? Vielleicht kann man das dann auch in der Oberstufe einsetzen und hätte dann noch mehr Wiederverwendung.

    1. Typischer Wert bei gleichem Triebwerk ist das die erste Stufe die 9 fache Menge Triebwerke hat. Wäre dann etwas mehr als bei der Falcon 9. Durchaus denkbar, aber passt nicht zu der Idee von Bernd eine Rakete die in diversen Nutzlaststufen fliegen kann.

  3. Bernd hast du eigentlich schon mal eine Auswertung gemacht über die Schubunterschiede zwischen 1. und 2. Stufe? Hast du die Raketendaten in einer DB um das bequem auswerten zu lassen? Sonst würde ich da mal zusammensuchen.

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