Bernd Leitenbergers Blog

Eine kleine Raumfahrtnachlese

Aktuelle Ereignisse erlauben es das ich genügend Material habe, um mal einen kleinen Zwischenblog zu machen. Wir haben derzeit drei Missionen mit Problemen, der erste Starliner, der Junggenflug der Ariane 6 und die Explosion eines Merlintriebwerks beim letzten Falcon 9 Start.

Ich fange mal mit dem Starliner an, der eigentlich die wenigsten Probleme hat. Er startete ja schon einen Monat verspätet. Der Grund waren Helium-Leaks, die schon beim Startversuch im Mai auftrat. Helium wird als Druckgas verwendet, um die Tanks zu druckbeaufschlagen. Direkt nach dem Start gab es zwei weitere Helium-Lecks, die aber schlussendlich abgestellt werden konnten. So dürfte der Starliner einen Tag nach dem Start am 5. Juni am 6. Juni an die ISS andocken.

Dabei fielen aber wieder fünf der Manövriertriebwerke (RCS (Reaction Control Systems) aus. Vier Triebwerke konnten wieder Online gebracht werden, nachdem der Starliner 200 Meter von der Station entfernt wartete, sodass sich das Andocken nur um eine Stunde verzögerte.

Seitdem ist das Raumschiff angedockt und Boeing und NASA untersuchen das Phänomen. Eigentlich sollte es längst wieder zur Erde zurückkehren, nun wird das nicht vor Ende Juli erfolgen.

Nach der Darstellung von Boeing ist es weniger ein Problem der Triebwerke, als vielmehr der Software, die bestimmte Werte, die wie die Temperatur, außerhalb der gültigen Grenzen ansieht und so die Triebwerke abschaltet. Ein Softwareproblem verhinderte schon beim unbemannten Jungfernflug ein Ankoppeln an die ISS. Und um Softwareprobleme zu lösen braucht Boeing offenbar sehr viel Zeit.

Der springende Punkt ist aber, dass dadurch die Besatzung nicht gestrandet ist. Wie bei jedem bemannten Raumschiff werden solle RCS-Triebwerke redundant eingebaut. Der Starliner hat 28 einzelne Triebwerke, wenn nun fünf ausfallen, so ist das kein Problem, außer sie sind alle gemeinsam an einem Triebwerksblock. Aber die Sicherheitsregeln bei bemannten Raumfahrzeugen schreiben eben vor, dass man versucht dieses Problem zu lösen, bevor man zur Erde zurückkehrt.

Dann gab es den Jungfernflug der Ariane 6, der weitestgehend erfolgreich verlief. Weitestgehend, weil zwei Ereignisse nicht stattfanden. Die Nutzlast bei diesem Jungfernflug waren zahlreiche Cubesats und zwei Kapseln. Das Vinci sollte während dieser Mission dreimal zünden, einmal um eine vorläufige Umlaufbahn zu erreichen, das zweite Mal um diese zu zirkularisieren – danach werden die meisten Nutzlasten abgesetzt. Ein Dritter Boost sollte dann die Umlaufbahn anheben wo die letzten Satelliten abgesetzt werden, danach wird die Stufe deorbitiert, dabei werden zwei Kapseln abgesetzt.

Neben dem Vinci-Haupttriebwerk hat die Oberstufe, ULPM (Upper Liquid Propulsion Module) noch die APU (Auxillary Power Unit). Sie ersetzt das Lagerregelungssystem der Ariane 5, hat aber noch andere Funktionen: Die ULPM-Tanks unter Druck zu setzen, den Treibstoff während der Freiflugphase und vor der Wiederzündung von Vinci zu beruhigen, eine größere Distanz zwischen den Satelliten bei Mehrfachstarts zu ermöglichen und die Deorbitmanöver für die Oberstufe durchzuführen, um die Gefahr von Weltraummüll zu verringern. Sie hat dazu eigene Triebwerke die den Treibstoff aus den Tanks nutzen. Die APU wurde eingeführt, weil durch die längere Missionsdauer der Ariane 6 gegenüber dem Vorgänger man sonst sehr viel Helium gebraucht hätte um die Tanks unter Druck zu halten. Die APU spart so Gewicht ein und sie bietet weitere Vorteile in der Missionsdurchführung. Wichtig ist das vor einer erneuten Zündung des Vincis die APU den Treibstoff sammeln muss.

Die Abtrennung, bei dem OOV-Cube, Curium One und Robusta-3A eingesetzt wurden, erfolgte eine Stunde und fünf Minuten nach dem Start in einer kreisförmigen Umlaufbahn in 577 Kilometer Höhe. Die an der Oberstufe befestigten Experimente YPSat und Peregrinus wurden ebenfalls gestartet. Bis dahin hatte das Vinci zweimal gezündet und die APU war einmal aktiv. Danach sollte die APU erneut starten – zweimal und einmal das Vinci um einen Deorbit-Burn durchzuführen. Und zwei weitere Nutzlasten abtrennen. Die APU zündete zunächst, schaltete dann aber ab. Sie hätte die Oberstufe auf eine noch höhere Umlaufbahn bringen sollen, danach wäre das Deorbitmaböver des Vinci angelaufen, doch ohne Stabilisierung und Unterdrucksetzen der Tanks blieb auch dieses aus. Laut dem Raketenbauer ArianeGroup steht die Ursache noch nicht fest, zunächst müssen Daten ausgewertet werden.

