Bernd Leitenbergers Blog

Nachgerechnet: wie viel Nutzlast könnte ein Nicht-Wiederverwendbares Starship transportieren

Nachdem das Starship von Teststart zu Teststart an Nutzlast verliert und nun auf dem Niveau einer Falcon 9 angekommen ist – wenn man den nach Erreichen des Orbits verfügbaren Resttreibstoff als Maß für die Nutzlast annimmt, was mit einem nur kleinen Fehler auch korrekt ist – möchte ich mich heute mal beschäftigen wie viel Nutzlast ein Starship hätte, wenn es wie eine Falcon 9 gestartet wird – also es wird nur die SuperHeavy geborgen, nicht das Starship und dies erfolgt nicht mit einer Landung auf dem Startturm, sondern einem „Dronenschiff“.

Randbedingungen

Es gibt zu dem Starship das derzeit fliegt keine Daten. Bei den derzeitigen Testflügen haben weder die Raptoren ihren vollen Schub erreicht, noch sind die Stufen voll betankt. Das kann noch etwas Nutzlast bringen, aber nicht sehr viel. Es ist offensichtlich, das die Stufen weit weg von den Designwerten sind, die zum Teil genannt werden, aber man hat eben keine real verfügbaren Daten. Hätten die Stufen die veröffentlichten Leermassen (200 t SuperHeavy, 120 t Starship) so wären beim letzten Testflug nicht 20, sondern 126 t Treibstoff in den Tanks übrig geblieben.

Einfacher Ansatz zur Gewichtsabschätzung

Bei sehr großen Stufen, so ab 100 t Gewicht ist das Voll- zu Leermasseverhältnis relativ konstant bei etwa 18. Beispiele dafür sind die Atlas, Titan III, Saturn V, Atlas V und eben auch die Superheavy. Das gilt für Treibstoffe mit hoher Dichte, Wasserstoff macht so großvolumige Tanks nötig das diese Regel nicht gilt. Bei hoher Dichte des Treibstoffs machen die Tanks normalerweise weniger als die Hälfte der Startmasse aus.

Die Gründe liegen in der Physik. Bei Tanks ist ab einer bestimmten Größe und nicht allzu ungünstiger Form (die ideale Form ist bei zylindrischen Tanks eine Zylinderlänge von dem doppelten Durchmesser) ist die Masse nach der Kesselformel linear abhängig vom Inhalt, dem Druck und der Materialkonstante des Materials. Das Gleiche gilt auch für Brennkammern die bei Triebwerken deren Masse linear vom Schub abgängig ist. Hochdrucktriebwerke können etwas leichter sein, weil die Mündungsfläche der Brennkammer durch den höheren Brennkammerdruck kleiner ist und so die Düse deutlich weniger Material erfordert.

Daher kann man annehmen, dass ein Starship als einfache Stufe in etwa gleich viel wiegen würde wie die erste Stufe, die SuperHeavy. Bei der beträgt bei 3.400 t Nominalzuladung an Treibstoff und Trockenmasse von 200 t der Strukturfaktor genau 18. Beim Starship sind es 1.200 t, so müsste die Trockenmasse dann bei 70,6 t liegen. Dazu käme noch die Avionik, welche die erste Stufe nicht hat, doch die addiert nicht viel Gewicht. Etwas mehr Zusatzgewicht sind es bei der Nutzlastsektion. Eine Nutzlastverkleidung welche die massive Konstruktion ersetzt wäre – wenn man die Ariane 6 Verkleidung als Referenz nimmt – nur etwa 3,7 t schwer und sie wird in etwa 100-115 km Höhe abgeworfen, lange bevor das Starship einen Orbit erreicht, und kostet so nur wenig Nutzlast.

So denke, ich kann ein nicht wiederverwendbaren Starship bei einfacher Betrachtung sicher unter 75 t wiegen und somit gegenüber der Nominalmasse von 120 t etwa 45 t mehr Nutzlast erbringen.

Detaillierter Ansatz

Man kann sich aber auch die Massen mal genau ansehen. Hier eine Aufschlüsselung der Subsysteme der SuperHeavy nach einem Elon Musk Interview:

System

Masse

Triebwerke:

88 t

Tanks:

80 t

Stufenadapter:

20 t

Resttreibstoffe:

20 t

Sonstiges

12 t

Die Superheavy hat 33 Triebwerke, das Starship nur sechs, aber drei mit längeren Düsen. Ohne diese Düsen würde der Antriebsteil etwa 16 t wiegen, ich denke mit verlängerten Düsen liegt man bei 18 t.

Die Tanbkmasse ist aufgrund desselben Durchmessers proportional zum Inhalt, eher noch etwas günstiger, weil die Tanks bei der SuperHeavy mehr von der optimalen Länge von 18 m abweichen, als die in dem Starship. So kommt man bei 1.200 t Treibstoff auf 29 t Tankmasse.

Der Resttreibstoff ist vor allem bestimmt von der Geometrie der Tankleitungen. Die Tanks laufen in Domen, Kugelschnitten aus. Hat man nur ein Triebwerk so kann man die Leitung am tiefsten Punkt des Doms befestigen. Bei mehr Leitungen geht dies nicht. Allerdings haben beide Stufen eine Strategie, bei der sie schon vorher Triebwerke abschalten. Bei der SuperHeavy werden für das Drehen nur die 13 inneren Triebwerke genutzt und für die Landung die drei innersten Triebwerke. Beim Starship werden 30 Sekunden vor Erreichen des Orbits die äußeren drei Triebwerke abgeschatlet. In beiden Fällen brennen also drei Triebwerke am Schluss. Der Resttreibstoff sollte daher gleich sein – 20 t.

Das „Sonstige“ sind bei der Superheavy die großen Gitterfinnen. Bei dem Starship ist es die Avionik, die Flügel und die Nutzlasthülle. Die Nutzlasthülle kann man nicht mitrechnen, da sie bei Nichtwiederverwendung abgeworfen wird. Wie viel die Avionik wiegt, ist unbekannt, doch selbst mit viel Zusatzausrüstung (Selbstzerstörungssystem, Bahnverfolgungssender, Starlink System und Batterien) denke ich werden es nicht mehr als 1,5 t sein.

Der Stufenadapter wird beim Starship durch die Nutzlastverkleidung ersetzt, die wie oben erläutert, 3,7 t wiegt. Dazu kommt ein Nutzlastadapter für den Satelliten der abhängig von dem Durchmesser ist. SpaceX reklamiert das man drei Satelliten gleichzeitig starten kann. Ein Standard-Adapter mit 2,624 m Durchmesser wiegt bei Ariane 5 genau 0,357 t, so müssten drei Adapter etwa 1,1 t wiegen. In der Summe kommt man so (ohne Nutzlastverkleidung) auf ein Brennschlussgewicht von 69,6 t, also eine ähnliche Größenordnung wie bei der einfachen Betrachtung. Das würde 50 t mehr Nutzlast bringen.

Differenzrechnung

Der letzte Ansatz wäre es zu den 100 t Nutzlast mal zuzuschlagen, was man bei einer Nichtwiederverwendung nicht benötigt. Das ist zum einen der Hitzeschutzschild, der auf 10 bis 15 t Masse geschätzt wird. Das sind die Flügel, die wenn die Finnen schon 12 t wiegen, sicher auch 1 t pro Stück wiegen. Es ist aber vor allem die Nutzlastsektion. Hat sie dieselbe Wandstärke wie die Tanks so müsste sie 14 t wiegen. Dann gibt es noch den Landetreibstoff, der in eigenen Tanks steckt. Seine Masse ist aufgrund der kurzen Brennzeit und der Tatsache das bei den bisherigen Tests nicht die Triebwerke im Video aufleuchteten nur schwer schätzbar, nimmt man die Flugtests des Starships von 2020/2021 als Referenz so müssten es etwa 16 bis 20 t sein. Addiert man diese Posten, so kommt man auf eine Masse von 41 bis 51 t, also ebenfalls in der Region welche die beiden anderen Methoden ergeben.

SuperHeavy

Damit ist aber noch nicht genug. Die Superheavy fliegt ein Boostback-Manöver, sie fliegt also zum Landeplatz zurück. Bei der Falcon 9 kostet dieses Manöver wegen des nötigen Treibstoffs für eine deutliche Nutzlasteinbuße. Bei GTO-Missionen sinkt sie nach offiziellen Angaben zum Beispiel von 5,5 t auf 3,5 t ab. Das zeigt sich auch in der rund 2.500 km/h niedrigeren Trenngeschwindigkeit. Die Wende verbrauchte beim letzten Teststart ITF-5 262 t Treibstoff. Diese Landung am Startplatz ist vorgesehen, weil SpaceX ein Starship praktisch nach der Landung innerhalb weniger Stunden wieder fliegen lassen will. Muss man erst ein neues Starship aus der Fabrik holen und auf die Superheavy montieren, so kann man diese auch wie eine Falcon 9 auf einem Dronenschiff landen lassen. Den Landetreibstoff braucht sie noch, aber nicht den Treibstoff für die Wende.