War das nun ein Fehlschlag oder nicht? Von den 11 Nutzlasten, die beim Start dabei waren, wurden acht abgetrennt, deswegen hat wohl Jonathan McDowell dem Start eine „Quote“ von 0,85 gegeben. Das Wesentliche für die Arianespace, den Vermarkter ist aber, dass für das was die Ariane 6 regulär durchführt, das sind Transporte in den GTO nur eine Vinci Zündung notwendig ist. Hier würde das einmalige Hochfahren der APU ausreichen. Ebenso wären Missionen mit zwei Zündungen in höhere kreisfömige Orbits möglich, der Deorbitburn würde dann entfallen, so wie jetzt die Stufe im Orbit verbleibt. So kann Arianespace so an den ersten kommerziellen Start gehen der für Dezember geplant ist.

Kleines Detail am Rand, man sah diesmal „Rocketcams“ Bilder, wenngleich nicht dauernd. Dafür findet man bei Arianespace genauere angaben über Flugbahn, Höhe und Geschwindigkeit die woanders fehlen. Die schon bei Ariane 5 fehlende „Rocketcam“ ist der Flugbahn geschuldet. SpaceX und ULA starten über die Karibik, während Ariane bald über dem Atlantik ist. NASA und USAF haben in der Karibik etliche Empfangstationen die auch Videos empfangen können, später können die Launch Service Providers auf die TDRS Satelliten der NASA zurückgreifen, SpaceX inzwischen auch auf ihr Starlink Netz. Diese Möglichkeiten hat Arianespace schlicht und einfach nicht. Dafür gab es diesmal den YPSat der von der Nutzlastbucht aus einiges aufgenommen hat. Ein Video ist online, ich hoffe es werden mehr.

Eine zweite Fehlfunktion einer Oberstufe gab es wenige Tage später. Auch hier transportierte eine Falcon 9 20 Starlink Satelliten in einen ersten Orbit von 130 x 291 km Höhe. Das Perigäum des ersten Orbits ist sehr niedrig, wohl um die Nutzlast zu maximieren. Vor zwei Jahren hatte die Firma schon mal 40 Starlinksatelliten verloren, als sie stärker abgebremst wurden als angenommen. Ursache war ein Sonnensturm der die Reibung der Atmosphäre erhöhte. Dabei war dieser Orbit mit 231 x 337 km damals sogar noch höher. Seitdem ist SpaceX dazu übergegangen, um die schwereren Starlink V2 Satelliten zu starten, diese in einem sehr niedrigen LEO auszusetzen und die Zirkularisierung mit einer zweiten Zündung zu machen. Die zweite Zündung zerriss dann das Merlintriebwerk. In dem niedrigen Orbit sind sie nicht fähig mit dem schubschwachen Ionenantrieb ihren operativen Orbit zu erreichen. Einige sind schon verglüht.

Der Vorfall ist eigentlich nicht so von Bedeutung – SpaceX will dieses Jahr 120 Falcon 9 starten und selbst nur auf diese Menge bezogen wäre ein Fehlstart eine tolerierbare Größe. Nun hat aber die FAA eine Untersuchung eingeleitet und die kann einige Wochen dauern – bei SpaceX mit einer Startfrequenz von einem Start alle drei Tage eine halbe Ewigkeit und schon geht das Jammern los. Die ISS wäre von den Versorgungsflügen abhängig (bemannt und unbemannt), die armen Weltraumtouristen müssten auch noch warten und dann ständen ja noch NASA-Missionen an, wie Europa Clipper. Letzterer hinkt aber sowieso hinterher und wird sein Startfenster wohl versäumen. Die ISS kann zumindest mit Fracht weiterhin durch die beiden anderen Anbieter versorgt werden – Sierra Nevada stößt dieses Jahr ja auch dazu. Lediglich bei den Besatzungswechseln gibt es ein Problem, doch ich denke auch die können problemlos einige Tage oder Wochen länger an Bord bleiben, solche Situationen gab es ja schon mal, wie gerade beim Starliner oder bei Alexander Gersts zweiter Mission.

Zuletzt gab es dann wieder eine Starbase-Führung durch den Hofreporter von SpaceX Tim Dodd. Ich hab das Video noch nicht ganz durchgesehen, aber schon beim Anfang fiel mir was auf. Todd und Musk sprechen über das Gebäude für den Bau des Starship und Musk spricht davon das sie auf lange Frist 1000 Starships pro Jahr bauen wollen und diese vorhandene Fabrik immerhin 100 pro Jahr herstellen könne.