Man kann nun eine einfache Rechnung durchführen, indem man die Raketengleichung ansetzt. Vor Brennschluss der SuperHeavy sollte das Starship mit 100 t Nutzlast 1.420 t wiegen, sie Superheavy mit 92,3 t Treibstoff zum Landen 293,3 t. 262 t Treibstoff könnten bei einem spezifischen Impuls von 3442 m/s diese Masse um 481 m/s beschleunigen, das sind 1.763 km/h und damit verringert sich auch die Differenz zu der Trenngeschwindigkeit einer Falcon 9 deutlich von 2.500 auf 800 m/s.

481 m/s weniger Geschwindigkeit entsprechen nach Ziolkowski Gleichung fast 32 t mehr Nutzlast bei einem 220 t (mit Nutzlast) wiegenden Starship.

Mann kann es aber auch genau ausrechnen mit einer Simulation. Die berücksichtigt auch das so die Gravitationsverluste geringer sind, weil mehr Zeit mit hohem Schubüberschuss hinzukommt. Eine genaue Simulation ergibt das es 36,5 t mehr Nutzlast sind.

Zusammengerechnet

Das Starship liefert – je nach Betrachtungsweise 41 bis 51 t mehr Nutzlast. Der für die Wende nötige Treibstoff der SuperHeavy den man für Antriebszwecke nutzen kann bringt 36,5 t mehr Nutzlast. Addiert man beides, so ist man bei 77,5 bis 87,5 t mehr Nutzlast also bei nominell 100 t Nutzlast bei 177,5 bis 187,5 t Nutzlast ohne die Wiederverwendung des Starships. Das kostet also wirklich viel Nutzlast. Das ist eine Reduktion um 43 bis 47 % also fast eine Halbierung.

Die Nutzlastverkleidung kostet nach meiner Simulation übrigens nur 0,7 t Nutzlast, da sie schon 180 bis 210 Sekunden, je nach Aufstiegsprofil abgeworfen wird.

Einflüsse

Ich habe es schon an Anfang gesagt – ich gehe von den offiziellen Angaben aus. Es ist nach drei Testflügen die (fast) einen Orbit erreichten, möglich die Nutzlast abzuschätzen, indem man den Resttreibstoff bestimmt. Das waren bei ITF-3 noch 42 t, bei ITF-4 sank er auf 30 t, da nun kein Treibstoff vom Haupt- in den Landetank umgepumpt wurde und dieser so auch gefüllt war. Und nach weiteren Nachbesserungen am Hitzeschutz waren es bei ITF-5 noch 20 t Resttreibstoff. Der verbliebene Resttreibstoff entspricht in etwa der Nutzlast (der Treibstoff liefert zwar noch weiteres Antriebsvermögen, aber man darf auch nicht vergessen, das bei allen Tests kein Orbit erreicht wurde und für die Landung weiterer Treibstoff benötigt wird, um den Orbit zu verlassen). Es ist offensichtlich, dass das Gespann ein Problem hat. Ich will mit einer Simulation (erneut für die Normmassen) mal die Einflüsse abstecken. Es gibt nach der Raketengrundgleichung eigentlich nur zwei:

Der Schub von weiteren Raptor-Generationen spielt dagegen keine Rolle. Das liegt daran, dass mehr Schub zwar die Gravitationsverluste senkt, aber diese entstehend vor allem in der frühen Phase und die SuperHeavy startet schon mit einem hohen Schubüberschuss. Zudem sollen diese Raptiren ja auch schwerere Starships ermöglichen, sodass die Startbeschleunigung gleich bleibt bzw. beim V3 im Strship sogar abnimmt.

Eine veränderte Trockenmasse des Starships kann man 1:1 in Nutzlast umrechnen. Bei der SuperHeavy muss man rechnen. Ebenso ,wenn man die spezifischen Impulse ändert.

Ich habe zuerst eine Bestimmung der Nutzlast mit den Treibstoff-Daten von ITF-5 gemacht und beim Starship noch 20 t Treibstoff für die Landung addiert. Ich komme für einen 28 Grad geneigten 200 km Orbit auf 74 t Nutzlast bei einem 120 t schweren Starship, nahe den 80 t, wobei man berücksichtigen muss, dass das Starship und sie SuperHeavy beide nicht voll getankt waren.

Nun hat es bei ITF-5 aber nicht 80 t Nutzlast, sondern 20 t, das heißt irgendwo sind die Daten deutlich schlechter als die mehrfach erwähnten Sollwerte. So habe ich Simulationen durchgeführt:

Bedenkt man das beim Übergang vom Raptor 1 zum Raptor 2 der spezifische Impuls um 30 m/s sank, bedeutet alleine dies eine Reduktion der Nutzlast um 7,5 t. Der Rest müsste – sofern die spezifischen Impulse nicht noch schlechter sind als von SpaceX angegeben, dann auf eine zusätzliche Trockenmasse entfallen.

Das zeigt aber auch: Wir reden hier von zig Tonnen mehr, die man an Gewicht einsparen müsste, alternativ kann man natürlich den spezifischen Impuls der Raptors steigern, nur gibt es da die Naturgesetze, die das verhindern. Schon die heutigen Impulse sind ja deutlich geringer als die von Musk noch 2016 genannten. Ich nehme an, man hat ihn inzwischen darauf aufmerksam gemacht, das diese physikalisch unmöglich sind. Die Starships V2 und V3 sollen es nun ja richten. Über die Trockenmassen erfährt man nichts, aber die Treibstoffmasse nimmt von maximal 4.500 t bei den Testflügen auf 5.150 t beim V2 und 6.350 t beim V3 zu. Das sind 15 bzw. 41 % mehr Treibstoff. Dafür soll das V2 100+ Tonnen Nutzlast haben, also 80 t mehr als jetzt und das V3 200+ t..

In dem Zusammenhang bin ich immer wieder erstaunt, dass es hier Leute gibt die an diese wundersame Nutzlastvermehrung glauben. Wohlgemerkt, nachdem das Starship derzeit nicht 80, sondern 20 t Nutzlast hat, die Falcon 9 seit fast zehn Jahren und mehreren Verbesserungen nur 17,4 anstatt 22,8 t erreicht hat, man also schon Erfahrungen damit hat das die Nutzlastengaben bei SpaceX nicht erreicht werden. Ich rate immer, den Verstand einzuschalten. Kennt ihr eine andere Rakete wo man mit 15 % mehr Treibstoff die Nutzlast um den Faktor 5 vergrößert hat und mit weiteren 26 % nochmals verdoppelt?

Ich vermute das ein Grund auch ist, das die meisten die diesen Beteuerungen glauben, wenig Ahnung von Raketen haben, obwohl man die Berechnungen auch leicht mit einem Taschenrechner nachvollziehen kann. Aber letztendlich ist eine Rakete nur eine Maschine die eine gespeicherte Energie in Bewegungsenergie umwandelt. Nun hat Elon Musk eine zweite Firma, die eine Maschine herstellt, die gespeicherte Energie in Bewegungsenergie umwandelt: Tesla. Übertragen auf ein E-Auto von Tesla würde das heißen:

Das ist exakt der gleiche Prozentsatz und exakt die gleiche Leistungssteigerung. Würdet ihr auch das glauben?

Fazit

Man wird sehen ob die Starships V2 und V3 die wundersame Nutzlaststeigerung bringen. Ich bin skeptisch. Selbst wenn gäbe es noch ein kleines Problem: Die Nutzlastverkleidung ist 17 m lang. Damit ist sie kürzer als die längsten Verkleidungen bei Atlas, Ariane 6 oder Vulcan. Sie hat einen größeren Durchmesser von 9 m gegenüber 5,4 m, aber relevant ist, dass für die Nutzlast verfügbare Volumen und das ist nur etwa doppelt so groß wie bei der längeren Verkleidung der Ariane 6. Diese kann maximal 22 t transportieren. In das doppelte Volumen sollen dann 200 t passen? Selbst wenn ich die Falcon 9 Nutzlaserkleidung als Vergleich nehme, ist es das 3,9-fache Volumen bei der 11,5-fachen Nutzlast.

Noch ist eine Frage offen: wie oft kann man das Starship wiederverwenden? Mit genügend Tests wird man sicher es einmal am Startplatz landen können. Doch wie oft übersteht es den Wiedereintritt? Kann man es danach einfach so starten oder braucht es wie das Space Shuttle teuer und zeitraubende Inspektionen? Ich denke, die Beantwortung dieser Frage wird entscheidend sein, ob SpaceX vielleicht dann doch zum Regime der Falcon 9 übergeht.

Derzeit scheint Elon Musk das ja nicht zu interessieren, der beschäftigt sich in letzter Zeit mit seinem Privatkrieg mit der FAA und FCC und anderen skurrilen Eingriffen in den US-Wahlkampf.

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