Todd stellt natürlich als Hofreporter nicht die wichtige Nachfrage, nämlich warum SpaceX jetzt 100 Starships pro Jahr braucht. Bei der Falcon 9 bauen sie derzeit über 100 Oberstufen pro Jahr, aber die werden auch nicht wiederverwendet, anders als die Erststufen, wo sie sicher nicht mehr als 10 pro Jahr fertigen. Da die Produktion ja nach ausgeweitet werden soll (auf 1000 pro Jahr) kann es nicht eine kurzfristige Maßnahme sein, bis man die Wiederverwendung des Starships beherrscht.

Eine mögliche Erklärung wäre, das man intern die vollständige Wiederverwendung aufgegeben hat, sie kostet ja auch massiv Nutzlast und die betrug bei ITF-3 nur noch 40 bis 50 t, bei ITF-4 wenn man den Resttreibstoff als Maßstab nimmt, eher 30 t. Bei Elon Musk der oft den Bezug zur Wirklichkeit verloren hat, könnte es sein, dass er tatsächlich glaubt für seine Marsstadt so viele Vehikel zu benötigen – jedes soll ja 1.000-mal wiederverwendet werden, das wären dann 1 Million Flüge pro Jahr.

Musk nennt – das wechselt bei ihm mit der Zeit – zwischen 3 und 10 Millionen Dollar pro Flug. Das wären bei 1 Million Flügen pro Jahr 3 bis 10 Billionen Dollar, nur mal zum Vergleich, der aktuell beschlossene Bundeshaushalt liegt unter 500 Mrd. Dollar. Für diese Flüge braucht er dann auch Einnahmen in dieser Höhe. Woher die kommen sollen, ist mir ein Rätsel. Sie würden 4,2 GT Kohlendioxid ausstoßen. Zum Vergleich die USA haben 2022 5,03 GT Kohlendioxid ausgestoßen. Nicht berücksichtigt ist dabei der Energieaufwand zum Gewinnen und verflüssigen der Treibstoffe und deren Anlieferung. Die Treibstoffe dürften dafür sorgen das SpaceX dann alleine mehr als die USA an Treibhausgasen ausstößt und das dürfte wohl die Regierung auf den Plan rufen, weil sie ja internationale Vereinbarungen für die Reduktion der Klimagase eingegangen ist.

Vor allem redet er ja mit den 100 Vehikeln pro Jahr von der nächsten Zeit, in der er diese nicht für eine Marssiedlung braucht. Kommerzielle Kunden hat das Starship nur wenige, so bleibt nur der HLS-Kontrakt und Starlink. Warum Musk diese Angabe macht, man kann nur spekulieren. Die einfachste Erklärung ist die, dass narzisstische Persönlichkeiten alles übertreiben und in einer Parallelwelt leben in der Zeit- und Kostenvorstellungen nichts mit der Realität zu tun haben. Solche Ankündigungen von Elon Musk kennt man ja schon, bei Musk ist das so häufig das sich der Ausdruck „Musk-Time“ eingebürgert hat. Trump ist auch so ein Beispiel.

Eine andere Erklärung wäre das er Investoren damit beeindrucken will, solche Fantasieangaben gab es ja schon von der Falcon 9, 2011, als sie gerade mal zweimal geflogen war, berichtete SpaceX sie würden 40 Cores pro Jahr fertigen. Denn obwohl SpaceX sich nach Ansicht einiger Blogkommentatoren „dumm und dämlich“ verdienen muss, haben sie bisher jedes Jahr Anteile an Investoren verkauft.

Ich bin inzwischen auch die Meinung das Musk sich wohl extra viel Mühe gibt die Erde unbewohnbar zu machen, vielleicht damit er Investoren für seine Marssiedlung bekommt. Tesla hat etliche riesige Fabriken, deren Dachfläche könnte man für Solarmodule nutzen, aber wenn ich mir die Satellitenansicht der Gigafactory in Berlin-Brandenburg ansehe, ist da nur wenig mit Solarmodulen belegt.

Das beste Beispiel ist er selbst. Musk ist Vielflieger er legte schon 2018 über 180.000 Meilen, also rund 250.000 km zurück. Auf diese Distanz kommt er, weil er selbst kurze Strecken von 200 km mit dem Jet zurücklegt. Er besitzt drei Jets, die nur auf ihn zugelassen, sind der neueste eine Gulfstream G700 braucht nach Wikpedia 1,6 kg Kerosin pro Kilometer, so verbraucht Elon Musk alleine 453 t Kerosin pro Jahr und erzeugt 1420 t Kohlendioxid pro Jahr – etwa 150-mal so viel wie ein Bundesbürger oder so viel wie vier Falcon 9 Starts – wobei diese den Großteil des Kohlendioxids in einer Höhe aussetzen wo es nicht mehr als Treibhausgas wirkt. Dabei ist das noch günstig über die volle Reichweite gerechnet, berücksichtigt man das er zahlreiche kurze Flüge absolviert wo erst beim Start beschleunigt wird, so dürfte seine persönliche Klimabilanz noch verheerender sein.

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